Highlands

Heute steht eine kurze Reiseetappe an: Gestärkt durch eine lecker scharfe Frühstückssuppe beim Chinesen an der Ecke fahren wir per Bus von Ipoh weiter in die Cameron Highlands. Hier, im kühlen Berggebiet soll es terrassenförmig angelegte Teeplantagen und Erdbeerfelder geben.

Die Distanz beträgt nur gute 100 Kilometer, dennoch wird der Bus zweieinhalb Stunden brauchen, denn es geht über steile Bergstraßen und durch viele Kurven. Ich möchte die Zeit im Bus zum Schreiben nutzen – mal sehen wie weit ich komme, bevor es mir übel wird. Bisher hatte ich für jedes neue Land eine kleine Einführung geschrieben – zu Malaysia fehlt diese noch. An dieser Stelle ein herzlicher Gruß und Dank an meine treuen Leser! Gestern habe ich mal wieder beim Hoster nachgesehen: Zur Zeit lesen etwa 3000 Leute mit. Es freut mich sehr, dass ihr dabei seid. Wenn ihr etwas besonders gut findet (oder auch besonders schlecht), zögert nicht, einen Kommentar zu schreiben. Falls gewünscht, gern auch als PN – dann schalte ich den Kommentar nicht öffentlich.

Kaum haben wir Ipoh verlassen, sind wir schon auf einer sehr modernen und gut ausgebauten sechs- bis achtspurigen Autobahn unterwegs. Überhaupt ist Malaysia verkehrstechnisch erste Liga, da kann sich jedes deutsche Verkehrsunternehmen ein leuchtendes Beispiel nehmen. Von der deutschen Bahn will ich gar nicht anfangen. Hier ist eigentlich jedes öffentliche Verkehrsmittel günstig, pünktlich, effektiv und sauber, die Angestellten sind darüber hinaus freundlich und zuvorkommend. Ich komme kaum zum Schreiben, denn die Landschaft ist so schön: Hohe bewaldete Felszacken ragen aus der Ebene, viele davon sind zerklüftet und die Bergflanken aufgerissen von Steinbrüchen. Hier wird Marmor abgebaut!

Ich lese weiter über unser derzeitiges Reiseland, was ich nicht wusste: Malaysia ist eine konstitutionelle Wahlmonarchie; der König wird alle fünf Jahre aus einer Reihe von Adeligen gewählt. Das Parlament hat wie das englische Vorbild ein Ober- und ein Unterhaus. Malaysia entstand 1963 aus vier ehemaligen Teilen des britischen Weltreiches: der Föderation Malaya, der Kronkolonie Nordborneo, der Kronkolonie Singapur (bis 1965) und der Kolonie Sarawak. Malaysia ist Gründungsmitglied des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN) und gilt trotz großer Stabilität immer noch wirtschaftlich als Schwellenland. Komplett in den feuchtheißen Tropen gelegen, war das Land bis Anfang des 21. Jahrhunderts noch zur Hälfte von Regenwald bedeckt. Besonders in Sarawak auf Borneo spricht man von einem Hotspot der Biodiversität, weil es noch sehr viele seltene Tier- und Pflanzenarten gibt. Die wertvollen Tropenhölzer werden jedoch übermäßig abgeholzt, Brandrodung zur landwirtschaftlichen Nutzung und Übernutzung der Böden, sowie Palmölplantagen rücken den Orang-Utans, Nashörnern, Tigern, Elefanten und anderen bedrohten Spezies immer mehr auf den Pelz.

Die Autobahn haben wir schon vor einer Viertelstunde verlassen, jetzt schraubt sich unser 28-Sitzer mühsam eine sehr steile, kurvige Straße durch neblige Bergwälder hoch bis zu einem Pass, um auf der anderen Seite eine ebenso steile, kurvige Straße wieder hinunter zu fahren.

Schon im Mittelalter gab es im malayischen Raum Häfen und Königreiche, die vom Handel prosperierten. Der Islam kam hier im 14. Jahrhundert an und kurz darauf wurden auch Portugiesen, Niederländer und Engländer auf die reiche Region aufmerksam. Im Laufe der Kolonialgeschichte setzte sich letztlich die britische Krone durch. Im zweiten Weltkrieg war Malaysia durch Japan besetzt, danach wuchs zunehmend der Wunsch nach Unabhängigkeit. Im Jahre 1963 gründete sich die Föderation, zunächst noch mit Singapur, das 1965 wieder ausschied.

Wir passieren eben mehrere Baustellen. Ein Bergrutsch hat hier die Straße zur Hälfte weggerissen. Es hat heftig zu regnen begonnen. So gehört sich das ja auch in einem echten Regenwald. An einigen geeigneten Stellen hat man hier Terrassen in den steilen Hang planiert und Gewächshäuser aus Folientunneln errichtet. Was hier gepflanzt wird, kann ich nicht erkennen. Nach etwa zwei Stunden ist eine Hochebene erreicht, die Kurven werden weiter und die Berge etwas weniger schroff. Hier ist jedes Stückchen halbwegs ebenes Gelände terrassiert und ein Großteil davon mit Gewächshäusern zugepflastert. Gemüse, Salat, Blumen, Erdbeeren und viele andere Pflanzen werden im industriellen Maßstab angebaut.

Die Bevölkerung Malysias besteht zu rund 50% aus überwiegend muslimischen Malayen, 24% eher buddhistischen Chinesen, 11% indigenen Völkern 7% Indern und rund 8% anderen. Die meisten Menschen leben auf dem Festland in Westmalaysia, während in Sarawak und Sabah (Borneo) nur ein Fünftel wohnt. Die sunnitisch islamischen Malaien erheben politischen Führungsanspruch und werden seitens der Regierung bevorzugt. Das Wachstum der Bevölkerung ist mit etwa 1,6 % jährlich relativ hoch, etwa ein Drittel der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre, wobei etwa 75% der Menschen in Städten leben. Religionsfreiheit besteht nur auf dem Papier, die Todesstrafe wird erst seit 2018 nicht mehr vollzogen, Homosexualität ist nach wie vor strafbar. Laut der NGO Reporter ohne Grenzen ist die Lage der Pressefreiheit im Land schwierig. Nichts davon hätte ich gestern für möglich gehalten, als wir uns noch sehr locker und entspannt mit dem netten, fortschrittlich eingestellten (muslimischen) Caféhausbesitzer in Ipoh unterhielten.

Je weiter wir in die Cameron Highlands hineinkommen, umso mulmiger wird es uns. Ist das wirklich das Etappenziel, das wir uns ausgesucht haben? Landwirtschaft wird hier offensichtlich kompromisslos und gewinnmaximiert betrieben. Man kann sehen, wie von Baumaschinen komplette Bergkuppen abgetragen und eingeebnet werden, um anderswo Täler zuzuschütten, neue Anbauflächen zu gewinnen und Plantagen anzulegen. Angesichts der unzähligen Quadratkilometer Foliengewächshäuser frage ich mich, was aus all diesem Plastik wird, wenn es zerschlissen ist. Keine Minute später passieren wir einen kleinen Fluss, seine Ufer sind von Plastikfetzen bedeckt; in den Bäumen am Ufer hängen mehr Folienreste als Blätter. Trotzdem ist diese Region ein beliebtes Urlaubsziel: Wegen des angenehm kühlen Klimas kommen viele Malaysier gern in die Berge. Hochhäuser bedecken reihenweise die Bergkämme, teilweise erinnert es uns an zugebaute Skiorte in Österreich. Wir beschließen, der Gegend dennoch eine Chance zu geben, zur  Weiterreise reicht heute die Zeit ohnehin nicht. Als wir im kleinen Brick’s Hotel einchecken, erfahren wir, dass wir Glück haben: Gerade haben die Ferien begonnen und damit die Hochsaison.

14.11.2019 Tanah Rata, Cameron Highlands

Wir buchen eine Tagestour: Mossy Forest, Teeplantage, Schmetterlingsfarm. Das ganze hört sich schlimmer an, als es dann ist. Mit uns sitzen zwei Schottinnen und ein Paar aus den Niederlanden im Landrover. Auf dem Feldweg zum Mooswald werden wir alle gut durchgeschüttelt. Holzstege und viele Treppenstufen erleichtern den Einblick in das kleine Naturschutzgebiet „Mossy Forest“.

Tatsächlich sind hier alle Baumstämme rundherum mit Moos bewachsen. Die Luft ist kühl und sehr feucht, ideales Wachswetter. In den Astgabeln sitzen dicke Moosklumpen, diese bilden wiederum die Lebensgrundlage für kleinere Aufsitzerpflanzen. Es gibt Farne in jeder erdenklichen Form – von Fingernagelgröße bis zur Höhe eines Hauses. Alles strebt hoch, klettert, wächst und vergeht unweigerlich auch wieder. Überall lauern Destruenten wie Pilze, Asseln, Würmer, Käfer, die alles tote organische Material im Nu zersetzen. Leider können wir im Nebel von dem 2000 Meter hohen Berggipfel aus nur die Nachbargipfel sehen, beeindruckend ist der Ausblick auf den Wald von oben dennoch. Im Unterholz entdecken wir mehrere Kobralilien mit der charakteristischen, schlangenartigen Zunge. Berührt man diese, so sagt man uns, stirbt die Pflanze. Über dem Weg entdecken wir eine kletternde Kannenpflanze; auch sie wurzelt nicht im fruchtbaren Boden, sondern im Mooskleid anderer Pflanzen. Den Mangel an Nährstoffen gleicht sie aus, indem sie in ihren zu Kannen umgeformten Blättern Insekten fängt und verdaut.

Unser Fahrer hält den Jeep dicht am Abgrund und erklärt uns über den steilen Feldern der Plantage, wie der Tee angebaut und halbmaschinell geerntet wird: Vorwiegend Wanderarbeiter aus Sri Lanka und Bangladesch heben zu zweit eine riesige Mischung aus Rasenmäher und Heckenschere über die Teesträucher, um die frischen Blätter abzurasieren. Nachdem das Gerät um die 15 Kilogramm wiegt, dürfte das ein ziemlicher Knochenjob sein.

Weiter erfahren wir, dass Tee unbeschnitten zu richtigen Bäumen wachsen kann und die Pflanzen bis zu 120 Jahre alt werden. Die kleine Teefabrik BOH besichtigen wir im Eiltempo: Schneiden, Sortieren, Rollen, Fermentieren/Oxidation, Trocknen, Sieben/Sortieren und Verpacken sind die Arbeitsschritte, die wir durch große Glasfenster beobachten dürfen. Auf den Besuch der Teeboutique verzichten wir.

Ipoh, abseits der Touripfade

Ewig ziehen die Palmölplantagen sich an den Gleisen entlang. Malaysia bedient zusammen mit Indonesien 80 Prozent des Weltbedarfes. Ipoh heißt unser nächstes Ziel, eine kleine Großstadt, überwiegend bewohnt von chinesisch-stämmiger Bevölkerung mit nettem Flair, kolonialer Altstadt und Streetart-Kunstszene.

Hier findet man noch das ursprüngliche Malaysia, heißt es. Tatsächlich ist die Stadt irgendwo zwischen Verfall und Aufbruch. Ein koloniales Erbe der Engländer sind die kleinen Reihenhäuser: Vorn ist stets ein Laden oder ein Lokal, hinten raus gibt es Zugang zu den „lanes“, Hinterhofgassen, wo die Mauern oft mit zeitgenössischen kunstvollen Graffitis verziert sind. Wir streifen stundenlang durch die Stadt und suchen die verschiedenen Kunstwerke auf, zwischendrin erfrischen wir uns mit Kaffee oder einer Pause im Stadtpark am Fluss. Die Wirtschaft wird überwiegend von Chinesen beherrscht, aber viele der Geschäfte stehen leer, einige Häuser sind verfallen. In einer oder zwei Straßen macht sich Aufschwung bemerkbar mit hippen Lokalen, Cafés und Designergeschäften.

Im indischen Viertel gibt es das beste Essen für einen Spottpreis: Zwei Portionen des Tagesmenüs, dazu zwei Lassi, das klassische Joghurtgetränk kosten 23 Ringgit (~unter 5€). Hier hat es uns immer geschmeckt. Achtung allerdings, nicht überall gibt es Besteck, denn die meisten Kunden essen mit den Fingern vom Bananenblatt. Am Nightmarket direkt bei uns um die Ecke konkurriert mindestens ein Dutzend chinesischer Schnellrestaurants um die Kundschaft; jedes scheint eine besondere Spezialität anzubieten: Salted Chicken, grilled Pork und steamed Chickenlegs – unser Geschmack ist es nicht. Gestern folgten wir nichtsahnend der Empfehlung des Kellners und bekamen zwei Teller Glibberzeug in unterschiedlichen Farben und marginal unterscheidbaren Konsistenzen, einmal eher schlabbrig wie Gelatine und einmal eher wabbelig wie Wackelpudding. Der Geschmack war nicht einzuordnen, die zerkleinerten knusprigen Schweinekrustenteile am Grunde des Tellers haben wir allerdings mit leichtem Ekel herausgeschmeckt. Wir reden uns ein, dass dies das echte unverfälschte Essen wie in China ist, eine Erfahrung allemal.

In jedem Fall muss ich mein Bild vom Menschen aus dem Reich der Mitte differenzieren. Der geneigte Leser sei erinnert an meine frühere Polemik über Selfie-Stick schwingende Volksgenossen, die bar jeden Feingefühls auf anderer Leute Intimsphäre und Zehen herumtrampeln. Zwar hat der Chinese auch in Ipoh im Allgemeinen weder Tischmanieren noch Esskultur (über Nasenziehen, Spucken und andere Körpergeräusche will ich an dieser Stelle beredt schweigen), nichtsdestoweniger haben wir hier durchaus nette Chinesen kennengelernt. Unsere Wirte beispielsweise bemühen sich wirklich um unser Wohl und kochen auch sehr gut; in der Stadt haben wir verschiedentlich von freundlichen Chinamenschen Auskunft erhalten, die übrigens auch gestimmt hat. Das ist, nebenbei bemerkt, in Asien durchaus nicht selbstverständlich: Oft fragt man irgendwelche Leute nach dem Weg und erhält irgendeine falsche Auskunft – nicht aus bösem Willen; sondern weil der Befragte die rechte Antwort nicht wusste, dies aber nicht zugeben konnte. Die Kunst ist es in so einem Fall, an der eher klaren oder eher unbestimmten Art der Antwort zu erkennen, woran man ist.

Eine Reise ist kein Urlaub

Meine Augenringe hängen bis zum Kinn. Letzte Nacht habe ich höchstens vier Stunden geschlafen, obwohl das Hotelbett bequem war, das Zimmer dunkel und die Umgebung leise. Statt zu schlafen habe ich über die fehlende Komfortzone gegrübelt. Dieser Tag war ein Tiefpunkt.

Nach der sehr billigen, aber auch unbequemen Nacht im lauten Kuta brachte uns ein vierstündiger Flug ohne Getränk oder Imbiss nach Kuala Lumpur. Die einzige Erfrischung, die uns zuteil wurde, war eine ausgiebige Aerosolbesprühung durch die Stewardessen kurz vor dem Landeanflug. Hat man uns hier desinfiziert? Es stank eklig nach Kunstaroma. Dann der Kulturschock: Alles in Malaysia ist extrem sauber, super ordentlich und viel teuer als in Indonesien. Hungrig setzen wir uns am Flughafen in den Expresszug ins Zentrum. Entlang der Bahnstrecke sehen wir Reihenhäuser, die ebenso in Bielefeld, Halle oder Altötting stehen könnten, fremd nur die Bananen und Kokospalmen in den Vorgärten. Hier haben Autobahnen wieder Leitplanken und Mittelstreifen, dafür weder Schlaglöcher, Kreuzungen noch Speedbumps. Der Zug sieht innen deutlich moderner aus als die letzten Flugzeuge.

Der Hauptbahnhof Sentral Stasiun sitzt wie ein gordischer Knoten inmitten der vielen verschlungenen Verkehrswege der Hauptstadt Malaysias: Schnellbahn, Expressbahn, Pendlerbahn, U-Bahn, Monorailbahn, Stadtautobahn und normale Straßen kreuzen sich in mehreren Ebenen – Stuttgart 21 ist ein Fliegenschiss dagegen. Unsere Rucksäcke verstauen wir in einem sündhaft teuren, sprechenden Schließfach mit Gesichtserkennung. Ob das wohl gut geht? Heute steht das Experiment Couchsurfing an. Wir haben eine Einladung von einem Hals-Nasen-Ohrenarzt, der StarTrek-Fan und Sammler von Schokoladenpapier, Flugmagazinen und Flaggen ist. Leider hat er Spätschicht und wir müssen die Zeit bis zum späten Abend irgendwie überbrücken.

Also erwandern wir die Innenstadt von KL, besuchen Little India und laufen noch ein paar Kilometer, um einen Blick auf die Petronas Towers im Abendlicht zu erhaschen. Zwischendurch durchstöbern wir die gigantische, bereits weihnachtlich dekorierte KL Sentral Shoppingmall auf der Suche nach einer malaysischen Daten-SIM-Karte fürs mobile Internet. Das ist hier gar nicht so einfach, wie man meinen möchte. Schließlich bekommen wir nach langem Hin und Her eine Monatskarte mit unbegrenztem Datenvolumen für lächerliche 37 Ringgit (8,50€), aber erst nachdem mein Pass weißgottwie oft gescannt, abfotografiert und sonstwohin geschickt wurde sowie eine umständliche Aktivierungsprozedur absolviert ist, funktioniert das Ding. Eigentlich wollen wir doch nur duschen und unsere Ruhe! Aber ohne mobiles Internet kein Chat, ohne Chat keine Couch. Zwar gibt es in jedem Cafe WiFi for free, aber selbst mein Fassungsvermögen für Espresso ist irgendwann erschöpft.

Wieder online läuft unser erstes Couchsurfing-Experiment komplett aus dem Ruder. Der Gastgeber hat wohl doch keine Zeit für uns, außerdem wird immer klarer, dass er relativ wenig am Kennenlernen anderer Reisender interessiert ist. Vielmehr scheint er möglichst viele Gäste möglichst schnell abfertigen zu wollen. Die 347 Freunde auf der CS-Plattform hätten mich vielleicht gleich stutzig machen sollen. Seit ich mit ihm kommuniziere, hat er noch mindestens sechs andere Gäste, die wechselweise seine Wohnungsschlüssel bekommen; er selbst ist meist in der Arbeit. Mit Andrew aus Tschechien und Ivan aus Russland schreibe ich per WhatsApp mehr als mit unserem Gastgeber.

Das Drama steigert sich. Da unser Gastgeber bis 22 Uhr arbeitet und dann noch Überstunden machen will, verabreden wir uns stattdessen mit Andrew. Es gelingt mir trotz bleierner Müdigkeit und wachsender Entnervtheit unseren und Andrews Standorte in der Karte auf der App zu einer Taxibestellung zu verknüpfen, endlich bewegt sich das kleine Auto auf dem Display auf uns zu – aber was ist das? Der Fahrer fährt an uns vorbei und hält ganz woanders als ausgemacht. Es dauert eine Weile, bis ich ihn im echten Leben schließlich doch finde, aber jetzt ist er ungehalten und mault mich an wegen der vertanen Zeit. Er will uns nicht mehr chauffieren und nun bin auch ich nicht mehr sehr freundlich. Ein anderes Transportmittel ist zu später Stunde nicht in Sicht, denn komischerweise klappt man hier trotz allem Weltstadtgehabe gegen 22.00 Uhr die Gehsteige hoch. Wir checken total entnervt, durchgeschwitzt und müde irgendwo zwischen Bahnhofsviertel und Little India in einem Hotel ein.

Anderntags erkunden wir die hochmoderne, blitzsaubere Großstadt per S-Bahn und zu Fuß. Unzählige protzige Wolkenkratzer und pikfeine Einkaufszentren scheinen um die besten Plätze zu streiten, überall sind riesige Baustellen, wo noch mehr gigantische Bauprojekte entstehen. Im KLLC Center, einem Konsumtempel der Extraklasse verlaufen wir uns beinahe. Hier sind alle Luxusmarken der Welt vertreten: Diamantenbesetzte Täschchen und idiotische Designerschuhe, erlesenes Parfum und teurer Schmuck, teuerster Nippes und extravagante Mode werden in marmorgefliesten Hallen von perfekt gestylten, dauerlächelnden Hostessen präsentiert. In Flipflops und Travellerhosen passen wir perfekt hinein in diesen Konsumtempel. Die Petronas Towers finden wir schließlich doch, mit ihren 452 Metern Höhe und 88 Stockwerken sind sie auch kaum zu übersehen. Ein paar Jahre lang war der Doppelturm das höchste Gebäude der Welt, ich finde das übergroße Statussymbol ziemlich hässlich. Die Erbauer haben immerhin mitgedacht, gleich daneben hat man einen kleinen Park angelegt. Von hier hat man einen guten Blick auf viele andere, teils auch extravagante Stahl-, Glas- und Betonkolosse rundherum: Zwar sind es allesamt Machtsymbole von Großkonzernen und Superreichen, manche sind jedoch einfallsreicher gestaltet als andere: Gewunden wie ein verdrehter Rhombus, in Form einer gigantischen Sanduhr, einer Ellipse oder mit begrünten Außenwänden. Trotz aller Pracht weiß ich nicht erst jetzt, dass ich nicht fürs Stadtleben geschaffen bin.

Ipoh, 12.11.2019

Taucherträume werden wahr

Tulamben ist wirklich ein Traumspot für Taucher. Ehrlich gesagt, außer tauchen kann man hier auch nicht viel tun. Essen vielleicht und Bier trinken. Wir haben es wie üblich gehalten und sind mit dem günstigen lokalen Perama Bus bis zur Endstation der Linie gefahren. Diese Reise führte uns einmal quer über die Insel durch spektakuläre Landschaften mit grünen Reisterrassen und über die Serpentinen hinauf und hinunter entlang der teilweise ziemlich schroffen Abhänge des Vulkans Agung. Mit 3142 Metern Höhe ist der Agung kein kleiner, zumal er fast von Meereshöhe hinaufragt. Als wir direkt darauf zu fahren, ist er ist so groß, dass er nicht in die Frontscheibe unseres altersschwachen Busses passt.

Übrigens ist der Agung zuletzt im April dieses Jahres ausgebrochen. Tulamben wird immer wieder evakuiert, wenn er brodelt, wir sind nur zwölf Kilometer vom Krater entfernt. Am und im Wasser hat der Vulkanismus ebenfalls deutliche Spuren hinterlassen: Der Strand besteht aus größeren und kleinen runden schwarzen und grauen Kieseln, unter Wasser gibt es eine riesige Halde aus schwarzem Sand. Hier leben nicht nur große Fische wie Zackenbarsche, Buckelkopf-Papageifische, kleinere Haie, gelegentlich Mantas und Mondfische sowie alle Sorten bunter Riffbewohner, sondern auch sehr viele winzige sogenannte Critters; winzige Krebschen, Nacktkiemerschnecken, Pygmäenseepferdchen und viele andere Helden der Makrofotografie. Bekannt ist der Spot außerdem für das Wrack der USAT Liberty, eines amerikanischen Frachters, der 1942 von einem japanischen U-Boot torpediert wurde. Damals konnte er noch zur Küste geschleppt werden und lag dann jahrelang am Strand. Das Schiff wurde geplündert und es verfiel immer mehr. Bei einem Ausbruch des Agung im Jahr 1963 rutschte das Schiff vom Strand in die Balisee und fand so seinen derzeitigen Platz auf der Seite liegend parallel zum Strand.

Nach meinem Nachttauchgang an der Liberty schreibe ich zahlreiche Zackenbarsche, mehrere Humpheads und eine riesige frei schwimmende Muräne in mein Logbuch. Fotografieren kann ich ohne Licht nicht, aber schon am nächsten Morgen betauchen wir das Wrack nochmals und bekommen Buckelköpfe, weitere Zackis sowie ein traumhaftes Riff zu Gesicht, denn nach fast 60 Jahren hat sich der zerstörte Stahlrumpf in einen Ort pulsierenden Lebens verwandelt. Der zweite Tauchgang des Tages wird dem Muckdiving gewidmet: Wir suchen im Sand und Kies nach Kleinzeug. Ich entdecke winzige Krebse, mehrere Nacktschnecken und sogar einen Geisterpfeifenfisch, der fast unsichtbar zwischen den Fasern einer Alge schaukelt. Am nächsten Tag setzen wir noch einen drauf, gemeinsam erkunden wir den Tauchplatz Suci, wo hinduistische Statuen im Meer versenkt wurden und als Grundlage für ein künstliches Riff dienen. Wunderbare bunte Riffbewohner tummeln sich ohne jede Scheu direkt vor unseren Masken, große Schwärme ziehen vorbei und sogar zwei kleine Riffhaie lassen sich kurz sehen. Das Matahari Resort, wo wir spontan eingecheckt haben wird fast ausschließlich von Tauchern bewohnt; dafür ist aber wirklich jede Schattierung des bunten Tauchervolks vertreten: Anfänger und Profis, Genusstaucher und fanatische Fotografen, Sporttaucher und sogar Tekkis. Es ist ein bisschen wie am Campingplatz: Wenn man selber nichts zu tun hat, kann man sich einfach in Ruhe hinsetzen, die anderen beobachten und schlaue Kommentare abgeben: hier eben nicht übers fachgerechte Caravan-Rangieren, sondern über das Gerödel. Am besten gefällt uns ein älteres Paar, beide sicher schon in den Siebzigern. Jeden Nachmittag schlurfen die zwei Händchen haltend zum Schnorcheln, beide angetan mit stark verblichenen, leicht aus der Form geratenen Overalls inklusive Kopfhauben in rosa und hellblau. Sie erinnern ein wenig an Barbapapa und Barbamama im Kinderfernsehen der siebziger Jahre – wer die nicht mehr kennt, kann ja googeln.

Mit dem Peramabus wackeln wir wieder runter in den Süden, eine Nacht müssen wir verkehrstechnisch bedingt noch im touristischen Herzen Balis verbringen. Die engen Gassen entwickeln sich zum reinsten Spießrutenlauf: „Hello, Sir, wanna look?“, „Massage?“ „Cheap, cheap, only today!“, dröhnt es von allen Seiten auf uns ein. Die Straßen sind voller Touristen, die Läden, die die Straßen nahtlos säumen sind voller Verkäufer. Am Strand von Kuta der Overkill: Wir müssen uns durch mehrere Reihen Imbiss- und Getränkebuden kämpfen, um ans Wasser zu gelangen. Alles ist voller Menschen, das Meer voller Surfer, der Strand voller Surfgucker. Völlig unbeeindruckt schickt sich ganz weit hinten im Hintergrund die Sonne an, unterzugehen. Ich bin auch in Untergangsstimmung. Aber wie vermessen ist es, diesen schönen Platz für uns allein zu beanspruchen? Sind es nicht wir Traveller, die immer noch den letzten unberührten Fleck aufzuspüren suchen, um das Exklusivgefühl zu erleben? Die damit die Grenze immer weiter stecken? Und wenn ich mich über andere Touristen ereifere, bitte ich euch, mich nicht miss zu verstehen. Freilich sind auch wir Touristen, das ist uns schon bewusst.

Die rund vierstündige Fahrt verkürzt ein angeregtes Gespräch mit dem jungen Türken Mira, der in Berlin Kunst studiert und uns engagiert von seinen Licht- und Bewegungsinstallationen erzählt. So wie meisten anderen Reisebekanntschaften reagiert er überrascht und begeistert, als wir unsererseits erzählen, dass wir fast noch ein dreiviertel Jahr vor uns haben. Eigentlich sind alle Traveller, die wir treffen, deutlich jünger als wir – manchmal gibt uns das zu denken.

Kuta, Bali, 9.11.2019

Auf nach Bali!

Sechs Nächte haben wir in Labuan Bajo bei Cornelius, Rosi, Kuus (Jakobus) und Rita verbracht. Es war sehr gemütlich, sehr familiär, wenn auch sehr einfach, ohne A/C, dafür mit Wellblechdach und windschiefen Türen und Fenstern, Schöpfkellenklospülung und zahllosen Katzen. Eine Hütte wie in der Favela, in den steilen Hang gebaut, dass man meint, der nächste Regen schwemmt sie davon.

Zum ersten Mal auf unserer Reise bewegen wir uns nicht in Richtung Osten, sondern zurück nach Westen. Wir haben noch ein paar Tage Visumsfrist übrig und wollen diese auf Bali verbringen. Zwar ist es dort bestimmt viel touristischer, dennoch soll die Insel wieder ein ganz anderes Flair und eine andere Stimmung haben. Dann hat uns unsere Route vom muslimischen Java über das überwiegend christliche Flores zum hinduistischen Bali geführt.

Denpasar begrüßt uns eher verhalten unter einer dichten Wolkenschicht, die Regenzeit beginnt hier etwas früher als im 500km weiter östlich gelegenen Flores. Wie sich rasch herausstellt, tobt hier ein erbitterter Kampf zwischen der Taxi-Mafia und den Freelancern wie Grab, Gojek und Konsorten. Wir wollen zum Busbahnhof Perama, öffentliche Verkehrsmittel gibt es aber nicht. Am Airport verlangt der Taxler unverschämte 200000 IDR für die etwa fünf Kilometer weite Fahrt. Das sind 13 €! Als ich ihn auslache, muss er selbst mitlachen, was die Situation entspannt. Von seinem Preis weicht er trotzdem nicht ab. Wir machen uns zu Fuß auf den Weg, denn aufs Flughafengelände dürfen die Grab-Cars nicht. Keine zehn Meter draußen hält das erste Taxi, nach kurzem Verhandeln einigen wir uns auf 60000. Denpasar und das angrenzende Kuta sind ein lauter Moloch voller Abgas und mit total verstopften Straßen. Ich will sofort weg von hier. Am Busbahnhof der Firma Perama verdichtet sich unser Verdacht: Heute schaffen wir es nicht mehr nach Tulamben, aber nach Ubud, etwa in der Inselmitte geht noch ein Minibus. Ein kurzer Imbiss, dann starten wir. Die Fahrt verschlafe ich großteils. Die paar Mal, wo ich aus den Fenstern schaue, sehe ich kleine Häuschen mit kunstvollen Giebeln… in meinem Traum fahren wir über einen riesigen Friedhof mit schönen Gruften, in Wirklichkeit ist es die traditionelle Bauweise hier auf Bali. Auch Ubud ist unglaublich laut und aufdringlich. Bevor ich mir den Schlaf aus den Augen reiben und die Rucksäcke ausladen kann, haben mir schon zehn verschiedene Kerle distanzlos „Taxi, Taxi!“ ins Ohr geschrien. Schon aus Prinzip mag ich jetzt kein Taxi. Wir setzen uns erst mal in ein Lokal und trinken Balikaffee und Limejuice, während wir uns orientieren. Der Versuch, ein günstiges Grab-Auto zu rufen schlägt zweimal fehl, weil die Fahrer sich nicht in diese Gegend trauen. Einer schreibt mir noch erklärend auf der App: „Too many MafiaTaxis there, cannot come“.

Die Indonesier sind alles, aber keine Fußgänger! Schon nach ein paar Metern fällt auf, dass man kaum einen Schritt tun kann, ohne in eines der kleinen Opfer zu treten, die in jedem Hauseingang, in jeder Einfahrt, auf jeder Schwelle herumliegen: Ein paar Blüten, ein paar Reiskörner, einige Sprossen in einem Körbchen aus Bastfaser sollen die Geister und die Ahnen gewogen stimmen.
Auch in Bians Homestay wird fleißig geopfert, es gibt jede Menge Türen und Schwellen. Statt Zimmern vermietet unser Wirt Gusti kleine Häuschen im klassischen Baustil, der ganze paradiesisch schön angelegte Garten ist voll davon. Dass auf unserer Terrasse ein schrecklicher Vogelmensch und mehrere starre Masken Wache halten beruhigt uns sehr. Wir fühlen uns geborgen, wenn auch dieses Zimmer nur eine einzige Steckdose, dafür aber mehrere Geckos besitzt. Wir sind mal wieder angekommen.

Der erste Morgen auf Bali ist wunderbar. Nicht, dass ich etwas gegen Muslime hätte, aber heute hat kein einziger Muezzin unsere Träume perforiert, was auch mal schön ist. Auch die Hähne scheinen hier geradezu zurückhaltend zu sein: Das frühmorgendliche Gekrähe hatte nicht mal Zimmerlautstärke. Ausgeschlafen und erholt trete ich durch die kunstvoll geschnitzte Holztür auf unsere Terrasse – rumms, habe ich mir wieder mal den Schädel angestoßen. Wann lerne ich endlich, dass der durchschnittliche Asiat zwei bis drei Köpfe kürzer ist? Die Sonne verzaubert den ganzen Garten, tausend Blüten blühen an Sträuchern, Bäumen, Kletterpflanzen. Überall strotzt die Natur nur so vor Kraft: Ganz klar, die Regenzeit hat hier bereits vor ein paar Tagen begonnen und der Kreis des Lebens hat frischen Schwung. Ameisenstraßen schleppen Reste der Speiseopfer davon.

Auf der Suche nach dem ursprünglichen Bali rollern wir mit einem tiptop Honda Scoopy kreuz und quer durch die wunderschöne Landschaft. Ein Wasserfall soll sich hier befinden: Blangsinga. Schon am Eingang wird uns klar, dass das nicht nach unserm Geschmack ist. Betonierte Treppen, Andenkenshops, Restaurants und Cafés reihen sich neben- und übereinander; die Natur ist hier Nebensache. Offenbar ist es ein beliebter Platz für Hochzeits-und Verlobungsfotos. Viele junge Paare lassen sich von Profis ablichten, teilweise unter Einsatz von Drohnen! Der perfekte Ort für Selfiestick schwingende Chinesen, nicht aber für uns. Wir sind entsetzt, verbuchen es unter „Wieder eine Erfahrung reicher“ und treten rasch den Rückzug an. Nächste Station ist der Wassertempel Pura Tira Empuul. Nicht nur, aber doch überwiegend westliche Touris planschen mit Leihsarongs bekleidet im heiligen Wasser herum, während auch hier professionelle Fotografen den Vorgang bildlich festhalten. Mir erschließt sich die Spiritualität dieser Erfahrung nicht, vielleicht auch, weil ich meinen Kopf nicht unter die wasserspeienden Steinrohre halten mag.

Als wir den Tempelbezirk verlassen wollen, folgen wir brav den Schildern „Keluar, Exit“: Welch ein Fehler. Wir geraten in ein Labyrinth aus Andenkenläden, von allen Seiten strömen Verkäuferinnen mit ihren Scheußlichkeiten auf uns ein. Das Angebot ist wirklich ein Panoptikum der Geschmacklosigkeit, ich muss mich schämen – schließlich sind es ja wohl überwiegend westliche Touristen, die sich diese Sachen kaufen: Vom rosa Paillettentutu über den obligatorischen Strohhut („Bali – ich war da“) bis zum wurzelholzgeschnitzten Phallus mit Bieröffner ist hier alles am Start. Abermals treten wir die Flucht an. Der Parkplatzwächter führt uns nicht nur zurück zu unserem Roller (Wer kann sich schon merken, wie das Ding aussieht, wenn man alle zwei Tage ein anderes Fahrzeug hat?), sondern er gibt uns noch einen Tipp, also rein ins nächste Abenteuer: Eine Kaffee- und Gewürzplantage.

Unser dortiger Führer, ein netter junger Mann zeigt uns Arabica- und Robustakaffee, Kakao, Zimt, Jackfruit, Ananas, Avocado und Salakpalmen. Wir verkosten alle möglichen Tees und Kaffeesorten, aber das Highlight ist der Luwak. Diese Tierchen heißen auch Fleckenmusangs und fressen gern die Kaffeekirschen auf den Plantagen. Der Mensch sammelt dann die Kotbällchen dieser Schleichkatzen auf und bezeichnet das den daraus gewonnenen Kaffee als Delikatesse. Es handelt sich um eine der teuersten Sorten der Welt, aber wir finden ihn ein bisschen muffig. Zum Glück stammt hier der Kaffee von wildlebenden Musangs. Natürlich haben profitgierige Zeitgenossen vor allem auf den Philippinen die Sache auch schon pervertiert und halten bedauernswerte Käfigtiere auf engstem Raum, um sie überwiegend mit Kaffee zu füttern, was unweigerlich zu Mangelerscheinungen und Stress führt.

Schließlich fahren wir noch weiter über die Berge und suchen nach den berühmten Reisterrassen Ubuds. Das Café, wo wir rasten, ist zwar auch voller Westmenschen, aber als wir uns auf den kleinen Bergstraßen ein wenig verfahren, scheint es, dass wir dem Massentourismus entflohen sind. Wir besichtigen eine Holz- und Glaswerkstatt und genießen die wunderschöne Landschaft.

Flores, Labuan Bajo, Komodo

30.10.2019 Drei traumhafte Tauchgänge

Dieser Tag war unglaublich. Die Strömungen im Komodo-Archipel sind zum Teil extrem stark und mitunter unvorhersehbar. Vom Boot aus sahen wir riesige Strudel, auf- und absteigende Strömungen; teilweise hatte der Käpt‘n zu kämpfen, um gewisse Inseln und Felsen zu umfahren. An der Bord der Bajo II blieben für mich keine Wünsche offen. Leider nicht für meine Liebste. Sie konnte wegen ihrer Erkältung nicht mit tauchen.  Ich dagegen hatte mit Guide Akbar und Buddy Joe aus Kuala Lumpur das volle Wunschkonzert: Beim ersten Tauchgang jede Menge Schildkröten sowie zwei Mandarinfische (danke, Sander!), beim zweiten wundervolles Riffleben und zwei extrem schöne Sternschnecken, beim dritten sieben (!) Mantas, die uns eine Viertelstunde lang ein Ballett gaben.
Ich komme derzeit kaum zum Schreiben, weil wir so viel erleben. Abgesehen davon gibt es hier kaum Internet, wir leben in einer einfachen Hütte ohne WiFi. Filme folgen hoffentlich bald.

31.10.2019 Tagesausflug auf Komodo

Bei der Rangerstation am Parkeingang sammelt sich die Gruppe und wir werden belehrt, weder die Wege, noch die Gruppe zu verlassen und den Tieren nicht zu nahe zu kommen. Vier Ranger begleiten die Touristengruppe, jeder ist mit einem etwa zwei Meter langen gegabelten Stock ausgerüstet. Schon nach ein paar Minuten Wanderung erreichen wir ein Wasserloch. Die Ranger haben es angelegt, damit die Hirsche in der Dürre Wasser finden. Offenbar finden hier auch die Warane die Hirsche. Ein relativ frischer Kadaver liegt hier, vier oder fünf kleinere Echsen knabbern an der Beute: Der Torso, zwei Beine und der Kopf sind noch da. Ein etwa zweieinhalb Meter langer Komodowaran liegt im Schatten daneben und verdaut seine Mahlzeit. Die Tiere können um die 50 Kilogramm Fleisch in kurzer Zeit verschlingen, dann verdoppelt sich ihr Körpergewicht und anschließend brauchen sie ein paar Wochen nichts. Bis zu drei Monate halten sie ohne Fressen aus, sagt man uns. Aber der große Bursche hier hält nichts davon – er erhebt sich gemächlich und zerreißt mit unappetitlichen Geräuschen die Reste. Die meisten menschlichen Besucher fotografieren, immer näher rücken die Leute ans Geschehen. Die Ranger halten mit ihren Stangen die Echsen auf Abstand – vielleicht sollten sie die Astgabeln lieber an die Hälse der Touristen legen? Noch unappetitlicher finde ich diejenigen, die unter Geleitschutz der Ranger vor oder hinter dem fressenden Waran für möglichst krasse Fotos posieren. Als wir schließlich die kurze Wanderung fortsetzen, gewinnen wir einen Eindruck von dem Lebensraum hier. In dem sehr trockenen lichten Wald aus Palmen und immergrünen Blattpflanzen überqueren wir zwei ausgetrocknete Flüsse. Das Unterholz, die Gräser und Sträucher sind jetzt komplett verdorrt. Ich kann mir vorstellen, dass man in und nach der Regenzeit kaum Tiere zu Gesicht bekommt. Wir sehen ein paar der Mähnenhirsche und sogar ein Wildschwein, zuletzt in der Nähe der Rangerstation noch drei riesige Echsen, die hier den Schatten aufgesucht haben.

Kinderarbeit… und dann?

Ein immer wiederkehrendes Problem ist das Wechselgeld. Sobald man nicht im Supermarkt oder bei einer großen Kette einkauft, gibt es ständig Probleme, weil scheinbar niemand jemals Wechselgeld hat. Das ist in ganz Südostasien so, aber hier treibt der Irrsinn seltsame Blüten. Ich möchte am Strand mein Nasi Goreng, ein Wasser und ein Bier bezahlen. Es stellt sich heraus, dass die Getränke von einem anderen Warung stammen wie das Essen, kein Problem eigentlich, aber… niemand kann wechseln. Dazu kommt, dass die Leute nicht besonders gut rechnen können. Ich gebe dem Getränkemann statt 60000 Rupien 110000 und nehme mir 50000 aus seiner Hand. Er staunt und wundert sich eine Weile, bis er versteht. Die Frau, die mir den Gemüsereis gekocht hat, kann ich immer noch nicht bezahlen. Also greife ich nochmal in die Kasse des freundlichen Bier- und Wasserverkäufers. Ich gebe ihm die 50000 von vorhin, nehme mir 25000 und erkläre ihm, dass er seiner Kollegin morgen denselben Betrag geben soll. Alle lachen und freuen sich. Von alleine wären sie wohl nicht so schnell auf diese Lösung gekommen.

„Hello, where do you come from? Want to buy a blanket/bracelet/T-Shirt, please?“ Überall an den Stränden trifft man sie, die Frauen und vor allem Kinder, die einem den Strandaufenthalt geradezu vermiesen können. Jetzt in der Nebensaison stimmt das Zahlenverhältnis überhaupt nicht, auf jeden Touristen kommt mindestens ein Verkäufer, gefühlt eher fünf. Obwohl der indonesische Staat Schulbildung für alle Kinder gewährleistet und Schulpflicht besteht, müssen von den Familien hohe Kosten für Bücher und Schuluniformen getragen werden. So manches Kind besucht nur die Grundschule, die Eltern schicken ihre Kinder an den Strand, um Souvenirs zu verkaufen. Die Kinder haben eine erfolgreiche Masche ersonnen: Sie verwickeln die westlichen Touris in Gespräche nach dem Motto: „Sag mir ein Land, und ich sage dir die Hauptstadt.“ Das Spiel ist für ein Weilchen amüsant, aber irgendwann wird dann doch die Ware ausgepackt. „Ich brauche das Schulgeld“, oder: „Ich muss den Bus zur Schule bezahlen“, sagen sie, um ein paar Armbänder zu verkaufen. Es fällt uns schwer, abzulehnen. Aber wer hier kauft, verhindert, dass die Kinder zur Schule gehen und sich auf die lange Sicht andere Erwerbsmöglichkeiten erschließen. Oder wie würdest du reagieren?

Stets auf der Suche nach Ausgleichsmöglichkeiten für unser schlechtes Klimagewissen, sind wir heute auf ein wirklich schönes Projekt gestoßen: Die Batubambu Kids Foundation. Da die Initiative ganz in der Nähe von unserem Hostel ansässig ist, fahren wir kurzentschlossen hin, um uns ein Bild zu machen. Mukla, ein freundlicher junger Mann erklärt uns, was das Projekt macht und welche Ziele verfolgt werden: Bildung für Kinder mit einem ökologischen Hintergrund und unter Berücksichtigung traditioneller einheimischer Techniken. Den Großteil seiner Einnahmen generiert ein (recht hochpreisiges) Surferhotel, jedes der Zimmer trägt den Namen eines Schülers oder einer Schülerin, für deren Ausbildung das Projekt aufkommt. Darüber hinaus tragen Spenden zur Finanzierungbei. Am wöchentlichen Kids Day haben Kinder aus der Nachbarschaft die Möglichkeit, Englisch zu lernen, zu musizieren, Spaß zu haben. Nachhaltigkeit und Umweltschutz gehören auch zum Programm; so wird derzeit ein Plastik-Recyclinghof gebaut und das Sammeln von Plastikmüll in der Umgebung gehört auch zu den Kid’s Days.

Lombok, Kuta, 28.10.2019

Strandparadiese in Kuta, Lombok

Der Roller hat keinen Tacho, die Verschlüsse unserer Helme sind so rostig, dass man sie zwar schließen, aber kaum mehr öffnen kann, die Vorderbremse stottert so arg, dass ich beim Festhalten des Lenkers fast Krämpfe bekomme, die Hinterbremse geht dafür gar nicht. Aber einen Vorteil hat der Leihroller, wie mir unser Hauswirt erklärt: Er ist nicht versichert, also auch besonders günstig: 50000 Rupien, rund 3€ pro Tag. Jedenfalls bringt er uns bei überaus vorsichtiger Fahrweise über die kleinen Bergstraßen zu den benachbarten Stränden.

Die Kraft des indischen Ozeans ist im wahrsten Sinne des Wortes überwältigend. Wenn ich am Mawun Beach knietief in der Brandung stehe, zieht mir das Wasser kurz bevor die Welle kommt die Füße weg. Anschließend überspült mich ein gigantischer Schwall und drückt mich auf den Boden. Das Wasser ist in der Brandung doppelt so schwer wie normal, denn es trägt jede Menge hochgewirbelten Sand mit. Wer durch die ersten beiden Wellenberge hindurchtaucht, findet sich in gut schwimmbarem Wasser – aber aufgepasst: Je nachdem, ob Ebbe oder Flut herrscht, zieht die Strömung mächtig heraus oder drückt hinein.

Die meisten Strände hier an der Südküste von Lombok liegen jeweils innerhalb eines Halbkreises aus kleinen Bergen. Wie ein gigantisches Hufeisen umschließen die Felsen eine Bucht, an der Basis liegt ein zig Meter breiter, mehrere Kilometer langer schneeweißer Sandstrand. Wir haben folgende besucht: Mandalika (riesig, seicht, ausreichend Infrastruktur), Tanjung Aan (riesig, seicht, viele Strandbuden), Mawun (Bilderbuchstrand, rasch tiefer werdend mit sehr starker Strömung und Brandung, auch einige Strandbuden), Selong Belanak (…)

Hier ist ein Paradies für Surfer; jedes zweite Moped hat eine Surfbretthalterung angeschraubt. Einfache bis mittelpreisige Unterkünfte gibt es in Mengen, sogar einige hochpreisige, die für uns nicht annähernd in Frage kommen. Der indonesische Staat hat hier offenbar ein gigantisches Infrastrukturprojekt angestoßen: Während sich die Hauptstraße kurvig und schlecht asphaltiert abseits der Küste durch die Berge schlängelt, sind die Stichstraßen zu den Stränden ausgebaut wie kleine Autobahnen. Hier sind Bauplätze für Wohnanlagen und Parkplätze für zigtausend Feriengäste errichtet worden. Die Region ist nicht nur bei westlichen Touristen beliebt, sondern auch bei vielen Indonesiern. Überall wird gebaut, viele Resorts und Geschäfte entstehen neu. Ich frage mich bloß, wo das Süßwasser für derart viele Menschen herkommen soll. Jetzt, gegen Ende der Trockenzeit sieht die Landschaft aus wie eine Halbwüste. Überdies sind Arbeiter an einigen Stellen damit beschäftigt, den kärglichen Bewuchs zu roden und an den Flanken der staubtrockenen Berge kokeln immer wieder Buschbrände.

Kuta, Lombok, 27.10.2019