Highlands

Heute steht eine kurze Reiseetappe an: Gestärkt durch eine lecker scharfe Frühstückssuppe beim Chinesen an der Ecke fahren wir per Bus von Ipoh weiter in die Cameron Highlands. Hier, im kühlen Berggebiet soll es terrassenförmig angelegte Teeplantagen und Erdbeerfelder geben.

Die Distanz beträgt nur gute 100 Kilometer, dennoch wird der Bus zweieinhalb Stunden brauchen, denn es geht über steile Bergstraßen und durch viele Kurven. Ich möchte die Zeit im Bus zum Schreiben nutzen – mal sehen wie weit ich komme, bevor es mir übel wird. Bisher hatte ich für jedes neue Land eine kleine Einführung geschrieben – zu Malaysia fehlt diese noch. An dieser Stelle ein herzlicher Gruß und Dank an meine treuen Leser! Gestern habe ich mal wieder beim Hoster nachgesehen: Zur Zeit lesen etwa 3000 Leute mit. Es freut mich sehr, dass ihr dabei seid. Wenn ihr etwas besonders gut findet (oder auch besonders schlecht), zögert nicht, einen Kommentar zu schreiben. Falls gewünscht, gern auch als PN – dann schalte ich den Kommentar nicht öffentlich.

Kaum haben wir Ipoh verlassen, sind wir schon auf einer sehr modernen und gut ausgebauten sechs- bis achtspurigen Autobahn unterwegs. Überhaupt ist Malaysia verkehrstechnisch erste Liga, da kann sich jedes deutsche Verkehrsunternehmen ein leuchtendes Beispiel nehmen. Von der deutschen Bahn will ich gar nicht anfangen. Hier ist eigentlich jedes öffentliche Verkehrsmittel günstig, pünktlich, effektiv und sauber, die Angestellten sind darüber hinaus freundlich und zuvorkommend. Ich komme kaum zum Schreiben, denn die Landschaft ist so schön: Hohe bewaldete Felszacken ragen aus der Ebene, viele davon sind zerklüftet und die Bergflanken aufgerissen von Steinbrüchen. Hier wird Marmor abgebaut!

Ich lese weiter über unser derzeitiges Reiseland, was ich nicht wusste: Malaysia ist eine konstitutionelle Wahlmonarchie; der König wird alle fünf Jahre aus einer Reihe von Adeligen gewählt. Das Parlament hat wie das englische Vorbild ein Ober- und ein Unterhaus. Malaysia entstand 1963 aus vier ehemaligen Teilen des britischen Weltreiches: der Föderation Malaya, der Kronkolonie Nordborneo, der Kronkolonie Singapur (bis 1965) und der Kolonie Sarawak. Malaysia ist Gründungsmitglied des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN) und gilt trotz großer Stabilität immer noch wirtschaftlich als Schwellenland. Komplett in den feuchtheißen Tropen gelegen, war das Land bis Anfang des 21. Jahrhunderts noch zur Hälfte von Regenwald bedeckt. Besonders in Sarawak auf Borneo spricht man von einem Hotspot der Biodiversität, weil es noch sehr viele seltene Tier- und Pflanzenarten gibt. Die wertvollen Tropenhölzer werden jedoch übermäßig abgeholzt, Brandrodung zur landwirtschaftlichen Nutzung und Übernutzung der Böden, sowie Palmölplantagen rücken den Orang-Utans, Nashörnern, Tigern, Elefanten und anderen bedrohten Spezies immer mehr auf den Pelz.

Die Autobahn haben wir schon vor einer Viertelstunde verlassen, jetzt schraubt sich unser 28-Sitzer mühsam eine sehr steile, kurvige Straße durch neblige Bergwälder hoch bis zu einem Pass, um auf der anderen Seite eine ebenso steile, kurvige Straße wieder hinunter zu fahren.

Schon im Mittelalter gab es im malayischen Raum Häfen und Königreiche, die vom Handel prosperierten. Der Islam kam hier im 14. Jahrhundert an und kurz darauf wurden auch Portugiesen, Niederländer und Engländer auf die reiche Region aufmerksam. Im Laufe der Kolonialgeschichte setzte sich letztlich die britische Krone durch. Im zweiten Weltkrieg war Malaysia durch Japan besetzt, danach wuchs zunehmend der Wunsch nach Unabhängigkeit. Im Jahre 1963 gründete sich die Föderation, zunächst noch mit Singapur, das 1965 wieder ausschied.

Wir passieren eben mehrere Baustellen. Ein Bergrutsch hat hier die Straße zur Hälfte weggerissen. Es hat heftig zu regnen begonnen. So gehört sich das ja auch in einem echten Regenwald. An einigen geeigneten Stellen hat man hier Terrassen in den steilen Hang planiert und Gewächshäuser aus Folientunneln errichtet. Was hier gepflanzt wird, kann ich nicht erkennen. Nach etwa zwei Stunden ist eine Hochebene erreicht, die Kurven werden weiter und die Berge etwas weniger schroff. Hier ist jedes Stückchen halbwegs ebenes Gelände terrassiert und ein Großteil davon mit Gewächshäusern zugepflastert. Gemüse, Salat, Blumen, Erdbeeren und viele andere Pflanzen werden im industriellen Maßstab angebaut.

Die Bevölkerung Malysias besteht zu rund 50% aus überwiegend muslimischen Malayen, 24% eher buddhistischen Chinesen, 11% indigenen Völkern 7% Indern und rund 8% anderen. Die meisten Menschen leben auf dem Festland in Westmalaysia, während in Sarawak und Sabah (Borneo) nur ein Fünftel wohnt. Die sunnitisch islamischen Malaien erheben politischen Führungsanspruch und werden seitens der Regierung bevorzugt. Das Wachstum der Bevölkerung ist mit etwa 1,6 % jährlich relativ hoch, etwa ein Drittel der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre, wobei etwa 75% der Menschen in Städten leben. Religionsfreiheit besteht nur auf dem Papier, die Todesstrafe wird erst seit 2018 nicht mehr vollzogen, Homosexualität ist nach wie vor strafbar. Laut der NGO Reporter ohne Grenzen ist die Lage der Pressefreiheit im Land schwierig. Nichts davon hätte ich gestern für möglich gehalten, als wir uns noch sehr locker und entspannt mit dem netten, fortschrittlich eingestellten (muslimischen) Caféhausbesitzer in Ipoh unterhielten.

Je weiter wir in die Cameron Highlands hineinkommen, umso mulmiger wird es uns. Ist das wirklich das Etappenziel, das wir uns ausgesucht haben? Landwirtschaft wird hier offensichtlich kompromisslos und gewinnmaximiert betrieben. Man kann sehen, wie von Baumaschinen komplette Bergkuppen abgetragen und eingeebnet werden, um anderswo Täler zuzuschütten, neue Anbauflächen zu gewinnen und Plantagen anzulegen. Angesichts der unzähligen Quadratkilometer Foliengewächshäuser frage ich mich, was aus all diesem Plastik wird, wenn es zerschlissen ist. Keine Minute später passieren wir einen kleinen Fluss, seine Ufer sind von Plastikfetzen bedeckt; in den Bäumen am Ufer hängen mehr Folienreste als Blätter. Trotzdem ist diese Region ein beliebtes Urlaubsziel: Wegen des angenehm kühlen Klimas kommen viele Malaysier gern in die Berge. Hochhäuser bedecken reihenweise die Bergkämme, teilweise erinnert es uns an zugebaute Skiorte in Österreich. Wir beschließen, der Gegend dennoch eine Chance zu geben, zur  Weiterreise reicht heute die Zeit ohnehin nicht. Als wir im kleinen Brick’s Hotel einchecken, erfahren wir, dass wir Glück haben: Gerade haben die Ferien begonnen und damit die Hochsaison.

14.11.2019 Tanah Rata, Cameron Highlands

Wir buchen eine Tagestour: Mossy Forest, Teeplantage, Schmetterlingsfarm. Das ganze hört sich schlimmer an, als es dann ist. Mit uns sitzen zwei Schottinnen und ein Paar aus den Niederlanden im Landrover. Auf dem Feldweg zum Mooswald werden wir alle gut durchgeschüttelt. Holzstege und viele Treppenstufen erleichtern den Einblick in das kleine Naturschutzgebiet „Mossy Forest“.

Tatsächlich sind hier alle Baumstämme rundherum mit Moos bewachsen. Die Luft ist kühl und sehr feucht, ideales Wachswetter. In den Astgabeln sitzen dicke Moosklumpen, diese bilden wiederum die Lebensgrundlage für kleinere Aufsitzerpflanzen. Es gibt Farne in jeder erdenklichen Form – von Fingernagelgröße bis zur Höhe eines Hauses. Alles strebt hoch, klettert, wächst und vergeht unweigerlich auch wieder. Überall lauern Destruenten wie Pilze, Asseln, Würmer, Käfer, die alles tote organische Material im Nu zersetzen. Leider können wir im Nebel von dem 2000 Meter hohen Berggipfel aus nur die Nachbargipfel sehen, beeindruckend ist der Ausblick auf den Wald von oben dennoch. Im Unterholz entdecken wir mehrere Kobralilien mit der charakteristischen, schlangenartigen Zunge. Berührt man diese, so sagt man uns, stirbt die Pflanze. Über dem Weg entdecken wir eine kletternde Kannenpflanze; auch sie wurzelt nicht im fruchtbaren Boden, sondern im Mooskleid anderer Pflanzen. Den Mangel an Nährstoffen gleicht sie aus, indem sie in ihren zu Kannen umgeformten Blättern Insekten fängt und verdaut.

Unser Fahrer hält den Jeep dicht am Abgrund und erklärt uns über den steilen Feldern der Plantage, wie der Tee angebaut und halbmaschinell geerntet wird: Vorwiegend Wanderarbeiter aus Sri Lanka und Bangladesch heben zu zweit eine riesige Mischung aus Rasenmäher und Heckenschere über die Teesträucher, um die frischen Blätter abzurasieren. Nachdem das Gerät um die 15 Kilogramm wiegt, dürfte das ein ziemlicher Knochenjob sein.

Weiter erfahren wir, dass Tee unbeschnitten zu richtigen Bäumen wachsen kann und die Pflanzen bis zu 120 Jahre alt werden. Die kleine Teefabrik BOH besichtigen wir im Eiltempo: Schneiden, Sortieren, Rollen, Fermentieren/Oxidation, Trocknen, Sieben/Sortieren und Verpacken sind die Arbeitsschritte, die wir durch große Glasfenster beobachten dürfen. Auf den Besuch der Teeboutique verzichten wir.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.