Taucherträume werden wahr

Tulamben ist wirklich ein Traumspot für Taucher. Ehrlich gesagt, außer tauchen kann man hier auch nicht viel tun. Essen vielleicht und Bier trinken. Wir haben es wie üblich gehalten und sind mit dem günstigen lokalen Perama Bus bis zur Endstation der Linie gefahren. Diese Reise führte uns einmal quer über die Insel durch spektakuläre Landschaften mit grünen Reisterrassen und über die Serpentinen hinauf und hinunter entlang der teilweise ziemlich schroffen Abhänge des Vulkans Agung. Mit 3142 Metern Höhe ist der Agung kein kleiner, zumal er fast von Meereshöhe hinaufragt. Als wir direkt darauf zu fahren, ist er ist so groß, dass er nicht in die Frontscheibe unseres altersschwachen Busses passt.

Übrigens ist der Agung zuletzt im April dieses Jahres ausgebrochen. Tulamben wird immer wieder evakuiert, wenn er brodelt, wir sind nur zwölf Kilometer vom Krater entfernt. Am und im Wasser hat der Vulkanismus ebenfalls deutliche Spuren hinterlassen: Der Strand besteht aus größeren und kleinen runden schwarzen und grauen Kieseln, unter Wasser gibt es eine riesige Halde aus schwarzem Sand. Hier leben nicht nur große Fische wie Zackenbarsche, Buckelkopf-Papageifische, kleinere Haie, gelegentlich Mantas und Mondfische sowie alle Sorten bunter Riffbewohner, sondern auch sehr viele winzige sogenannte Critters; winzige Krebschen, Nacktkiemerschnecken, Pygmäenseepferdchen und viele andere Helden der Makrofotografie. Bekannt ist der Spot außerdem für das Wrack der USAT Liberty, eines amerikanischen Frachters, der 1942 von einem japanischen U-Boot torpediert wurde. Damals konnte er noch zur Küste geschleppt werden und lag dann jahrelang am Strand. Das Schiff wurde geplündert und es verfiel immer mehr. Bei einem Ausbruch des Agung im Jahr 1963 rutschte das Schiff vom Strand in die Balisee und fand so seinen derzeitigen Platz auf der Seite liegend parallel zum Strand.

Nach meinem Nachttauchgang an der Liberty schreibe ich zahlreiche Zackenbarsche, mehrere Humpheads und eine riesige frei schwimmende Muräne in mein Logbuch. Fotografieren kann ich ohne Licht nicht, aber schon am nächsten Morgen betauchen wir das Wrack nochmals und bekommen Buckelköpfe, weitere Zackis sowie ein traumhaftes Riff zu Gesicht, denn nach fast 60 Jahren hat sich der zerstörte Stahlrumpf in einen Ort pulsierenden Lebens verwandelt. Der zweite Tauchgang des Tages wird dem Muckdiving gewidmet: Wir suchen im Sand und Kies nach Kleinzeug. Ich entdecke winzige Krebse, mehrere Nacktschnecken und sogar einen Geisterpfeifenfisch, der fast unsichtbar zwischen den Fasern einer Alge schaukelt. Am nächsten Tag setzen wir noch einen drauf, gemeinsam erkunden wir den Tauchplatz Suci, wo hinduistische Statuen im Meer versenkt wurden und als Grundlage für ein künstliches Riff dienen. Wunderbare bunte Riffbewohner tummeln sich ohne jede Scheu direkt vor unseren Masken, große Schwärme ziehen vorbei und sogar zwei kleine Riffhaie lassen sich kurz sehen. Das Matahari Resort, wo wir spontan eingecheckt haben wird fast ausschließlich von Tauchern bewohnt; dafür ist aber wirklich jede Schattierung des bunten Tauchervolks vertreten: Anfänger und Profis, Genusstaucher und fanatische Fotografen, Sporttaucher und sogar Tekkis. Es ist ein bisschen wie am Campingplatz: Wenn man selber nichts zu tun hat, kann man sich einfach in Ruhe hinsetzen, die anderen beobachten und schlaue Kommentare abgeben: hier eben nicht übers fachgerechte Caravan-Rangieren, sondern über das Gerödel. Am besten gefällt uns ein älteres Paar, beide sicher schon in den Siebzigern. Jeden Nachmittag schlurfen die zwei Händchen haltend zum Schnorcheln, beide angetan mit stark verblichenen, leicht aus der Form geratenen Overalls inklusive Kopfhauben in rosa und hellblau. Sie erinnern ein wenig an Barbapapa und Barbamama im Kinderfernsehen der siebziger Jahre – wer die nicht mehr kennt, kann ja googeln.

Mit dem Peramabus wackeln wir wieder runter in den Süden, eine Nacht müssen wir verkehrstechnisch bedingt noch im touristischen Herzen Balis verbringen. Die engen Gassen entwickeln sich zum reinsten Spießrutenlauf: „Hello, Sir, wanna look?“, „Massage?“ „Cheap, cheap, only today!“, dröhnt es von allen Seiten auf uns ein. Die Straßen sind voller Touristen, die Läden, die die Straßen nahtlos säumen sind voller Verkäufer. Am Strand von Kuta der Overkill: Wir müssen uns durch mehrere Reihen Imbiss- und Getränkebuden kämpfen, um ans Wasser zu gelangen. Alles ist voller Menschen, das Meer voller Surfer, der Strand voller Surfgucker. Völlig unbeeindruckt schickt sich ganz weit hinten im Hintergrund die Sonne an, unterzugehen. Ich bin auch in Untergangsstimmung. Aber wie vermessen ist es, diesen schönen Platz für uns allein zu beanspruchen? Sind es nicht wir Traveller, die immer noch den letzten unberührten Fleck aufzuspüren suchen, um das Exklusivgefühl zu erleben? Die damit die Grenze immer weiter stecken? Und wenn ich mich über andere Touristen ereifere, bitte ich euch, mich nicht miss zu verstehen. Freilich sind auch wir Touristen, das ist uns schon bewusst.

Die rund vierstündige Fahrt verkürzt ein angeregtes Gespräch mit dem jungen Türken Mira, der in Berlin Kunst studiert und uns engagiert von seinen Licht- und Bewegungsinstallationen erzählt. So wie meisten anderen Reisebekanntschaften reagiert er überrascht und begeistert, als wir unsererseits erzählen, dass wir fast noch ein dreiviertel Jahr vor uns haben. Eigentlich sind alle Traveller, die wir treffen, deutlich jünger als wir – manchmal gibt uns das zu denken.

Kuta, Bali, 9.11.2019

Auf nach Bali!

Sechs Nächte haben wir in Labuan Bajo bei Cornelius, Rosi, Kuus (Jakobus) und Rita verbracht. Es war sehr gemütlich, sehr familiär, wenn auch sehr einfach, ohne A/C, dafür mit Wellblechdach und windschiefen Türen und Fenstern, Schöpfkellenklospülung und zahllosen Katzen. Eine Hütte wie in der Favela, in den steilen Hang gebaut, dass man meint, der nächste Regen schwemmt sie davon.

Zum ersten Mal auf unserer Reise bewegen wir uns nicht in Richtung Osten, sondern zurück nach Westen. Wir haben noch ein paar Tage Visumsfrist übrig und wollen diese auf Bali verbringen. Zwar ist es dort bestimmt viel touristischer, dennoch soll die Insel wieder ein ganz anderes Flair und eine andere Stimmung haben. Dann hat uns unsere Route vom muslimischen Java über das überwiegend christliche Flores zum hinduistischen Bali geführt.

Denpasar begrüßt uns eher verhalten unter einer dichten Wolkenschicht, die Regenzeit beginnt hier etwas früher als im 500km weiter östlich gelegenen Flores. Wie sich rasch herausstellt, tobt hier ein erbitterter Kampf zwischen der Taxi-Mafia und den Freelancern wie Grab, Gojek und Konsorten. Wir wollen zum Busbahnhof Perama, öffentliche Verkehrsmittel gibt es aber nicht. Am Airport verlangt der Taxler unverschämte 200000 IDR für die etwa fünf Kilometer weite Fahrt. Das sind 13 €! Als ich ihn auslache, muss er selbst mitlachen, was die Situation entspannt. Von seinem Preis weicht er trotzdem nicht ab. Wir machen uns zu Fuß auf den Weg, denn aufs Flughafengelände dürfen die Grab-Cars nicht. Keine zehn Meter draußen hält das erste Taxi, nach kurzem Verhandeln einigen wir uns auf 60000. Denpasar und das angrenzende Kuta sind ein lauter Moloch voller Abgas und mit total verstopften Straßen. Ich will sofort weg von hier. Am Busbahnhof der Firma Perama verdichtet sich unser Verdacht: Heute schaffen wir es nicht mehr nach Tulamben, aber nach Ubud, etwa in der Inselmitte geht noch ein Minibus. Ein kurzer Imbiss, dann starten wir. Die Fahrt verschlafe ich großteils. Die paar Mal, wo ich aus den Fenstern schaue, sehe ich kleine Häuschen mit kunstvollen Giebeln… in meinem Traum fahren wir über einen riesigen Friedhof mit schönen Gruften, in Wirklichkeit ist es die traditionelle Bauweise hier auf Bali. Auch Ubud ist unglaublich laut und aufdringlich. Bevor ich mir den Schlaf aus den Augen reiben und die Rucksäcke ausladen kann, haben mir schon zehn verschiedene Kerle distanzlos „Taxi, Taxi!“ ins Ohr geschrien. Schon aus Prinzip mag ich jetzt kein Taxi. Wir setzen uns erst mal in ein Lokal und trinken Balikaffee und Limejuice, während wir uns orientieren. Der Versuch, ein günstiges Grab-Auto zu rufen schlägt zweimal fehl, weil die Fahrer sich nicht in diese Gegend trauen. Einer schreibt mir noch erklärend auf der App: „Too many MafiaTaxis there, cannot come“.

Die Indonesier sind alles, aber keine Fußgänger! Schon nach ein paar Metern fällt auf, dass man kaum einen Schritt tun kann, ohne in eines der kleinen Opfer zu treten, die in jedem Hauseingang, in jeder Einfahrt, auf jeder Schwelle herumliegen: Ein paar Blüten, ein paar Reiskörner, einige Sprossen in einem Körbchen aus Bastfaser sollen die Geister und die Ahnen gewogen stimmen.
Auch in Bians Homestay wird fleißig geopfert, es gibt jede Menge Türen und Schwellen. Statt Zimmern vermietet unser Wirt Gusti kleine Häuschen im klassischen Baustil, der ganze paradiesisch schön angelegte Garten ist voll davon. Dass auf unserer Terrasse ein schrecklicher Vogelmensch und mehrere starre Masken Wache halten beruhigt uns sehr. Wir fühlen uns geborgen, wenn auch dieses Zimmer nur eine einzige Steckdose, dafür aber mehrere Geckos besitzt. Wir sind mal wieder angekommen.

Der erste Morgen auf Bali ist wunderbar. Nicht, dass ich etwas gegen Muslime hätte, aber heute hat kein einziger Muezzin unsere Träume perforiert, was auch mal schön ist. Auch die Hähne scheinen hier geradezu zurückhaltend zu sein: Das frühmorgendliche Gekrähe hatte nicht mal Zimmerlautstärke. Ausgeschlafen und erholt trete ich durch die kunstvoll geschnitzte Holztür auf unsere Terrasse – rumms, habe ich mir wieder mal den Schädel angestoßen. Wann lerne ich endlich, dass der durchschnittliche Asiat zwei bis drei Köpfe kürzer ist? Die Sonne verzaubert den ganzen Garten, tausend Blüten blühen an Sträuchern, Bäumen, Kletterpflanzen. Überall strotzt die Natur nur so vor Kraft: Ganz klar, die Regenzeit hat hier bereits vor ein paar Tagen begonnen und der Kreis des Lebens hat frischen Schwung. Ameisenstraßen schleppen Reste der Speiseopfer davon.

Auf der Suche nach dem ursprünglichen Bali rollern wir mit einem tiptop Honda Scoopy kreuz und quer durch die wunderschöne Landschaft. Ein Wasserfall soll sich hier befinden: Blangsinga. Schon am Eingang wird uns klar, dass das nicht nach unserm Geschmack ist. Betonierte Treppen, Andenkenshops, Restaurants und Cafés reihen sich neben- und übereinander; die Natur ist hier Nebensache. Offenbar ist es ein beliebter Platz für Hochzeits-und Verlobungsfotos. Viele junge Paare lassen sich von Profis ablichten, teilweise unter Einsatz von Drohnen! Der perfekte Ort für Selfiestick schwingende Chinesen, nicht aber für uns. Wir sind entsetzt, verbuchen es unter „Wieder eine Erfahrung reicher“ und treten rasch den Rückzug an. Nächste Station ist der Wassertempel Pura Tira Empuul. Nicht nur, aber doch überwiegend westliche Touris planschen mit Leihsarongs bekleidet im heiligen Wasser herum, während auch hier professionelle Fotografen den Vorgang bildlich festhalten. Mir erschließt sich die Spiritualität dieser Erfahrung nicht, vielleicht auch, weil ich meinen Kopf nicht unter die wasserspeienden Steinrohre halten mag.

Als wir den Tempelbezirk verlassen wollen, folgen wir brav den Schildern „Keluar, Exit“: Welch ein Fehler. Wir geraten in ein Labyrinth aus Andenkenläden, von allen Seiten strömen Verkäuferinnen mit ihren Scheußlichkeiten auf uns ein. Das Angebot ist wirklich ein Panoptikum der Geschmacklosigkeit, ich muss mich schämen – schließlich sind es ja wohl überwiegend westliche Touristen, die sich diese Sachen kaufen: Vom rosa Paillettentutu über den obligatorischen Strohhut („Bali – ich war da“) bis zum wurzelholzgeschnitzten Phallus mit Bieröffner ist hier alles am Start. Abermals treten wir die Flucht an. Der Parkplatzwächter führt uns nicht nur zurück zu unserem Roller (Wer kann sich schon merken, wie das Ding aussieht, wenn man alle zwei Tage ein anderes Fahrzeug hat?), sondern er gibt uns noch einen Tipp, also rein ins nächste Abenteuer: Eine Kaffee- und Gewürzplantage.

Unser dortiger Führer, ein netter junger Mann zeigt uns Arabica- und Robustakaffee, Kakao, Zimt, Jackfruit, Ananas, Avocado und Salakpalmen. Wir verkosten alle möglichen Tees und Kaffeesorten, aber das Highlight ist der Luwak. Diese Tierchen heißen auch Fleckenmusangs und fressen gern die Kaffeekirschen auf den Plantagen. Der Mensch sammelt dann die Kotbällchen dieser Schleichkatzen auf und bezeichnet das den daraus gewonnenen Kaffee als Delikatesse. Es handelt sich um eine der teuersten Sorten der Welt, aber wir finden ihn ein bisschen muffig. Zum Glück stammt hier der Kaffee von wildlebenden Musangs. Natürlich haben profitgierige Zeitgenossen vor allem auf den Philippinen die Sache auch schon pervertiert und halten bedauernswerte Käfigtiere auf engstem Raum, um sie überwiegend mit Kaffee zu füttern, was unweigerlich zu Mangelerscheinungen und Stress führt.

Schließlich fahren wir noch weiter über die Berge und suchen nach den berühmten Reisterrassen Ubuds. Das Café, wo wir rasten, ist zwar auch voller Westmenschen, aber als wir uns auf den kleinen Bergstraßen ein wenig verfahren, scheint es, dass wir dem Massentourismus entflohen sind. Wir besichtigen eine Holz- und Glaswerkstatt und genießen die wunderschöne Landschaft.

Flores, Labuan Bajo, Komodo

30.10.2019 Drei traumhafte Tauchgänge

Dieser Tag war unglaublich. Die Strömungen im Komodo-Archipel sind zum Teil extrem stark und mitunter unvorhersehbar. Vom Boot aus sahen wir riesige Strudel, auf- und absteigende Strömungen; teilweise hatte der Käpt‘n zu kämpfen, um gewisse Inseln und Felsen zu umfahren. An der Bord der Bajo II blieben für mich keine Wünsche offen. Leider nicht für meine Liebste. Sie konnte wegen ihrer Erkältung nicht mit tauchen.  Ich dagegen hatte mit Guide Akbar und Buddy Joe aus Kuala Lumpur das volle Wunschkonzert: Beim ersten Tauchgang jede Menge Schildkröten sowie zwei Mandarinfische (danke, Sander!), beim zweiten wundervolles Riffleben und zwei extrem schöne Sternschnecken, beim dritten sieben (!) Mantas, die uns eine Viertelstunde lang ein Ballett gaben.
Ich komme derzeit kaum zum Schreiben, weil wir so viel erleben. Abgesehen davon gibt es hier kaum Internet, wir leben in einer einfachen Hütte ohne WiFi. Filme folgen hoffentlich bald.

31.10.2019 Tagesausflug auf Komodo

Bei der Rangerstation am Parkeingang sammelt sich die Gruppe und wir werden belehrt, weder die Wege, noch die Gruppe zu verlassen und den Tieren nicht zu nahe zu kommen. Vier Ranger begleiten die Touristengruppe, jeder ist mit einem etwa zwei Meter langen gegabelten Stock ausgerüstet. Schon nach ein paar Minuten Wanderung erreichen wir ein Wasserloch. Die Ranger haben es angelegt, damit die Hirsche in der Dürre Wasser finden. Offenbar finden hier auch die Warane die Hirsche. Ein relativ frischer Kadaver liegt hier, vier oder fünf kleinere Echsen knabbern an der Beute: Der Torso, zwei Beine und der Kopf sind noch da. Ein etwa zweieinhalb Meter langer Komodowaran liegt im Schatten daneben und verdaut seine Mahlzeit. Die Tiere können um die 50 Kilogramm Fleisch in kurzer Zeit verschlingen, dann verdoppelt sich ihr Körpergewicht und anschließend brauchen sie ein paar Wochen nichts. Bis zu drei Monate halten sie ohne Fressen aus, sagt man uns. Aber der große Bursche hier hält nichts davon – er erhebt sich gemächlich und zerreißt mit unappetitlichen Geräuschen die Reste. Die meisten menschlichen Besucher fotografieren, immer näher rücken die Leute ans Geschehen. Die Ranger halten mit ihren Stangen die Echsen auf Abstand – vielleicht sollten sie die Astgabeln lieber an die Hälse der Touristen legen? Noch unappetitlicher finde ich diejenigen, die unter Geleitschutz der Ranger vor oder hinter dem fressenden Waran für möglichst krasse Fotos posieren. Als wir schließlich die kurze Wanderung fortsetzen, gewinnen wir einen Eindruck von dem Lebensraum hier. In dem sehr trockenen lichten Wald aus Palmen und immergrünen Blattpflanzen überqueren wir zwei ausgetrocknete Flüsse. Das Unterholz, die Gräser und Sträucher sind jetzt komplett verdorrt. Ich kann mir vorstellen, dass man in und nach der Regenzeit kaum Tiere zu Gesicht bekommt. Wir sehen ein paar der Mähnenhirsche und sogar ein Wildschwein, zuletzt in der Nähe der Rangerstation noch drei riesige Echsen, die hier den Schatten aufgesucht haben.

Kinderarbeit… und dann?

Ein immer wiederkehrendes Problem ist das Wechselgeld. Sobald man nicht im Supermarkt oder bei einer großen Kette einkauft, gibt es ständig Probleme, weil scheinbar niemand jemals Wechselgeld hat. Das ist in ganz Südostasien so, aber hier treibt der Irrsinn seltsame Blüten. Ich möchte am Strand mein Nasi Goreng, ein Wasser und ein Bier bezahlen. Es stellt sich heraus, dass die Getränke von einem anderen Warung stammen wie das Essen, kein Problem eigentlich, aber… niemand kann wechseln. Dazu kommt, dass die Leute nicht besonders gut rechnen können. Ich gebe dem Getränkemann statt 60000 Rupien 110000 und nehme mir 50000 aus seiner Hand. Er staunt und wundert sich eine Weile, bis er versteht. Die Frau, die mir den Gemüsereis gekocht hat, kann ich immer noch nicht bezahlen. Also greife ich nochmal in die Kasse des freundlichen Bier- und Wasserverkäufers. Ich gebe ihm die 50000 von vorhin, nehme mir 25000 und erkläre ihm, dass er seiner Kollegin morgen denselben Betrag geben soll. Alle lachen und freuen sich. Von alleine wären sie wohl nicht so schnell auf diese Lösung gekommen.

„Hello, where do you come from? Want to buy a blanket/bracelet/T-Shirt, please?“ Überall an den Stränden trifft man sie, die Frauen und vor allem Kinder, die einem den Strandaufenthalt geradezu vermiesen können. Jetzt in der Nebensaison stimmt das Zahlenverhältnis überhaupt nicht, auf jeden Touristen kommt mindestens ein Verkäufer, gefühlt eher fünf. Obwohl der indonesische Staat Schulbildung für alle Kinder gewährleistet und Schulpflicht besteht, müssen von den Familien hohe Kosten für Bücher und Schuluniformen getragen werden. So manches Kind besucht nur die Grundschule, die Eltern schicken ihre Kinder an den Strand, um Souvenirs zu verkaufen. Die Kinder haben eine erfolgreiche Masche ersonnen: Sie verwickeln die westlichen Touris in Gespräche nach dem Motto: „Sag mir ein Land, und ich sage dir die Hauptstadt.“ Das Spiel ist für ein Weilchen amüsant, aber irgendwann wird dann doch die Ware ausgepackt. „Ich brauche das Schulgeld“, oder: „Ich muss den Bus zur Schule bezahlen“, sagen sie, um ein paar Armbänder zu verkaufen. Es fällt uns schwer, abzulehnen. Aber wer hier kauft, verhindert, dass die Kinder zur Schule gehen und sich auf die lange Sicht andere Erwerbsmöglichkeiten erschließen. Oder wie würdest du reagieren?

Stets auf der Suche nach Ausgleichsmöglichkeiten für unser schlechtes Klimagewissen, sind wir heute auf ein wirklich schönes Projekt gestoßen: Die Batubambu Kids Foundation. Da die Initiative ganz in der Nähe von unserem Hostel ansässig ist, fahren wir kurzentschlossen hin, um uns ein Bild zu machen. Mukla, ein freundlicher junger Mann erklärt uns, was das Projekt macht und welche Ziele verfolgt werden: Bildung für Kinder mit einem ökologischen Hintergrund und unter Berücksichtigung traditioneller einheimischer Techniken. Den Großteil seiner Einnahmen generiert ein (recht hochpreisiges) Surferhotel, jedes der Zimmer trägt den Namen eines Schülers oder einer Schülerin, für deren Ausbildung das Projekt aufkommt. Darüber hinaus tragen Spenden zur Finanzierungbei. Am wöchentlichen Kids Day haben Kinder aus der Nachbarschaft die Möglichkeit, Englisch zu lernen, zu musizieren, Spaß zu haben. Nachhaltigkeit und Umweltschutz gehören auch zum Programm; so wird derzeit ein Plastik-Recyclinghof gebaut und das Sammeln von Plastikmüll in der Umgebung gehört auch zu den Kid’s Days.

Lombok, Kuta, 28.10.2019

Strandparadiese in Kuta, Lombok

Der Roller hat keinen Tacho, die Verschlüsse unserer Helme sind so rostig, dass man sie zwar schließen, aber kaum mehr öffnen kann, die Vorderbremse stottert so arg, dass ich beim Festhalten des Lenkers fast Krämpfe bekomme, die Hinterbremse geht dafür gar nicht. Aber einen Vorteil hat der Leihroller, wie mir unser Hauswirt erklärt: Er ist nicht versichert, also auch besonders günstig: 50000 Rupien, rund 3€ pro Tag. Jedenfalls bringt er uns bei überaus vorsichtiger Fahrweise über die kleinen Bergstraßen zu den benachbarten Stränden.

Die Kraft des indischen Ozeans ist im wahrsten Sinne des Wortes überwältigend. Wenn ich am Mawun Beach knietief in der Brandung stehe, zieht mir das Wasser kurz bevor die Welle kommt die Füße weg. Anschließend überspült mich ein gigantischer Schwall und drückt mich auf den Boden. Das Wasser ist in der Brandung doppelt so schwer wie normal, denn es trägt jede Menge hochgewirbelten Sand mit. Wer durch die ersten beiden Wellenberge hindurchtaucht, findet sich in gut schwimmbarem Wasser – aber aufgepasst: Je nachdem, ob Ebbe oder Flut herrscht, zieht die Strömung mächtig heraus oder drückt hinein.

Die meisten Strände hier an der Südküste von Lombok liegen jeweils innerhalb eines Halbkreises aus kleinen Bergen. Wie ein gigantisches Hufeisen umschließen die Felsen eine Bucht, an der Basis liegt ein zig Meter breiter, mehrere Kilometer langer schneeweißer Sandstrand. Wir haben folgende besucht: Mandalika (riesig, seicht, ausreichend Infrastruktur), Tanjung Aan (riesig, seicht, viele Strandbuden), Mawun (Bilderbuchstrand, rasch tiefer werdend mit sehr starker Strömung und Brandung, auch einige Strandbuden), Selong Belanak (…)

Hier ist ein Paradies für Surfer; jedes zweite Moped hat eine Surfbretthalterung angeschraubt. Einfache bis mittelpreisige Unterkünfte gibt es in Mengen, sogar einige hochpreisige, die für uns nicht annähernd in Frage kommen. Der indonesische Staat hat hier offenbar ein gigantisches Infrastrukturprojekt angestoßen: Während sich die Hauptstraße kurvig und schlecht asphaltiert abseits der Küste durch die Berge schlängelt, sind die Stichstraßen zu den Stränden ausgebaut wie kleine Autobahnen. Hier sind Bauplätze für Wohnanlagen und Parkplätze für zigtausend Feriengäste errichtet worden. Die Region ist nicht nur bei westlichen Touristen beliebt, sondern auch bei vielen Indonesiern. Überall wird gebaut, viele Resorts und Geschäfte entstehen neu. Ich frage mich bloß, wo das Süßwasser für derart viele Menschen herkommen soll. Jetzt, gegen Ende der Trockenzeit sieht die Landschaft aus wie eine Halbwüste. Überdies sind Arbeiter an einigen Stellen damit beschäftigt, den kärglichen Bewuchs zu roden und an den Flanken der staubtrockenen Berge kokeln immer wieder Buschbrände.

Kuta, Lombok, 27.10.2019

Gili Air

Welch eine Ankunft! Nach dem Tauchen lassen wir uns von Akok, unserem Tauchguide und Skipper, gleich auf Gili Air absetzen. Unter Wasser haben wir beste Sichtweiten um die 20 Meter und die reinste Schildkrötensuppe, bestimmt ein Dutzend pro Tauchgang.

Die Turtles sind gar nicht scheu, sie lassen uns sehr nahe herankommen, so dass wir sie beobachten können solange wir wollen. Auch sonst ist das Riff gut bestückt mit Zackenbarsch, Doktorfisch, Falterfisch, Schnapper, Kaiser, Barbe, Papageifisch, Sepie, Oktopus. Lange beobachte ich die Wächtergrundeln. Sie leben in Symbiose mit einem Knallkrebs, der selbst fast blind in seinem Gang hockt, an welchem er unermüdlich baut. Die Grundeln passen auf – sobald ein Fressfeind naht, warnen sie ihren Hauswirt und die ganze Gemeinschaft verschwindet blitzschnell im Loch.

Die Korallen sind weitgehend intakt, wenn auch einige Bruchstücke herumliegen. Diese stammen nicht vom Dynamitfischen oder vom unvorsichtigen Ankern, sondern von heftigen Stürmen. Die Strömungen hier sind schon ohne Sturm beachtlich; der Name des Tauchplatzes „Turbo“ spricht Bände.

Die Insel ist klein, man kann sie in einer guten Stunde umwandern. Im Südosten ist das meiste zugebaut, im Norden und Westen ist etwas Platz geblieben. Im Vergleich zu Gili Trebangan (Partyinsel) und Gili Meno (sehr ruhig) ist hier für jeden etwas dabei. Man kann rudimentär einkaufen, es gibt verschiedene Tauchbasen und in der Inselmitte ein paar Warungs, wo man noch  günstig essen kann. An der Strandpromenade ist es natürlich immer teurer.

Kleine Ponykutschen erfüllen hier die Funktion der Tuktuks – es gibt keine Autos oder Mopeds, nur rostige Fahrräder und ein paar Elektroroller. Was soll ich schreiben? Es ist paradiesisch schön hier, zum Glück sind die Resorts und Homestays nicht mal zu einem Viertel belegt. So haben wir viel Ruhe und den Strand weitgehend für uns. Robinsonfeeling will hier allerdings nicht aufkommen, dafür ist es zu sehr bebaut.

Die geschwätzigen Geckos unterhalten sich nachts direkt vor unserer Terassentür. Jetzt weiß ich auch, woher der Name Gecko kommt: Der Ruf klingt genauso: Gek-Ko! Von Zimmerlautstärke haben die Burschen anscheinend noch nichts gehört. Aber man gewöhnt sich schnell an die unterschiedlichen Nachtgeräusche. Selbst der Gesang des Inselmuezzin stört uns nun nicht mehr. Wir drehen uns einfach um und schlafen weiter, wenn sein Gebetsruf früh um vier erklingt. Zwar wird dieser auch hier elektrisch verstärkt, aber die Lautsprecher klingen längst nicht so blechern und übersteuert wie zuletzt in Jakarta.

Lombok

Lombok kommt meiner Vorstellung vom Paradies schon sehr nahe. Das Äquatorialklima lässt die Sonne scheinen, ein Traumstrand reiht sich an den andern: Weißer, roter, schwarzer Sand, alles da. Wir leihen uns einen Roller und erkunden die Gegend nördlich von Sengigi, wo wir eine saubere Unterkunft zu einem fairen Preis gefunden haben. Die Aussicht vom Malimbu Hill und den anderen Aussichtspunkten ist traumhaft, das Fahren auf der kurvigen Küstenstraße ein Genuss.

Am Pantai Nipah halten wir an und lassen uns zum Frühstück einen Fisch grillen. Dieser Strand ist genau nach unserem Geschmack: Sehr wenig Menschen, aber doch genug Infrastruktur, um Getränke zu kaufen. Weißer Puderzuckersand klebt zwar immer überall und ist deshalb für mich nicht unbedingt ein Muss – aber wenn er schon da ist… Wichtiger sind mir die vorgelagerten Riffe: Superschön. Beim Schnorcheln sehe ich Kugelfische, einen Rotfeuerfisch, blaue Seesterne, Doktor- und Nasenfische… alles auf Armlänge. Unbeschreiblich. Kaum Plastikmüll, weder im Riff, noch am Strand. Nur die kleinen Korallenbruchstücke erinnern an unrühmliche Zeiten, als hier noch mit Dynamit gefischt wurde.

Beim Schnorcheln haben wir heute zwar wieder keine Schildkröten gesehen, und das Sediment war auch etwas stärker aufgewirbelt als gestern, aber: Den Fisch, den wir heute aßen, haben wir uns bei Eddy in der Eisbox ausgesucht und eine halbe Stunde später war er fertig. Frischer und leckerer geht’s nicht. Der Mann hat eine liebe, fleißige Frau, die gut kochen kann, ansonsten lässt er es ruhig angehen. Nein, sagt er mir, er will nicht reich sein. Arm auch nicht, so mittendrin passt es schon. Er hat sich aus angespülten Korallenblöcken und ein paar Bambusstangen einige Sonnendächer zusammengebastelt. Hier verkauft das Paar Wasser, frische Säfte, Fisch. Früher hat er sich auch um die Schildkrötenbabys gekümmert, aber das Konzept hat sich geändert, erfahre ich. Die Verluste waren zu groß, als man die frisch geschlüpften Babys direkt ins Meer brachte. Heute werden die Kleinen ein Jahr hochgepäppelt, damit sie sich besser gegen Seevögel und Raubfische erwehren können, wenn sie in die Freiheit ausgesetzt werden. Bei Vollmond kommen die Schildkröten an den Strand, um ihre Eier abzulegen.

Entlang der Küstenstraße liegen Schutthaufen, immer wieder sehen wir verfallene Ruinen und Schilder: „Land for sale“. Das letzte Erdbeben vom August 2018 hat hier ziemlich stark gewütet. Inzwischen wird überall wieder aufgebaut und repariert.

Lombok, 20.10.2019

Lost in Surabaya

Pünktlich ist sie, die indonesische Eisenbahn. Auf die Minute. Dafür werden die Passagiere unterwegs fast tiefgefroren. Wir überstehen die kurze fünfstündige Reise dennoch. Surabaya, eine riesige, aber reizlose Industriestadt, soll uns nur als Zwischenstopp dienen. Wir kommen spätabends an, von hier geht morgen unser Flug weiter.

Das ist im Zug nicht erlaubt:
Tiere, stinkende Dinge (wie Durian), Waffen, Drogen, im Gang hinlegen.
Sonnenuntergang vom Zugfenster aus. Ganz klein der riesige Vulkan Merapi

Per Taxi brauchen wir auch hier zum Hotel doppelt so lange wie geplant, Indonesien ist generell vom Verkehrsinfarkt bedroht. Endlich am Hotel angekommen müssen wir feststellen, dass dieses ausgebucht ist. Nun haben wir eindeutig den Tiefpunkt für heute erreicht. Es ist inzwischen 23.30 Uhr, wir sind müde, durstig und entnervt, das Taxi ist weg, mein strapazierter Bauch schmerzt und nach zwei Tagen ohne Essen fühle ich mich nicht besonders kräftig. Wir stehen erstmal ein wenig verdattert im Dunkeln. Es ist inzwischen fast Mitternacht , das Taxi längst weg. Vor uns eine Mopedwerkstatt, wo ein paar Jugendliche im Licht ihrer Mobiltelefone an ihren Rollern schrauben, daneben ein brennender Müllberg, hinter uns eine sechsspurige Schnellstraße. Per Handyapp suchen wir die Umgebung nach anderen Hotels ab; das erste ist sehr teuer und hat nur noch Zimmer im dritten Stock – ohne Lift traue ich mir das mit dem schweren Gepäck nach den zwei Fiebertagen nicht zu. Das nächste vermuten wir auf der anderen Seite der Stadtautobahn. Also Augen auf und durch: Schauen, sprinten, auf den sehr sportlich dimensionierten Bordstein klettern, kurz ausschnaufen auf dem Mittelstreifen, nochmal schauen, sprinten, Bordsteinklettern, geschafft. Zum Glück gibt es hier keine Leitplanken. Das Hotel hätten wir trotzdem beinahe nicht gefunden, weil der Eingang genauso unbeleuchtet ist wie die Straße: Eine Frau zeigt uns den richtigen Weg. Wo die Unbekannte plötzlich mitten in der Nacht hergekommen war, ist mir ein Rätsel. Jedenfalls stehen wir kurz darauf endlich in der Lobby. Es stellt sich heraus, dass es sich um ein Dormitory handelt. Egal, wir würden auch eine Höhle nehmen. Der Schlafsaal duftet nach Kakerlakengift und hat 30 Ein- und Zweibettkojen aus Pressspanplatten mit jeweils einem Springrollo davor. Vor jeder Bettnische stehen Flipflops und Sandalen, aus jedem der Abteile dringen die unterschiedlichsten Schlafgeräusche. Egal, wir wollen nur ein wenig ruhen. Doch auch das ist kaum möglich. Ab drei Uhr beginnen die Ersten aufzustehen und erzeugen dabei die ganze Vielfalt körper- und kulturbedingter Geräusche.

Mordgedanken! Irgendein Idiot hat hier seinen piepsigen Wecker aktiviert und schläft trotzdem friedlich weiter. Es ist 3.45 Uhr. Ich überlege, ob ich aufstehen soll, um ihn bzw. den Wecker auszuschalten, oder doch lieber versuche, das lästige Geräusch zu ignorieren. Endlich endet der Alarm. Ich döse ein. Zehn Minuten später geht es wieder los. Das darf doch nicht sein! Drei Weckeralarme von jeweils unendlicher Länge erlebe ich noch mit, dann ist die Nacht zu Ende – oder bin ich doch noch eingeschlafen?

Die Nacht ist vorbei, das Drama noch nicht: Der Fahrer des Dorms, der uns zum Flughafen bringen sollte, setzt uns am falschen Terminal ab, jetzt wird es knapp. Mit einem anderen Taxi müssen wir nochmal 12 Kilometer durch die schönste Rushhour. Letzten Endes haben wir es geschafft, aber entspannt war die Tour nicht. Dafür haben wir jetzt wieder ein echtes Traumziel vor uns: Lombok.

Surabaya, 17.10.2019