Taucherträume werden wahr

Tulamben ist wirklich ein Traumspot für Taucher. Ehrlich gesagt, außer tauchen kann man hier auch nicht viel tun. Essen vielleicht und Bier trinken. Wir haben es wie üblich gehalten und sind mit dem günstigen lokalen Perama Bus bis zur Endstation der Linie gefahren. Diese Reise führte uns einmal quer über die Insel durch spektakuläre Landschaften mit grünen Reisterrassen und über die Serpentinen hinauf und hinunter entlang der teilweise ziemlich schroffen Abhänge des Vulkans Agung. Mit 3142 Metern Höhe ist der Agung kein kleiner, zumal er fast von Meereshöhe hinaufragt. Als wir direkt darauf zu fahren, ist er ist so groß, dass er nicht in die Frontscheibe unseres altersschwachen Busses passt.

Übrigens ist der Agung zuletzt im April dieses Jahres ausgebrochen. Tulamben wird immer wieder evakuiert, wenn er brodelt, wir sind nur zwölf Kilometer vom Krater entfernt. Am und im Wasser hat der Vulkanismus ebenfalls deutliche Spuren hinterlassen: Der Strand besteht aus größeren und kleinen runden schwarzen und grauen Kieseln, unter Wasser gibt es eine riesige Halde aus schwarzem Sand. Hier leben nicht nur große Fische wie Zackenbarsche, Buckelkopf-Papageifische, kleinere Haie, gelegentlich Mantas und Mondfische sowie alle Sorten bunter Riffbewohner, sondern auch sehr viele winzige sogenannte Critters; winzige Krebschen, Nacktkiemerschnecken, Pygmäenseepferdchen und viele andere Helden der Makrofotografie. Bekannt ist der Spot außerdem für das Wrack der USAT Liberty, eines amerikanischen Frachters, der 1942 von einem japanischen U-Boot torpediert wurde. Damals konnte er noch zur Küste geschleppt werden und lag dann jahrelang am Strand. Das Schiff wurde geplündert und es verfiel immer mehr. Bei einem Ausbruch des Agung im Jahr 1963 rutschte das Schiff vom Strand in die Balisee und fand so seinen derzeitigen Platz auf der Seite liegend parallel zum Strand.

Nach meinem Nachttauchgang an der Liberty schreibe ich zahlreiche Zackenbarsche, mehrere Humpheads und eine riesige frei schwimmende Muräne in mein Logbuch. Fotografieren kann ich ohne Licht nicht, aber schon am nächsten Morgen betauchen wir das Wrack nochmals und bekommen Buckelköpfe, weitere Zackis sowie ein traumhaftes Riff zu Gesicht, denn nach fast 60 Jahren hat sich der zerstörte Stahlrumpf in einen Ort pulsierenden Lebens verwandelt. Der zweite Tauchgang des Tages wird dem Muckdiving gewidmet: Wir suchen im Sand und Kies nach Kleinzeug. Ich entdecke winzige Krebse, mehrere Nacktschnecken und sogar einen Geisterpfeifenfisch, der fast unsichtbar zwischen den Fasern einer Alge schaukelt. Am nächsten Tag setzen wir noch einen drauf, gemeinsam erkunden wir den Tauchplatz Suci, wo hinduistische Statuen im Meer versenkt wurden und als Grundlage für ein künstliches Riff dienen. Wunderbare bunte Riffbewohner tummeln sich ohne jede Scheu direkt vor unseren Masken, große Schwärme ziehen vorbei und sogar zwei kleine Riffhaie lassen sich kurz sehen. Das Matahari Resort, wo wir spontan eingecheckt haben wird fast ausschließlich von Tauchern bewohnt; dafür ist aber wirklich jede Schattierung des bunten Tauchervolks vertreten: Anfänger und Profis, Genusstaucher und fanatische Fotografen, Sporttaucher und sogar Tekkis. Es ist ein bisschen wie am Campingplatz: Wenn man selber nichts zu tun hat, kann man sich einfach in Ruhe hinsetzen, die anderen beobachten und schlaue Kommentare abgeben: hier eben nicht übers fachgerechte Caravan-Rangieren, sondern über das Gerödel. Am besten gefällt uns ein älteres Paar, beide sicher schon in den Siebzigern. Jeden Nachmittag schlurfen die zwei Händchen haltend zum Schnorcheln, beide angetan mit stark verblichenen, leicht aus der Form geratenen Overalls inklusive Kopfhauben in rosa und hellblau. Sie erinnern ein wenig an Barbapapa und Barbamama im Kinderfernsehen der siebziger Jahre – wer die nicht mehr kennt, kann ja googeln.

Mit dem Peramabus wackeln wir wieder runter in den Süden, eine Nacht müssen wir verkehrstechnisch bedingt noch im touristischen Herzen Balis verbringen. Die engen Gassen entwickeln sich zum reinsten Spießrutenlauf: „Hello, Sir, wanna look?“, „Massage?“ „Cheap, cheap, only today!“, dröhnt es von allen Seiten auf uns ein. Die Straßen sind voller Touristen, die Läden, die die Straßen nahtlos säumen sind voller Verkäufer. Am Strand von Kuta der Overkill: Wir müssen uns durch mehrere Reihen Imbiss- und Getränkebuden kämpfen, um ans Wasser zu gelangen. Alles ist voller Menschen, das Meer voller Surfer, der Strand voller Surfgucker. Völlig unbeeindruckt schickt sich ganz weit hinten im Hintergrund die Sonne an, unterzugehen. Ich bin auch in Untergangsstimmung. Aber wie vermessen ist es, diesen schönen Platz für uns allein zu beanspruchen? Sind es nicht wir Traveller, die immer noch den letzten unberührten Fleck aufzuspüren suchen, um das Exklusivgefühl zu erleben? Die damit die Grenze immer weiter stecken? Und wenn ich mich über andere Touristen ereifere, bitte ich euch, mich nicht miss zu verstehen. Freilich sind auch wir Touristen, das ist uns schon bewusst.

Die rund vierstündige Fahrt verkürzt ein angeregtes Gespräch mit dem jungen Türken Mira, der in Berlin Kunst studiert und uns engagiert von seinen Licht- und Bewegungsinstallationen erzählt. So wie meisten anderen Reisebekanntschaften reagiert er überrascht und begeistert, als wir unsererseits erzählen, dass wir fast noch ein dreiviertel Jahr vor uns haben. Eigentlich sind alle Traveller, die wir treffen, deutlich jünger als wir – manchmal gibt uns das zu denken.

Kuta, Bali, 9.11.2019

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