Jakarta, Indonesien

11.10.2019 Jakarta, Indonesien

Ein schreiender Mann sitzt am Fußende des Bettes. Was will er bloß von mir? Er scheint Schmerzen zu haben. Doch da ist noch ein zweiter Mann, er sitzt am Kopfende und versucht den ersten zu übertönen! Als sich noch ein dritter einmischt, dämmert es mir. Es sind die Muezzine, die zum Gebet rufen. Die Nacht endet also abrupt gegen 4 Uhr früh. Etwa eine Stunde dauert das Rufen und Singen, wir sind umzingelt. Von allen Seiten scheppern die lautsprecherverstärkten Gebete. Irgendwann gegen fünf hat es ein Ende und wir schlafen wieder ein. Um sieben dann setzen die Presslufthämmer der nahegelegenen Baustelle ein. Zeit, aufzustehen.

Am Bahnhof treffen wir eine Folkloregruppe

Nach den Zwergenländern, die wir bisher besucht haben, ist Indonesien ein Gigant. Fast 1800 Kilometer erstreckt sich das Land von Nord nach Süd, von West nach Ost sind es sagenhafte 5120 Kilometer. Über 700 Sprachen werden von den rund 280 Millionen Menschen in dem riesigen, fast zwei Millionen Quadratkilometer großen Land gesprochen. Mit rund 17000 Inseln ist es weltweit die größte Inselnation, von der Bevölkerungszahl steht es an vierter Stelle. Jakarta soll die zweitgrößte urbane Zone der Welt sein, Java die am dichtesten besiedelte Insel. Dennoch gibt es im Land riesige naturbelassene Gebiete und ein hohes Maß an Biodiversität. Es ist reich an Bodenschätzen wie Öl, Gas, Kohle, Zinn, Kupfer, Gold und Nickel; die Landwirtschaft produziert Reis, Palmöl, Tee, Kaffee, Kakao, Gewürze und Kautschuk. Indonesien liegt nahe am Äquator und kennt keinen Sommer oder Winter, sondern eine Trocken- und eine Regenzeit. Schon immer trieben die Menschen des indonesischen Archipels Handel mit benachbarten und entfernten Mächten wie Indien, China; muslimische Handelsreisende brachten schon im 13. Jahrhundert den Islam, später folgten Europäer und christliche Einflüsse. Heute sind rund 87% der Indonesier Moslems, und rund 10% Christen. Portugiesen, Franzosen und Briten kämpften seit dem Zeitalter der Entdeckungen um den Einfluss auf die Gewürzinseln (Molokken), wobei die Holländer sich am längsten behaupteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erstritt sich Indonesien die Unabhängigkeit. Sukarno, der Vater des modernen Staates, führte diesen zunehmend in ein autoritäres Regime über, bis er 1968 von Suharto in einem Militärputsch entmachtet wurde. Es folgte eine Phase des wirtschaftlichen Aufbaus und trotz grassierender Korruption wurden große ausländische Investitionen getätigt. Obwohl die Finanzkrise das Land schwer traf und politische, ökonomische und soziale Instabilität sowie auch Terroranschläge den Fortschritt bremsten, ist die Wirtschaft sehr stark gewachsen. Das große Erdbeben und der Tsunami 2004 trafen das Land verheerend, hatten aber auch eine einigende Wirkung auf die teilweise aufrührerischen Regionen. Seit 2014 regiert der erste zivile Präsident Jokowi und das Land eilt mit Riesenschritten in die Moderne. Die rapide Entwicklung und Industrialisierung brachten schwerwiegende ökologische Probleme: Kahlschlag der Wälder, Überfischung der Meere, Luftverschmutzung, fehlende Entsorgungskonzepte sowie Probleme mit der Trinkwasserversorgung und der Abwasserentsorgung. Insbesondere die Palmölindustrie ist verantwortlich für schwere ökologische und darauffolgende soziale Probleme.

Uns begrüßt Jakarta nach den Problemen mit der Buchung und dem fehlenden Weiterreiseticket erstmal sehr freundlich. Beschwingt verlassen wir den riesigen, hochmodernen Flughafen Soekarno-Hatto. Statt uns in die Hände eines überteuerten Taxis und des unvermeidlichen Stau zu begeben, laufen wir zielstrebig zum Skytrain, der die einzelnen Teile des Flughafen verbindet und fragen uns zum regulären Flughafenbahnhof durch. Bereits hier erfahren wir mehrfach indonesisch-muslimische Hilfsbereitschaft. Eine ältere Dame, verschleiert, bemüht sich in bestem Englisch um uns, mehrere Uniformierte weisen den besten Weg. Im ultramodernen Zug in die Stadt (knapp eine Stunde!) lernen wir Herrn Ally kennen, einen Geschäftsmann im Anzug, CEO einer Umweltfirma. Er bemüht sich, erneuerbare Energien und Abfallwirtschaft in seinem Land voranzubringen. Ich frage ihn, welchen Stellenwert die Themen Umwelt und Klimaschutz für seine Mitbürger haben. Er lacht; so gut wie keinen, meint er. Er kämpfe seit Jahren in seinen Seminaren und Kampagnen gegen Windmühlen. Die Zeit im Zug vergeht wie im Flug und wir stehen bald darauf an einem der vielen Bahnhöfe der Zwölfmillionenstadt. Von hier sind es noch etwa fünf Kilometer zu dem Hostel, das wir uns ausgesucht haben. Weit und breit gibt es kein Tuktuk, kein Taxi. Junge Leute helfen uns zu einem Taxi und bezahlen dieses darüber hinaus noch für uns. Wir sind sprachlos!

Jaksa, eigentlich wollte Andrea dieses Viertel meiden. Vor der einstigen Backpackeradresse Nummer eins warnt der Lonely Planet: Die meisten Hotels seien inzwischen schäbig, wenn nicht sogar schmuddelig. Wir haben abermals Glück, denn nachdem unser Fahrer die Wirtsleute herausgeklopft hat – es ist inzwischen 23.30 Uhr – führt man uns in ein sauberes, schönes Zimmer.

Wir erkunden die zweitgrößte Stadt der Erde erstmal ganz unerschrocken zu Fuß. Rund 15 Kilometer schaffen wir, dann ist Schluss. Zunächst laufen wir in diesem riesigen Ameisenhaufen zu dem richtigen der vielen Bahnhöfe, Pasar Senen, um unser online gekauftes Ticket für die Weiterfahrt am nächsten Tag auszudrucken. Danach wandern wir weiter zum historischen Lapangan Benteng, einem Platz mit alten holländichen Kolonialbauten und dem zweifelhaften Monument zur Befreiung Irian Jayas, welches eigentlich von Indonesien nicht befreit, sondern annektiert wurde. Sämtliche Monumente sind vor allem eins: monumental und außerdem ziemlich hässlich.  In der Kathedrale findet gerade eine Hochzeit statt, wir genießen eine kurze Ruhepause in dem klimatisierten Gotteshaus und der feierlichen Stimmung. Weiter geht es zur Istiqlal-Moschee, der größten in Südostasien. Das Nationaldenkmal, ein 137 Meter hoher Marmorobelisk, auch bekannt als Soekarnos letzte Erektion, beeindruckt uns ebenso wenig wie der hässliche Zentralpark Jakartas; im Nationalmuseum finden wir wieder etwas Kühle und Ruhe, bevor wir schließlich wieder durch den unglaublichen Verkehr zum Hostel zurück laufen.

Paradies mit Schattenseiten

05.10.2019 Koh Rong, Kaoh Touch

Nun sind wir schon fünf Tage auf Koh Rong. Man könnte sich an das Leben auf der Insel gewöhnen. Die Sonne scheint jeden Tag, nachts gibt es einen ausgiebigen Regenschauer. Das Meer ist so lau, dass das Schwimmen kaum Abkühlung bringt.

Dieses Paradies wäre wirklich unfassbar paradiesisch, gäbe es den Menschen nicht. Wir wandern wunderbare Strände entlang, die Sonne und das Meer sind warm, die Laune gut, aber…

Es ist erschreckend, überall die Plastikmüllberge zu sehen. Freilich hat uns der Anblick bisher bereits durch ganz Südostasien begleitet, vielleicht sind wir zwischendrin sogar schon ein wenig abgestumpft? Hier, auf der Trauminsel ist der Kontrast zwischen der natürlichen Schönheit und dem menschgemachten Dreckhaufen aber so krass, dass es mich betroffen, traurig und wütend macht. Egal, wo wir langgehen, treten wir auf Plastikmüll. Am Strand findet sich kein Meter ohne Plastikflaschen, Tüten, Verschlüsse, Trinkhalme, Kunststoffbruchstücke, Fragmente von Plastikseilen und -netzen, unendlich viel Mist dergleichen. Freilich gibt es Strandabschnitte, wo kein Plastik liegt. An diesen Stellen hat nämlich der Restaurant- oder Resortbesitzer vor kurzem erst saubermachen lassen. Doch das Meer spült unermüdlich Nachschub an.

Vom Schwimmen bringe ich einen großen Gewebesack mit und wir sammeln los, bis wir diesen und einen zweiten voll haben. An Säcken herrscht kein Mangel, sie werden zwischen all dem andern Kram mit angespült. Als ich kurz vor einem üblen Sonnenbrand stehe, muss ich aufhören. Etwa zwanzig Meter des Strandes haben wir gereinigt. Das ist nichts angesichts des mehrere Kilometer langen Strandes. Schon gar nicht, wenn ich mir ausmale welcher Bruchteil der Küstenline Koh Rongs, Kambodschas, Südostasiens, der Welt das ausmacht. Egal, wenn wir damit einer einzigen Meeresschildkröte, einem Fisch oder einem Seevogel das Leben gerettet haben, war es das wert. Ein Hoffnungsschimmer kommt zum Schluss noch auf: Gerade als ich genug habe, beginnen zwei junge Frauen und ein Mann, mitzumachen. Ich freue mich und bin gerührt, dass sie meinem Beispiel gefolgt sind. Ja, ich darf ein Foto machen, dann sehe ich zu, dass ich in den Schatten komme.

Übrigens: Der Mist stammt nicht nur aus den Ländern Asiens! Deutschland verschifft über eine Million Tonnen Plastikmüll pro Jahr ins Ausland. Dort landet unser Müll zu großen Teilen in der Umwelt oder wird illegal verbrannt. Jährlich exportieren wir Tausende Tonnen Plastik unter anderem nach Südostasien: Industriemüll, Joghurtbecher, alles was im gelben Sack ist. Was bei uns strafbar ist, gehört hier zur Normalität. Näheres zum Thema sowie Quellenangaben erfährst du unter: Petition „Müll – Made in Germany“ von WeAct.
Für uns gibt es nur eine Konsequenz aus dieser Erfahrung: Nichts anderes als ein weltweites Verbot von Einwegartikeln und Verpackungen aus Plastik ist die einzige Hoffnung für unseren geschundenen Planeten. Mikroplastik ist bekanntlich bereits jetzt weltweit in den Meeren zu finden, egal ob Südostasien, Nord- oder Südpolarmeer. Sobald wir zurück sind, wollen wir uns einen plastikfreien Haushalt aufbauen.
Für alle, die jetzt denken: „Du armseliger Spinner, willst andere belehren und selber machst du eine Weltreise!“: Ja, wir haben selbstverständlich ein schlechtes Gewissen, aber wir tun unser Bestes und bemühen uns um Ausgleich. Weiteres bitte im Menü oben unter „Klimaneutral Reisen“ nachlesen.

08.10.2019 Koh Touch, 21.30 Uhr

Koh Rong

Eine Plastiktüte tanzt im Wind, die Benzinverkäuferin sitzt dick vermummt mit Jacke, Schal und breitkrempigem Hut hinter dem Gestell mit Glasflaschen. Hier gibt es Benzin aus Cola-, Schnaps- und Limoflaschen. Mir läuft der Schweiß herunter. Der Bus steht in der staubigen Glut neben der Straße. Der Fahrer ist, wie bei jedem Halt bisher mit zwei großen Gabelschlüsseln unter das Fahrzeug gekrochen, um etwas festzuschrauben, das sich bald darauf wieder löst. Für die Reise von Kampot zur Fähre hinter Sihanoukville müssen wir hundert Kilometer der schlechtesten Sorte überwinden. Der alte Seelenverkäufer bockt und springt, beim Schalten hört man Knirschen und Kreischen von Metall aus dem Getriebe. Hoffentlich hält die Kiste bis zum Ziel.

Sie hält! Sihanoukville muss früher ein netter Ort gewesen sein. Jetzt ist es das Letzte! Die Stadt ist dabei, komplett von rechts auf links umgekrempelt zu werden, oder andersherum. Jedenfalls stecken die Chinesen hier unglaublich viel Geld herein. Natürlich nicht ohne Hintergedanken. Bescheiden wie sie sind, beschriften sie ihre Geschäfte überwiegend nur in chinesisch – Neokolonialismus pur. Glückspiel, Baumafia und viel, viel Geld sind eine ungute Mischung. Jeder, den wir zuletzt trafen, hat von einem Besuch der Stadt abgeraten. Alles ist eine Baustelle, die Straßen sind unglaublich: Achs- und Federbruch sind programmiert. Mehr als Schritttempo ist nicht drin, die Schlaglöcher sind so groß, dass deutsche Kleinwägen darin Platz hätten. Es stinkt bestialisch, riesige Müllhaufen türmen sich übermannshoch überall, wo ein bisschen Platz ist. Augen zu und durch!

Leider müssen wir hier noch einen Zwischenstopp einlegen, werden dann Richtung Hafen gekarrt und müssen schließlich noch einen Kilometer durch die brütende Hitze laufen, mit den schweren Rucksäcken auf dem Kreuz. Die Fähre nach Koh Rong braucht eine knappe Stunde, endlich sind wir angekommen im Paradies.

Die Kinder haben uns bereits einen Bungalow herausgesucht und reserviert. Wir sind dankbar nach der Tortur. Paradise heißt unser Resort, und wir fühlen uns auch so. Die grüne Insel ist bewaldet mit Dschungel, außen rum Puderzuckerstrand, aber es gibt ausreichend Zivilisation in der Nähe. Was will  man mehr? Da noch Nebensaison ist, sind die Preise akzeptabel: Für 24 Dollar haben wir eine schöne strohgedeckte Hütte am Waldrand mit Meerblick. Es gibt einen Ventilator, ein Moskitonetz, eine Hängematte und ein paar Sitzbänke auf der Veranda, aber das beste ist das Naturbadezimmer im Freien. Den ersten Tag verbringen wir mit relaxen, easy-going und chillen. Von mir aus kann es morgen noch so weitergehen.

Koh Rong, 04.10.2019 18:25

Bokor National Park

Heute früh verabschieden wir uns von den Kindern, die nach Koh Rong weiter wollen, wir bleiben noch ein oder zwei Tage hier. Wir ziehen aus der Hütte zurück ins Guesthouse und sind überfroh, zurück in der Zivilisation zu sein: Ebener Fliesenboden! Saubere Fenster, Türen, Wände, Toilette! Steckdosen und Lichtschalter, die funktionieren!
Dann fahren wir mit dem Roller zum Popokvil Wasserfall im Bokor Nationalpark. Die Bergstraßen sind ein Genuss! Auch wenn ich noch lieber meine alte Kawasaki unterm Hintern hätte, selbst mit dem kleinen Roller macht es sehr viel Spaß. Und für einen 125er läuft er sehr flott, zwischen den Kurven und Spitzkehren kommen wir immer wieder auf 60 bis 80 Stundenkilometer, und das bei recht steiler Steigung. Die Straße ist so gut wie neu – sonst hätte ich das Tempo hier nie gewagt. Auf halber Höhe zum Gipfel kommen wir in den Regen, aber wir fahren weiter. Die Straße ist extrem kurvig, also aufgemerkt:
Wenn du einen Spiegel im Scheitelpunkt der Kurve siehst: Obacht!
Wenn du den Spiegel wegen der tiefhängenden Wolken oder wegen des Regens nicht siehst: Doppelt Obacht!


Fast hatten wir schon vergessen, wie sich das anfühlt: Kälte. Am Pass oben sind wir ziemlich durchgeweicht und frieren, kein Wunder im T-Shirt und kurzen Hosen. Aber da steht die Rettung: Ein gigantisches halbrundes Blechdach, rundum gigantisch verglast, davor zwei gigantische Gipspferde, darin ein gigantisches Schnellrestaurant mit ebenso gigantischen Preisen, aber egal. Wir wärmen uns an zwei leckeren Cappucchino, den teuersten Kambodschas.

Kurz drauf lockt uns die Sonne wieder hinaus: Der Popokvil Wasserfall ist eine Schau, er fällt in zwei Terrassen über etwa 40 Meter tief ins Tal. Außergewöhnlich ist es, hier von oben an den Wasserfall zu kommen. Nichts für nicht Schwindelfreie!

Wir fahren noch ein wenig auf dem Bergrücken herum und entdecken eine furchtbare Bausünde. Hochhäuser mit leeren Fensterhöhlen, hässliche halbfertige Betonklötze, eine riesige Halle, Parkplätze für tausende Autos. Wie die Köpfe von Dinosaurierskeletten hängen rostige Basketballkörbe an schrägen Metallgalgen. Bereits in den 1920er Jahren gab es hier ein französisches Casino, nun wurde ein neues für die chinesischen Gäste gebaut. Rund herum war wohl ein gigantisches Ferienareal geplant – geblieben sind viele Bauruinen. Das meiste steht halbfertig und ungenutzt. So ist das im Kommunismus: Neue Ruinen kommen zu den alten dazu.

Der Platzregen wird immer stärker, wir stellen uns unter dem Vordach einer kilometerlangen, leeren Ladenzeile unter. Der Regen wird zum Starkregen, dann zum Wolkenbruch. Das Trommeln der Tropfen auf dem Dach macht jede Unterhaltung unmöglich. Wir warten eine halbe Stunde.

Auf dem Rückweg muss ich doppelt aufpassen, denn zu der schlechten Sicht kommt jetzt in jeder Linkskurve ein Ölfilm. Und mein gelber 75Cent Regenmantel löst sich im Fahrtwind auf. Bei der nächsten Raststation kaufe ich mir einen neuen in blau und ziehe ihn drüber. Mollig! Erst jetzt fällt uns auf, dass rechts und links entlang den Straßenrändern überall Schilder stehen. „Stop!“ steht drauf, wie wir uns später von Mama übersetzen lassen. Wegen der Landminen natürlich.

Kampot, 3.10.2019 7:00

Kaputt in Kampot

28.09.2019 Per Taxi sind wir von Phnom Penh nach Kampot im Süden des Landes gefahren, Durchschnittstempo unter 40, ein Schlagloch geht ins nächste über. Vor lauter Staub ist die Sicht derart schlecht, dass man sowieso nicht schneller fahren könnte. Rechts und links der Straße immer wieder überflutete Landschaft.

Video Stern vom 20.09.2019

Mama’s Family Guesthouse empfängt uns sehr herzlich. Wir chillen den Nachmittag in der Bar am Flussufer. Jamaika-Feeling am Beach, Rastas mit allem Zubehör, aber auch ganz normale Leute. Hier sind ein paar Aussteiger hängengeblieben: Der Sachse F. lebt mit seinem Hund seit zwei Jahren auf diesem Fleckchen Erde. Die Finnen B. und L. auch schon seit einigen Monaten. Nette Leute, offen und freundlich. Und anspruchslos. Aber viel herumgekommen sind sie alle nicht, weder in Kambodscha noch auf der Welt. Im Revierverhalten der Bambushütten-Langzeitmieter entdecken wir Parallelen zu deutschen Dauercampern: Sitzgarnituren, Blumenkübel, Zäunchen. Fehlt bloß noch der Gartenzwerg, Dreadlocks hin oder her. Nie hätte ich diesen Ort als Dauerwohnsitz gewählt. Trotz aller Schönheit der Natur und des Flusses wäre es mir hier auf Dauer zu schmutzig, zu schwül und zu heiß. Für den einen oder die andere ist aber wohl die Verfügbarkeit von Weed das wichtigste Argument für die Wahl des Wohnorts.

Mit den 125er Honda Leihroller düsen wir zum Krabbenmarkt nach Kep. Die kleine Stadt liegt direkt am Meer, von hier wäre es auch nur noch ein Katzensprung nach Vietnam. Das Angebot am Markt ist riesig, berühmt ist Kep auch für die vergorene Fischpaste „Cambodian Cheese“, die reinste biologische Waffe. Man muss aber nicht alles probieren. Vor allem Schalentiere wie Prawns in allen Größen und Krabben, aber auch Tintenfische und Makrelen werden direkt aus dem Meer in großen Körben auf die Mole gebracht. Man kann sich aussuchen, was man will, die Meeresfrüchte werden sofort an Ort und Stelle gekocht, gebraten oder gegrillt. Lecker!

Nach dem Speisen erkunden wir das Hinterland mit dem nicht ganz geheimen „Secret Lake“. Die Schlammpisten sind teilweise besser zu befahren als die Staubstraßen, zumindest brennt der Modder nicht in den Augen. Ein paarmal rutschen uns die kleinen Rollerreifen weg, mitten rein in die tiefsten Matschlöcher. Wir sind schon auf dem Heimweg, denn es dämmert und ein Gewitter zieht auf. Da bricht bei Felix‘ Roller zu allem Glück noch die Innenhülse vom Gasgriff. So geht es nicht mehr weiter. Wir fragen uns durch, aber auch im nächsten Weiler spricht niemand englisch. Stattdessen gesellen sich ein paar ältere Männer zu uns. Wir sind offenbar die Attraktion des Samstagabends: Der eine kauft gleich ein Dutzend Bierdosen bei dem Kramerladen, wo wir unter dem großen Blechdach Schutz vor den ersten dicken Tropfen suchen. „Plop, Zisssch!“, drückt er jedem von uns eine geöffnete Bierdose in die Hand. Natürlich müssen wir mittrinken, auch wenn uns gar nicht danach ist. Andrea und Tami fahren mit dem verbliebenen funktionierenden Roller heim ins Guesthouse, während Felix und ich auf den herbeigerufenen Mopedvermieter warten. Ein paar Biere später rutscht tatsächlich ein großer Sornthaew-Pickup mit Sitzbänken auf der Ladefläche durch den Matsch auf uns zu. Doch der Mann, der aussteigt, erklärt, noch bevor wir ihn begrüßen: „This is not my motobike!“ Wie sich später herausstellt, hat unsere Wirtin den Quittungsblock des falschen Vermieters verwendet, folglich haben wir dem Kramer die falsche Nummer zum Anrufen gegeben. Der Mann, der jetzt hier mit seinem Auto in die öde Matschwildnis herausgefahren ist, ist wenig begeistert – trotzdem ist er bereit, uns mit in die Stadt nehmen. Stellt euch mal vor, bringt Felix später den treffenden Vergleich: Der Papa kriegt einen Anruf, seine Vespa steht in Erlbach. Er spannt natürlich gleich den Hänger an den Mondeo und ab dahin. In Erlbach steht irgendein Roller, aber nicht seiner, daneben zwei Kambodschaner, die immer wieder sagen: Altötting, Altötting. Da tät der Papa die doch auch mitnehmen, oder?

Der Versuch, den Roller auf die Ladefläche zu heben, scheitert jedoch, auch wenn die halbe Dorfgemeinschaft mit hebt, zieht, drückt. Das Ding ist einfach zu groß. Doch zuvor gilt es noch, die  beiden hartnäckigen Trinkväterchen loszuwerden. Wir setzen den einen bei sich zu Hause ab, doch er besteht darauf, dass wir noch sein Haus ansehen sollen. Nach langem hin und her entlässt er uns, nicht ohne uns die Tüte mit den restlichen Bieren mitzugeben. Es ist mittlerweile stockfinster, der Regen hat wieder nachgelassen.

Mal sehen, was aus dem Fahrzeug wird – momentan habe ich andere Sorgen. In der Nacht wird es mir schlecht und ich habe Fieber, den nächsten Tag werde ich im Schonmodus verbringen.

30.09.2019

Von wegen Schonmodus, wohl eher ausradiert. Zwei Nächte und den Tag dazwischen liege ich fiebrig in unserer Bambushütte. Leider ist es nicht gerade die komfortabelste Hütte, im Gegenteil. Es ist die primitivste, die wir bisher hatten. Ein Raum, nicht viel größer als das Bett, auf Stelzen zwei Meter über dem Erdboden, das Dach aus Palmblättern geflochten, keine Wände, sondern Flechtwerk, Bambusstangen und verblichene Tücher. Toilette und Dusche sind ein stinkiges Kämmerchen mit einem Wasserschlauch als Waschgelegenheit und Spülung. Einziger Vorteil dieser Sanitäranlage: Ein riesiger Gecko wohnt hier – was ich erst zwei Tage später mitbekomme. Zum Glück bekomme ich nicht viel mit, sondern dämmere vor mich hin.

Heute, am Montagmorgen ist das Fieber weg. Trotzdem möchte ich ausschließen, dass ich mir etwas von der üblen Sorte eingefangen habe… Malaria, Dengue etc. Also setzen wir uns auf den Roller – Andrea will unbedingt mit – und düsen ins Krankenhaus. Das Sonja Kill Memorial Hospital ist die modernste Klinik in der Gegend. Zum Glück sind wir noch nicht auf Koh Rong, da wäre der nächste Doktor viele Stunden entfernt.

Hier geht es ganz westlich und ordentlich zu: Aufnahme, Voruntersuchung mit Blutdruck- und Fiebermessen, Konsultation beim Doktor, Blutabnahme, Labor, Abschlussgespräch, Kasse. Nur dass es bei jeder Station ziemlich lange dauert. Ich bin natürlich nicht der Einzige, der hier heute Hilfe sucht. Viele Frauen mit ihren Kleinkindern und Babys warten auf die Sprechstunde. Das Hospital hat einen Schwerpunkt auf Geburtshilfe und Nachbetreuung der Neugeborenen. Wir schäkern mit den Kleinen und tauschen uns mit den Alten über unsere Beschwerden aus. Nach zwei ausgiebigen Regengüssen und fünf Stunden habe ich die Diagnose: Keine Malaria, kein Denguefieber. Nur eine ganz normale Virusinfektion. Wir sind erleichtert. An der Kasse dauert es nochmal eine halbe Stunde, unser letztes Geld geht drauf: 150 Dollar. Daheim wäre es mit dem Labor teurer gewesen. Wir rollern durch den Nieselregen nach Hause zu Mama’s.

Nachtrag: Der Gecko hat über 30 cm und heißt Catweazle. Auch er ist hier hängengeblieben, an den Gestank aus dem Abfluss hat er sich nicht nur längst gewöhnt: Er sagt, er kann gar nicht mehr ohne.

Phnom Penh

Die Hauptstadt Kambodschas hat immerhin knapp zwei Millionen Einwohner. Phnom Penh stinkt, ist dreckig, voller Ungeziefer und Krimineller. Überall wird man gewarnt vor dieser Stadt. Man soll keinesfalls seinen Rucksack mit den Wertsachen locker über die Schulter hängen, auch von den beliebten Bauchtäschchen wird abgeraten. Im TukTuk ist der richtige Platz für das Gepäck am Boden fest zwischen den Beinen eingeklemmt. Spezialisierte Rollerbanditen brausen heran und reißen Unvorsichtigen das Gepäck vom Leib, ohne Rücksicht, ob die Person zu Boden oder aus dem Fahrzeug stürzt. Manche TukTuks sind mittlerweile deshalb mit Eisengittern ausgestattet worden. Man fährt also zum eigenen Schutz in einer Art Käfig. Toll!

Uns ist nichts dergleichen passiert, im Gegenteil, wir fühlten uns immer recht sicher. Trotzdem war unsere erste Begegnung mit der Stadt unangenehm. Da wir so spät abends ankommen sind, hatten wir ganz gegen unsere Gewohnheit ein Zimmer gebucht; im Happy House Zone. Der Name ist überhaupt nicht Programm. Die Zimmer dieser miesen Absteige sind übel verwohnt, die Bettlaken fleckig und speckig, die Klospülung funktioniert ebenso wenig wie die Klimaanlage und außerdem wimmelt es vor Kakerlaken. Es schmerzt, dass ich dafür 16 Dollar bezahlt habe. Wir trinken uns in der Bar gegenüber Mut an, schlafen kurz, aber schlecht und sind am nächsten Morgen vor halb acht wieder raus. Ein paar Meter weiter im Rachani Hostel gibt es für wenig mehr Geld schöne, helle, saubere und moderne Zimmer. Bis wir einziehen können, stellen wir unser Gepäck ab und besichtigen das berüchtigte Sicherheitsgefängnis S21, Tuol Sieng.

Mir fällt es schwer, die Eindrücke zu beschreiben. Nach etwa drei Stunden sind wir durch, im wahrsten Sinne das Wortes. Es ist verstörend, am Originalschauplatz zu erleben was Menschen anderen Menschen anzutun in der Lage sind. Wir fühlen uns wie nach dem Besuch einer KZ-Gedenkstätte. Allein in diesem Gefängnis, der ehemaligen Schule Tuol Sieng wurden in den Jahren der Schreckensherrschaft der Roten Khmer zwischen 17.000 und 20.000 Menschen eingesperrt und gefoltert, die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt. Man weiß nur von fünf Überlebenden. Dies war eines von mehreren Hundert solcher Gefängnisse landesweit. Bis heute werden noch neue Massengräber entdeckt. Die Opfer wurden grundlos oder aus nichtigsten Anlässen verhaftet und solange gefoltert, bis sie irgenein Vergehen gestanden. Dann wurden sie auf die sogenannten Killing Fields weggebracht, wo sie erstochen oder erschlagen wurden. Erschossen wurden die wenigsten – um Munition zu sparen. Vorher mussten die Unglücklichen oftmals noch ihre eigenen Massengräber ausheben. Die Regierung Pol Pots hat in den Jahren 1975 – 1979 ein Viertel der Bevölkerung Kambodschas umgebracht, durch unmittelbare Gewalt oder durch Hunger. Sie wollten das Land komplett in eine Art Steinzeitkommunismus zurückversetzen und haben deshalb systematisch Intellektuelle, Mönche, Künstler, Lehrer, Ärzte verfolgt. Wer eine Brille trug, war verdächtig, wer lesen und schreiben konnte oder gar eine Fremdsprache beherrschte, sowieso.

Abends gehen wir noch zum Tempel Wat Phnom. Dort werden vier Buddha-Statuen aufbewahrt, die der Mekong im Jahre 1372 angespült hatte. Eine Frau namens Penh hatte sie entdeckt – und wurde zur Namensgeberin der späteren Stadt. Jede Buddhastatue dort ist mit mindestens einem Geldschein bestückt. Das Opfern von Geld ist hier sehr beliebt! Ein Mann sitzt im Eingangsbereich und zählt dicke Bündel Geldscheine. Ein wenig deplatziert wirken auf uns die grellen Lichtorgeln im Tempel.

Auf dem Heimweg hören wir es in den Müllhaufen auf den Bürgersteigen rascheln. Ratten! Die Müllsammler, die nach Büchsen und Flaschen suchen sind aus gutem Grund mit langen Stecken bewaffnet.

Flussfahrt nach Battambang

Über den Tonle Sap und den Tonle Siem Reap nach Battambang

Diese Bootsfahrt werden wir nicht vergessen! Die Eindrücke lassen uns staunen, die Begegnungen mit den Menschen auf dem Fluss mindestens genauso. Die rund zwanzigköpfige Reisegruppe besteht zu gleichen Teilen aus Touristen und Einheimischen. Unsere Fahrt führt uns über den Tonle Sap, Kambodschas größten Süßwassersee. Seine Fläche ist mit 2700km2 fünfmal der Bodensee und damit schon normalerweise gigantisch. Durch die anhaltenden Regenfälle ist er momentan auf das Doppelte angewachsen. Wir fahren also erstmal durch einen überfluteten Wald, rechts und links des Bootes gleiten die Baumkronen vorbei. Später wird das Gebüsch so dicht, dass nur noch eine schmale Fahrrinne bleibt.

Unser Kapitän macht sich einen Spaß daraus, mit unverminderter Geschwindigkeit durch die Büsche zu knattern, die Äste peitschen durch die offenen Fenster herein. Wir sind aber schon gewarnt: Der Schiffsjunge kann sich mit seiner Gestik und Mimik sehr beredt ausdrücken. Später unterhält er das halbe Boot mit Fingerspielen. Besonderen Gefallen findet er an den Tricks, die Matthieu, Felix und ich mit ihm austauschen. Nach jedem Kunststück werden reihum die Hände geschüttelt, klassisch, im Gangsterstil, oben, unten, mit und ohne Abklatschen. Wir überlegen, wie alt der Junge sein mag? Er ist sehr schwer zu schätzen, zumal sein Gesicht durch das Downsyndrom gezeichnet ist. Wir haben jede Menge Spaß und es bleibt kaum Zeit, um die schwimmenden Dörfer zu bewundern, die wir immer wieder passieren. Eigentlich sind es schon eher Städte, die hier im Wasser treiben. Jedes Haus steht auf Pontons oder alten Fässern und überall sind die typischen Langboote unterwegs. Immer wieder legen wir an, damit jemand aussteigen kann oder es kommt eins der langgestreckten Motorboote zu uns herüber, damit wir Waren oder Menschen übernehmen können. Gerade halten wir an einem großen Hausboot neben einem schwimmenden Tempel. Neben unserem Kahn sind zwei kleine Mädchen beschäftigt, die Wassertanks in ihrem Motorboot mit Frischwasser zu füllen. So wie man bei uns Fahrrad fahren lernt, können die beiden mit ihren geschätzten acht oder zehn Jahren das Motorboot bedienen.

Mittags halten wir in einem schwimmenden Dorf an. Jeder ist froh, die Toilette des Floßrestaurants benutzen zu können, auch wenn diese nicht mehr Komfort bietet als der kleine Verschlag neben dem Motor. Eine Frau brät kleine Fische auf einem Gaskocher, dazu gibt’s Reis und Wasserspinat. Für ein Spiegelei verlangt sie einen Dollar, was mir angemessen erscheint. Schließlich gibt es hier jede Menge Wasser, aber keine Hühner! Ein paar Mutige aus der Reisegruppe bestellen das Menü. Bei der Weiterfahrt wird es richtig abenteuerlich. Nun ist die Fahrrinne nicht nur extrem eng, sondern auch gewunden und kurvig. Außerdem scheinen uns die entgegen kommenden Boote stets an den engsten Stellen zu begegnen. Mehrfach müssen wir halten, damit die Schraube von Treibgut befreit werden kann, oder weil wir uns in den herabhängenden Bäumen verfangen haben. Die Äste der Uferpflanzen peitschen so heftig durch die Fenster herein, dass wir in der Mitte Schutz suchen und überall die Regenschutzplanen herunterrollen. Der Boden des Bootes ist bedeckt mit abgerissenen Blättern und Ästchen. Ein paar achtbeinige Passagiere steigen auch für kurze Zeit mit ein. Einmal wischt ein Baum so heftig über das Dach und unser Gepäck, dass wir die darüber liegende Plane und einen Koffer beinahe verlieren.

Ich unterhalte mich mit einem Kambodschaner, der für die Gemeinde seines Wasserdorfes arbeitet, mit Franzosen, Schweizern und Briten. Die Nester von Webervögeln hängen an den Bäumen. Im Wasser überall der unvermeidliche Plastikmüll, durch die Überschwemmungen hängt der Mist sogar zwei Meter über dem Wasserspiegel. Unser Steuermann sitzt auf einem Plastiksessel hinter einem alten Autolenkrad. Wenn er das Steuerrad bewegt, wickelt sich unter seinen Füßen ein Strick auf ein Stück Holz, das mit der Lenksäule verbunden ist. Der Strick läuft zu beiden Seiten die fünfzehn Meter nach hinten und bewegt das Ruder. Einfach, aber funktional! Wozu die Handbremse bei diesem Kutter dient, habe ich allerdings nicht herausgefunden.

Natürlich gibt es bei der Ankunft in Battambang die übliche Überraschung: Wir sind gar nicht in Battambang, sondern zwölf Kilometer außerhalb. Ein halbes Dutzend TukTukfahrer redet auf die westlichen Passagiere ein, jeder möchte gerne eine Fahrt abgreifen. Sie haben da eine wirkungsvolle Masche: Total aufgeregt schreien sie durcheinander und verbreiten eine furchtbare Hektik, um die Neuankömmlinge zu verunsichern. Ich bleibe erstmal eisern sitzen, bis alle anderen raus sind, dann überzeuge ich mich bei den Locals, dass es stimmt, was die Taxler behaupten. Leider ist es so: Eine schlaue Verabredung der verschiedenen Interessengruppen (Bootsleute, Taxifahrer, TukTukfahrer) verbietet es, das Revier der Konkurrenz zu verletzen. Jeder soll seinen Teil verdienen. Unser Fahrer entpuppt sich als fairer Partner. Gern würde er uns auch morgen noch chauffieren. Mal sehen!

Mit ca. 200.000 Einwohnern ist Battambang die zweitgrößte Stadt des Landes. Sie wird auch als „Reiskorb“ von Kambodscha bezeichnet, da das Umland sehr fruchtbaren Boden für den Reisanbau aufweist. Damit lassen sich rund in der Region sogar zwei Ernten im Jahr realisieren. Ansonsten ist die Stadt noch relativ wenig vom Tourismus berührt.

Ein Mann läuft die Straße entlang, an einem Fuß trägt er eine Sandale, am anderen einen Gummistiefel, er geht an einer Krücke. Woanders würde man sich denken: Komisch. Hier ist es sofort klar, dass er eine wackelige Prothese trägt. Ein Kind winkt uns aus einem ärmlichen Verschlag heraus. „Hello! Hello!“ Es ist nackt. Wir radeln noch durch Battambang, auf der Suche nach etwas zu Essen, landen auf Empfehlung unseres Zimmerwirts in einem sehr guten vegetarischen Restaurant – eine andere Welt. Das Essen ist ausgezeichnet, außerdem kommt der Erlös hier dem Wohl notleidender Kinder zu. An Wohlfahrtsunternehmungen fehlt es in Kambodscha nicht, und das ist auch gut so.

Angkor Wat

Die historischen Bauten sind atemberaubend! Allein schon die Dimensionen sind riesig. Am ersten Tag haben wir uns die äußeren Bereiche der Roluos Gruppe mit dem Bakong Tempel ausgesucht und besuchen zum Schluss noch den Prasat Banteay Kdai. Gigantische Mauern umschließen riesige Areale, inmitten weitflächiger künstlich angelegter Seen liegen Inseln, auf denen raumgreifende Tempelanlagen stehen. Wir treten durch dunkle Torgänge in weitläufige Flure. Überall zweigen seitlich weitere Gänge ab, teils wandeln wir durch lichte Galerien, teils bücken wir uns durch finstere, enge Durchlässe. Unendlich scheinen die sich ergebenden Blickachsen über mehrere Gebäude hinweg. Die Baumeister wussten genau, wie sie mit Raum, Proportion und Symmetrie den größtmöglichen Effekt erreichen, um die Herrlichkeit der heiligen Stätten zu unterstreichen. Hoch aufragende Türme wechseln sich mit weitläufigen Seitenflügeln ab. Wo es Stufen zu erklimmen gibt, sind diese sehr schmal und extrem hoch: Wie um vom Besucher Demut einzufordern. Einen besonderen morbiden Charme verströmen große Teile der Anlage, die am Verfallen sind. Überall nagt der sprießende Dschungel an den uralten Sandsteinmauern. Wurzeln sprengen Mauern, Dächer drohen zusammenzubrechen.

Wieder andere Gebäude wirken, als wären sie erst gestern errichtet. Tatsächlich sind manche der Tempel seit über tausend Jahren ununterbrochen in Gebrauch und immer wieder in Stand gesetzt worden. Vom Hinduismus zum Buddhismus und zurück umgewidmet wurden sie auch von Bilderstürmern angegriffen: Die vielen kopflosen Buddhas sprechen Bände darüber. Andere Teile sind in Vergessenheit geraten und verfallen, manche bis heute noch im Wald versteckt. Die altehrwürdigen Stätten sind für Buddhisten immer noch heilige Orte. In einer schummrigen Kapelle hockt eine Frau vor einer sitzenden Buddhastatue. Sie drückt uns ein paar Räucherstäbchen in die Hand und vollzieht einen Ritus, den wir nicht verstehen. Zum Schluss, nachdem wir uns dreimal verbeugt haben, erhalten wir jeweils zwei Stoffbändchen ums Handgelenk. Natürlich wird eine kleine Spende nicht abgelehnt.

Allerdings sind die Tempelreste leider stellenweise von chinesischen Touristengruppen eng umstellt. Ohne jede Rücksicht besetzen sie jede freiwerdende Lücke um die besten Fotomotive herum. Da wir schon spät dran sind, bleibt uns nichts anderes als die Horden zu umgehen und in ruhigeren, weniger bekannten Bereichen unser Glück zu versuchen. Das Areal des Tempels ist ja groß genug.

Die Wurzeln riesiger Urwaldbäume haben vielfach Dächer, Mauern, Pflaster durchdrungen und gesprengt. Im Laufe der Jahrhunderte sind dann die Wurzeln verrottet und die Steine kollabiert.

Am beeindruckendsten waren für mich der Bayon (Gesichtertempel) und der kleine, von Urwaldriesen gesprengte Turm Prasat Prey, wo wir ganz alleine durch den Urwald gewandert sind. Angkor Wat selbst ist riesig und wohlerhalten, aber extrem von Touristen überlaufen. Es war eine gute Entscheidung, dass wir uns für die historischen Stätten drei Tage Zeit genommen haben. So konnten wir auch ein paar vergessene Flecken erkunden, wo wir uns als Entdecker gefühlt haben.

Zum Abschluss des gelungenen Besuchs gab es noch ein kleines Leckerli vom Kambodscha-Grill.

Siem Reap, Kambodscha

Was verbindet man mit Kambodscha? Schöne und schreckliche Superlative. Angkor Wat und die roten Khmer.

Die roten Khmer errichteten in den 1970er Jahren in Kambodscha eine unglaublich brutale Terrorherrschaft. Der Sicherheitsdienst von Pol Pot ließ unzählige Menschen foltern und rund zwei Millionen umbringen. Das Land wurde in ein riesiges Arbeitslager verwandelt, Menschen aus den Städten in Todesmärschen aufs Land gezwungen, wo sie bei Hungerrationen auf den Feldern arbeiten mussten. Intellektuelle wurden systematisch verfolgt, wobei das Tragen einer Brille als Indiz für den höheren Bildungsgrad genügte. Bis Ende der 1990er Jahre hielten sich noch Verbände der Roten Khmer im Norden. Weite Teile des Landes sind bis heute von Landminen übersät, die Menschen leiden bis heute unter den Hinterlassenschaften des Terrorregimes.

Das Land ist arm, die Lebenserwartung beträgt rund 64 Jahre, der Mindestlohn 125 Dollar monatlich. Die Natur ist (noch) weitgehend unberührt, Umweltprobleme entstehen insbesondere in den letzten Jahren, wo die wirtschaftliche Entwicklung langsam in Gang kommt.

Angkor Wat, die Hauptstadt des alten Khmerreiches ist das größte religiöse Gebäude weltweit, eines der wichtigsten Kulturerbe der Menschheit und wird auch als das achte Weltwunder bezeichnet. Errichtet wurde es unter Suryavarman II im 12. Jahrhundert. Zu seiner Glanzzeit hatte die über 15 Quadratkilometer große Stadt rund eine Million Einwohner – doppelt so viele wie London seinerzeit. Wir sparen uns die Besichtigung auf, denn bald treffen wir hier unsere Kinder, mit denen wir uns das ansehen wollen.

Wir reisen zu Fuß von Chom Chong (Thailand) nach O Smatch (Kambodscha) ein. Inzwischen sind wir es schon fast gewöhnt, die einzigen Westler weit und breit zu sein. Mit rund 150 Thais und Kambodschanern reihen wir uns in die Schlange für die Grenzformalitäten ein. Doch, halt, da sind noch zwei Amerikanerinnen mit thailändischer Abstammung, die hier Thailand für einen Tag verlassen, um morgen die Aufenthaltserlaubnis um weitere 30 Tage zu verlängern. Auf der anderen Seite wartet bereits ein Taxianweiser, der sich an unsere Fersen klebt. Wir werden ins Visabüro gewunken, wo eine Überraschung auf uns wartet: Der Beamte verlangt pro Visum 1300 Baht – wir hatten uns auf 30 Dollar eingestellt, aber die wollte er nicht. Wir kratzen unser letztes thailändisches Geld zusammen, es reicht gerade eben so. In Kambodscha werden nämlich alle größeren Geschäfte in Dollar oder eben in Baht getätigt. Die Landeswährung Riel dient eher als Wechselgeld für Kleinstbeträge und ist nicht besonders beliebt. Unsere Baht hatten wir eigentlich für die Taxifahrt nach Siem Reap vorgesehen, einen Bus gibt es hier nämlich nur zweimal täglich. Die Preisverhandlung mit dem Obertaxler ist kurz. Wie immer bin ich der böse Geizkragen, der die unverschämten Preisvorstellungen ein klein wenig zu drücken versucht. Ich finde jedenfalls 70 Dollar sind absolut ausreichend für eine dreistündige Taxifahrt über 170 Kilometer.

Die Gegend, die vor den Autofenstern vorbeizieht, ähnelt den thailändischen Provinzen, die wir zuletzt durchquert hatten: flach und weit. Überflutete Reisfelder, immer wieder Flüsse, die über die Ufer gegangen sind. Die Straße ist beinah so schlecht wie zuletzt in Laos. Zum Glück gibt es nicht besonders viel Verkehr. Die meisten anderen Fahrzeuge sind Roller, aber auch sehr viele der einäugigen, zweirädrigen Traktoren sind unterwegs. Diese Zugmaschinen haben nur eine Achse, meist mit zwei dicken Gummireifen, manchmal auch mit einer Art Gitterreifen aus Eisen. Ein überlanger Lenker mit zwei Handgriffen wird vom Fahrer gehalten, der entweder hinterläuft oder auf der ebenfalls überlangen Deichsel eines Anhängers sitzt. Ich entdecke auch einige spartanische Traktoren, die zwar vier Räder, aber dafür keinerlei Motorabdeckung, Sitze oder anderen Schnickschnack besitzen. So gut wie jedes Fahrzeug ist abenteuerlich schwer und hoch beladen mit Holz, Stroh, Früchten, Möbeln, Menschen.

Siem Reap empfängt uns mit Regen. Zu unserer Überraschung hält unser Fahrer etwa fünf Kilometer vor dem Ziel. Wir sollen in ein Tuktuk umsteigen, vermuten irgendeine Abzocke. Aber es läuft so, wie der TukTukmann in brüchigem Englisch erklärt hat. Scheinbar gibt es eine Art Gebietsschutz für die Innenstadt. Irgendeine Vereinbarung bindet die beiden Fahrer, wir müssen jedenfalls nicht nochmals zahlen, sondern nur noch den sehr anhänglichen TukTukfahrer loswerden. Durchgeschwitzt, dann fast tiefgefroren von der Klimaanlage, zuletzt im Regen abgeduscht torkeln wir in das anvisierte Guesthouse, welches sich als stinkige Bude erweist. Wir danken und ziehen weiter, zunächst noch den Fahrer im Schlepptau. Bald scheint die Sonne wieder. Das nächste Hotel ist das 7candles – hier sind die Zimmer schön und sauber, außerdem werden mit den Einnahmen Bildungsprojekte in den ländlichen Gebieten unterstützt, ähnlich wie bei BigBrotherMouse in Laos. Das gefällt uns!

19.09.2019 Kunst und Krieg

Was für ein Glück, unser Guesthouse hält für die Gäste Fahrräder bereit. Wir radeln zu Artisans Angkor – Les Chantiers Ecoles in der Nähe der Pub Street. Diese Schule und Werkstatt für Kunsthandwerk hat es sich zum Ziel gesetzt, vergessene handwerkliche und künstlerische Traditionen neu zu beleben, darüber hinaus bietet das Projekt Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen. Die roten Khmer hatten in ihrer wahnsinnigen Bemühung, alle Kultur auf Null zu reduzieren auch sämtliche Künstler mit Repression belegt oder getötet, folglich war es nicht einfach, die Jahrtausende alten Techniken wieder zu entwickeln. Für mich als Werklehrer ist es faszinierend zu erleben, wie die Künstler in ihren Werkstätten Holz, Sandstein, Kupfer, Speckstein, Lack und Seide bearbeiten. Lange schaue ich zu und probiere die Werkzeuge auch selbst aus. Zu schade, dass ich mich mit den Leuten nicht unterhalten kann, aber dann wäre Andreas Geduld sicher noch mehr überstrapaziert. Im Shop liebäugeln wir mit den qualitativ hervorragenden und sehr hochpreisigen Waren. Aber wie sollen wir denn einen Sandsteinbuddha mitnehmen? Im Übrigen haben wir uns vorgenommen, keine Staubfänger anzuschaffen – wir haben ja keine Wohnung mehr und wissen auch nicht, ob wir wieder einen Garten haben werden. Also bleibt uns die Erinnerung.

So schön dieses erste Erlebnis des Tages war, so furchtbar und verstörend ist das zweite, das War Museum. Dorthin gelangen wir auf unseren klapprigen Drahteseln über einen kleinen Umweg, zunächst durch den örtlichen Slum, dann durch den Schlamm. Die Straßen sind außerhalb nämlich nicht mehr asphaltiert, sondern  vielmehr abenteuerliche Schlammpisten mit Schlaglöchern wie Badewannen.

Es ist sehr traurig, auf Bildern und Tafeln Einzelheiten über die Geschichte des kambodschanischen Bürgerkrieges zu erfahren. Um Munition zu sparen, töteten die Steinzeitkommunisten viele ihrer Opfer mit Hämmern, Spaten, Bambusspitzen. Zwischen 1975 und 1979 wurde ein Viertel der Bevölkerung Kambodschas umgebracht. Die Exponate sind Geschütze, Maschinengewehre und Granaten sowie Hunderte von Landminen. Was ist mit den Minenopfern? Es gibt heute noch neue Opfer, auch wenn der Krieg nun schon zwanzig Jahre beendet ist. Der Erlös dieses Museums, so heißt es, dient zu ihrer Unterstützung sowie zur Hilfe von traumatisierten ehemaligen Kämpfern.

Überschwemmung 2. Tag

Ubon Ratchathani liegt am Mun oder Moon River. Als wir gestern ankamen, mussten wir feststellen, dass die südliche Hälfte der Stadt unter Wasser steht. Seit zwei Wochen hatten wir auf unserem Weg durch Laos versucht, Genaueres zu erfahren – vergeblich. Wir wollten unbedingt die überfluteten Gebiete meiden, sind nun aber doch mitten hinein geraten.

Das thailändische Fernsehen berichtet nun laufend von der Katastrophe. Im Internet haben wir gelesen, dass es die schlimmste Flut in der Region seit 41 Jahren sein soll. Heute konnten wir beim Hotelmanager Fahrräder leihen. Wir kamen in mehreren tiefer gelegenen Stadtteilen ans Wasser, vielerorts liegen Sandsäcke vor Eingängen. Am schlimmsten sieht es in der Nähe des Flusses aus. Auf den angrenzenden Straßen sind überall große Zelte errichtet worden. Tausende Menschen campieren hier.

Morgen versuchen wir, nach Chong Chom weiterzukommen, um die Grenze nach Kambodscha zu passieren. Angeblich soll dort die Situation besser sein.

Ubon Ratchathani, 17.09.2019, 19:00 Uhr