Gili Air

Welch eine Ankunft! Nach dem Tauchen lassen wir uns von Akok, unserem Tauchguide und Skipper, gleich auf Gili Air absetzen. Unter Wasser haben wir beste Sichtweiten um die 20 Meter und die reinste Schildkrötensuppe, bestimmt ein Dutzend pro Tauchgang.

Die Turtles sind gar nicht scheu, sie lassen uns sehr nahe herankommen, so dass wir sie beobachten können solange wir wollen. Auch sonst ist das Riff gut bestückt mit Zackenbarsch, Doktorfisch, Falterfisch, Schnapper, Kaiser, Barbe, Papageifisch, Sepie, Oktopus. Lange beobachte ich die Wächtergrundeln. Sie leben in Symbiose mit einem Knallkrebs, der selbst fast blind in seinem Gang hockt, an welchem er unermüdlich baut. Die Grundeln passen auf – sobald ein Fressfeind naht, warnen sie ihren Hauswirt und die ganze Gemeinschaft verschwindet blitzschnell im Loch.

Die Korallen sind weitgehend intakt, wenn auch einige Bruchstücke herumliegen. Diese stammen nicht vom Dynamitfischen oder vom unvorsichtigen Ankern, sondern von heftigen Stürmen. Die Strömungen hier sind schon ohne Sturm beachtlich; der Name des Tauchplatzes „Turbo“ spricht Bände.

Die Insel ist klein, man kann sie in einer guten Stunde umwandern. Im Südosten ist das meiste zugebaut, im Norden und Westen ist etwas Platz geblieben. Im Vergleich zu Gili Trebangan (Partyinsel) und Gili Meno (sehr ruhig) ist hier für jeden etwas dabei. Man kann rudimentär einkaufen, es gibt verschiedene Tauchbasen und in der Inselmitte ein paar Warungs, wo man noch  günstig essen kann. An der Strandpromenade ist es natürlich immer teurer.

Kleine Ponykutschen erfüllen hier die Funktion der Tuktuks – es gibt keine Autos oder Mopeds, nur rostige Fahrräder und ein paar Elektroroller. Was soll ich schreiben? Es ist paradiesisch schön hier, zum Glück sind die Resorts und Homestays nicht mal zu einem Viertel belegt. So haben wir viel Ruhe und den Strand weitgehend für uns. Robinsonfeeling will hier allerdings nicht aufkommen, dafür ist es zu sehr bebaut.

Die geschwätzigen Geckos unterhalten sich nachts direkt vor unserer Terassentür. Jetzt weiß ich auch, woher der Name Gecko kommt: Der Ruf klingt genauso: Gek-Ko! Von Zimmerlautstärke haben die Burschen anscheinend noch nichts gehört. Aber man gewöhnt sich schnell an die unterschiedlichen Nachtgeräusche. Selbst der Gesang des Inselmuezzin stört uns nun nicht mehr. Wir drehen uns einfach um und schlafen weiter, wenn sein Gebetsruf früh um vier erklingt. Zwar wird dieser auch hier elektrisch verstärkt, aber die Lautsprecher klingen längst nicht so blechern und übersteuert wie zuletzt in Jakarta.

Lombok

Lombok kommt meiner Vorstellung vom Paradies schon sehr nahe. Das Äquatorialklima lässt die Sonne scheinen, ein Traumstrand reiht sich an den andern: Weißer, roter, schwarzer Sand, alles da. Wir leihen uns einen Roller und erkunden die Gegend nördlich von Sengigi, wo wir eine saubere Unterkunft zu einem fairen Preis gefunden haben. Die Aussicht vom Malimbu Hill und den anderen Aussichtspunkten ist traumhaft, das Fahren auf der kurvigen Küstenstraße ein Genuss.

Am Pantai Nipah halten wir an und lassen uns zum Frühstück einen Fisch grillen. Dieser Strand ist genau nach unserem Geschmack: Sehr wenig Menschen, aber doch genug Infrastruktur, um Getränke zu kaufen. Weißer Puderzuckersand klebt zwar immer überall und ist deshalb für mich nicht unbedingt ein Muss – aber wenn er schon da ist… Wichtiger sind mir die vorgelagerten Riffe: Superschön. Beim Schnorcheln sehe ich Kugelfische, einen Rotfeuerfisch, blaue Seesterne, Doktor- und Nasenfische… alles auf Armlänge. Unbeschreiblich. Kaum Plastikmüll, weder im Riff, noch am Strand. Nur die kleinen Korallenbruchstücke erinnern an unrühmliche Zeiten, als hier noch mit Dynamit gefischt wurde.

Beim Schnorcheln haben wir heute zwar wieder keine Schildkröten gesehen, und das Sediment war auch etwas stärker aufgewirbelt als gestern, aber: Den Fisch, den wir heute aßen, haben wir uns bei Eddy in der Eisbox ausgesucht und eine halbe Stunde später war er fertig. Frischer und leckerer geht’s nicht. Der Mann hat eine liebe, fleißige Frau, die gut kochen kann, ansonsten lässt er es ruhig angehen. Nein, sagt er mir, er will nicht reich sein. Arm auch nicht, so mittendrin passt es schon. Er hat sich aus angespülten Korallenblöcken und ein paar Bambusstangen einige Sonnendächer zusammengebastelt. Hier verkauft das Paar Wasser, frische Säfte, Fisch. Früher hat er sich auch um die Schildkrötenbabys gekümmert, aber das Konzept hat sich geändert, erfahre ich. Die Verluste waren zu groß, als man die frisch geschlüpften Babys direkt ins Meer brachte. Heute werden die Kleinen ein Jahr hochgepäppelt, damit sie sich besser gegen Seevögel und Raubfische erwehren können, wenn sie in die Freiheit ausgesetzt werden. Bei Vollmond kommen die Schildkröten an den Strand, um ihre Eier abzulegen.

Entlang der Küstenstraße liegen Schutthaufen, immer wieder sehen wir verfallene Ruinen und Schilder: „Land for sale“. Das letzte Erdbeben vom August 2018 hat hier ziemlich stark gewütet. Inzwischen wird überall wieder aufgebaut und repariert.

Lombok, 20.10.2019

Lost in Surabaya

Pünktlich ist sie, die indonesische Eisenbahn. Auf die Minute. Dafür werden die Passagiere unterwegs fast tiefgefroren. Wir überstehen die kurze fünfstündige Reise dennoch. Surabaya, eine riesige, aber reizlose Industriestadt, soll uns nur als Zwischenstopp dienen. Wir kommen spätabends an, von hier geht morgen unser Flug weiter.

Das ist im Zug nicht erlaubt:
Tiere, stinkende Dinge (wie Durian), Waffen, Drogen, im Gang hinlegen.
Sonnenuntergang vom Zugfenster aus. Ganz klein der riesige Vulkan Merapi

Per Taxi brauchen wir auch hier zum Hotel doppelt so lange wie geplant, Indonesien ist generell vom Verkehrsinfarkt bedroht. Endlich am Hotel angekommen müssen wir feststellen, dass dieses ausgebucht ist. Nun haben wir eindeutig den Tiefpunkt für heute erreicht. Es ist inzwischen 23.30 Uhr, wir sind müde, durstig und entnervt, das Taxi ist weg, mein strapazierter Bauch schmerzt und nach zwei Tagen ohne Essen fühle ich mich nicht besonders kräftig. Wir stehen erstmal ein wenig verdattert im Dunkeln. Es ist inzwischen fast Mitternacht , das Taxi längst weg. Vor uns eine Mopedwerkstatt, wo ein paar Jugendliche im Licht ihrer Mobiltelefone an ihren Rollern schrauben, daneben ein brennender Müllberg, hinter uns eine sechsspurige Schnellstraße. Per Handyapp suchen wir die Umgebung nach anderen Hotels ab; das erste ist sehr teuer und hat nur noch Zimmer im dritten Stock – ohne Lift traue ich mir das mit dem schweren Gepäck nach den zwei Fiebertagen nicht zu. Das nächste vermuten wir auf der anderen Seite der Stadtautobahn. Also Augen auf und durch: Schauen, sprinten, auf den sehr sportlich dimensionierten Bordstein klettern, kurz ausschnaufen auf dem Mittelstreifen, nochmal schauen, sprinten, Bordsteinklettern, geschafft. Zum Glück gibt es hier keine Leitplanken. Das Hotel hätten wir trotzdem beinahe nicht gefunden, weil der Eingang genauso unbeleuchtet ist wie die Straße: Eine Frau zeigt uns den richtigen Weg. Wo die Unbekannte plötzlich mitten in der Nacht hergekommen war, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls stehen wir kurz darauf endlich in der Lobby. Es stellt sich heraus, dass es sich um ein Dormitory handelt. Egal, wir würden auch eine Höhle nehmen. Der Schlafsaal duftet nach Kakerlakengift und hat 30 Ein- und Zweibettkojen aus Pressspanplatten mit jeweils einem Springrollo davor. Vor jeder Bettnische stehen Flipflops und Sandalen, aus jedem der Abteile dringen die unterschiedlichsten Schlafgeräusche. Egal, wir wollen nur ein wenig ruhen. Doch auch das ist kaum möglich. Ab drei Uhr beginnen die Ersten aufzustehen und erzeugen dabei die ganze Vielfalt körper- und kulturbedingter Geräusche.

Mordgedanken! Irgendein Idiot hat hier seinen piepsigen Wecker aktiviert und schläft trotzdem friedlich weiter. Es ist 3.45 Uhr. Ich überlege, ob ich aufstehen soll, um ihn bzw. den Wecker auszuschalten, oder doch lieber versuche, das lästige Geräusch zu ignorieren. Endlich endet der Alarm. Ich döse ein. Zehn Minuten später geht es wieder los. Das darf doch nicht sein! Drei Weckeralarme von jeweils unendlicher Länge erlebe ich noch mit, dann ist die Nacht zu Ende – oder bin ich doch noch eingeschlafen?

Die Nacht ist vorbei, das Drama noch nicht: Der Fahrer des Dorms, der uns zum Flughafen bringen sollte, setzt uns am falschen Terminal ab, jetzt wird es knapp. Mit einem anderen Taxi müssen wir nochmal 12 Kilometer durch die schönste Rushhour. Letzten Endes haben wir es geschafft, aber entspannt war die Tour nicht. Dafür haben wir jetzt wieder ein echtes Traumziel vor uns: Lombok.

Surabaya, 17.10.2019

Yogyakarta

Dienstag, 13.10.2019 im Zug von Jakarta nach Yogyakarta

Fast eine Stunde brauchen wir mit dem Zug, bis das Stadtgebiet und die Vororte Jakartas hinter uns liegen. Mein Sitzgegenüber, ein sehr freundlicher und kontaktsuchender Mann namens Farid hält mich auf Trab. Er spricht zwar kaum Englisch, ist aber trotzdem sehr gesprächig. Ich bekomme mit, dass er ein Imam ist und sich sehr für die Verbreitung des Islam einsetzt. Gerade kommt er von einer Studienreise aus Pakistan zurück. Erst als wir gemeinsam fotografiert sind, Lebens- und Familiengeschichten ausgetauscht sind, kehrt Ruhe ein und ich kann lesen oder schreiben. Befremdlich dabei: Andrea ignoriert er vollkommen. In Cirebon steigt der Imam aus, bekehrt hat er mich nicht.

Die Landschaft ist weitgehend flach. Den Pflanzen auf den Feldern sowie den Bäumen ist anzusehen, dass hier die Regenzeit bereits dringend erwartet wird. Hellbraun und Ocker sind die vorherrschenden Farben, inmitten der riesigen Reisfelder immer wieder schwarze Brandflächen, wo das Stroh verbrannt wurde. In der Ferne sind erst einzelne Berge, dann eine hohe Bergkette erkennbar. Die Landschaft ändert sich, als wir nach Zentraljava kommen und die Schienen eher Richtung Süden führen: Immer hügeliger wird es, vor Trockenheit fast kahle Wälder wechseln mit landwirtschaftlichen Flächen. Mehrfach überqueren wir fast komplett ausgetrocknete Flüsse. Hinter dem Gebirge wird es wieder flacher. Nach über acht Stunden Zugfahrt rollen wir in Yogyakarta ein.

Yogyakarta ist ein Zentrum der Batik- und Handwerkskunst, außerdem gibt es viele junge zeitgenössische Künstler und Kulturschaffende. Galerien stellen traditionelle und moderne Kunst aus, die Straßen sind voll mit Streetart. Es gibt aber auch viele Nepper und Schlepper: Jeder Taxifahrer scheint es, ist im Nebenberuf Künstler und Galerist, jeder will uns gleich in seine Galerie abschleppen, die angeblich nur noch heute geöffnet hat und in einer halben Stunde schließt. Die 3,5 Millionen-Stadt ist viel übersichtlicher als Jakarta. Wir geraten wieder mitten hinein in einen Riesenrummel: Eine Art Karnevalsumzug lähmt den kompletten Verkehr: Tausende stehen entlang der Strecke, um den Wägen, Sängern, Trommlern und Tänzern zuzusehen.

Wir quetschen uns mit unseren Riesenrucksäcken hindurch. Was gibt es besseres als hungrig, durstig, total verschwitzt und müde dringend ein Klo zu brauchen und sich gleichzeitig durch eine feiernde Menschenmenge zu kämpfen? Ein Taxi zu nehmen, ergibt wenig Sinn – die Autos sind langsamer als wir zu Fuß. Mehrfach bieten sich Fahrradrikschafahrer an, aber wie soll das gehen? Zwei Leute, zwei große Rucksäcke, dazu noch zwei kleine? Unmöglich. Es sind nur fünf Kilometer, aber am Ende sind wir am Ende.

Im ViaVia kommen wir gut unter: Es ist ein Hostelprojekt, welches ethisch korrekte, soziale und ökologische Ziele verfolgt. Mit dem Mietroller steuern wir die Feuertaufe im indonesischen Verkehr an. Es gibt nur eine Verkehrsregel: Keine Regeln! Was die Sache noch interessanter macht, ist der extrem dichte Verkehr. Ich bin inzwischen vollkommen abgestumpft. Wer in Deutschland so fährt, wie es hier alle tun – ich eingeschlossen – würde sofort zurecht aus dem Verkehr gezogen. Rote Ampeln sind eine Art völlig unverbindliche Dekoration des öffentlichen Verkehrsraumes. Überholt wird, wo Platz ist. Wenn zwischen zwei Autos mehr als 50 Zentimeter Raum bleibt, muss man die Lücke nutzen, bevor es andere tun. Geblinkt wird NIE. Der Rückspiegel dient ausschließlich zum Aufhängen des Schutzhelms. Nein, im Ernst: Ich bin „mit Abstand“ der defensivste Fahrer weit und breit.

Der Tempel Prambanan ist zusammen mit dem Borobodur der größte und bedeutendste antike Tempel Indonesiens. Erbaut im 9. Jahrhundert ist er bald nach seiner Fertigstellung verfallen und in Vergessenheit geraten. Er ist eins der wenigen Relikte der hinduistischen und buddhistischen Ära des Landes. Uns gefallen die vielen wunderschönen Tempel durchaus, aber mit Angkor Wat können diese in unseren Augen keineswegs mithalten. Die Steintürme liegen in einem recht sterilen weitläufigen Park – der wilde Dschungel Angkors war eher nach unserem Geschmack.

Auch den Borodbodur haben wir angeschaut, er hat uns noch weniger umgehauen. Vielleicht sind wir einfach abgestumpft nach all der Pracht, die wir bisher schon gesehen haben. Die gut einstündige Rollerfahrt zum Borobodur war sehr anstrengend, aber beeindruckender als der Tempel selbst. Zuerst durch die Vorstädte Yogyas, dann zwischen Feldern und entlang an Kanälen, schließlich über Bergstraßen und entlang reißender Flüsse. Der Borobodur ist groß und steinern, die Andenkenläden und Souvenirverkäufer sind zahlreich und aufdringlich. Zurück fahren wir über die „Autobahn“ und geraten in einen Regenschauer.

Yogyakarta, Donnerstag, 17.10.2019

Jakarta, Indonesien

11.10.2019 Jakarta, Indonesien

Ein schreiender Mann sitzt am Fußende des Bettes. Was will er bloß von mir? Er scheint Schmerzen zu haben. Doch da ist noch ein zweiter Mann, er sitzt am Kopfende und versucht den ersten zu übertönen! Als sich noch ein dritter einmischt, dämmert es mir. Es sind die Muezzine, die zum Gebet rufen. Die Nacht endet also abrupt gegen 4 Uhr früh. Etwa eine Stunde dauert das Rufen und Singen, wir sind umzingelt. Von allen Seiten scheppern die lautsprecherverstärkten Gebete. Irgendwann gegen fünf hat es ein Ende und wir schlafen wieder ein. Um sieben dann setzen die Presslufthämmer der nahegelegenen Baustelle ein. Zeit, aufzustehen.

Am Bahnhof treffen wir eine Folkloregruppe

Nach den Zwergenländern, die wir bisher besucht haben, ist Indonesien ein Gigant. Fast 1800 Kilometer erstreckt sich das Land von Nord nach Süd, von West nach Ost sind es sagenhafte 5120 Kilometer. Über 700 Sprachen werden von den rund 280 Millionen Menschen in dem riesigen, fast zwei Millionen Quadratkilometer großen Land gesprochen. Mit rund 17000 Inseln ist es weltweit die größte Inselnation, von der Bevölkerungszahl steht es an vierter Stelle. Jakarta soll die zweitgrößte urbane Zone der Welt sein, Java die am dichtesten besiedelte Insel. Dennoch gibt es im Land riesige naturbelassene Gebiete und ein hohes Maß an Biodiversität. Es ist reich an Bodenschätzen wie Öl, Gas, Kohle, Zinn, Kupfer, Gold und Nickel; die Landwirtschaft produziert Reis, Palmöl, Tee, Kaffee, Kakao, Gewürze und Kautschuk. Indonesien liegt nahe am Äquator und kennt keinen Sommer oder Winter, sondern eine Trocken- und eine Regenzeit. Schon immer trieben die Menschen des indonesischen Archipels Handel mit benachbarten und entfernten Mächten wie Indien, China; muslimische Handelsreisende brachten schon im 13. Jahrhundert den Islam, später folgten Europäer und christliche Einflüsse. Heute sind rund 87% der Indonesier Moslems, und rund 10% Christen. Portugiesen, Franzosen und Briten kämpften seit dem Zeitalter der Entdeckungen um den Einfluss auf die Gewürzinseln (Molokken), wobei die Holländer sich am längsten behaupteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erstritt sich Indonesien die Unabhängigkeit. Sukarno, der Vater des modernen Staates, führte diesen zunehmend in ein autoritäres Regime über, bis er 1968 von Suharto in einem Militärputsch entmachtet wurde. Es folgte eine Phase des wirtschaftlichen Aufbaus und trotz grassierender Korruption wurden große ausländische Investitionen getätigt. Obwohl die Finanzkrise das Land schwer traf und politische, ökonomische und soziale Instabilität sowie auch Terroranschläge den Fortschritt bremsten, ist die Wirtschaft sehr stark gewachsen. Das große Erdbeben und der Tsunami 2004 trafen das Land verheerend, hatten aber auch eine einigende Wirkung auf die teilweise aufrührerischen Regionen. Seit 2014 regiert der erste zivile Präsident Jokowi und das Land eilt mit Riesenschritten in die Moderne. Die rapide Entwicklung und Industrialisierung brachten schwerwiegende ökologische Probleme: Kahlschlag der Wälder, Überfischung der Meere, Luftverschmutzung, fehlende Entsorgungskonzepte sowie Probleme mit der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung. Insbesondere die Palmölindustrie ist verantwortlich für schwere ökologische und darauffolgende soziale Probleme.

Uns begrüßt Jakarta nach den Problemen mit der Buchung und dem fehlenden Weiterreiseticket erstmal sehr freundlich. Beschwingt verlassen wir den riesigen, hochmodernen Flughafen Soekarno-Hatto. Statt uns in die Hände eines überteuerten Taxis und des unvermeidlichen Stau zu begeben, laufen wir zielstrebig zum Skytrain, der die einzelnen Teile des Flughafen verbindet und fragen uns zum regulären Flughafenbahnhof durch. Bereits hier erfahren wir mehrfach indonesisch-muslimische Hilfsbereitschaft. Eine ältere Dame, verschleiert, bemüht sich in bestem Englisch um uns, mehrere Uniformierte weisen den besten Weg. Im ultramodernen Zug in die Stadt (knapp eine Stunde!) lernen wir Herrn Ally kennen, einen Geschäftsmann im Anzug, CEO einer Umweltfirma. Er bemüht sich, erneuerbare Energien und Abfallwirtschaft in seinem Land voranzubringen. Ich frage ihn, welchen Stellenwert die Themen Umwelt und Klimaschutz für seine Mitbürger haben. Er lacht; so gut wie keinen, meint er. Er kämpfe seit Jahren in seinen Seminaren und Kampagnen gegen Windmühlen. Die Zeit im Zug vergeht wie im Flug und wir stehen bald darauf an einem der vielen Bahnhöfe der Zwölfmillionenstadt. Von hier sind es noch etwa fünf Kilometer zu dem Hostel, das wir uns ausgesucht haben. Weit und breit gibt es kein Tuktuk, kein Taxi. Junge Leute helfen uns zu einem Taxi und bezahlen dieses darüber hinaus noch für uns. Wir sind sprachlos!

Jaksa, eigentlich wollte Andrea dieses Viertel meiden. Vor der einstigen Backpackeradresse Nummer eins warnt der Lonely Planet: Die meisten Hotels seien inzwischen schäbig, wenn nicht sogar schmuddelig. Wir haben abermals Glück, denn nachdem unser Fahrer die Wirtsleute herausgeklopft hat – es ist inzwischen 23.30 Uhr – führt man uns in ein sauberes, schönes Zimmer.

Wir erkunden die zweitgrößte Stadt der Erde erstmal ganz unerschrocken zu Fuß. Rund 15 Kilometer schaffen wir, dann ist Schluss. Zunächst laufen wir in diesem riesigen Ameisenhaufen zu dem richtigen der vielen Bahnhöfe, Pasar Senen, um unser online gekauftes Ticket für die Weiterfahrt am nächsten Tag auszudrucken. Danach wandern wir weiter zum historischen Lapangan Benteng, einem Platz mit alten holländichen Kolonialbauten und dem zweifelhaften Monument zur Befreiung Irian Jayas, welches eigentlich von Indonesien nicht befreit, sondern annektiert wurde. Sämtliche Monumente sind vor allem eins: monumental und außerdem ziemlich hässlich.  In der Kathedrale findet gerade eine Hochzeit statt, wir genießen eine kurze Ruhepause in dem klimatisierten Gotteshaus und der feierlichen Stimmung. Weiter geht es zur Istiqlal-Moschee, der größten in Südostasien. Das Nationaldenkmal, ein 137 Meter hoher Marmorobelisk, auch bekannt als Soekarnos letzte Erektion, beeindruckt uns ebenso wenig wie der hässliche Zentralpark Jakartas; im Nationalmuseum finden wir wieder etwas Kühle und Ruhe, bevor wir schließlich wieder durch den unglaublichen Verkehr zum Hostel zurück laufen.

Paradies mit Schattenseiten

05.10.2019 Koh Rong, Kaoh Touch

Nun sind wir schon fünf Tage auf Koh Rong. Man könnte sich an das Leben auf der Insel gewöhnen. Die Sonne scheint jeden Tag, nachts gibt es einen ausgiebigen Regenschauer. Das Meer ist so lau, dass das Schwimmen kaum Abkühlung bringt.

Dieses Paradies wäre wirklich unfassbar paradiesisch, gäbe es den Menschen nicht. Wir wandern wunderbare Strände entlang, die Sonne und das Meer sind warm, die Laune gut, aber…

Es ist erschreckend, überall die Plastikmüllberge zu sehen. Freilich hat uns der Anblick bisher bereits durch ganz Südostasien begleitet, vielleicht sind wir zwischendrin sogar schon ein wenig abgestumpft? Hier, auf der Trauminsel ist der Kontrast zwischen der natürlichen Schönheit und dem menschgemachten Dreckhaufen aber so krass, dass es mich betroffen, traurig und wütend macht. Egal, wo wir langgehen, treten wir auf Plastikmüll. Am Strand findet sich kein Meter ohne Plastikflaschen, Tüten, Verschlüsse, Trinkhalme, Kunststoffbruchstücke, Fragmente von Plastikseilen und -netzen, unendlich viel Mist dergleichen. Freilich gibt es Strandabschnitte, wo kein Plastik liegt. An diesen Stellen hat nämlich der Restaurant- oder Resortbesitzer vor kurzem erst saubermachen lassen. Doch das Meer spült unermüdlich Nachschub an.

Vom Schwimmen bringe ich einen großen Gewebesack mit und wir sammeln los, bis wir diesen und einen zweiten voll haben. An Säcken herrscht kein Mangel, sie werden zwischen all dem andern Kram mit angespült. Als ich kurz vor einem üblen Sonnenbrand stehe, muss ich aufhören. Etwa zwanzig Meter des Strandes haben wir gereinigt. Das ist nichts angesichts des mehrere Kilometer langen Strandes. Schon gar nicht, wenn ich mir ausmale welcher Bruchteil der Küstenline Koh Rongs, Kambodschas, Südostasiens, der Welt das ausmacht. Egal, wenn wir damit einer einzigen Meeresschildkröte, einem Fisch oder einem Seevogel das Leben gerettet haben, war es das wert. Ein Hoffnungsschimmer kommt zum Schluss noch auf: Gerade als ich genug habe, beginnen zwei junge Frauen und ein Mann, mitzumachen. Ich freue mich und bin gerührt, dass sie meinem Beispiel gefolgt sind. Ja, ich darf ein Foto machen, dann sehe ich zu, dass ich in den Schatten komme.

Übrigens: Der Mist stammt nicht nur aus den Ländern Asiens! Deutschland verschifft über eine Million Tonnen Plastikmüll pro Jahr ins Ausland. Dort landet unser Müll zu großen Teilen in der Umwelt oder wird illegal verbrannt. Jährlich exportieren wir Tausende Tonnen Plastik unter anderem nach Südostasien: Industriemüll, Joghurtbecher, alles was im gelben Sack ist. Was bei uns strafbar ist, gehört hier zur Normalität. Näheres zum Thema sowie Quellenangaben erfährst du unter: Petition „Müll – Made in Germany“ von WeAct.
Für uns gibt es nur eine Konsequenz aus dieser Erfahrung: Nichts anderes als ein weltweites Verbot von Einwegartikeln und Verpackungen aus Plastik ist die einzige Hoffnung für unseren geschundenen Planeten. Mikroplastik ist bekanntlich bereits jetzt weltweit in den Meeren zu finden, egal ob Südostasien, Nord- oder Südpolarmeer. Sobald wir zurück sind, wollen wir uns einen plastikfreien Haushalt aufbauen.
Für alle, die jetzt denken: „Du armseliger Spinner, willst andere belehren und selber machst du eine Weltreise!“: Ja, wir haben selbstverständlich ein schlechtes Gewissen, aber wir tun unser Bestes und bemühen uns um Ausgleich. Weiteres bitte im Menü oben unter „Klimaneutral Reisen“ nachlesen.

08.10.2019 Koh Touch, 21.30 Uhr

Koh Rong

Eine Plastiktüte tanzt im Wind, die Benzinverkäuferin sitzt dick vermummt mit Jacke, Schal und breitkrempigem Hut hinter dem Gestell mit Glasflaschen. Hier gibt es Benzin aus Cola-, Schnaps- und Limoflaschen. Mir läuft der Schweiß herunter. Der Bus steht in der staubigen Glut neben der Straße. Der Fahrer ist, wie bei jedem Halt bisher mit zwei großen Gabelschlüsseln unter das Fahrzeug gekrochen, um etwas festzuschrauben, das sich bald darauf wieder löst. Für die Reise von Kampot zur Fähre hinter Sihanoukville müssen wir hundert Kilometer der schlechtesten Sorte überwinden. Der alte Seelenverkäufer bockt und springt, beim Schalten hört man Knirschen und Kreischen von Metall aus dem Getriebe. Hoffentlich hält die Kiste bis zum Ziel.

Sie hält! Sihanoukville muss früher ein netter Ort gewesen sein. Jetzt ist es das Letzte! Die Stadt ist dabei, komplett von rechts auf links umgekrempelt zu werden, oder andersherum. Jedenfalls stecken die Chinesen hier unglaublich viel Geld herein. Natürlich nicht ohne Hintergedanken. Bescheiden wie sie sind, beschriften sie ihre Geschäfte überwiegend nur in chinesisch – Neokolonialismus pur. Glückspiel, Baumafia und viel, viel Geld sind eine ungute Mischung. Jeder, den wir zuletzt trafen, hat von einem Besuch der Stadt abgeraten. Alles ist eine Baustelle, die Straßen sind unglaublich: Achs- und Federbruch sind programmiert. Mehr als Schritttempo ist nicht drin, die Schlaglöcher sind so groß, dass deutsche Kleinwägen darin Platz hätten. Es stinkt bestialisch, riesige Müllhaufen türmen sich übermannshoch überall, wo ein bisschen Platz ist. Augen zu und durch!

Leider müssen wir hier noch einen Zwischenstopp einlegen, werden dann Richtung Hafen gekarrt und müssen schließlich noch einen Kilometer durch die brütende Hitze laufen, mit den schweren Rucksäcken auf dem Kreuz. Die Fähre nach Koh Rong braucht eine knappe Stunde, endlich sind wir angekommen im Paradies.

Die Kinder haben uns bereits einen Bungalow herausgesucht und reserviert. Wir sind dankbar nach der Tortur. Paradise heißt unser Resort, und wir fühlen uns auch so. Die grüne Insel ist bewaldet mit Dschungel, außen rum Puderzuckerstrand, aber es gibt ausreichend Zivilisation in der Nähe. Was will  man mehr? Da noch Nebensaison ist, sind die Preise akzeptabel: Für 24 Dollar haben wir eine schöne strohgedeckte Hütte am Waldrand mit Meerblick. Es gibt einen Ventilator, ein Moskitonetz, eine Hängematte und ein paar Sitzbänke auf der Veranda, aber das beste ist das Naturbadezimmer im Freien. Den ersten Tag verbringen wir mit relaxen, easy-going und chillen. Von mir aus kann es morgen noch so weitergehen.

Koh Rong, 04.10.2019 18:25

Bokor National Park

Heute früh verabschieden wir uns von den Kindern, die nach Koh Rong weiter wollen, wir bleiben noch ein oder zwei Tage hier. Wir ziehen aus der Hütte zurück ins Guesthouse und sind überfroh, zurück in der Zivilisation zu sein: Ebener Fliesenboden! Saubere Fenster, Türen, Wände, Toilette! Steckdosen und Lichtschalter, die funktionieren!
Dann fahren wir mit dem Roller zum Popokvil Wasserfall im Bokor Nationalpark. Die Bergstraßen sind ein Genuss! Auch wenn ich noch lieber meine alte Kawasaki unterm Hintern hätte, selbst mit dem kleinen Roller macht es sehr viel Spaß. Und für einen 125er läuft er sehr flott, zwischen den Kurven und Spitzkehren kommen wir immer wieder auf 60 bis 80 Stundenkilometer, und das bei recht steiler Steigung. Die Straße ist so gut wie neu – sonst hätte ich das Tempo hier nie gewagt. Auf halber Höhe zum Gipfel kommen wir in den Regen, aber wir fahren weiter. Die Straße ist extrem kurvig, also aufgemerkt:
Wenn du einen Spiegel im Scheitelpunkt der Kurve siehst: Obacht!
Wenn du den Spiegel wegen der tiefhängenden Wolken oder wegen des Regens nicht siehst: Doppelt Obacht!


Fast hatten wir schon vergessen, wie sich das anfühlt: Kälte. Am Pass oben sind wir ziemlich durchgeweicht und frieren, kein Wunder im T-Shirt und kurzen Hosen. Aber da steht die Rettung: Ein gigantisches halbrundes Blechdach, rundum gigantisch verglast, davor zwei gigantische Gipspferde, darin ein gigantisches Schnellrestaurant mit ebenso gigantischen Preisen, aber egal. Wir wärmen uns an zwei leckeren Cappucchino, den teuersten Kambodschas.

Kurz drauf lockt uns die Sonne wieder hinaus: Der Popokvil Wasserfall ist eine Schau, er fällt in zwei Terrassen über etwa 40 Meter tief ins Tal. Außergewöhnlich ist es, hier von oben an den Wasserfall zu kommen. Nichts für nicht Schwindelfreie!

Wir fahren noch ein wenig auf dem Bergrücken herum und entdecken eine furchtbare Bausünde. Hochhäuser mit leeren Fensterhöhlen, hässliche halbfertige Betonklötze, eine riesige Halle, Parkplätze für tausende Autos. Wie die Köpfe von Dinosaurierskeletten hängen rostige Basketballkörbe an schrägen Metallgalgen. Bereits in den 1920er Jahren gab es hier ein französisches Casino, nun wurde ein neues für die chinesischen Gäste gebaut. Rund herum war wohl ein gigantisches Ferienareal geplant – geblieben sind viele Bauruinen. Das meiste steht halbfertig und ungenutzt. So ist das im Kommunismus: Neue Ruinen kommen zu den alten dazu.

Der Platzregen wird immer stärker, wir stellen uns unter dem Vordach einer kilometerlangen, leeren Ladenzeile unter. Der Regen wird zum Starkregen, dann zum Wolkenbruch. Das Trommeln der Tropfen auf dem Dach macht jede Unterhaltung unmöglich. Wir warten eine halbe Stunde.

Auf dem Rückweg muss ich doppelt aufpassen, denn zu der schlechten Sicht kommt jetzt in jeder Linkskurve ein Ölfilm. Und mein gelber 75Cent Regenmantel löst sich im Fahrtwind auf. Bei der nächsten Raststation kaufe ich mir einen neuen in blau und ziehe ihn drüber. Mollig! Erst jetzt fällt uns auf, dass rechts und links entlang den Straßenrändern überall Schilder stehen. „Stop!“ steht drauf, wie wir uns später von Mama übersetzen lassen. Wegen der Landminen natürlich.

Kampot, 3.10.2019 7:00

Kaputt in Kampot

28.09.2019 Per Taxi sind wir von Phnom Penh nach Kampot im Süden des Landes gefahren, Durchschnittstempo unter 40, ein Schlagloch geht ins nächste über. Vor lauter Staub ist die Sicht derart schlecht, dass man sowieso nicht schneller fahren könnte. Rechts und links der Straße immer wieder überflutete Landschaft.

Video Stern vom 20.09.2019

Mama’s Family Guesthouse empfängt uns sehr herzlich. Wir chillen den Nachmittag in der Bar am Flussufer. Jamaika-Feeling am Beach, Rastas mit allem Zubehör, aber auch ganz normale Leute. Hier sind ein paar Aussteiger hängengeblieben: Der Sachse F. lebt mit seinem Hund seit zwei Jahren auf diesem Fleckchen Erde. Die Finnen B. und L. auch schon seit einigen Monaten. Nette Leute, offen und freundlich. Und anspruchslos. Aber viel herumgekommen sind sie alle nicht, weder in Kambodscha noch auf der Welt. Im Revierverhalten der Bambushütten-Langzeitmieter entdecken wir Parallelen zu deutschen Dauercampern: Sitzgarnituren, Blumenkübel, Zäunchen. Fehlt bloß noch der Gartenzwerg, Dreadlocks hin oder her. Nie hätte ich diesen Ort als Dauerwohnsitz gewählt. Trotz aller Schönheit der Natur und des Flusses wäre es mir hier auf Dauer zu schmutzig, zu schwül und zu heiß. Für den einen oder die andere ist aber wohl die Verfügbarkeit von Weed das wichtigste Argument für die Wahl des Wohnorts.

Mit den 125er Honda Leihroller düsen wir zum Krabbenmarkt nach Kep. Die kleine Stadt liegt direkt am Meer, von hier wäre es auch nur noch ein Katzensprung nach Vietnam. Das Angebot am Markt ist riesig, berühmt ist Kep auch für die vergorene Fischpaste „Cambodian Cheese“, die reinste biologische Waffe. Man muss aber nicht alles probieren. Vor allem Schalentiere wie Prawns in allen Größen und Krabben, aber auch Tintenfische und Makrelen werden direkt aus dem Meer in großen Körben auf die Mole gebracht. Man kann sich aussuchen, was man will, die Meeresfrüchte werden sofort an Ort und Stelle gekocht, gebraten oder gegrillt. Lecker!

Nach dem Speisen erkunden wir das Hinterland mit dem nicht ganz geheimen „Secret Lake“. Die Schlammpisten sind teilweise besser zu befahren als die Staubstraßen, zumindest brennt der Modder nicht in den Augen. Ein paarmal rutschen uns die kleinen Rollerreifen weg, mitten rein in die tiefsten Matschlöcher. Wir sind schon auf dem Heimweg, denn es dämmert und ein Gewitter zieht auf. Da bricht bei Felix‘ Roller zu allem Glück noch die Innenhülse vom Gasgriff. So geht es nicht mehr weiter. Wir fragen uns durch, aber auch im nächsten Weiler spricht niemand englisch. Stattdessen gesellen sich ein paar ältere Männer zu uns. Wir sind offenbar die Attraktion des Samstagabends: Der eine kauft gleich ein Dutzend Bierdosen bei dem Kramerladen, wo wir unter dem großen Blechdach Schutz vor den ersten dicken Tropfen suchen. „Plop, Zisssch!“, drückt er jedem von uns eine geöffnete Bierdose in die Hand. Natürlich müssen wir mittrinken, auch wenn uns gar nicht danach ist. Andrea und Tami fahren mit dem verbliebenen funktionierenden Roller heim ins Guesthouse, während Felix und ich auf den herbeigerufenen Mopedvermieter warten. Ein paar Biere später rutscht tatsächlich ein großer Sornthaew-Pickup mit Sitzbänken auf der Ladefläche durch den Matsch auf uns zu. Doch der Mann, der aussteigt, erklärt, noch bevor wir ihn begrüßen: „This is not my motobike!“ Wie sich später herausstellt, hat unsere Wirtin den Quittungsblock des falschen Vermieters verwendet, folglich haben wir dem Kramer die falsche Nummer zum Anrufen gegeben. Der Mann, der jetzt hier mit seinem Auto in die öde Matschwildnis herausgefahren ist, ist wenig begeistert – trotzdem ist er bereit, uns mit in die Stadt nehmen. Stellt euch mal vor, bringt Felix später den treffenden Vergleich: Der Papa kriegt einen Anruf, seine Vespa steht in Erlbach. Er spannt natürlich gleich den Hänger an den Mondeo und ab dahin. In Erlbach steht irgendein Roller, aber nicht seiner, daneben zwei Kambodschaner, die immer wieder sagen: Altötting, Altötting. Da tät der Papa die doch auch mitnehmen, oder?

Der Versuch, den Roller auf die Ladefläche zu heben, scheitert jedoch, auch wenn die halbe Dorfgemeinschaft mit hebt, zieht, drückt. Das Ding ist einfach zu groß. Doch zuvor gilt es noch, die  beiden hartnäckigen Trinkväterchen loszuwerden. Wir setzen den einen bei sich zu Hause ab, doch er besteht darauf, dass wir noch sein Haus ansehen sollen. Nach langem hin und her entlässt er uns, nicht ohne uns die Tüte mit den restlichen Bieren mitzugeben. Es ist mittlerweile stockfinster, der Regen hat wieder nachgelassen.

Mal sehen, was aus dem Fahrzeug wird – momentan habe ich andere Sorgen. In der Nacht wird es mir schlecht und ich habe Fieber, den nächsten Tag werde ich im Schonmodus verbringen.

30.09.2019

Von wegen Schonmodus, wohl eher ausradiert. Zwei Nächte und den Tag dazwischen liege ich fiebrig in unserer Bambushütte. Leider ist es nicht gerade die komfortabelste Hütte, im Gegenteil. Es ist die primitivste, die wir bisher hatten. Ein Raum, nicht viel größer als das Bett, auf Stelzen zwei Meter über dem Erdboden, das Dach aus Palmblättern geflochten, keine Wände, sondern Flechtwerk, Bambusstangen und verblichene Tücher. Toilette und Dusche sind ein stinkiges Kämmerchen mit einem Wasserschlauch als Waschgelegenheit und Spülung. Einziger Vorteil dieser Sanitäranlage: Ein riesiger Gecko wohnt hier – was ich erst zwei Tage später mitbekomme. Zum Glück bekomme ich nicht viel mit, sondern dämmere vor mich hin.

Heute, am Montagmorgen ist das Fieber weg. Trotzdem möchte ich ausschließen, dass ich mir etwas von der üblen Sorte eingefangen habe… Malaria, Dengue etc. Also setzen wir uns auf den Roller – Andrea will unbedingt mit – und düsen ins Krankenhaus. Das Sonja Kill Memorial Hospital ist die modernste Klinik in der Gegend. Zum Glück sind wir noch nicht auf Koh Rong, da wäre der nächste Doktor viele Stunden entfernt.

Hier geht es ganz westlich und ordentlich zu: Aufnahme, Voruntersuchung mit Blutdruck- und Fiebermessen, Konsultation beim Doktor, Blutabnahme, Labor, Abschlussgespräch, Kasse. Nur dass es bei jeder Station ziemlich lange dauert. Ich bin natürlich nicht der Einzige, der hier heute Hilfe sucht. Viele Frauen mit ihren Kleinkindern und Babys warten auf die Sprechstunde. Das Hospital hat einen Schwerpunkt auf Geburtshilfe und Nachbetreuung der Neugeborenen. Wir schäkern mit den Kleinen und tauschen uns mit den Alten über unsere Beschwerden aus. Nach zwei ausgiebigen Regengüssen und fünf Stunden habe ich die Diagnose: Keine Malaria, kein Denguefieber. Nur eine ganz normale Virusinfektion. Wir sind erleichtert. An der Kasse dauert es nochmal eine halbe Stunde, unser letztes Geld geht drauf: 150 Dollar. Daheim wäre es mit dem Labor teurer gewesen. Wir rollern durch den Nieselregen nach Hause zu Mama’s.

Nachtrag: Der Gecko hat über 30 cm und heißt Catweazle. Auch er ist hier hängengeblieben, an den Gestank aus dem Abfluss hat er sich nicht nur längst gewöhnt: Er sagt, er kann gar nicht mehr ohne.