Viti Levu, Fidschi

Bula ist unser erstes Wort auf Fidschi. Es bedeutet mehr als nur Hallo oder Willkommen. Wörtlich heißt es Leben. Bula wird überall als Gruß verwendet, aber auch wenn jemand niest. Der Gruß wünscht dem Gegrüßten besonders in der ausführlichen Formel Ni sa bula vinaka Glück und fortwährende Gesundheit. Jedenfalls stimmt uns der erste Eindruck schon mal sehr positiv ein: Am Flughafen Nadi begrüßt uns schon vor der Passkontrolle ein Trio bunt gekleideter Männer. Mit Ukulele, Gitarre und Perkussion bringen sie den frisch gelandeten Besuchern ein munteres Ständchen. Die Beamten beim Zoll tragen statt Uniformen bunte Hemden, alles wirkt sehr entspannt und angenehm. Auch unser Rum aus Singapur und die malaysischen Nüsse, die wir dabei haben, sind kein Problem.

Unser Ziel heißt Rakiraki am nördlichsten Kap der Insel, dort haben wir eine Bure (Bungalow, Hütte) für vier Tage gemietet, denn man soll da ganz hervorragend tauchen können. Zunächst hatten wir Bedenken gehabt wegen der Weiterreise dahin: Gut hundert Kilometer etwa, für die man drei bis vier Stunden rechnen muss. Wir hatten gelesen, dass es kaum öffentliche Verkehrsmittel gäbe und die Taxis extrem teuer seien. Die Rezeption unseres Hotels hatte leider auf unsere Emails wenig Sinnvolles geantwortet, also haben wir es einfach drauf ankommen lassen. Wieder mal bestätigt sich die alte Weisheit: Man darf nicht alles glauben, was man so liest. Auf Anraten von Michel, einer Reisebekanntschaft vom Flughafen Singapur, laufen wir einfach geradeaus bis zur Hauptstraße und steigen in den ersten Bus, der vorbeikommt. Jeder, den wir fragen, gibt freundlich Auskunft, Bula eben. Danach ergibt sich alles wie von selbst: Bis Lautoka kommen wir problemlos, dort steigen wir um. Weiter geht es auf der King’s Road entlang der Nordküste der Insel: Matawalu, Natawarau, Ba, Natanuku, Tavua, Korovou – klingt einfach schön. Einfache Bungalows mit Blechdächern säumen die Straße, die meist recht gepflegten Vorgärten sind mit weiß gestrichenen Steinen und alten Autoreifen dekoriert. Zuckerrohr und etwas Mais werden angebaut. Es fühlt sich an wie eine Mischung aus Sri Lanka und Karibik: Der Bus hat weder Klimaanlage noch Fensterscheiben, dafür laute Musik. Benutzt wird er von dunkelhäutigen Einheimischen, wir sind die einzigen Bleichgesichter. Die Landschaft ist grün und bergig. Die Leute sind freundlich, kraushaarig und ziemlich beleibt. Nach einiger Zeit merke ich: Da stimmt irgendetwas nicht – ich muss ein wenig überlegen und dann kommt es mir: Wir haben Asien verlassen! Hier starrt kein Mensch mit abgewinkeltem Genick in sein Wischlkastl. Wenn überhaupt jemand ein Mobiltelefon benutzt, dann telefoniert er damit! Die Straßen sind schlecht, je weiter wir kommen, umso schlechter werden sie und umso mehr leert sich der Bus. Wir rücken nach vorn zum Triumvirat Fahrer – Schaffner – Schaffnerlehrling. Die drei teilen sich einen Karton Traubensaft. Der Fahrer ist sehr entspannt: Mit der einen Hand führt er die Safttüte an den Mund, während er mit der anderen Hand sein altmodisches Tastenhandy hält; man fragt sich, wie er lenkt. Die anderen beiden turnen bei voller Fahrt an der offenen Bustür herum, dass es mir ganz anders wird. Wir kommen ins Gespräch, alle drei sind sehr interessiert an uns. So ergibt sich nebenbei eine Fahrgelegenheit für die letzte Strecke von der Busendstation zum Hotel: Der Bruder des Schaffners hat ein Taxi. So ist die Anreise viel schöner als per Hoteltransfer und billiger noch dazu. Ab Flughafen kommen wir auf insgesamt 36 F$ (~15€) statt 150 bis 250 F$ per Taxi oder über das Hotel.

Unser angeblich ganz einfaches Resort ist der reine Luxus, wir kommen uns vor wie Graf Koks und Gräfin Klunker. Die Strandhütte entpuppt sich als Riesenbungalow im Palmenhain. Wenn wir ein paarmal umfallen, landen wir direkt im Meer. Es gibt ein Restaurant mit riesiger Terrasse über dem Strand, freche Rußbülbüls – hübsche kleine Vögelchen – sitzen auf der Balustrade und manchmal auf unseren Tellern. Die Damen im Restaurant sind klassische Südseeschönheiten: Alle ziemlich stämmig, kurzes krauses Haar, sie sind superfreundlich und haben stets eine Blume hinterm Ohr, das gehört einfach dazu. Man liest uns alle Wünsche von den Augen ab und das Fidschibier erweist sich auch als durchaus trinkbar. Mit der traditionellen Kava-Zeremonie sind wir dann endgültig angekommen; die Mädels nennen mich Papa Jo. Zwar ist auf Viti Levu nichts billig, aber ich habe mir vorgenommen, hier nicht ständig zu rechnen. Sicher müssen wir auf unser Budget achten, denn ein Jahr unterwegs ist kein zweiwöchiger Strandurlaub. Aber in Südostasien haben wir die erste Zeit sehr sparsam gelebt, also wird uns die Woche auf Fidschi hoffentlich nicht ruinieren.

Das Tauchen hier ist sehr schön und aufgrund Strömung und Seegang ziemlich anspruchsvoll. Die passablen Sichtweiten um 10-20 Meter, die intakten Riffe mit zahllosen bunten Fischen und Korallen und die allgegenwärtigen Riffhaie lassen mich inzwischen kaum noch in Begeisterungsstürme ausbrechen, denn ich bin nach den Tauchgängen in Tulamben, Gili und vor allem Komodo total verwöhnt. Neulich sagte ich zu meiner Frau: Wenn jetzt noch ein Walhai daherkommt, kann ich mir ein anderes Hobby suchen. Die Padi-Basis hier beim Hotel verfügt über zwei schnelle Festrumpfboote und gutes Material. Jede Tarierweste ist mit einer Boje und Signalmitteln ausgerüstet. Ich schreibe mich für die nächste Ausfahrt ein; ein später Nachmittagstauchgang und ein Nachttauchgang sind geplant. Mit den einheimischen Guides und der kleinen Gruppe US-Amerikaner mache ich mich rasch bekannt, aber beim Bootsbriefing bin ich doch überrascht, als Annie, die Bootsfrau mir erklärt, auf welchen Frequenzen der Funknotruf läuft. Das habe ich so bisher nirgends erlebt – liegt aber wahrscheinlich daran, dass hier einfach weit rundum nichts kommt. Wer hier abtreibt, hat einen langen, einsamen Weg nach Australien vor sich. Beim Tauchen auf Sicherheit zu achten versteht sich von selbst, bei einem Dekounfall müsste der Verletzte im Tiefflug bis Neuseeland gebracht werden – keiner will das. Eigentlich tauchen dann auch alle recht vernünftig, abgesehen von einem der Amerikaner. Der dicke Dan aus Hawaii ist ein echter Unterwasserrambo, spielt mit allem herum, was er sieht, fängt die kleinen Krabben, ärgert Sepien und verschreckt die Weißspitzenriffhaie, indem er grapschend auf sie zu und mir vor die Kameralinse schwimmt. Am anderen Tauchtag ist er nicht dabei, alles ist entspannt. Hart- und Weichkorallen von wunderbarer Schönheit, gemusterte Nacktschnecken, Krebse, bunte Fische aller Größen und vor allem das riesige Riff mit vielen Tunnels die wir durchtauchen lassen die Grundzeit im Flug vergehen. Strömung und Seegang sind teilweise ziemlich heftig, besonders in der Oberflächenpause zwischen den Tauchgängen muss ich aufpassen, dass ich mein Frühstück bei mir behalte. Die Preise fürs Tauchen sind beachtlich: 350F$ (165€) für einen Doppeltankausflug, 400F$ (179€) für die Nachttauchgänge und dazu noch die Leihgebühr für die Ausrüstung 75$ (30€).

Singapur

Big brother is watching you! Überall in der Stadt sind Kameras. Erstmal ein komisches Gefühl, als uns das bewusst wird. Sonst kommt uns Singapur sehr sauber und aufgeräumt vor. Darüber hinaus überraschend grün: Entlang der acht- bis zwölfspurigen nigelnagelneuen Autobahn erblicken wir statt Palmölplantagen abwechslungshalber gepflegte Grünanlagen mit schönem parkähnlichem Baumbestand. An der Endstation unserer Busreise stellen wir fest, dass man das Zweitagesticket für die öffentlichen Verkehrsmittel nicht hier, sondern weiter in der Innenstadt bekommt. Also begeben wir uns erstmal auf einen ausgedehnten Ausflug in die Unterwelt. Die S- und U-Bahnen heißen MRT, sind extrem sauber, effektiv und fahren pausenlos. Die Schienen sind vom Bahnsteig an den Haltestellen überall durch gläserne Mauern mit automatischen Türen getrennt: Attentäter, Amokläufer und Selbstmörder haben keine Chance. Schilder, Durchsagen und allgegenwärtige Videobildschirme weisen auf das korrekte Verhalten im öffentlichen Raum hin: Essen und Trinken verboten, Rauchen oder Alkohol undenkbar, selbst Hinsetzen oder grundloser Aufenthalt in den Bahnhöfen ist nicht gestattet.

Sobald wir irgendwo stehen bleiben, um uns zu orientieren oder nur zu überlegen, wo wir überhaupt hinwollen, kommt jemand auf uns zu, um nach dem rechten zu sehen. Die Menschen um uns herum verhalten sich tatsächlich sehr diszipliniert. Die meisten trotten dahin, den Blick fest auf ihr Smartphone gerichtet. Selbst vor Schnellrestaurants gibt es ordentliche Schlangen, wo man sich anstellt, bis ein Angestellter einen zum Tisch führt. Wir sehen viel Grün in der Stadt und sehr wenig Müll am Boden. Gleich in den ersten Stunden hier beobachten wir, wie die Polizei einen jungen Mann verfolgt und festnimmt. Kurz darauf im U-Bahnhof tritt ein Uniformierter mit einer Art Stableuchte unter die Wartenden und scannt Hände, Gesichter und Kleidung. Ist er auf der Suche nach einem Dieb, der markierte Ware oder Geld angefasst hat?

Insgesamt haben wir den Eindruck, dass die spontane Hilfsbereitschaft in den am wenigsten „entwickelten“ Ländern unserer Reise am größten war. Etwa in Sri Lanka konnten wir uns auch bei mehrstündigen Busreisen darauf verlassen, dass irgendjemand uns schon sagen würde, wann wir aussteigen müssten. Hier in Singapur oder auch zuletzt in Malaysia ist uns so etwas nicht passiert. Heute saßen wir in einem Café und versuchten verzweifelt im dortigen WLAN an zwei Handys herauszubringen, wo wir unser Ticket bekommen. Die Leute an unserem Tisch haben keineswegs Hilfe angeboten, sondern eher genervt reagiert.

Nach ein paar Fahrten mit der MRT haben wir unser Gepäck in der Unterkunft, dem Kapselhotel spacepod@com verstaut. Das ist mit etwa 35€ doppelt so viel wie unsere teuerste Unterkunft bisher überhaupt, aber für hier noch einigermaßen erschwinglich. Die Schlafkabinen sind gestylt wie im Raumschiff.

Wir machen Bekanntschaft mit Dirk aus Düsseldorf, der hier gerade sein Mountainbike zusammenschraubt, um damit einige Monate durch Südostasien zu radeln. In Little India gehen wir preiswert und gut essen, wenn auch doppelt so teuer wie zuletzt in Malaysia. Als wir uns nach einem Spaziergang noch ein Bier gönnen, fallen wir beim Bezahlen beinahe um: 12 Dollar (SGD) für ein 0,33l Bier ist nicht gerade ein Schnäppchen (~8€).
Dafür ist die Dämmerung in den Bay Gardens, dem prachtvollen, weltberühmten Park mit den riesigen künstlichen Baumskulpturen ein kostenloser Genuss.

Am nächsten Tag erkunden wir die berühmten Wolkenkratzer Singapurs noch ein wenig ausführlicher, durchwandern Up- und Downtown, fahren viel mit der Stadtbahn herum und begeben uns schließlich nachmittags zurück zum Kapselhotel. Wir haben hier unser Gepäck abgestellt und dürfen auch nochmal duschen, obwohl wir längst ausgecheckt haben. Insgesamt hat uns Singapur überraschend gut gefallen. Dann geht es wieder mal zum Flughafen und das Kapitel Asien ist beendet. Auf nach Fidschi!

Malakka

Malaka, Melaka oder Mallacca – geschrieben wird der Name dieser Stadt auf vielfältige Weise. Geschichtsträchtig und bunt ist die knapp 400000 Einwohner zählende Küstenstadt an der nach ihr benannten Straße von Malakka. Aufgrund der vielen historischen Gebäude wurde sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben. Bis heute ist Malakka Stadt und Staat innerhalb Malaysias, einst war es ein eigenes Sultanat. Im Jahre 1402 rastete hier ein reisender Prinz unter einem Baum an der Mündung des Flusses. Als ein Reh einen seiner Jagdhunde mit einem Tritt der Hufe in den Fluss beförderte, deutete der Prinz dies als gutes Omen und gründete das Sultanat. Das niederländische Stadthuijs, die Ruine der St. Paul’s Kirche und die verwinkelte Altstadt zeugen ebenso wie die hervorragende indische, chinesische, malayische und internationale Küche von der bewegten Geschichte dieser Stadt, die früher so wichtig für den Handel gewesen ist. Der Hafen ist heute bedeutungslos, da viel zu flach für die großen Überseeschiffe.

Viele malayische, koreanische, chinesische und auch ein paar westliche Touristen kommen, um den charmanten Flair der Stadt zu genießen. Wenn auf der Straße laute Musik wummert und rummst, handelt es sich keineswegs wie bei uns um junge Männer in ihren zu mobilen Stereoanlagen umgebauten Angeberautos: Vielmehr wurde die Tradition der in Südostasien allgegenwärtigen Fahrradrikschas hier auf eine merkwürdige Spitze getrieben. Die Beiwagenrikschas für zwei bis drei Passagiere sind mit riesigen Rückenlehnen, LED-beleuchtetem Plüschdekor (Hello Kitty, Baby Shark oder Minion) und wattstarken Stereoanlagen ausgestattet.

Wir schlendern durch das historische Zentrum, besichtigen die museumsdidaktisch unterirdisch schlechte Ausstellung im Stadthuijs, erklimmen den St.-Pauls Hill und buchen eine Flußrundfahrt. Vom Boot aus bestaunen wir die mit riesigen Kunstwerken bemalten Häuser am Ufer, die ein wenig an Amsterdams Grachten erinnern. Am meisten amüsieren wir uns über das Verhalten unserer indischen Mitfahrer: In jeder erdenklichen Pose und Kombination fotografieren sich die Leute pausenlos gegenseitig und selbst.

Für die letzten 250 Kilometer über Land braucht unser Bus rund dreieinhalb Stunden. Wir brechen zeitig auf, fahren wieder mal per Grab-Taxi zum Zentralbusbahnhof Melakka. Dieser ist zwar fast so groß und kompliziert wie ein Flughafen, verfügt aber weder über ausreichend Toiletten noch über Kaffee zur frühen Morgenstunde um halb acht. Traurig. Auf der Fahrt im klimatisierten Luxusreisebus stellen wir wieder einmal fest, dass die malaysischen Autobahnen deutlich besser sind als deutsche. Der Fahrer unterhält uns mit endlosen indischen Bollywood-Schmachtfetzen.

Abermals ziehen sich endlose Palmölplantagen an der Straße entlang; von Horizont zu Horizont nichts als Ölpalmen. Diese Monokultur ist ein trostloser und trauriger Anblick, eine Biowüste, geschuldet und verursacht durch den Hunger von uns Konsumenten nach billigem Palmöl. Nur eins sieht noch trostloser aus: Wenn nach einigen Jahren der Ertrag der alten Bäume sinkt, werden sie gefällt. Die Stämme werden abtransportiert, die abgehackten Blätter bleiben auf dem Boden liegen; hässliche Kahlschlagflächen, die bald mit frischen Palmsetzlingen neu aufgeforstet werden. Man fragt sich bloß, wie lange das der Boden mitmacht, bis er komplett ausgelaugt ist.

Auf der Fahrt nach Singapur, 24.11.2019

Pulau Pangkor

Stets planen wir, kaum dass wir irgendwo angekommen sind, bereits die Weiterfahrt, denn die Plätze in den Bussen sind begehrt und die Anzahl der Busse beschränkt. Also geht unser Kampf mit den diversen digitalen Reisegadgets in die x-te Runde, ein Sieger steht noch nicht fest. Immerhin funktioniert PayPal nun wieder, auch die Kreditkarte sporadisch. Für die nächste Busfahrt hatten wir zeitweise bis zu sechs Sitzplätze reserviert, ohne diese wirklich buchen beziehungsweise bezahlen, geschweige denn stornieren zu können. Wahrscheinlich stöhnen die IT-Leute bei easybook schon, wenn einer der Klingonen sich einloggt. Das geschieht ihnen aber recht, schließlich quälen sie uns ja auch geradezu: Die Eingabemasken der Tickethändler sind für ältere Menschen mit schlechten Augen und zittrigen Händen wie uns die reinste Digitalfolter. Alles, wirklich alles wird per Dropdownmenü abgefragt, kein Feld darf leer bleiben. Ich bin überrascht, dass sie nicht nach der Blutgruppe und dem Arierpass fragen! Aber wehe, wenn dann beim letzten Schritt statt der eigenen die Kreditkarte der Frau und Reisepartnerin verwendet wird, dann kollabiert das System mit einer lakonischen Errormeldung und es bleibt nichts übrig, als die letzten zweinundfünfzig Eingabeschritte zu wiederholen. Dazu kommt, dass meistens im entscheidenden Moment die Internetverbindung zusammenbricht oder Akku leer ist.

Das alles macht uns momentan ein wenig reisemüde. Sicher wird Singapur nochmal ein schwieriges Pflaster für uns Landeier, zuvor werden wir noch kurz in Melaka stoppen. Fiji wird uns hoffentlich gut tun, wenn auch diese kurze, teure Reiseetappe bereits jetzt ihre Schatten voraus wirft. Das Hotel ist bereits gebucht (ächz, welch eine Tortur), der Transfer dorthin ist aber noch offen und schwierig zu organisieren. Mal schauen.

Am Strand sahen wir nach einem wunderbar romantischen Sonnenuntergang Venus, Jupiter und Saturn am westlichen Himmel fast wie an einer Schnur aufgereiht übereinander stehen. Unbezahlbar! Das kleine Pflaster tut gut für die reisegestresste Seele und die immer noch angeschlagene Gesundheit. Direkt beim Strandlokal hatten wir vorher eine Nashornvogel-Familie beobachtet. Zu den Makaken auf der Insel halten wir lieber Abstand: Diebisch und manchmal auch bissig sollen sie sein. Jedenfalls fühlen wir uns in der natürlichen Umgebung wohl. Wir schlafen lange und faulenzen eigentlich den ganzen Tag am Strand.

Irgendwo in der Nachbarschaft hat es einen oder mehrere Fälle von Dengue-Fieber gegeben. Unsere Wirtin warnt uns, Toilettendeckel, Fenster und Türen geschlossen zu halten und möglichst zum Strand zu gehen. Die gesamte Nachbarschaft soll mit Giftnebel eingesprüht werden, um alle Tigermücken zu töten. Die Arbeiter kommen tatsächlich, mit Gasmasken vermummt wie bei Ebola und Ghostbuster-verdächtigen Apparaten auf dem Rücken, allerdings legen sie unsere Siedlung zwölf Stunden später als zum avisierten Termin unter eine dichte Nebelwolke.

Nach drei entspannten Tagen geht es wieder weiter, gern wären wir noch länger geblieben. Vor lauter Torschlusspanik ist der Bus nun gebucht; die richtige Fähre verpassen wir aufgrund einer Fehlinformation und sitzen lange ohne Kaffee, geschweige denn Frühstück am Inseljetty, der reinsten Versorgungswüste. Dafür rennen wir dann nach der Überfahrt zum Busbahnhof, denn jetzt wird es knapp. Das online bestellte Ticket sollen wir auch noch ausdrucken – so ein Mist, die Frauen vor mir brauchen am Schalter gefühlte Ewigkeiten. Als dann alles erledigt ist, stellt sich heraus, dass der Bus noch gar nicht da ist und außerdem will niemand unsere mühsam ausgedruckten Tickets sehen. Es reicht sogar noch für ein paar eklig süße Kekse und eine Cola zum Frühstück, dann steigen wir ein für die sechs- bis siebenstündige Fahrt nach Malaka, südlich von KL.

Bye bye Penang

Nach drei Tagen in Georgetown sind wir ziemlich entnervt. Andreas Husten ist immer noch nicht besser und jetzt geht es bei mir auch los. Die Klimaanlage unseres Mini-Mansardenzimmers läuft nur unter gutem Zureden und sobald man die Kammer verlässt, meint man, einen Glutofen zu betreten. Der Versuch, ein Busticket zur Weiterfahrt online zu reservieren ist gescheitert, weil die Seite des Onlineticketportals unser Fahrtziel nicht annimmt. Nach endlosen Versuchen klappt es doch, aber ich kann nicht bezahlen. Paypal hat mich ausgesperrt und ich empfange keine Verifikations-SMS, um das Konto wieder zu aktivieren. Manchmal ist es nicht leicht, auf Reisen zu sein. Wir brauchen dringend etwas Schönes, um auf andere Gedanken zu kommen. Der Kek Lok Si Tempel soll sehenswert sein. Wir machen uns auf und fahren wieder mit dem Stadtbus etwa eine Stunde durch die Riesenstadt.

Unterwegs fragen wir uns, wie man so eine Stadt planen, bauen, bewohnen kann. Hier wird ein wunderbares Naturparadies sukzessive zubetoniert. Auch der Tempel begrüßt uns mit einer üblen Baustelle: Stahlbeton statt Spiritualität.

Kaum zu glauben, hier steht Malaysias erster und einziger Schrägaufzug am Berghang; fußfaule Pilger und Touristen benutzen ihn, um sich der Heiligkeit zu nähern. Als wir uns im Gewirr der Andenken-, Devotionalien- und Opferläden verlaufen, geben auch wir auf und steigen ein. Es ist wie im Tempel zu Jerusalem: Händler und Geldwechsler belagern den gesamten Ort. In dicken Bündeln verbrennen Räucherstäbchen, dutzendweise kokeln Opferkerzen vor sich hin.

Wir spenden ein paar Ringit und dürfen dafür jeder ein kleines Bändchen an einen Holzständer hängen; man kann sich für jeden Anlass oder Wunsch ein passend beschriftetes Band aussuchen. Wenn der Baum voll ist, können die Bänder einfach wieder zurück in die Fächer einsortiert werden. Wie praktisch und umweltfreundlich, denke ich mir.

Irgendwo zwischendrin finden wir rein zufällig eine Oase der Ruhe. Ein kleiner Pavillon auf einer hohen Terrasse, umgeben von blühenden Pflanzen und Hunderten stehenden Buddhas. Jede der Steinfiguren trägt ein linksläufiges Hakenkreuz, Symbole des Lebens. Wir lesen uns ein: Der größte buddhistische Tempel Malaysias entstand vor rund 120 Jahren – wie muss die Gegend damals schön gewesen sein. Der Mönch, der Tempel und Kloster gründete und später Abt wurde, hat den Platz wegen seiner besonderen geomantischen und Feng-Shui-Eigenschaften gewählt. Was würde er wohl sagen, wenn er die Stelle heute sähe. Die Stadt mit ihren lauten Straßen und hässlichen Hochhäusern hat das Idyll wie ein Krebsgeschwür von allen Seiten fest umschlossen.

Zwar sind wir immer noch nicht ganz auskuriert, Andrea hüstelt und schnupft und ich habe Probleme mit meinen Gelenken; aber wir haben jetzt die Nase voll von Penang. Außerdem müssen wir uns langsam in Richtung Süden aufmachen, denn am 25.11. geht unser Flieger von Singapur ab – die gut 700 Kilometer wollen wir in erträglichen Etappen auf dem Landweg zurücklegen. Endlose Palmölplantagen ziehen sich entlang der Autobahn, unser Fahrer telefoniert pausenlos. Bei allem Fortschritt: Das ist hier scheinbar noch nicht verboten.

19.11.2019, auf der Weiterreise nach Lumut und Pulau Pankor

P.S. Ja, ich weiß, dass die Seite nicht korrekt dargestellt wird. Ich habe das Problem seit dem letzten Update und arbeite daran.

Streetart und Streetfood

15.11.2019 Georgetown, Penang

Irgendwie werden wir nicht wirklich warm mit Malaysia. Den Lieblingsort haben wir noch nicht gefunden, uns ist es überall viel zu belebt, viel zu voll und viel zu laut. Das megatouristische Tanah Rata in den Highlands haben wir nach zwei Tagen fluchtartig wieder verlassen, der Bus brachte uns zurück über Ipoh nach Butterworth, wo wir in eine Fähre umgestiegen sind und auf die Insel Penang übergesetzt haben. Die Busfahrt führte uns zur Hälfte über bewaldete Gebirge, zur anderen Hälfte fuhren wir stundenlang durch Palmölplantagen. Hier sind wirklich gigantische Flächen mit Ölpalmen bepflanzt. Auch wenn sich malaysische Offizielle Mühe geben, ein ökologisches und nachhaltiges Feigenblatt herumzutragen – in der Kritik steht die Palmölindustrie wegen ihres Flächenverbrauchs auf jeden Fall.

Auch Penang scheint zunächst so gar nicht unseren Geschmack zu treffen: Von Inselidylle ist nichts zu spüren, vielmehr handelt es sich um eine weitere Großstadt. Zwar hat diese einen netten historischen Kern, den wir später erforschen wollen. Beide sind wir gesundheitlich etwas angeschlagen und brauchen erstmal etwas Ruhe.

16.11.2019

In einem foodstall beim Morning Market in Chinatown gibt es eine feine Suppe – am besten isst man immer da, wo viele Einheimische sitzen. Hier an einer Straßenecke wurde eine Art Eckkneipe eingerichtet, allerdings nach einem völlig anderen Konzept als bei uns: Die kahle, mit Plastikmöbeln bestuhlte Halle mit den etwa 40 Tischen wird umgeben von rund einem Dutzend mobiler Garküchen, die jeweils ein anderes Gericht anbieten: Verschiedene Suppen, Gemüse, gebratene Teigtaschen, Reis, Fisch, Schwein, Ente – eigentlich alles, außer das, was unsereins daheim so morgens isst. Wir sind aber schon längst akklimatisiert und würden bei Marmeladesemmeln inzwischen die Nase rümpfen. Man geht einfach zu einem der kleinen Wägelchen, fragt, was es gibt oder guckt in die Kochtöpfe hinein – das ist völlig in Ordnung. Wenn es sprachlich nicht klappen sollte, kann man immer deuten, was man essen will. Die Qualität der Speisen ist stets exzellent, alles wird super frisch zubereitet und die Preise sind lächerlich günstig. Wenn man sitzt, kommt meist noch jemand daher, der ein Getränk verkaufen möchte. Manchmal ist eine Getränkebestellung sogar obligatorisch, weil der Kaffee- und Teeausschank gleichzeitig für das Mobiliar sorgt. Übrigens ist es bei den Chinesen hier üblich, zum Essen lauwarmes Wasser zu trinken.

Ein Spaziergang durch die historische Altstadt führt uns nicht nur an schönen alten Gebäuden, Tempeln und Moscheen vorbei – Georgetown ist UNESCO Weltkulturerbe! – sondern auch mehr oder weniger unweigerlich zu allen möglichen Wandgemälden. Allerdings hat man hier bei weitem nicht das Exklusivrecht auf die direkte Fotoperspektive, vielmehr stehen teilweise bei den Bildern Schlangen von Touristen an.

Wir schlendern weiter, besichtigen noch das antike Klanhaus Cheah Kongsi und den Chew Jetty am Hafen, eng verbaut durch kleine Geschäfte mit großen Preisen. Im Hafenviertel gönne ich mir in einem Straßenlokal einen Fangschreckenkrebs, direkt aus dem Aquarium in die Pfanne. Mit reichlich Chili und Knoblauch ist das Tier wirklich sehr schmackhaft, auch wenn es mir leid tut. Ich muss an den Kollegen denken, den ich vor wenigen Tagen erst vor Flores beim Tauchen in seinem natürlichen Habitat beobachten konnte. Fangschreckenkrebse können ihre Fangzangen explosionsartig schnell „abschießen“, um damit Beutetiere, zum Beispiel kleinere Krebse zu betäuben. Die Wirkung ist wie bei einem Pistolenschuss, dabei werden Beschleunigungen von bis zu 8000g (Erdbeschleunigung) erreicht; ein menschlicher Lidschlag dauert etwa 40mal so lang wie ein solcher Beinschlag. Diesem Burschen hier auf dem Teller hat es nichts genutzt, in der Pfanne hat er dennoch sein Leben gelassen.

Highlands

Heute steht eine kurze Reiseetappe an: Gestärkt durch eine lecker scharfe Frühstückssuppe beim Chinesen an der Ecke fahren wir per Bus von Ipoh weiter in die Cameron Highlands. Hier, im kühlen Berggebiet soll es terrassenförmig angelegte Teeplantagen und Erdbeerfelder geben.

Die Distanz beträgt nur gute 100 Kilometer, dennoch wird der Bus zweieinhalb Stunden brauchen, denn es geht über steile Bergstraßen und durch viele Kurven. Ich möchte die Zeit im Bus zum Schreiben nutzen – mal sehen wie weit ich komme, bevor es mir übel wird. Bisher hatte ich für jedes neue Land eine kleine Einführung geschrieben – zu Malaysia fehlt diese noch. An dieser Stelle ein herzlicher Gruß und Dank an meine treuen Leser! Gestern habe ich mal wieder beim Hoster nachgesehen: Zur Zeit lesen etwa 3000 Leute mit. Es freut mich sehr, dass ihr dabei seid. Wenn ihr etwas besonders gut findet (oder auch besonders schlecht), zögert nicht, einen Kommentar zu schreiben. Falls gewünscht, gern auch als PN – dann schalte ich den Kommentar nicht öffentlich.

Kaum haben wir Ipoh verlassen, sind wir schon auf einer sehr modernen und gut ausgebauten sechs- bis achtspurigen Autobahn unterwegs. Überhaupt ist Malaysia verkehrstechnisch erste Liga, da kann sich jedes deutsche Verkehrsunternehmen ein leuchtendes Beispiel nehmen. Von der deutschen Bahn will ich gar nicht anfangen. Hier ist eigentlich jedes öffentliche Verkehrsmittel günstig, pünktlich, effektiv und sauber, die Angestellten sind darüber hinaus freundlich und zuvorkommend. Ich komme kaum zum Schreiben, denn die Landschaft ist so schön: Hohe bewaldete Felszacken ragen aus der Ebene, viele davon sind zerklüftet und die Bergflanken aufgerissen von Steinbrüchen. Hier wird Marmor abgebaut!

Ich lese weiter über unser derzeitiges Reiseland, was ich nicht wusste: Malaysia ist eine konstitutionelle Wahlmonarchie; der König wird alle fünf Jahre aus einer Reihe von Adeligen gewählt. Das Parlament hat wie das englische Vorbild ein Ober- und ein Unterhaus. Malaysia entstand 1963 aus vier ehemaligen Teilen des britischen Weltreiches: der Föderation Malaya, der Kronkolonie Nordborneo, der Kronkolonie Singapur (bis 1965) und der Kolonie Sarawak. Malaysia ist Gründungsmitglied des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN) und gilt trotz großer Stabilität immer noch wirtschaftlich als Schwellenland. Komplett in den feuchtheißen Tropen gelegen, war das Land bis Anfang des 21. Jahrhunderts noch zur Hälfte von Regenwald bedeckt. Besonders in Sarawak auf Borneo spricht man von einem Hotspot der Biodiversität, weil es noch sehr viele seltene Tier- und Pflanzenarten gibt. Die wertvollen Tropenhölzer werden jedoch übermäßig abgeholzt, Brandrodung zur landwirtschaftlichen Nutzung und Übernutzung der Böden, sowie Palmölplantagen rücken den Orang-Utans, Nashörnern, Tigern, Elefanten und anderen bedrohten Spezies immer mehr auf den Pelz.

Die Autobahn haben wir schon vor einer Viertelstunde verlassen, jetzt schraubt sich unser 28-Sitzer mühsam eine sehr steile, kurvige Straße durch neblige Bergwälder hoch bis zu einem Pass, um auf der anderen Seite eine ebenso steile, kurvige Straße wieder hinunter zu fahren.

Schon im Mittelalter gab es im malayischen Raum Häfen und Königreiche, die vom Handel prosperierten. Der Islam kam hier im 14. Jahrhundert an und kurz darauf wurden auch Portugiesen, Niederländer und Engländer auf die reiche Region aufmerksam. Im Laufe der Kolonialgeschichte setzte sich letztlich die britische Krone durch. Im zweiten Weltkrieg war Malaysia durch Japan besetzt, danach wuchs zunehmend der Wunsch nach Unabhängigkeit. Im Jahre 1963 gründete sich die Föderation, zunächst noch mit Singapur, das 1965 wieder ausschied.

Wir passieren eben mehrere Baustellen. Ein Bergrutsch hat hier die Straße zur Hälfte weggerissen. Es hat heftig zu regnen begonnen. So gehört sich das ja auch in einem echten Regenwald. An einigen geeigneten Stellen hat man hier Terrassen in den steilen Hang planiert und Gewächshäuser aus Folientunneln errichtet. Was hier gepflanzt wird, kann ich nicht erkennen. Nach etwa zwei Stunden ist eine Hochebene erreicht, die Kurven werden weiter und die Berge etwas weniger schroff. Hier ist jedes Stückchen halbwegs ebenes Gelände terrassiert und ein Großteil davon mit Gewächshäusern zugepflastert. Gemüse, Salat, Blumen, Erdbeeren und viele andere Pflanzen werden im industriellen Maßstab angebaut.

Die Bevölkerung Malysias besteht zu rund 50% aus überwiegend muslimischen Malayen, 24% eher buddhistischen Chinesen, 11% indigenen Völkern 7% Indern und rund 8% anderen. Die meisten Menschen leben auf dem Festland in Westmalaysia, während in Sarawak und Sabah (Borneo) nur ein Fünftel wohnt. Die sunnitisch islamischen Malaien erheben politischen Führungsanspruch und werden seitens der Regierung bevorzugt. Das Wachstum der Bevölkerung ist mit etwa 1,6 % jährlich relativ hoch, etwa ein Drittel der Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre, wobei etwa 75% der Menschen in Städten leben. Religionsfreiheit besteht nur auf dem Papier, die Todesstrafe wird erst seit 2018 nicht mehr vollzogen, Homosexualität ist nach wie vor strafbar. Laut der NGO Reporter ohne Grenzen ist die Lage der Pressefreiheit im Land schwierig. Nichts davon hätte ich gestern für möglich gehalten, als wir uns noch sehr locker und entspannt mit dem netten, fortschrittlich eingestellten (muslimischen) Caféhausbesitzer in Ipoh unterhielten.

Je weiter wir in die Cameron Highlands hineinkommen, umso mulmiger wird es uns. Ist das wirklich das Etappenziel, das wir uns ausgesucht haben? Landwirtschaft wird hier offensichtlich kompromisslos und gewinnmaximiert betrieben. Man kann sehen, wie von Baumaschinen komplette Bergkuppen abgetragen und eingeebnet werden, um anderswo Täler zuzuschütten, neue Anbauflächen zu gewinnen und Plantagen anzulegen. Angesichts der unzähligen Quadratkilometer Foliengewächshäuser frage ich mich, was aus all diesem Plastik wird, wenn es zerschlissen ist. Keine Minute später passieren wir einen kleinen Fluss, seine Ufer sind von Plastikfetzen bedeckt; in den Bäumen am Ufer hängen mehr Folienreste als Blätter. Trotzdem ist diese Region ein beliebtes Urlaubsziel: Wegen des angenehm kühlen Klimas kommen viele Malaysier gern in die Berge. Hochhäuser bedecken reihenweise die Bergkämme, teilweise erinnert es uns an zugebaute Skiorte in Österreich. Wir beschließen, der Gegend dennoch eine Chance zu geben, zur  Weiterreise reicht heute die Zeit ohnehin nicht. Als wir im kleinen Brick’s Hotel einchecken, erfahren wir, dass wir Glück haben: Gerade haben die Ferien begonnen und damit die Hochsaison.

14.11.2019 Tanah Rata, Cameron Highlands

Wir buchen eine Tagestour: Mossy Forest, Teeplantage, Schmetterlingsfarm. Das ganze hört sich schlimmer an, als es dann ist. Mit uns sitzen zwei Schottinnen und ein Paar aus den Niederlanden im Landrover. Auf dem Feldweg zum Mooswald werden wir alle gut durchgeschüttelt. Holzstege und viele Treppenstufen erleichtern den Einblick in das kleine Naturschutzgebiet „Mossy Forest“.

Tatsächlich sind hier alle Baumstämme rundherum mit Moos bewachsen. Die Luft ist kühl und sehr feucht, ideales Wachswetter. In den Astgabeln sitzen dicke Moosklumpen, diese bilden wiederum die Lebensgrundlage für kleinere Aufsitzerpflanzen. Es gibt Farne in jeder erdenklichen Form – von Fingernagelgröße bis zur Höhe eines Hauses. Alles strebt hoch, klettert, wächst und vergeht unweigerlich auch wieder. Überall lauern Destruenten wie Pilze, Asseln, Würmer, Käfer, die alles tote organische Material im Nu zersetzen. Leider können wir im Nebel von dem 2000 Meter hohen Berggipfel aus nur die Nachbargipfel sehen, beeindruckend ist der Ausblick auf den Wald von oben dennoch. Im Unterholz entdecken wir mehrere Kobralilien mit der charakteristischen, schlangenartigen Zunge. Berührt man diese, so sagt man uns, stirbt die Pflanze. Über dem Weg entdecken wir eine kletternde Kannenpflanze; auch sie wurzelt nicht im fruchtbaren Boden, sondern im Mooskleid anderer Pflanzen. Den Mangel an Nährstoffen gleicht sie aus, indem sie in ihren zu Kannen umgeformten Blättern Insekten fängt und verdaut.

Unser Fahrer hält den Jeep dicht am Abgrund und erklärt uns über den steilen Feldern der Plantage, wie der Tee angebaut und halbmaschinell geerntet wird: Vorwiegend Wanderarbeiter aus Sri Lanka und Bangladesch heben zu zweit eine riesige Mischung aus Rasenmäher und Heckenschere über die Teesträucher, um die frischen Blätter abzurasieren. Nachdem das Gerät um die 15 Kilogramm wiegt, dürfte das ein ziemlicher Knochenjob sein.

Weiter erfahren wir, dass Tee unbeschnitten zu richtigen Bäumen wachsen kann und die Pflanzen bis zu 120 Jahre alt werden. Die kleine Teefabrik BOH besichtigen wir im Eiltempo: Schneiden, Sortieren, Rollen, Fermentieren/Oxidation, Trocknen, Sieben/Sortieren und Verpacken sind die Arbeitsschritte, die wir durch große Glasfenster beobachten dürfen. Auf den Besuch der Teeboutique verzichten wir.

Ipoh, abseits der Touripfade

Ewig ziehen die Palmölplantagen sich an den Gleisen entlang. Malaysia bedient zusammen mit Indonesien 80 Prozent des Weltbedarfes. Ipoh heißt unser nächstes Ziel, eine kleine Großstadt, überwiegend bewohnt von chinesisch-stämmiger Bevölkerung mit nettem Flair, kolonialer Altstadt und Streetart-Kunstszene.

Hier findet man noch das ursprüngliche Malaysia, heißt es. Tatsächlich ist die Stadt irgendwo zwischen Verfall und Aufbruch. Ein koloniales Erbe der Engländer sind die kleinen Reihenhäuser: Vorn ist stets ein Laden oder ein Lokal, hinten raus gibt es Zugang zu den „lanes“, Hinterhofgassen, wo die Mauern oft mit zeitgenössischen kunstvollen Graffitis verziert sind. Wir streifen stundenlang durch die Stadt und suchen die verschiedenen Kunstwerke auf, zwischendrin erfrischen wir uns mit Kaffee oder einer Pause im Stadtpark am Fluss. Die Wirtschaft wird überwiegend von Chinesen beherrscht, aber viele der Geschäfte stehen leer, einige Häuser sind verfallen. In einer oder zwei Straßen macht sich Aufschwung bemerkbar mit hippen Lokalen, Cafés und Designergeschäften.

Im indischen Viertel gibt es das beste Essen für einen Spottpreis: Zwei Portionen des Tagesmenüs, dazu zwei Lassi, das klassische Joghurtgetränk kosten 23 Ringgit (~unter 5€). Hier hat es uns immer geschmeckt. Achtung allerdings, nicht überall gibt es Besteck, denn die meisten Kunden essen mit den Fingern vom Bananenblatt. Am Nightmarket direkt bei uns um die Ecke konkurriert mindestens ein Dutzend chinesischer Schnellrestaurants um die Kundschaft; jedes scheint eine besondere Spezialität anzubieten: Salted Chicken, grilled Pork und steamed Chickenlegs – unser Geschmack ist es nicht. Gestern folgten wir nichtsahnend der Empfehlung des Kellners und bekamen zwei Teller Glibberzeug in unterschiedlichen Farben und marginal unterscheidbaren Konsistenzen, einmal eher schlabbrig wie Gelatine und einmal eher wabbelig wie Wackelpudding. Der Geschmack war nicht einzuordnen, die zerkleinerten knusprigen Schweinekrustenteile am Grunde des Tellers haben wir allerdings mit leichtem Ekel herausgeschmeckt. Wir reden uns ein, dass dies das echte unverfälschte Essen wie in China ist, eine Erfahrung allemal.

In jedem Fall muss ich mein Bild vom Menschen aus dem Reich der Mitte differenzieren. Der geneigte Leser sei erinnert an meine frühere Polemik über Selfie-Stick schwingende Volksgenossen, die bar jeden Feingefühls auf anderer Leute Intimsphäre und Zehen herumtrampeln. Zwar hat der Chinese auch in Ipoh im Allgemeinen weder Tischmanieren noch Esskultur (über Nasenziehen, Spucken und andere Körpergeräusche will ich an dieser Stelle beredt schweigen), nichtsdestoweniger haben wir hier durchaus nette Chinesen kennengelernt. Unsere Wirte beispielsweise bemühen sich wirklich um unser Wohl und kochen auch sehr gut; in der Stadt haben wir verschiedentlich von freundlichen Chinamenschen Auskunft erhalten, die übrigens auch gestimmt hat. Das ist, nebenbei bemerkt, in Asien durchaus nicht selbstverständlich: Oft fragt man irgendwelche Leute nach dem Weg und erhält irgendeine falsche Auskunft – nicht aus bösem Willen; sondern weil der Befragte die rechte Antwort nicht wusste, dies aber nicht zugeben konnte. Die Kunst ist es in so einem Fall, an der eher klaren oder eher unbestimmten Art der Antwort zu erkennen, woran man ist.

Eine Reise ist kein Urlaub

Meine Augenringe hängen bis zum Kinn. Letzte Nacht habe ich höchstens vier Stunden geschlafen, obwohl das Hotelbett bequem war, das Zimmer dunkel und die Umgebung leise. Statt zu schlafen habe ich über die fehlende Komfortzone gegrübelt. Dieser Tag war ein Tiefpunkt.

Nach der sehr billigen, aber auch unbequemen Nacht im lauten Kuta brachte uns ein vierstündiger Flug ohne Getränk oder Imbiss nach Kuala Lumpur. Die einzige Erfrischung, die uns zuteil wurde, war eine ausgiebige Aerosolbesprühung durch die Stewardessen kurz vor dem Landeanflug. Hat man uns hier desinfiziert? Es stank eklig nach Kunstaroma. Dann der Kulturschock: Alles in Malaysia ist extrem sauber, super ordentlich und viel teuer als in Indonesien. Hungrig setzen wir uns am Flughafen in den Expresszug ins Zentrum. Entlang der Bahnstrecke sehen wir Reihenhäuser, die ebenso in Bielefeld, Halle oder Altötting stehen könnten, fremd nur die Bananen und Kokospalmen in den Vorgärten. Hier haben Autobahnen wieder Leitplanken und Mittelstreifen, dafür weder Schlaglöcher, Kreuzungen noch Speedbumps. Der Zug sieht innen deutlich moderner aus als die letzten Flugzeuge.

Der Hauptbahnhof Sentral Stasiun sitzt wie ein gordischer Knoten inmitten der vielen verschlungenen Verkehrswege der Hauptstadt Malaysias: Schnellbahn, Expressbahn, Pendlerbahn, U-Bahn, Monorailbahn, Stadtautobahn und normale Straßen kreuzen sich in mehreren Ebenen – Stuttgart 21 ist ein Fliegenschiss dagegen. Unsere Rucksäcke verstauen wir in einem sündhaft teuren, sprechenden Schließfach mit Gesichtserkennung. Ob das wohl gut geht? Heute steht das Experiment Couchsurfing an. Wir haben eine Einladung von einem Hals-Nasen-Ohrenarzt, der StarTrek-Fan und Sammler von Schokoladenpapier, Flugmagazinen und Flaggen ist. Leider hat er Spätschicht und wir müssen die Zeit bis zum späten Abend irgendwie überbrücken.

Also erwandern wir die Innenstadt von KL, besuchen Little India und laufen noch ein paar Kilometer, um einen Blick auf die Petronas Towers im Abendlicht zu erhaschen. Zwischendurch durchstöbern wir die gigantische, bereits weihnachtlich dekorierte KL Sentral Shoppingmall auf der Suche nach einer malaysischen Daten-SIM-Karte fürs mobile Internet. Das ist hier gar nicht so einfach, wie man meinen möchte. Schließlich bekommen wir nach langem Hin und Her eine Monatskarte mit unbegrenztem Datenvolumen für lächerliche 37 Ringgit (8,50€), aber erst nachdem mein Pass weißgottwie oft gescannt, abfotografiert und sonstwohin geschickt wurde sowie eine umständliche Aktivierungsprozedur absolviert ist, funktioniert das Ding. Eigentlich wollen wir doch nur duschen und unsere Ruhe! Aber ohne mobiles Internet kein Chat, ohne Chat keine Couch. Zwar gibt es in jedem Cafe WiFi for free, aber selbst mein Fassungsvermögen für Espresso ist irgendwann erschöpft.

Wieder online läuft unser erstes Couchsurfing-Experiment komplett aus dem Ruder. Der Gastgeber hat wohl doch keine Zeit für uns, außerdem wird immer klarer, dass er relativ wenig am Kennenlernen anderer Reisender interessiert ist. Vielmehr scheint er möglichst viele Gäste möglichst schnell abfertigen zu wollen. Die 347 Freunde auf der CS-Plattform hätten mich vielleicht gleich stutzig machen sollen. Seit ich mit ihm kommuniziere, hat er noch mindestens sechs andere Gäste, die wechselweise seine Wohnungsschlüssel bekommen; er selbst ist meist in der Arbeit. Mit Andrew aus Tschechien und Ivan aus Russland schreibe ich per WhatsApp mehr als mit unserem Gastgeber.

Das Drama steigert sich. Da unser Gastgeber bis 22 Uhr arbeitet und dann noch Überstunden machen will, verabreden wir uns stattdessen mit Andrew. Es gelingt mir trotz bleierner Müdigkeit und wachsender Entnervtheit unseren und Andrews Standorte in der Karte auf der App zu einer Taxibestellung zu verknüpfen, endlich bewegt sich das kleine Auto auf dem Display auf uns zu – aber was ist das? Der Fahrer fährt an uns vorbei und hält ganz woanders als ausgemacht. Es dauert eine Weile, bis ich ihn im echten Leben schließlich doch finde, aber jetzt ist er ungehalten und mault mich an wegen der vertanen Zeit. Er will uns nicht mehr chauffieren und nun bin auch ich nicht mehr sehr freundlich. Ein anderes Transportmittel ist zu später Stunde nicht in Sicht, denn komischerweise klappt man hier trotz allem Weltstadtgehabe gegen 22.00 Uhr die Gehsteige hoch. Wir checken total entnervt, durchgeschwitzt und müde irgendwo zwischen Bahnhofsviertel und Little India in einem Hotel ein.

Anderntags erkunden wir die hochmoderne, blitzsaubere Großstadt per S-Bahn und zu Fuß. Unzählige protzige Wolkenkratzer und pikfeine Einkaufszentren scheinen um die besten Plätze zu streiten, überall sind riesige Baustellen, wo noch mehr gigantische Bauprojekte entstehen. Im KLLC Center, einem Konsumtempel der Extraklasse verlaufen wir uns beinahe. Hier sind alle Luxusmarken der Welt vertreten: Diamantenbesetzte Täschchen und idiotische Designerschuhe, erlesenes Parfum und teurer Schmuck, teuerster Nippes und extravagante Mode werden in marmorgefliesten Hallen von perfekt gestylten, dauerlächelnden Hostessen präsentiert. In Flipflops und Travellerhosen passen wir perfekt hinein in diesen Konsumtempel. Die Petronas Towers finden wir schließlich doch, mit ihren 452 Metern Höhe und 88 Stockwerken sind sie auch kaum zu übersehen. Ein paar Jahre lang war der Doppelturm das höchste Gebäude der Welt, ich finde das übergroße Statussymbol ziemlich hässlich. Die Erbauer haben immerhin mitgedacht, gleich daneben hat man einen kleinen Park angelegt. Von hier hat man einen guten Blick auf viele andere, teils auch extravagante Stahl-, Glas- und Betonkolosse rundherum: Zwar sind es allesamt Machtsymbole von Großkonzernen und Superreichen, manche sind jedoch einfallsreicher gestaltet als andere: Gewunden wie ein verdrehter Rhombus, in Form einer gigantischen Sanduhr, einer Ellipse oder mit begrünten Außenwänden. Trotz aller Pracht weiß ich nicht erst jetzt, dass ich nicht fürs Stadtleben geschaffen bin.

Ipoh, 12.11.2019