Überschwemmungen

16.09.2019 Ubon Ratchathani

Heute schon der dritte Artikel – liebe treue Leser, bitte blättert runter um auch die letzten Tage zu lesen.
An der Promenade des Mun-Flusses stellen wir fest, dass es keine Promenade mehr gibt. Überall in Flussnähe provisorische Pavillons und Zelte.

Hier stehen Armeelaster, Suppenküchen, Stapel von Hilfsgütern. Wir fragen nach und erfahren, dass Hilfe für die Flutopfer organisiert wird. Wir spenden natürlich spontan. Wandern weiter Richtung Fluss, sind überrascht, nicht aufgehalten zu werden. Auf der Brücke erkennen wir das Ausmaß der Katastrophe. Wir hatten von der Überschwemmung geahnt und gerade deshalb diesen Umweg über Ubon gewählt – dass wir mitten drin landen würden, wollten wir doch gerade vermeiden! Beim Überqueren der Brücke wird uns immer mulmiger, wir schämen uns fast, zu fotografieren. Dennoch, ich denke: Vielleicht spendet ja einer oder zwei, die davon lesen. Das Verrückte daran ist, dass in den für uns zugänglichen Medien von dieser Katastrophe in den letzten Tagen nicht berichtet wurde. Wir hatten tagelang Google und Bing sowohl auf Deutsch wie auf Englisch ergebnislos befragt – eben um das Überschwemmungsgebiet zu vermeiden. Wir hatten bei Tourist Information Centers und Reisebüros gefragt, aber keine konkrete Antwort erhalten.

So ähnlich hatten wir es ja bereits in Laos erlebt. Ob es am Desinteresse der westlichen Medien liegt oder eine gezielte Vertuschung – wer mag das beurteilen? Jedenfalls campieren hier unglückliche Flutopfer direkt auf der vierspurigen Brücke. Sie haben sich behelfsmäßige Zelte aus Planen usw. errichtet.
Falls ihr eine aktuelle Spendennummer wisst, bitte lasst es mich wissen (Kommentarfunktion unten)
Hier zwei relativ aktuelle Links zur Nachrichtenlage:

Worst yet to come for hard hit Ubon Ratchathani…two districts expecting major flooding Friday, September 13th. – The Pattaya News

http://thailandtip.info/2019/09/13/ubon-ratchathani-erlebt-die-schlimmsten-ueberschwemmungen-seit-41-jahren/

P.S. Es lesen wöchentlich rund 2-5000 Leute diesen Blog. Es würde mich freuen, wenn der eine oder andere zu diesem Artikel etwas kommentieren würde. Auch wenn es nicht im deutschen Fernsehen kommt.
16.09.2019 Ubon Ratchathani 22:00 Uhr
17.09.2019 erweitert 8:00 Uhr

Nationalpark Phu Pha Thoep

Sonntag, 15.08.2019

Vom Gestikulieren und Pantomimen habe ich bald schon Muskelkater. Wir haben es geschafft. Mit ein paar Screenshots auf dem Handy (von der Thai Schreibweise unseres Zieles) und mit Hilfe einer freundlichen Optikerin, die bei unseren Verhandlungen mit dem TukTuk-Mann gedolmetscht hat. Sie sprach zwar auch kein Englisch, aber scheinbar hat sie ungefähr verstanden, was wir wollten. Die Fahrt ist halsbrecherisch, das Fahrzeug verfügt nämlich leider über keine Bremsen, was der Fahrer durch SEHR vorausschauende Fahrweise auszugleichen versucht.

Der Nationalpark ist mit knapp 50 Quadratkilometern einer der kleinsten Thailands, dennoch sehr sehenswert. Beruhigend, dass der Ranger am Parkeingang gleich mal ein Foto von jedem Besucher macht. Wohl, damit er später besser weiß, wie die verloren gegengenen Personen aussehen. Anhand der Karte, die er mir gibt, erklärt er mit Gesten, wo wir lieber nicht hingehen sollten. Zuletzt werden wir noch gefragt, ob wir auch Wasser dabei haben. Ja, ja, haben wir, denken wir zumindest.

Ein riesiger Sandsteinfelsen von mehreren Kilometern Ausdehnung bildet die Hauptattraktion und Kernzone des Nationalparks. Jahrtausende der Erosion durch Wind und Wasser haben tiefe Canyons, steile Klippen und sehr skurrile Felsformationen herausgeschliffen. Wie riesige Pilze oder Tische stehen Felsblöcke auf einem glühend heißen Felsplateau. Andere Formen erinnern an Tiere; es gibt ein Kamel, einen Elefanten und alles mögliche andere. Der Park ist zur Zeit sehr mäßig besucht. Vielleicht liegt es daran, dass es knapp 40°C heiß ist? Jedenfalls begegnen uns auf unserer etwa dreistündigen Wanderung nur drei andere Personen. Trotz der Hitze gibt es immer wieder kleinere Rinnsale auf dem Fels. Offenbar hat es noch in der letzten Nacht geregnet und die spärliche Vegetation hat sich genauso vollgesogen wie die Inseln aus Erde und dürrem Gras. Wir entdecken sogar einen kleinen Wasserfall, doch die Moskitos motivieren uns nicht zu bleiben. Als unsere drei Liter Wasser zur Neige gehen, drehen wir um und trotten Richtung Ausgang. Ein beeindruckendes Erlebnis!

16.09.2019, Ubon Ratchathani, 18:34

Zurück nach Thailand

Von Thaketh nach Muktahan

Endlich wieder Busfahren! Frühstück, auschecken, ein Tuktuk organisieren und ab zum Fernbusbahnhof. Gerade als wir einbiegen, kommt uns der internationale Bus entgegen. Das beschert uns eine ersprießliche Stunde Wartezeit. Ich erkunde das Angebot der Läden. Erstaunlich: Etwa zehn Shops gibt es hier, jeder hat exakt das gleiche Zeug zu verkaufen wie die anderen. Neben Schuhen und Taschen gibt es Getränke und Reiseproviant. Für den kleinen Hunger zwischendurch kunterbunt eingefärbte Reiswaffeln, Trockenfleisch und – besonders ansprechend – Streifen von Büffelhaut, mit Fell. Ich frage den freundlichen Mann, ob das Hundefutter sei? Er missversteht mich zunächst und erklärt mir mit Hilfe einer Dose Energy-Drink aus dem Kühlschrank (mit Büffelemblem), dass es sich nicht um Hunde- sondern um Büffelhaut handelt. Als ich pantomimisch nochmals „Essen für Wauwau?“ spiele, verneint er und erklärt, das sei für Menschen und besonders lecker, man muss die Hautstreifen nur zerhacken und lange genug kochen. Warum auch nicht, andere Länder, andere Sitten.

Der Grenzübertritt nach Nakon Phanom gelingt rasch und reibungslos. Entgegen den Reiseberichten, die wir gelesen haben, müssen wir nicht einmal die Ausreisegebühr von zwei US-Dollar bezahlen. Der Service ist sehr zuvorkommend: Ein freundlicher Beamter fragt mich, ob ich schreiben könne? Tatsächlich stehen hier einige Uniformierte bereit, um den Leuten beim Ausfüllen der Visaantrage zu helfen. Wir kommen alleine zurecht. Der Bus ist wirklich international, er bringt uns tatsächlich nicht nur zur Grenze, sondern bis in die Stadt auf der anderen Seite des Mekong. Ich verschenke noch die letzten KIP an meinen Sitznachbarn, wir werden sie nicht mehr brauchen. Kurios: Am Zoll steht ein Glaskasten mit den abgenommenen Gegenständen. Da drin liegen doch tatsächlich drei Bongs und ein paar Schnapsflaschen. Darf ich fotografieren? Der Beamte schielt nach seinem Vorgesetzten und nickt.

Ab jetzt heißt es wieder Kop kuhn krab und Kop kuhn kaa, die Autos fahren links, die Steuer sind rechts. Uns kommt es fast so vor wie Europa, alles ist so aufgeräumt und sauber. Die Straßen erlauben ein Reisetempo von 60 und mehr Stundenkilometern! Beim Umsteigen am Fernbusbahnhof in Nakon Phanom haben wir Glück: Unser Minibus für die Weiterreise nach Muktahan steht schon parat, in fünf Minuten geht es los. Ich laufe zum Einsteigen erstmal auf die falsche Seite, was der Fahrer mit Lachen quittiert. Wir haben nicht mal Zeit für die Toilette und wieder bewährt es sich, dass wir an solchen Reisetagen möglichst wenig essen und trinken. Wie im Flug vergeht die zweistündige Fahrt zum Tagesziel, auf der laotischen Seite des Mekong hätten wir locker zwei- bis dreimal so lange gebraucht. Trotzdem sind wir ein wenig traurig, dass wir dieses wunderschöne Land schon so viel früher als geplant wieder verlassen mussten. Wegen der Überschwemmungen im Süden Laos sind wir von unserem ursprünglichen Plan abgewichen, die Four Thousand Islands zu besuchen, um von dort die Grenze zu Kambodscha zu überschreiten.

In Muktahan ist wirklich der tote Hund begraben. Endlich sind wir so weit ab vom Trampelpfad der Backpacker, dass es unterhaltsam wird. Die wenigsten Menschen hier sprechen Englisch, Schilder sind fast ausschließlich mit einem Würstlgulasch aus Thai-Buchstaben beschriftet. Die Stadt ist eine Servicewüste: Es gibt nur sehr wenige Guesthouses oder Hostels, auf der Suche nach einem verspäteten Mittagessen laufen wir einige Kilometer. Fahrrad- oder Rollerverleih: Fehlanzeige.

Immerhin ist es die erste Stadt Südostasiens, wo ansatzweise auf Barrierefreiheit geachtet wird. Die Gehsteige sind zwar zugeparkt wie überall, aber einige verfügen über gekennzeichnete Rampen. Vor dem Tempel gibt es sogar einen Rolliparkplatz. Neben dem Nationalpark in der Nähe sind für mich die größte Attraktion die Waschsalons auf dem Gehsteig.

Schließlich landen wir am hiesigen Night Market. Hier gibt es jede Menge Leckereien und eigentlich gar keine der typischen Touristenwaren. Ich probiere frittierte Reisbällchen und Frühlingsrollen (naja), Sticky Rice aus dem Bananenblatt (süß und lecker) sowie eine Art Leberkäsbratling mit viel scharfem Chili (kein Kommentar). In der Dunkelheit wird es spannend: Finden wir wieder in unser Hotel? Es liegt nämlich etwas abseits, zwischen einem größeren Brachland, einem wild zugewucherten Kanal und einer kleinen slumähnlichen Siedlung. Hoffentlich lassen uns die wilden Hunde in Ruhe. Tagsüber sind sie träge und faul, aber nachts werden sie munter und das Aggressionspotential steigt.

Zurück daheim verhandele ich noch ausgiebig mit der Wirtin. Mit Händen und Füßen gebe ich ihr zu verstehen, dass wir den Phu Pha Nationalpark besuchen wollen und dazu ein Songthaew, ein Moped oder Fahrräder brauchen. Leider kann sie mir nicht verständlich machen, wo man die Sammeltaxis findet. Fahrräder oder einen Roller kann sie erst am Montag besorgen, morgen ist Sonntag.

Ubong Ratchathani, 16.09.2019, 13:50

Thakek Loop

Wir haben einen Versuch gestartet, einen kleinen Teil des Loop zu fahren. Das ist ein Abschnitt des Banana Pancake Trail für die abenteuerlustigen Zweiradfahrer. Die Landschaft ist eine Augenweide. Kantige Karstberge ragen aus einem überfluteten Wald, manchmal auch aus Reisfeldern, jedenfalls ist alles neben der Straße (dem Damm) nass.
In Thakhek haben wir uns ein Moped geliehen – das beste bisher überhaupt, einen Yamaha Roller. MIT BREMSEN! Die helfen jedoch auch nicht gegen die allgegenwärtigen Überschwemmungen. Aber selbst diese haben Vorteile. Da, wo sonst Wald ist, gibt es jetzt einen See. Wir bleiben stehen und beobachten die Fischer mit ihren Netzen. Wir fragen, ob wir fotografieren dürfen – ich glaube, sie verstehen uns nicht, aber sie lachen, also fotografieren wir. Es ist unglaublich, wie die Männer und Frauen voll bekleidet im relativ kühlen Wasser so lange aushalten können. Manche stehen brusttief im Wasser und werfen immer wieder ihr Netz aus, um wenige Minuten später ein paar winzige Fische heraus zu klauben. Ich zeige fragend darauf und lasse mir zeigen, wie sie ihren Fang sammeln: In kleinen Körben aus Bambus zappeln ein paar Dutzend knapp fingerlange Fischlein. Wir überlegen, ob die zu Fischsauce zermatscht werden oder als Köderfische für größere dienen?

Beim nächsten Abzweig steht ein Schild, das auf eine schöne Höhle hinweist. Wir haben bereits darüber gelesen, die Tham Pha Seum. Am Parkplatz zahlen wir brav unsere Gebühr (~0,30Ct) und wandern los durchs Unterholz. Frösche, Moskitos, Spinnen und Würmer begleiten uns. Nach ein paar hundert Metern nehmen wir beißenden Gestank wahr. Ein kleiner alter Mann erschrickt, als wir von hinten heran kommen. Auf unseren Gruß „Sabaidee“ lächelt er. Sein rechtes Auge ist blind. Mit bloßen Händen gräbt er im Schlamm nach riesigen Regenwürmern. Auch er hat ein Bambuskörbchen dabei, wo er seine Beute hinein wirft. Ich versuche ihn zu fragen, ob er die Würmer zum Fischen braucht, oder… Aber er versteht mich nicht. Barfuß folgen wir dem überschwemmten Pfad zur Höhle weiter, bis uns das Wasser über die Knie reicht. Irgendwann drehen wir um. Inzwischen hat der Alte seinen Jagdplatz in den Schatten des Waldes verlegt. Er hat uns beobachtet und bedeutet mit Handzeichen, dass weiter vorn das Wasser noch viel tiefer wird. Auf dem Rückweg versuche ich noch ein paar Mal einen abzweigenden Pfad in das Dickicht, aber stets ist es bloß ein Wildwechsel, der nach ein paar Metern in hüfthohem Gestrüpp endet.

Wir hatten heute noch kein Frühstück und es ist inzwischen Mittag. Endlich kommen wir mit unserem Moped an einem schwimmenden Imbisstand vorbei: Ein Steg, ein paar Bambusstangen und Dächer aus Blättern, eine Reihe Eisboxen und eine kleine Garküche. Wir hängen unsere Wanderstiefel an ein Stück Bambus und wollen von der Karte bestellen, die uns gereicht wird, aber es stellt sich heraus, dass es heute nur gegrillten Fisch und Papayasalat gibt. Also dann das. Der Fisch ist extrem lecker, der Papayasalat extrem scharf.

Auch an der Tahm Sa Pha In Höhle haben wir Pech, bereits das Eingangstor steht im Wasser. Also weiter zur Liap Cave. Auf dem Landweg erreichen wir diese auch nicht. An der Brücke daneben winkt uns aber ein freundlicher Mann. Er bedeutet uns, dass er ein Boot hat, mit dem er uns in die Höhle bringen kann. Wir sind uns rasch handelseinig und genießen die kurze Fahrt über den Dschungelfluss.

Die Höhle selbst ist nicht sehr groß, aber uns gefällt es, so ganz ohne andere Touristen, Beleuchtung, Absperrungen. Als unser Fährmann an einem Fels anlegt, fragt er uns: „Swimming?“ Er beherrscht wirklich nur die paar Brocken, die er für sein Geschäft braucht: boat, cave, swimming. Wir folgen seinem Beispiel und lassen uns ins kühle Wasser des Höhlenflusses gleiten. Nachdem wir uns erfrischt haben, klettern wir vorsichtig zurück in den Kahn und tauschen ein paar Vokabeln aus. Wasser-noa, Boot-heu, Höhle-tham. Am Ausgang der Höhle bemerke ich hoch über unseren Köpfen ein feinmaschiges Netz. Drei unglückliche Fledermäuse hängen darin. Unser Guide erklärt per Pantomime, dass die Tiere hier zum Kochen gefangen werden.

Wir haben genug vom Loop gesehen. Zurück in Thakhek lassen wir uns noch ein wenig durch die Altstadt treiben. Mit dem Roller kommen wir gut voran, auch wenn die Stadt sehr flächengreifend ist. Deutlich sieht man besonders an der Mekongpromenade des französischen Einfluss, wenn auch alles sehr heruntergekommen und ärmlich wirkt. Die einst prächtigen Häuserfassaden sehen allesamt ein wenig schimmlig aus, überall läuft ein schwärzlicher Film herab.

Unterwegs

Seit sechs Wochen und einem Tag sind wir jetzt unterwegs. Länger als auf allen vorherigen Reisen. Wir haben kein Heimweh. Es gibt ja auch kein Daheim mehr. Außerdem haben wir ja uns. Komischerweise sagen wir zu unserer jeweiligen Bleibe „Daheim“, auch wenn wir dort nur eine Nacht verbringen. Angenehmer ist es, zwei oder drei Nächte an einem Ort zu sein. Dann bildet sich ganz schnell eine Zelle des Gewohnten, man ist dann nicht ständig auf der Suche nach der nächsten Toilette, Trinkwasser, WLAN. Sicher fehlen uns unsere Familie und unsere Freunde ein wenig. Aber heutzutage bleibt man ja auch am andern Ende des Globus in Kontakt. Und mit der Oma telefonieren wir regelmäßig, sobald wir eine gute Internetverbindung haben.

Butterweicher Lao-Pop umspült unsere Ohren. Zum Glück nur recht leise, unten beim Fahrer muss es viel lauter sein. Immer wenn wir eine besonders tückische Bodenwelle erwischen, kommen durchtrennte Kabelenden in Kontakt und es wird für ein paar Sekunden auch bei uns oben laut. Der Lokalbus sieht ein bisschen aus wie das feuerrote Spielmobil, er soll für die gut 300 Kilometer um die fünf Stunden brauchen, aber keiner weiß das so genau. Schlussendlich brauchen wir neun Stunden. Ich weiß nicht, wann ihr das letzte mal neun Stunden auf einer durchgesessenen Sitzbank in einem Bus ohne Klimaanlage bei knapp 40°C zugebracht habt.

Es ist ein riesiger roter Doppeldecker. In der unteren Etage verfügt er über große Frachträume, die selbstverständlich komplett voll gestopft sind, Kisten, Kartons, Bananenstauden, ein Moped, Bambusmatten und ich weiß nicht was sonst noch. Oben sind Sitzbänke montiert. Wir sitzen ganz vorn und haben einen perfekten Blick auf Landschaft, Straße, Schlaglöcher. Eben überqueren wir die gelbbraunen Fluten des Nham Nghun Flusses. Im seichten Uferwasser stehen Fischer. Sie halten lange Stäbe wie Angeln, an denen quadratische Netze hängen. Die Fische, die hier leben, dürften blind sein. Jedenfalls brauchen sie keine Augen.

In jedem dritten Dorf hält der Bus, fliegende Händler mit Obst, Sandwiches, Bilderbüchern, Toilettenartikeln wie Zahnpasta und Rasierwasser steigen zu. Die einheimischen Reisenden werden ziemlich aufdringlich bedrängt zu kaufen. Die Verkäufer legen ihnen teilweise die Waren einfach in den Schoß. Zum Glück lassen sie uns in Ruhe. Hier sind wir die einzigen Westler. Manchmal hält der Bus auch, weil ein Paket am Straßenrand liegt. Dieses wird dann mitgenommen, vom Schaffner beschriftet und vielleicht auch später beim Empfänger ausgeladen.

Die Landschaft ist zunächst recht eben: Wälder, Farmen, kleine Dörfer wechseln sich ab. Häufig kommen wir an Teichen vorbei, wo offenbar Fische gezüchtet werden. Reisfelder sehen wir wenige. Fern am Horizont wächst langsam ein Gebirge immer höher, je näher wir kommen. Hier oben im schwankenden Oberdeck des Fahrzeugs und bei dem erbärmlichen Zustand der Straße kommen wir uns vor wie beim Kamelreiten. Warum schreibe ich eigentlich so viel übers Busfahren? Na ja, neben Schlafen dürfte es die Tätigkeit sein, mit der wir am meisten Zeit verbringen. Gefolgt vom Suchen nach der nächsten Unterkunft. Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten sind auch auf Reisen eher die Ausnahme. Besonders in Laos, wo die Busfahrten eben ein wenig länger dauern.

Eben ist die Schule aus: Viele Kinder sind mit Fahrrädern auf der Straße unterwegs. Alle Jungs tragen dunkle Hosen und weiße Hemden. Die Mädchen blaue Kleider und weiße Blusen. Schultaschen haben sie keine, vielleicht gibt es hier keine Hausaufgaben?

Eine Stunde später ist das Gebirge fast zum Greifen nah von links an die Straße herangerückt, rechts schimmert ab und zu der Mekong durch die Bäume. Hier ist der Grenzfluss zu Thailand drei- oder viermal so breit wie zuletzt in Vientiane. Er beschreibt einen riesigen Bogen, unser Weg folgt diesem. Der Himmel trägt ein blauweißes Gewand, die Schäfchenwolken bewegen sich nicht. Wir schwitzen.

Die Gegend wird immer einsamer, der Verkehr spärlicher. Je weiter wir uns von der Hauptstadt entfernen, desto weniger ist los. Noch eine lange Brücke über einen riesigen Fluss, den Nam Kading, der in Blickweite in den Mekong mündet. Die Straße verlässt jetzt den mächtigen Strom und biegt östlich in bergiges Gelände ab. Die Niederungen waren zuletzt sumpfig feucht, überall stehen Tümpel. Der Fluss hat Hochwasser, die Kronen überschwemmter Bäume ragen aus der schlammigen Brühe. Das Kamel unter uns bockt. Wir halten jetzt direkt auf die Berge zu. Eine kilometerbreite Schneise klafft im Regenwald: Hier wurde auf einer riesigen Fläche jede Vegetation abgeholzt und der bloße Fels freigelegt. Ein Steinbruch, ein Tagebergbau? Unterhalb im Berghang sind durch die Erosion Canyons ausgewaschen, die ich aus mehreren Kilometern Entfernung sehen kann. Ich versuche meinen Sitznachbarn zu fragen, was da geschieht, aber er versteht mich nicht oder er weiß es auch nicht. Wieder einmal hält der Fahrer, weil er irgendetwas an einem Stand am Straßenrand kauft; Räucherstäbchen vorhin, etwas Bier jetzt. Da biegt ein schwer beladener Truck auf unsere Straße ein. Beim Beschleunigen stößt er dicke, schwarze Rauchwolken aus. Für ein paar Sekunden ist die ganze Kreuzung vernebelt.

Was heißt Kerepek Kentang? Das errät keiner! Es ist fast lautmalerisch… Wir hatten vorgestern eine Rolle Pringles gekauft, aber nicht einfach normale, sondern die guten mit Salz und Algen – wie sich beim Verzehr und Studium der Packung herausstellte. Beim Busfahren hat man viel Zeit. Kerepek Kentang mit Garam und Rumpai Laut!
Ich kann schon laotisch. Wenn das Essen besonders gut geschmeckt hat, wie gestern Abend das Entenhack mit Minzsoße und Basilikum (sehr spicy!), dann sage ich „Sepp lai“, und die Köchin strahlt. Das habe ich beim Abendessen in der Thakhek Travellodge wieder ausprobiert: Der gleiche Effekt. Ein paar Brocken der Sprache und die Menschen merken, dass du Interesse an ihrem Land hast. Von Thakhek aus kann man sehr gut die umliegenden Berge und Höhlen erkunden. In der trockenen Jahreszeit bietet sich eine mehrtägige Rundfahrt durch die Berge an. Leider haben wir dafür nicht die richtige Jahreszeit erwischt. Mal sehen, wie weit wir morgen kommen.

Thakhet, 14.09.2019, 8.00 Uhr

Trecking

Vang Vieng ist eine Art Abenteuerspielplatz für junge Leute. Überall werden Touren in die Berge und Höhlen angeboten. Man kann sich in großen Schwimmreifen die Flüsse herunter treiben lassen, Ziplines herunterrauschen oder in den sogenannten Lagunen schwimmen. Anscheinend hat der Spaßtourismus in den letzten Jahren üble Formen angenommen. Regelmäßig sind betrunkene oder von Drogen bedröhnte Personen ertrunken oder in den Höhlen umgekommen. Die laotische Regierung sah sich gezwungen, einzuschreiten und schloss ein paar Agenturen. Die Leute haben nun eine neue Attraktion entdeckt: Der letzte Auswuchs der Touristenbespaßung sind Beachbuggys, offene Geländewagen mit riesigen oversize Reifen und Überrollbügeln. Man hört sie schon von weitem dröhnen. Damit sind vor allem wieder die fernöstlichen Touris aus China und Korea unterwegs. Mit Schutzbrille, Tüchern vor dem Mund und verkehrt herum angezogenen Jacken befahren sie die – zugegeben ziemlich miesen – Schlammpisten. Straßen kann man diese kaum nennen.

Die Karstlandschaft ist sehr reizvoll, überall stehen riesige Felszacken herum, die mehrere hundert Meter hoch sind und wie grün bewaldete, meist spitz zulaufende Granatsplitter aus der flachen Ebene herausragen. Jeder Berg weist ein paar Höhlen auf. Diese sind ganz unterschiedlich touristisch erschlossen. Die beleuchteten mit den Betontreppen und Geländer gesicherten haben wir uns gespart, dafür haben wir uns heute eine unbekanntere herausgesucht: Die Khan Cave. Wir sind mit einem chinesischen Lipan Leihroller unterwegs, einer miesen Krücke mit unterirdischer Federung, an der so gut wie nichts funktioniert, vom Motor abgesehen: Keine Bremsen, kein Licht, kein Tacho, keine Tankanzeige. Wir fahren den Pfad, bis er in ein ausgetrocknetes Flussbett übergeht und der Untergrund zu schlammig zum Weiterfahren ist. Unser Ziel ist schlecht beschildert, zunächst laufen wir am richtigen Abzweig vorbei. Nachdem wir eine schweißtreibende Stunde über riesige Findlinge und rutschige Lehmwände dem steil ansteigenden Flussbett gefolgt sind haben wir die Idee, mal unseren Standort mit GPS zu lokalisieren… also drehen wir um, runter geht es etwas schneller.

Den Höhleneingang finden wir hinter einem Bambusdickicht und ein paar Felsen, die von Tradiskanthia und anderen Bodendeckern überwuchert sind. Bei uns findet man die als Zimmerpflanzen. Wir klettern über schlüpfrige Steinbrocken ins Halbdunkel, von oben hängen anfangs noch meterlange Baumwurzeln herab.

Hier ist nichts beleuchtet, es gibt auch keine Stufen. Zum Glück haben wir heute unsere Stirnlampen dabei. Wir tasten uns an riesigen Tropfsteinen vorbei. Nach ein paar Biegungen herrscht völlige Dunkelheit. Die Höhle öffnet sich zu einem größeren Raum. Ganz hinten erahnen wir einen lebensgroßen sitzenden Buddha, davor ein Tischchen mit Opfergaben: verwelkten Blumen, verschimmelten Speisen und längst verloschenen Räucherstäbchen. Der Ort ist irgendwie ungemütlich. Die Luft ist kühl, fast frisch. Wir folgen dem Gang, es gibt ein paar Abzweigungen. Wir überlegen, ob man von hier ohne Licht wieder herausfinden würde? Vom Licht aufgeschreckt, flattern uns ein paar Fledermäuse um die Köpfe. Beim Blick nach oben sehen wir sie in dichten Trauben an der Höhlendecke hängen. Wir vermeiden es, die Tiere direkt anzuleuchten. Kurz darauf führt ein wackeliges, morsches Brett über eine tiefe Felsspalte. Genug für unseren Entdeckerdrang für heute.

Wenig später zieht es uns nicht nach unten, sondern in die Höhe. Wir klettern auf einen der Karstberge zu einem Aussichtspunkt hinauf. Der listige Laot hat auf den ersten paar Hundert Metern Treppenstufen gelegt, danach wird der Steig immer unwegsamer und steiler. Gegen Ende geht es leicht 70° Steigung hinauf und wir hangeln uns an Felskanten und Wurzeln nach oben. Komplett durchgeschwitzt erreichen wir die Aussichtsplattform nach etwa 300 Höhenmetern Anstieg. Beim Abstieg komme ich ins Rutschen und schneide mir an einem scharfkantigen Felsen einen Finger auf. Aus schlechter Erfahrung weiß ich, dass ich die Wunde gleich im Hotel behandeln muss. Jodtinktur und antibiotische Salbe helfen, eine Infektion einzudämmen. In Anuradhapura hatte ich mir einen kleinen Ratzer am Fuß zugezogen, der dann vier Wochen brauchte, bis er endlich zugeheilt war. Unser Immunsystem ist auf die Keime hier nicht vorbereitet.

Abends unterhalten wir uns noch ausführlich mit unserem Wirt Joe. Der 73jährige Brite ist vor 19 Jahren hierher ausgewandert, hat eine laotische Frau und zwei Kinder. Seine Lodge Maylin hat er wohl nach seiner Frau benannt. Mindestens ein Dutzend kleiner Bungalows und Stelzenhäuser sind in einem riesigen, dicht zugewachsenen Garten verteilt, die Anlage gefällt uns sehr gut. Doch die besten Zeiten scheinen hier vorbei zu sein. Unser Wirt ist nicht glücklich mit seiner Lebenssituation: Die unzuverlässigen Einheimischen, sein Spagat zwischen den Kulturen, der Kampf gegen den unausweichlichen Verfall und die Auswüchse des neuen Tourismus machen ihm zu schaffen.

Am nächsten Tag reisen wir weiter nach Vientiane, die Hauptstadt Laos. Mit 620000 Einwohnern ist sie auch die größte des Landes. Ein Viertel der mittelständischen Unternehmen des Landes sind hier, die Industrie beschränkt sich auf die Brauerei Beerlao und eine Zigarettenfabrik. Eigentlich war die Reiseroute anders geplant. Rein zufällig haben wir jedoch erfahren, dass in einigen Provinzen im Süden des Landes der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Heftige tropische Unwetter sollen zu schweren Überschwemmungen geführt haben, auch von Dammbrüchen ist die Rede. Es ist schwierig, an Informationen zu kommen. Manche Berichte, die wir gestern im Internet gelesen haben, sind heute verschwunden. Tatsächlich sind wir froh, heute im Bus zu sitzen. Es regnet den ganzen Tag sehr stark. Erst in den Vorstädten von Vientiane hört es auf. Ewig fahren wir durch Industrie- und Gewerbegebiete, ein Baggerverleih reiht sich an den anderen Hof voller Baumaschinen. Angesichts all dieser Maschinen frage ich mich bloß, warum die Straßen derart schlecht sind.

Wir genießen den französischen Flair der Stadt. Es ist zwar lange her, seit die Franzosen hier das Sagen hatten, aber ein wenig savoir vivre hat sich hier noch erhalten. Es gibt Cafés, die sehr guten Kaffee anbieten und sogar kleine Weinlokale.

Vientiane 12.09.2019, 07.24 Uhr

Infrastruktur

Die nächste Etappe unserer Reise ist 213 Kilometer lang. Wir brauchen dafür viereinhalb Stunden. Daraus kann man ganz leicht auf den Zustand der Straßen schließen. Überhaupt lehrt uns Laos Geduld. Hier geht alles sehr langsam. Wenn wir uns etwas zum Essen bestellen, wählen wir meist beide das gleiche Gericht, um zusammen essen zu können. Gekocht wird nämlich immer frisch, und zwar eine Mahlzeit nach der anderen. Nie zwei gleichzeitig. Jeder scheint unendlich viel Zeit zu haben, keiner hat es eilig.

Die Landschaft ist atemberaubend: Wir fahren wieder sehr kurvige Passstraßen mit vielen Spitzkehren. An jeder Kurve gibt es einen Panoramablick auf bewaldete Berge, deren Gipfeln in den Wolken stecken. Gerade hat der Fahrer die Klimaanlage ausgeschaltet und die Fenster geöffnet. Die Straße ist so steil, dass der Motor die Steigung sonst nicht schaffen würde. Zum Glück hat er jetzt aufgehört, zu telefonieren. Die erste Stunde der Reise hatte er noch ununterbrochen das Handy am Ohr. Wahrscheinlich gibt es jetzt kein Netz mehr. Als wir auf der anderen Seite des Gebirges wieder herunter fahren, passieren wir mehrere Stellen, wo die Passtraße weggespült oder von einer Lawine weggerissen wurde. Gelegentlich fällt der Blick seitlich der Straße ins bodenlose Nichts. Abgestürzte Autowracks sehen wir erst weiter unten, hier ist schlicht kein Platz, wo sie liegen bleiben könnten.

Es ist in diesem Land nicht ganz einfach, den Blog zu pflegen, denn die Internetverbindung ist sehr langsam und wird regelmäßig unterbrochen. Im Gegensatz zum Internet ist die Stromversorgung in Laos sehr zuverlässig. Bisher haben wir noch keinen einzigen Stromausfall erlebt. Selbst in den entlegeneren Bergregionen Thailands gab es zwar Internet per Glasfaser, aber öfters Stromausfälle. Hier ist es genau anders herum. Übrigens: Ob der Strom öfter wegbleibt, erkennt man schon im Vorhinein an den Toiletten. Kritisch ist es immer da, wo im Klo ein großer Bottich mit einer Schöpfkelle bereit steht, das ist dann die Reservespülung. Ohne Strom gibt es über kurz oder lang auch keinen Wasserdruck mehr.

In ganz Luang Prabang, immerhin Provinzhautstadt, gibt es keine Ampel. Der Verkehr läuft überwiegend per Zweirad. Auf ein Auto kommen sicher zehn Mopeds und Roller. Auch kleinere Motorräder sieht man gelegentlich. Viele Mopeds sind mit abenteuerlich konstruierten Beiwägen versehen. Um größere Lasten oder komplette Großfamilien zu transportieren, schraubt oder schweißt man ein Gestell aus Baustahl, Flacheisen oder Schrotteilen, die gerade zur Hand sind am Rahmen fest, bastelt irgendein drittes Rad dazu und los geht’s. Der TÜV bei uns hätte seine helle Freude. Die meisten Autos sind schon älter und stark zerschlissen: Man sieht vor allem Toyotas, Hyundais, Kia und Isuzu, aber auch brandneue Pickups von Nissan sowie ältere Geländewagen von Ford. Die TukTuks hier sind ganz anders als die wir bisher sahen. Sie ähneln eher einem Trike: Vorn ist es ein hochgebocktes Motorrad, der Fahrer sitzt meist aber auf einer Art selbstgebasteltem Sessel. Hinten gibt es entweder eine abenteuerlich schiefe Ladefläche oder zwei bis drei Sitzbänke in variabler Anordnung.

Überhaupt ist Improvisationstalent gefragt. Gerüste auf Baustellen werden aus allerlei Holzteilen zusammengeknotet, vor allem Bambus ist das Universalmaterial. Elektrische Leitungen werden angestückelt, wie man es gerade braucht. An jedem Laternenpfahl hängt ein dichtes Gewirr von Leitungen. Wenn gerade nichts anderes zum Abdichten und Isolieren parat ist, tut es auch eine alte Plastikflasche. Über das lose Kabelende gesteckt, hält das mindestens bis zum nächsten stärkeren Wind.

11.09.2019, Vientiane, 15:15 Uhr

Indiana Jo und der Tempel der Glühwürmchen

Dschungel, Wasser, Höhle

Das war einer der schönsten Tage unserer Reise bisher: Einen riesigen Wasserfall erklimmen und darin baden, einsam durch den Dschungel wandern, eine fast unbekannte, finstere Höhle erforschen, im klaren Wasser eines Baches baden, tausende Schmetterlinge und andere Insekten beobachten. Genau mein Ding!

Tat Kuang Si heißt der Wasserfall, den wir per Leihroller in einer knappen Stunde (30 Kilometer von Luang Prabang) über abenteuerliche Straßen mit kinderbadewannengroßen Schlaglöchern und über wackelige Holzbrücken erreichen. Der Wasserfall besteht aus vielen Stufen, dazwischen laden Dutzende Becken mit türkisblauem Wasser zum Abfrischen oder Schwimmen ein. Riesige, ineinander übergehende Sinterterassen haben sich über die Jahrtausende gebildet: Das Calziumcarbonat aus dem extrem mineralhaltigen Wasser kristallisiert überall: Auf Felsen, Wurzeln, Baumstämmen, aber auch auf der überspülten Holztreppe, die wir vorsichtig erklimmen. Im Halbdunkel des Dschungelpfades geht es stetig bergauf. Hier ist der Kreislauf des Lebens überdeutlich sichtbar: Blühendes Leben, gewaltige, kraftstrotzende Vegetation, undurchdringliches Dickicht zieht seine Kraft aus moderndem Zerfall und verwesendem Biomaterial. Tausende kleinste Insekten, Würmer und Pilze zersetzen sofort alles, was nicht mehr lebt.

Ich entdecke viele verschiedene Grashüpfer, Spinnen, Termiten. Ein faustgroßes Ameisennest hängt in Hüfthöhe neben dem Pfad: Ein Masse aus krabbelnden Leibern. Manche Ameisenarten schwärmen wie Honigbienen. Angeblich leben hier noch Tiger, Loris, Schwarzbären und Leoparden. Die unteren Bereiche des Parks sind noch recht leicht erreichbar. Ganz oben erfordert es schon ein wenig Ausdauer. Da wir mit die ersten Besucher sind, haben wir das Naturschauspiel bald für uns allein, je weiter oben, umso ruhiger wird es – vom Tosen der Fluten abgesehen. Der Blick von ganz oben ist überwältigend: Wir stehen in dem flachen Wasser, welches kühl und munter unsere Beine umspült und direkt unter uns etwa hundert Meter herabstürzt. Nur eine wackelige Holzkonstruktion trennt den mutigen Wanderer von der Kante.

Wir folgen einem Pfad, der uns etwa eine Stunde weit durch dichten Regenwald zu einer kleinen Höhle führen soll. Es ist unglaublich heiß und stickig. Sobald wir kurz stehenbleiben, überfallen uns Myriaden kleiner Fliegen und Moskitos. Trotzdem ist diese Wanderung ein wunderschönes Erlebnis, denn wir werden ständig von einer großen Zahl unterschiedlicher wunderschöner Schmetterlinge umflattert. An manchen Stellen ist der Lehm des Weges von einem kleinen Wasserlauf aufgeweicht. In den Pfützen trinken Hunderte der Schmetterlinge, vor allem die gelben und die schwarz-türkis gemusterten. Leider ist es sehr schwierig, sie zu fotografieren.

Der Pfad mündet in eine Lichtung, eine Frau verkauft Wasser. Wie kann sie es den ganzen Tag hier in der Hitze bei den Mücken aushalten? Für 1000 Kip (~1€) erhalten wir unsere Eintrittskarte – wir sind weit und breit die einzigen Menschen. Es ist ein wenig sonderbar, sie besteht darauf, dass wir sie nehmen. Dazu gibt es pro Nase zwei Bananen und eine schwache, funzelige Taschenlame. Wir erklimmen die Stufen in die Felswand, vor der kleinen Höhle stehen ein paar Buddhastatuen. Daneben ein tiefes, dunkles Loch. Wir kommen uns vor wie Abenteurer, als wir uns ins Dunkel vortasten. Irgend etwas streift den flauen Lichtkegel der Lampe: Eine Fledermaus. Mit jedem Meter wird es dunkler und kühler, der Boden ist uneben und ein wenig rutschig. Begeistert entdecke ich lange, klebrige Fäden, die in Gruppen von der Höhlendecke hängen. Davon habe ich bereits gelesen: Es handelt sich um Spinnfäden von einer Art Glühwürmchen, die mit Hilfe dieser Fäden vorbeifliegende kleinste Insekten fangen. Ganz weit hinten ist es stockdunkel, nicht der kleinste Schimmer Tageslicht dringt bis hier. Eine Nische mit mehreren sitzenden Buddhas ist schon seit Urzeiten ein Ort der Andacht und Verehrung für die Leute aus der Umgebung. An dieser Stelle drehen wir um und kehren ans Tageslicht zurück.

Auf dem Rückweg begleiten uns nicht nur die Schmetterlinge, sondern auch unglaublich laute Zikaden. Ein glasklarer Bach lädt zum Baden ein. Doch als wir den Wasserfall wieder erreichen, ist der Zauber der Einsamkeit vorbei. Mittlerweile picknicken, planschen und grölen hier Horden überwiegend koreanischer und chinesischer Touristen. Mit Kamera-, Handy- und Selfiestab bestückt, wie sie sind, ist kein Fleck sicher vor ihnen. Einer läuft an mir vorbei; in einer Hand die Actioncam am Handstativ vor sich her schwenkend, in der anderen das Smartphone, eine Atemmaske vor Mund und Nase, riesige Kopfhörer auf den Ohren. Der lebt scheinbar in seinem eigenen Kosmos. Warum ist der überhaupt hier? Und was die Chinesen wohl zu dem letzten Teil des Parks sagen mögen? Hier leben ein paar Schwarzbären in geräumigen Gehegen. Sie wurden aus einem grauenhaften Leben in Bärenfarmen befreit. Noch heute gibt es leider in der traditionellen fernöstlichen Medizin Bedarf an Bärengalle – um sie zu gewinnen, werden die armen Tiere in winzigen Käfigen gehalten.

09.09.2019 Luang Prabang 7 Uhr 17

Schwitzen

Die Nacht verbringen wir im verschlafenen Pak Beng, hier ist so gut wie gar nichts los. Abends auf dem Heimweg vom indischen Lokal entdecke ich einen Blechschuppen, in dem ein paar Männer an zwei riesigen Tischen Poolbillard spielen. Das scheint der einzige Freizeitspaß zu sein. Abends schieben die Einwohner ihre Mopeds und Roller in die Hausflure, wir sehen sogar Pickups im Wohnzimmer geparkt.  

Am nächsten Tag geht es mit einem anderen, etwas rustikaleren Boot weiter. Die Bordtoilette verfügt über eine manuelle Kellenspülung mit Flusswasser. Auf dem Boden schwappt es. Spa anders. Die Landschaft ist ähnlich wie gestern, vielleicht noch etwas wilder. Die Mannschaft lädt das Gepäck vom vorderen in den hinteren Teil des Bootes um, damit der Kahn stabiler im Wasser liegt. Kurz darauf wissen wir, warum: Stromschnellen und Untiefen wechseln sich ab, sie machen die Fahrt kurzweilig und interessant. Ab und zu kommt ein kleiner Schwall Wasser herein und tauft den einen oder andern Passagier. Auf vielen der Felsen im Wasser sind drei- oder vierstufige Betonsockel errichtet, die bei Hochwasser vor dem Hindernis warnen. Jetzt ist wenig Wasser im Fluss. Bambusstangen stecken überall und warnen vor tückischen Untiefen. An einem der Zwischenstopps stehen Wasserbüffel am Ufer und kratzen sich an einem eisernen Pfahl. Kleine Kinder kommen an die Bordwand und verkaufen bunte Armbändchen.

Mit Paola und Timo, zwei Travellern aus der Nähe von Frankfurt, unterhalten wir uns gut. Die jungen Leute sind auch schon ziemlich weit herumgekommen. In Luang Prabang legt das Slow Boat außerhalb der Stadt an. Ich bin ein wenig verärgert, denn es gibt natürlich auch im Ort Anleger. So aber müssen wir erstmal das Gepäck über eine sehr steile, lange Treppe hinaufschleppen. Oben wartet eine Traube junger, kraftstrotzender Tuktukfahrer auf die schwitzenden Westler. Pro Nase kostet die Fahrt ins Zentrum 20000 Kip (~2€). Wir lotsen den Fahrer mit MapsMe, einer sehr  empfehlenswerten Handyapp zu dem Hotel, das wir uns ausgesucht haben. Das Zimmer ist das modernste, das wir bisher hatten: Ein ultramodernes Bad, Kühlschrank, jede Menge Steckdosen, die zur Abwechslung mal keine funkensprühenden Wackelkontakte produzieren, drei helle Lampen – wir sind inzwischen an schummrige Funzeln gewöhnt. Leider ist es ein Dreibettzimmer und deshalb ein wenig eng. Morgen werden wir umziehen.

Eine schweißtreibende Nacht liegt hinter uns. Wir fühlen uns wie Sticky Rice, der Klebreis, der hier überall gegessen wird. Und das trotz Klimaanlage. Wenn diese nämlich zu stark kühlt, bekommt man trockene Schleimhäute und leicht eine Erkältung. Wenn sie zu wenig kühlt, schwitzt man selbst im Schlaf. Sobald wir unser klimatisiertes Zimmer verlassen, ist es, wie wenn wir gegen eine Wand laufen würden. Doch der Tag wird noch viel schlimmer, zumindest klimatisch. Ich leide. Normalerweise neige ich nicht besonders zum Schwitzen, aber hier läuft ein beständiger Strom von meiner Stirn in die Augen. Keine Chance, das noch irgendwie abzuwischen. Vom restlichen Körper zu schweigen. Um neun Uhr morgens sind wir komplett nass geschwitzt, obwohl wir auf Leihfahrrädern die nette Stadt Luang Prabang erkunden und so immer wieder ein wenig Fahrtwind genießen.

Die Stadt ist charmant. Hier stehen noch alte Villen aus der französischen Kolonialzeit. Zusammen mit dem tropischen Ambiente, den Palmen und Kletterpflanzen gibt das eine schöne Mischung. Zufällig geraten wir auf mehrere lokale Märkte, wo alles mögliche angeboten wird: Unter anderem riesige Frösche am Spieß und gekochte Hühnerköpfe und -füße. Wir besuchen eine Art FairTrade-Laden für Produkte lokaler Weberinnen und ein Museum über die vielfältigen Völkergruppen in Laos. Bei Big Brother Mouse kaufen wir ein Bücherpaket für mittellose Kinder in den Bergregionen. Die Organisation hat sich der Alphabetisierung der armen Landbevölkerung verschrieben. Eine sehr schöne Sache!

Abends bekommen wir unsere Wäsche vom Laundry-Service zurück. Es ist fast wie Weihnachten. Wenn man, so wie ich, nur zwei T-Shirts und zwei Hemden dabei hat, muss man täglich per Handwäsche das Nötigste reinigen. Aber nach ein paar Malen gelingt das nicht mehr so überzeugend. Zum Glück gibt es auf der Backpacker-Route überall günstige und gute Angebote, die unsere Schmutzwäsche innerhalb von zwölf Stunden reinigen und trocknen.

Laos und der Mekong

Wollt ihr ein wenig über Laos wissen?
Wenn nicht, überspringt einfach das nächste Kapitel. Ich war überrascht, was ich alles noch nicht über dieses Land gewusst hatte. Hier eine kleine Zusammenfassung aus dem Lonely Planet, unserem Reiseführer und aus Wikipedia.

Laos ist nicht nur zu 50% von Wald bedeckt und landschaftlich wunderschön, sondern auch sehr arm.
Ein großes Umweltproblem sind neben der Entwaldung und Vernichtung von Fauna und Flora zur Land- und Holzgewinnung die Unmengen an Blindgängern, die aus dem Vietnamkrieg stammen. Es handelt sich um einen der Staaten mit den größten Mengen an scharfem Kriegsmaterial im Boden. Von den mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben, die zwischen 1964 und 1973 von den amerikanischen Luftstreitkräften über Laos abgeworfen wurden, sind bis heute etwa 50 Prozent des Territoriums betroffen. Pro Einwohner waren das 2,5 Tonnen Bomben, damit ist Laos eines der am schwersten bombardierten Länder weltweit. Für einen landwirtschaftlich geprägten Staat stellt dies ein großes Problem dar, da regelmäßig Menschen durch Blindgänger verletzt oder getötet werden. Projekte, welche sich mit der Aufklärung der Bevölkerung und der Beseitigung von Blindgängern beschäftigen, sind mit die größten Arbeitgeber des Landes. Finanziert werden sie von der UNDP sowie einigen Industriestaaten und Hilfsorganisationen, jedoch nicht durch die USA, die bis heute keinerlei Reparationszahlungen leisten.

Das Land hat etwa zwei Drittel der Fläche Deutschlands, aber nur etwa 7 Millionen Einwohner, wobei rund 40% die großen Städte Vientiane, Pakse, Savannakhet und Luang Prabang bewohnen. Die Landwirtschaft produziert durchaus Überschüsse, allein können die Produkte aufgrund fehlender Infrastruktur nicht in Handel gebracht werden. Es fehlt der Zugang zu den Märkten. In den ländlichen Gebieten herrscht Subsistenzwirtschaft und Tauschhandel. Hauptexportgüter sind Holz, Kaffee und elektrische Energie aus Wasserkraft. Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegte das Land 2017 Platz 133 von 180 Ländern.

Malaria, Dengue-Fieber und Typhus sind neben anderen Tropenkrankheiten verbreitet, es gibt durchaus nicht überall Zugang zu sauberem Trinkwasser und die Lebenserwartung beträgt durchschnittlich 67 Jahre.
Noch in den 1990er Jahren war Laos neben Myanmar und Afghanistan der größte Opiumexporteur weltweit, bis heute hat das Land große Probleme mit den einheimischen Abhängigen. Drogenhändlern droht die Todesstrafe, den Opiumbauern jedoch fehlen alternative Cash Crops, also geldbringende Produkte. Nur zwei Drittel der Männer und ein Drittel der Frauen über 15 Jahren können lesen und schreiben, rund 40 % der Laoten haben noch nie eine Schule besucht. Laos ist ein kommunistischer Staat, einer von weltweit nur noch fünf. Auf dem Korruptionsindex liegt das Land weit vorne. Vertreter einflussreicher Familien streben gezielt politische Ämter an, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Seit den 1980er Jahren wurde eine Politik der Öffnung betrieben und mit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft geht es langsam voran.
Die meisten Laoten sind Buddhisten, es gibt unter den Bergvölkern auch Animismus und Ahnenkult. Kleine Gruppen von Muslimen und insbesondere Christen sehen sich mit massiven Einschränkungen konfrontiert. Konflikte mit dem Hmong-Volk, welches in den 1970er Jahren von der CIA als Konterguerilla instrumentalisiert wurde, bestehen fort. Die letzten Widerstandsgruppen leben in bitterer Armut in Bergregionen, es kommt auch heute noch immer wieder zu Anschlägen in und um Vientane. Andererseits wird auch von Menschenrechtsverletzungen seitens des Militärs berichtet.

Heute befahren wir den Mekong von Houai Xai bis Pakbeng, wo wir übernachten. Morgen geht es dann weiter bis Luang Prabang. Die Bootsfahrt ist nach der vielen Busfahrerei in den letzten Tagen entschleunigend. Wir sitzen in einem langgestreckten hölzernen Kahn, der zum Glück ein festes Sonnendach hat. Vor dem Maschinenhaus am Heck gibt es sogar Toiletten und eine kleine Imbisstheke. Die Verkäuferin hat ihren Sohn dabei, ein etwa 12-jähriger pummeliger Junge mit Downsyndrom. Im Vorbeigehen tippt er ein bisschen auf meiner Tastatur herum und wir lachen. An uns zieht eine fantastische Landschaft vorbei: Undurchdringlicher Urwald, hohe Berge, sanfte grüne Hügel, ganze Wälder von Riesenbambus, gelegentlich auch landwirtschaftliche Flächen und ganz selten auch menschliche Ansiedlungen wechseln sich ab. Links ist zunächst Laos, rechts Thailand, bis sich der Fluss nordöstlich nach Laos hinein windet. Andere lange, oft offene Boote begegnen uns. Ein paarmal schießt ein Schnellboot mit ohrenbetäubendem Lärm vorbei. Die Piloten tragen meist einen Integralhelm, wie bei einem Rennboot. Immer wieder rücken steile Ufer ganz nahe und die Fahrrinne im Fluss führt dicht an schroffen Felsen vorbei. Hinter den hausgroßen Basaltbrocken und in den engen Flusskehren bilden sich riesige Strudel und Kehrwasser, teils Wildwasser. Das schlammig braune Wasser schäumt hier ziemlich ungemütlich. Wir hoffen sehr, dass der Kapitän sich gut konzentriert. Ab und zu halten wir an kleinen Anlegestellen an, jemand steigt ein oder aus, es werden Bündel und Paketen herüber gereicht. Eben ist der junge Mann neben mir über die Brüstung unseres Bootes geklettert. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ein kleines Ruderboot längsseits gekommen ist. Mit einem großen Schritt steigt er zu seinem Kumpel hinunter, der ihn hier abgeholt hat. Wie haben sich die beiden bloß verabredet? Wo wollen sie nur hin? Weit und breit ist nichts zu sehen.

Leider hat der paradiesische Panoramablick auch Schattenseiten. Immer wieder treiben Müllteppiche vorbei. Zweimal fällt mein Blick zufällig auf die aufgedunsenen Kadaver von Kühen. Kein schöner Anblick. Als wir am Tagesziel anlegen, beobachte ich, wie die Imbissverkäuferin sich mit aneinandergelegten Händen mehrfach zum Fluss hin verneigt. Sie spricht ein kurzes Dankgebet für die gute Ankunft. Dann greift sie ins Regal und wirft ohne Zögern eine Handvoll in Plastikfolie verschweißter Schokoriegel ins Wasser. Das war das Opfer.