Weihnachten am Milford Sound

Am Slope Point erreichen wir den südlichsten Punkt Neuseelands. Von hier sind es noch 4803km zum Südpol. Wahrscheinlich haben wir jetzt auch den südlichsten Punkt unserer Reise erreicht, denn ob wir es wirklich bis nach Feuerland schaffen, ist fraglich. In den letzten Wochen haben wir so oft gefroren, dass wir keine Lust mehr auf weitere Kälte haben.

22.12.2019 am Lake Manapouri

In Fortrose schlafen wir gleich neben den Dünen auf einem kleinen kostenlosen Stellplatz. In der Nacht hat es aufgeklart, wir können einen unglaublich schönen, klaren und dunklen Sternenhimmel sehen. Die ganze Milchstraße! Wir haben jetzt die Catlins verlassen und machen uns bei wieder immer schlechter werdendem Wetter über die einsamen Straßen von Southland zunächst nach Invercargill auf. In der südlichsten Großstadt Neuseelands kaufen wir für die Weihnachtsfeiertage ein. Außer Lebensmitteln für vier Tage sind auch ein Paar Handschuhe und Batterien für meine Stirnlampe dabei. Darüber hinaus ist ein Trip über den Milford-Sound unser gemeinsames Weihnachtsgeschenk. Vom Südmeer verabschieden wir uns bei McCracken’s Rest, einem wunderbaren Aussichtspunkt über viele Kilometer Strand nach beiden Seiten. Mächtige Brandung und stürmischer Wind lassen uns nicht lang verweilen; zumindest regnet es endlich mal nicht. Dann biegen wir Richtung Norden ab und mit jedem Kilometer wird das Wetter besser. Wir schalten die Heizung im Auto ab, dann ziehen wir die Pullover aus, schließlich fahren wir unsere Scheiben herunter! Rasch heben die steigende Temperatur und der strahlende Sonnenschein unsere Stimmung nach den vielen Regentagen wieder. Die Straßen werden umso einsamer, je weiter wir uns von der Umgebung Invercargills entfernen.

Schneebedeckte Gipfel tauchen in der Ferne auf, wir sehen unsere hunderttausendsten Schafe und es wird immer wärmer. Ab jetzt Richtung Nordwesten wird die Infrastruktur extrem dünn, es gibt kaum noch Tankstellen – von Abfalleimern, Mobilfunk oder Radio ganz zu schweigen. 

Wir stehen an einem kleinen Parkplatz in einem riesigen Tal. Den Lake Te Anau haben wir vor ein paar Minuten hinter uns gelassen, nachdem wir in der gleichnamigen Ortschaft nochmal getankt und ein paar letzte Lebensmittel eingekauft haben. Endlich ist der Himmel wieder blau, mächtige Berge säumen das Tal zu beiden Seiten. Ganz weit im Norden sehe ich schneebedeckte Gipfel. Ein reißender Wildwasserbach spaltet sich in viele Arme auf, die sich kurz darauf wieder vereinigen. Die Landschaft ist so atemberaubend schön, man ist versucht, alle paar hundert Meter anzuhalten, um ein Foto zu aufzunehmen. Zum Glück gibt es viele Aussichtspunkte und die Landschaft ist riesig. So verteilen sich die beträchtlichen Menschenmassen einigermaßen. Nur einmal, an den Mirror Lakes drehe ich um. Eben haben drei große Reisebusse ihre Passagiere ausgespien. Selbstverständlich sind wir nicht die einzigen, die sich an der Naturschönheit erfreuen wollen. Wenn alle diese Chinesen jetzt die Welt bereisen, meint Andrea, dann sollten wir vielleicht nach China fahren – da muss es ja ganz leer sein! Ich fürchte, der Plan geht nicht auf.

Die Landschaft ist extrem mächtig, man fühlt sich ganz klein dagegen. Morgens überfallen uns dann Myriaden von Sandfliegen, auch eine mächtige Naturgewalt. Das Frühstück verlegen wir auf den Platz The Divide – eine Art Sattel oder Pass. Während  wir an der offenen Heckklappe unser Käsebrot im Stehen verdrücken, krächzen und zwitschern über unseren Köpfen die Bergpapageien. Wir haben uns eine kurze Wanderung zur Howden Hut herausgesucht. In Serpentinen steigen wir zu der kleinen Selbstversorgerhütte, die idyllisch zwischen mächtigen Bergen und kristallklaren Seen liegt. Sandfliegen gibt es allerdings auch hier in rauen Massen. Wir bleiben keine fünf Minuten, an Rast ist nicht zu denken. Auch auf dem Rückweg sind wir wieder mal die langsamsten aller Wanderer, dauernd werden wir überholt. Es scheint uns, dass die Leute ein Wettrennen veranstalten: Wer kann noch mehr Punkte auf der Liste in einem Tag abhaken? Gut, dass wir gar nicht schneller können, denn mein Fußgelenk und Andreas Rücken bremsen uns. Schließlich sind wir auch mit Abstand die ältesten hier, wie beinahe überall auf unserer Reise. Besonders heute ein komisches Gefühl: es ist Heilig Abend, und wir sind hier ganz allein ohne unsere Kinder und die Oma.

Der weitere Weg Richtung Milford Sound führt uns über die Milford Road, eine der anerkannt schönsten Straßen der Welt, an vielen atemberaubenden Aussichtspunkten vorbei. Brav halten wir wie all die anderen Touristen, schießen unsere Fotos und fahren kurz drauf weiter. Zum Verweilen ist hier überall zu viel los. Vor dem Homer Tunnel müssen wir kurz warten – Einbahnregelung. Ein neugieriger Kea verkürzt die Wartezeit. Die leider inzwischen seltenen Bergpapageien sind sehr intelligent und extrem neugierig. Ich setze mich auf die Straße und baue aus ein paar Kieselsteinen eine Pyramide, der Vogel schaut gespannt zu und kommt näher. Doch bald schaltet die Ampel auf grün und ich springe zurück ans Steuer. Ciao, Kea! Der Tunnel, erbaut von 1939 bis 1953 (!) ist steil und finster. Wir unterqueren in wenigen Minuten das riesige Bergmassiv und erreichen auf der anderen Seite ein Tal mit beinahe senkrechten Wänden, aus denen viele Wasserfälle hervortreten und hunderte Meter herabfallen. Vor der Fertigstellung des Tunnels und der Straße war der Sound nur über den Milford Track zu Fuß oder per Schiff von der Tasmansee aus erreichbar. Die Bootstour über den Fjord haben wir uns zu Weihnachten geschenkt – im Sonderangebot gab es die Fahrt bei BookMe für 55 statt 99 NZ$. Tatsächlich ist unser Boot wie versprochen das mit Abstand kleinste im Hafen und zum Glück höchstens halb voll. Am Sound ist eine komplette Touristenbespaßungs- und Naturentdeckungsindustrie entstanden. Es gibt sogar einen Flughafen in Milford Sound! Kaum jemand wohnt hier, es geht nur um die Abwicklung der Touristentouren. Die zweistündige Bootstour genießen wir trotzdem, sie führt uns zu spektakulären Wasserfällen mit integriertem Regenbogen, entlang steilen, hunderte Meter hohen Felswänden bis ans Meer.

Auf dem Rückweg sehen wir sogar Fellrobben ganz aus der Nähe, dann fährt das Boot unter einem Wasserfall hindurch. Die Nacht verbringen wir auf dem ehemaligen Straßenarbeitercamp am Gunn’s Point – wieder umschwirrt durch Wolken von Sandfliegen. Hier geht es ziemlich rustikal zu: Mitten im Wald an einem kleinen Fluss und einem Bach stehen ein paar alte wellblechgedeckte Hütten, es gibt einen Generator und abends für ein paar Stunden Strom. Warmes Wasser zum Duschen kann man haben, solange es unter dem holzbeheizten Kessel brennt, danach ist es ziemlich frisch, genauer gesagt eiskalt. Abgesehen davon verfügt der Platz über einen unerschöpflichen Vorrat an Sandfliegen. Die kleinen Plagegeister stechen oder beißen, genau weiß ich es nicht. Aber der Effekt ist viel übler als bei normalen Moskitostichen. Binnen 24 Stunden entstehen große eitergefüllte Quaddeln, die nicht nur höllisch jucken, sondern richtig weh tun. Aber wehe, man kratzt, dann wird es noch viel, viel schlimmer.

Die Catlins – Urwald, Strand und Felsenküste

Meine linke Sandale hat sich entschieden, künftig getrennte Wege von ihrem rechten Gegenteil und von mir zu gehen. Irgendwo in Dunedin muss sie ausgestiegen sein. Wahrscheinlich ist sie vom Trittbrett unseres Vans gehüpft, als ich im strömenden Regen und eiskaltem Wind die Schiebetür geöffnet habe. Geblieben sind mir meine Flipflops aus Thailand und meine Wanderschuhe aus Bayern. Dazu eine verlassene rechte Sandale in Trauer.

Okay, Sandalen brauche ich momentan eh nicht. Die Flipflops eigentlich auch nicht, bei 11 Grad und Sturmböen. Der Lehm, auf dem wir wandern, ist stellenweise derart zäh, dass es laut schmatzt, wenn wir unsere Wanderstöcke wieder anheben. Von den Schuhen ganz zu schweigen. Der Weg führt uns durch einen Urwald aus Farn, Laubbäumen, Palmen, stacheligen Büschen und Schlingpflanzen entlang des Taieri River den Hang hinauf, über ein paar Nebenflüsse und Bäche, durch ein Sumpfgebiet und schließlich immer weiter hoch zu einem Felsen weit über dem Wasser. Den Spruch von den „four Seasons in one day“ kennt man ja, am Taieri River Mouth hatten wir heute vier Jahreszeiten in zehn Minuten. Und das vier oder fünfmal im Wechsel: buchstäblich von heißer Sonne bis zu eisigem Wind mit heftigen Schauern.

Am Flussufer unter uns ist der Wechsel von Flut und Ebbe gut zu sehen. Wo wir auf dem Hinweg noch beinahe im Wasser liefen, ist am Rückweg ein breiter Streifen Schlick und Kies trocken gefallen, bedeckt von tausenden kleinen Schnecken. Neuseeland hat nicht nur Kiwis, sondern noch viele andere endemische Vogelarten. In der Tat gab es hier einst, abgesehen von zwei oder drei Fledermausarten überhaupt keine Säugetiere. Folglich wurden sämtliche ökologischen Nischen durch Vögel besetzt: Raubtiere gab es keine, dafür Vögel in allen Größen und Formen. Der riesige Haastadler etwa oder der Moa beispielsweise, der mit bis zu etwa 270 Kilogramm Körpergewicht größte Laufvogel den es je gab, wurden bereits vor über 500 Jahren von den Maori ausgerottet. Durch importierte oder ungewollt zugewanderte Tierarten ist die Vogelwelt der Inseln heute immer noch in Gefahr. Fallen für Raubtiere sollen Abhilfe schaffen; besonders Ratten, Frettchen und Wiesel werden gefangen, wie wir von einem älteren Herrn erfahren, der uns auf der Wanderung begegnet. Er ist gerade unterwegs, die Fallen zu kontrollieren – Freiwilligenarbeit für die Gemeinde.

Geschlafen haben wir gestern auf Paulas Platz direkt hinter den Dünen von Taieri. Hier ist Camping noch wie früher: Hühner laufen herum, Bad und WC sind einfach und die Küche protzt mit einem Esstisch wie in einer Ritterburg. Die heutige Nacht verbringen wir auf dem Campground am Clutha River in Kaitangata. Der Chef Ralph ist Koch und lebt schon seit über fünfzig Jahren nicht mehr in der schwäbischen Heimat. Er hat schon alles mögliche gemacht in seinem Leben, momentan möchte er mir gern seinen Campingplatz verkaufen, um wieder mal umzusatteln. 500000 NZ$ will er für den Grund, ein Schnäppchen. Trotzdem werde ich mit dem Angebot nicht warm. Liegts vielleicht am Wetter?

19.12.2019 Campers Freuden Pounawea

Warum spricht man eigentlich von einem Kulturbeutel? Richtig, weil ohne droht man zu verlottern. Kulturlos eben. Wir sind in akuter Gefahr, obwohl wir beide so ein Sackerl mit Zahnpasta und Seife besitzen. Wenn die letzte Unterhose angezogen und das letzte T-Shirt angeschwitzt ist – von den Socken will ich schweigen – dann ist es Zeit, einen Platz mit einer Waschmaschine und, bei diesem Wetter, einem Trockner anzusteuern. Heute nach dem Waschen habe ich festgestellt, dass ich noch sechs Unterhosen besitze. Normalerweise würde man sagen, das reicht für eine Woche. Weit gefehlt, es reicht auch für zwei oder drei, je nachdem, wie oft man die Badehosen anhat. Leider momentan gar nicht. Heute ist jedenfalls Waschtag. Leider hat die Maschine eine von Andreas Socken aufgefressen. In Balclutha habe ich mir als Ersatz für die Sandalen ein Paar Opa-Hausschuhe gekauft. Modetrends waren mir schon immer egal, aber diese Treter sind wirklich extrem hässlich. Dennoch, die einzig verfügbaren Modelle in meiner ausgefallenen Größe. Wahrscheinlich wäre mir die Sandale gar nicht davongelaufen, wenn wir nicht so einen winzigen Van bewohnen würden. Darin ist jeder Quadratmillimeter mit irgendwelchem Zeug belegt, obwohl wir doch eigentlich gar nicht so viel dabei haben. Bei Regen macht es gleich gar noch viel weniger Spaß. Besonders abends und nachts, wenn wir zu Schlangenmenschen mutieren, zwischen unseren Rucksäcken, den Campingstühlen, den klammen Decken hindurchkriechen, um uns irgendwie zur Nacht in eine halbwegs erträgliche Position zu verbiegen. Die „Matratze“ ist ein etwa fünf Zentimeter hohes Polster, das aus vier Teilen besteht. Klar, dass diese ständig auseinander rutschen und man in der kalten Ritze landet. Heute Nacht ist die Unterkonstruktion aus Esstisch und hochgeklappter Sitzbank zweimal unter mir zusammen gebrochen. Das sind dann die Momente, wo man an dem ganzen Projekt zu zweifeln beginnt. Überhaupt, warum hat eigentlich das junge Paar Schweizer neben uns einen doppelt so großen Campingbus? Wie ein strahlend weißes Kreuzfahrtschiff überragt der gigantische Mercedes unseren winzigen Toyota in allen Dimensionen. Unsympathische Menschen entsteigen dem Koloss, frisch geduscht und geföhnt, aber „Guten Morgen“ können sie offenbar nicht.

Die Catlins sind ein riesiges, extrem dünn besiedeltes Gebiet an der Südostküste. Handyempfang oder gar Internet gibt es nur stellenweise, die Straßen sind meist nicht geteert. Die Natur ist gigantisch. Heute haben wir den Nugget Point, die Cannibal Bay und Jack’s Blow Hole besichtigt; spektakuläre Felsenkliffs, gigantische Strände und eine eingestürzte Höhle mit Verbindung zum Meer, wo die Brandung durch ein riesiges Felsenloch in die Höhe schießt. Das Wetter hat halbwegs gepasst, bei Sonne wär’s sicher schöner gewesen als im Regen. Eben bin ich nochmal durch den Starkregen zum Auto gehechtet und habe uns die Thermounterwäsche geholt. Wir sitzen in der halbwegs warmen Camingplatzküche und grausen uns vor unserem klammen Bus.

Tatsächlich, diese Nacht war die kälteste und feuchteste von allen bisher. Unser Atem kondensiert in der Kälte am Blech des Hiace, morgens ist alles patschnass. Heute waren wir trotz miesem Wetter bei mehreren Wasserfällen, am Lake Wilkie, einem kleinen Moorsee hinter den Dünen und in einer riesigen Höhle in den Felsen am Meer (Cathedral Cave) und an dem größten Strand, den ich je gesehen habe. Im Museum von Owaka haben wir uns über die Geschichte der lokalen Eisenbahn, der Holzfäller sowie der Walfänger informiert. Die Leute hatten ein hartes Leben damals! Sicher waren die Menschen seinerzeit nicht so verweichlicht wie wir. Aber was hilfts uns, wenn wir jetzt frieren?

20.12.2019 Whistling Frog Cafe

Albatrosse und Seelöwen

Königsalbatrosse können bis zu 1000 Kilometer am Tag fliegen. Mitunter sind sie jahrelang unterwegs, ohne jemals festen Boden zu berühren. Die riesigen Vögel haben eine Flügelspannweite von über drei Meter. Auf der Halbinsel Otago liegt eine große Brutkolonie, die einzige weltweit am Festland. Umweltschützer sorgen für ungestörte Ruhe auf den hohen, windumtosten Klippen und bemühen sich außerdem, Raubtiere wie Marder, Katzen etc. fern zu halten. Infolgedessen liegt der  Bruterfolg hier recht hoch. Trotzdem ist die Art stark bedroht: Langleinenfischerei, Netze und vor allem Plastikmüll im Meer raffen mehr Tiere dahin, als geboren werden. Man kann es kaum glauben, denn die Strände hier im Süden der Südinsel scheinen makellos sauber. Heute sind wir zur Sandfly Bay gewandert und haben dort die – ebenfalls bedrohten – Seelöwen beobachtet. Ein Traumstrand! Feinster Sand, riesige Dünen.

Die Seelöwen ruhen hier nach der anstrengenden Jagd im Wasser. Trotz strahlender Sonne war es eiskalt, denn der Wind ist uns nur so um die Ohren gepfiffen. Die Kiwis wissen schon, warum sie ihre Dixiklos mit Spanngurten am Boden festzurren.

Wir sitzen in einem Café in Dunedin und nutzen das WLAN, um unsere Fotos hochzuladen hochzuladen und zu überlegen, für welche Projekte wir unsere letzten Flug-Ablässe spenden, siehe Seite „Klimaneutral reisen“. Draußen regnet es in Strömen, wir hatten eine sehr ungemütliche und kalte Nacht in unserem kleinen Campervan. Bis jetzt hatten wir ja Glück mit dem Wetter, aber jetzt ist die Kalt- und Regenfront von der Westküste zu uns im Südosten herübergeschwappt. Die Leute reden viel über den Klimawandel. So ein Wetter habe es hier noch nie gegeben. Die anhaltenden Stürme haben die Westküste seit Wochen lahmgelegt, überflutete und gesperrte Straßen haben sogar Ortschaften isoliert. Andernorts gibt es eine Dürre und Australien ächzt seit Wochen unter einer schrecklichen Hitzewelle von bis zu 50°C.

17.12.2016 Dunedin

Kein WLAN in der Wildnis

Momentan sitze ich in unserem Campervan neben einem kleinen Bach auf einer Lichtung in einem romantischen Tal mit Sandsteinformationen, die mich ein wenig an die sächsische Schweiz erinnern, nur dass hier irgendwie alles viel größer ist als in Europa.

Ich weiß nicht, wie ich zusammenfassen soll, was wir in der letzten knappen Woche erlebt haben: Unglaublich schöne Landschaften, extremes Wetter, supernette Leute. Wir sind inzwischen etwa 1500 Kilometer über die Südinsel gefahren, haben die neuseeländischen Alpen mit ihren auch jetzt im Sommer schneebedeckten Gipfeln besucht, sind stundenlang auf schnurgeraden Highways durch gigantische Landschaften gereist, haben auf einfachen Parkplätzen ohne Wasseranschluss und weitab von jedem Strom- oder Handynetz übernachtet, sind auf extrem kurvigen Schotterstraßen oder einspurigen Holzbrücken über wilde Gebirgsflüsse beinahe von der Straße abgekommen vor lauter Schauen.

Nur in den Ortschaften oder manchmal auf den großen Highways gab es Handynetz, deshalb habe ich in letzter Zeit zwar viel Tagebuch geschrieben, aber nichts auf den Blog gebracht. Technische Probleme mit dem Server habe ich derzeit auch. Fotos rauf- und herunterladen ist ziemlich schwierig. Deshalb heute nur mal ein kurzer Zwischenstand. Die ausführliche Version gibt’s dann vielleicht mal als Buch, wie wäre das?

Ein Highlight war der Besuch am MountCook, dem höchsten Berg Neuseelands und überhaupt Australozeaniens. Mit 3724 Metern ist er fast tausend Meter höher als unsere Zugspitze. Die Bergseen von Canterbury sind von unbeschreiblich türkiser Farbe. Lake Tekapo, Lake Oahu und die anderen Seen haben uns sehr gefallen, doch die winzigen blauen Pinguine am Strand von Oamaru haben unser Herz bewegt. Überhaupt die Strände! Es ist zwar unglaublich windig und ziemlich kalt, aber die Fellrobben und Pinguine stört das nicht.

Lake Coleridge

Liebe Freunde, es geht uns gut! Lieb, dass so viele nachfragen – wir sind auf der Südinsel in den Bergen ganz weit weg von White Island und dem Vulkanausbruch.

Hier in Canterbury gibt es zwar einige Überschwemmungen, der Rangitata River ist über die Ufer gegangen und hat ein paar Brücken beschädigt. Aufgrund der Straßensperrungen haben wir mal wieder unsere Pläne ändern müssen – dafür aber ganz unverhofft wundervolle Landschaften abseits der Touristenpfade entdeckt.

Übrigens: Der Sommer in Neuseeland ist stellenweise kälter als der Winter in Deutschland! Wir haben uns mit langer Thermounterwäsche und dicken Pullovern eingedeckt…

Canterbury, Südinsel Neuseeland

Ich sitze in Okain’s Bay vor unserem Campervan und höre die Vögel zwitschern, im Hintergrund rauscht das Meer an einem wunderbaren Sandstrand. Dieser ist geschätzt ein bis eineinhalb Kilometer lang und mindestens hundert Meter breit, an jedem Ende gesäumt von schroffen, hunderte Meter hohen Felsen. Dort, wo das binsenartige scharfe Gras der Dünen endet und die ebene Strandfläche beginnt, ist der Sand noch gänzlich unberührt. Durch das Salz hat sich oben eine wenige Millimeter dicke Kruste gebildet, darunter ist der Sand fein und weich wie ich es noch nicht erlebt habe. Schwarze Strandläufervögel mit roten Schnäbeln picken hektisch im feinen Sand, ein paar Möwen sind zu sehen. Am ganzen Strand zähle ich, uns eingeschlossen, zehn Menschen. Eine ganz unerschrockene Frau geht tatsächlich ins Wasser! Mir war es schon knöcheltief zu kalt. Früher gab es an diesem Strand eine Walfangstation, man kann es fast nicht glauben. Eine winzige Siedlung nebst Maorimuseum haben wir vorhin besichtigt. Endlich komme ich wieder mal zum Schreiben.

Akaora war ein Traum. Allein der Blick von oben aus den Bergen hinunter in die vielfach aufgespaltene Bucht ist unbeschreiblich. Wir sind froh, dass wir den Abstecher von Christchurch aus auf die Halbinsel Banks unternommen haben. Unser Gastgeber John in Christchurch hatte ja eher abgeraten, aber wir sind begeistert. Der historische Ort mit seinen alten Häuschen im Stil der kolonialen Vergangenheit aus britischen und französischen Zeiten ist so gemütlich und postkartenidyllisch! Man hätte hier zum Beispiel auch weitere Studien zum Thema „Chinesen unterwegs“ betreiben können, es ankern Kreuzfahrtschiffe voller Asiaten im fjordähnlichen Sund ein paar Kilometer vor dem kleinen, beschaulichen Hafenort. Mit der Beschaulichkeit ist es aber auch dahin, wenn ein paar Hundert Kreuzfahrer durchs Dorf tigern. Wir hatten Glück und besichtigten Dorf, Hafenpier, Leuchtturm und die hervorragenden öffentlichen Toiletten ganz allein für uns. Eine Nacht auf dem Hippiecampingplatz Onuku Farm Hostel (Pizza 20$, 1000 Schafe), Hühner folgen uns auf dem Fuß, der Regenbogen an der Scheune bezeugt die Einstellung der Besitzer. Wir genießen einen wahrlich unglaublichen Sternenhimmel. Trotz Halbmond sieht man 100mal so viele Sterne wie zu Hause!

Doch der Reihe nach: In Christchurch auf der Südinsel Neuseelands landeten wir nach unserem verspäteten Flug aus Fidschi mit der von Malindo Air geborgten Maschine. Per Shuttlebus sind wir ins Zentrum gefahren und haben dort ein bisschen rumgeschaut: Vom historischen Erbe ist nach dem Erdbeben von 2011 nicht mehr viel übrig. Die halb zerstörte Kathedrale und ein paar andere Gebäude sind mit Zäunen gesichert, die Fenster vernagelt. Überall wird gebaut. In Johns Haus erleben wir unsere ersten wirklichen Couchsurfernächte, nachdem es in Kuala Lumpur nicht geklappt hatte. Wir wollen hier zwei Nächte verbringen, bis wir unser Wohnmobil übernehmen können. Geöffnet wird uns von der Tirolerin Nina, in der Küche sitzen Gerome und Lisa, zwei Deutsche, im Schlafzimmer Flo und Lina, aus Österreich. Später kommen noch ein französisches und ein deutsches Paar dazu. Fast dieselbe Situation wie zuletzt in Malaysia – aber jetzt können wir nicht mehr zurück. Als später John, unser Gastgeber eintrifft, stellt sich heraus, dass er ein wirklich offenes Haus betreibt und wohl beinahe jeden, der gern kommen möchte, zu sich einlädt. Er selbst ist Rentner und schwer herzkrank, genießt aber offenbar die Gesellschaft der überwiegend jungen Leute und spart trotz aller Beschwerden nicht mit wohlüberlegten Reisetipps. Er hat sogar seine persönliche Best-Of-NZ South-Tour zusammengestellt und gibt die Ausdrucke an seine Gäste weiter, wenn gewünscht. Beim gemeinsamen Kochen, Essen und Frühstück tauschen wir uns mit den anderen Travellern aus. John instruiert das Kochen nach seinen Vorstellungen, aber leider ist er beim Essen nicht dabei, dafür fühlt er sich zu schwach. Ich fühle mich hier in die Wohngemeinschaften meiner Jugendzeit  zurück versetzt. Hier allerdings sind alle der Mitbewohner äußerst rücksichtsvoll, sehr leise und hilfsbereit, außerdem besonders John gegenüber einfühlsam. Trotz der extremen Schlafsituation – bis zu sechs Personen in einem etwa 16 Quadratmeter Zimmer mit zwei Doppelbetten – finden wir die Sache insgesamt in Ordnung. Unser Bett ist ein Beweis der Relativitätstheorie: Auf dieser besonders weichen Matratze entsteht eine Raum-Zeit-Verschiebung; die Gravitation unserer Körper bewirkt eine tiefgreifende Einwölbung des Ereignishorizontes, wir versinken beinahe schwerelos in einem schwarzen Loch-Trichter aus Wackelpudding, bis irgendwer im Raum zu schnarchen beginnt, die Luftmatratzen quietschen, ein Handy losdudelt oder jemand aufs Klo muss.

Viti Levu, Fidschi

Bula ist unser erstes Wort auf Fidschi. Es bedeutet mehr als nur Hallo oder Willkommen. Wörtlich heißt es Leben. Bula wird überall als Gruß verwendet, aber auch wenn jemand niest. Der Gruß wünscht dem Gegrüßten besonders in der ausführlichen Formel Ni sa bula vinaka Glück und fortwährende Gesundheit. Jedenfalls stimmt uns der erste Eindruck schon mal sehr positiv ein: Am Flughafen Nadi begrüßt uns schon vor der Passkontrolle ein Trio bunt gekleideter Männer. Mit Ukulele, Gitarre und Perkussion bringen sie den frisch gelandeten Besuchern ein munteres Ständchen. Die Beamten beim Zoll tragen statt Uniformen bunte Hemden, alles wirkt sehr entspannt und angenehm. Auch unser Rum aus Singapur und die malaysischen Nüsse, die wir dabei haben, sind kein Problem.

Unser Ziel heißt Rakiraki am nördlichsten Kap der Insel, dort haben wir eine Bure (Bungalow, Hütte) für vier Tage gemietet, denn man soll da ganz hervorragend tauchen können. Zunächst hatten wir Bedenken gehabt wegen der Weiterreise dahin: Gut hundert Kilometer etwa, für die man drei bis vier Stunden rechnen muss. Wir hatten gelesen, dass es kaum öffentliche Verkehrsmittel gäbe und die Taxis extrem teuer seien. Die Rezeption unseres Hotels hatte leider auf unsere Emails wenig Sinnvolles geantwortet, also haben wir es einfach drauf ankommen lassen. Wieder mal bestätigt sich die alte Weisheit: Man darf nicht alles glauben, was man so liest. Auf Anraten von Michel, einer Reisebekanntschaft vom Flughafen Singapur, laufen wir einfach geradeaus bis zur Hauptstraße und steigen in den ersten Bus, der vorbeikommt. Jeder, den wir fragen, gibt freundlich Auskunft, Bula eben. Danach ergibt sich alles wie von selbst: Bis Lautoka kommen wir problemlos, dort steigen wir um. Weiter geht es auf der King’s Road entlang der Nordküste der Insel: Matawalu, Natawarau, Ba, Natanuku, Tavua, Korovou – klingt einfach schön. Einfache Bungalows mit Blechdächern säumen die Straße, die meist recht gepflegten Vorgärten sind mit weiß gestrichenen Steinen und alten Autoreifen dekoriert. Zuckerrohr und etwas Mais werden angebaut. Es fühlt sich an wie eine Mischung aus Sri Lanka und Karibik: Der Bus hat weder Klimaanlage noch Fensterscheiben, dafür laute Musik. Benutzt wird er von dunkelhäutigen Einheimischen, wir sind die einzigen Bleichgesichter. Die Landschaft ist grün und bergig. Die Leute sind freundlich, kraushaarig und ziemlich beleibt. Nach einiger Zeit merke ich: Da stimmt irgendetwas nicht – ich muss ein wenig überlegen und dann kommt es mir: Wir haben Asien verlassen! Hier starrt kein Mensch mit abgewinkeltem Genick in sein Wischlkastl. Wenn überhaupt jemand ein Mobiltelefon benutzt, dann telefoniert er damit! Die Straßen sind schlecht, je weiter wir kommen, umso schlechter werden sie und umso mehr leert sich der Bus. Wir rücken nach vorn zum Triumvirat Fahrer – Schaffner – Schaffnerlehrling. Die drei teilen sich einen Karton Traubensaft. Der Fahrer ist sehr entspannt: Mit der einen Hand führt er die Safttüte an den Mund, während er mit der anderen Hand sein altmodisches Tastenhandy hält; man fragt sich, wie er lenkt. Die anderen beiden turnen bei voller Fahrt an der offenen Bustür herum, dass es mir ganz anders wird. Wir kommen ins Gespräch, alle drei sind sehr interessiert an uns. So ergibt sich nebenbei eine Fahrgelegenheit für die letzte Strecke von der Busendstation zum Hotel: Der Bruder des Schaffners hat ein Taxi. So ist die Anreise viel schöner als per Hoteltransfer und billiger noch dazu. Ab Flughafen kommen wir auf insgesamt 36 F$ (~15€) statt 150 bis 250 F$ per Taxi oder über das Hotel.

Unser angeblich ganz einfaches Resort ist der reine Luxus, wir kommen uns vor wie Graf Koks und Gräfin Klunker. Die Strandhütte entpuppt sich als Riesenbungalow im Palmenhain. Wenn wir ein paarmal umfallen, landen wir direkt im Meer. Es gibt ein Restaurant mit riesiger Terrasse über dem Strand, freche Rußbülbüls – hübsche kleine Vögelchen – sitzen auf der Balustrade und manchmal auf unseren Tellern. Die Damen im Restaurant sind klassische Südseeschönheiten: Alle ziemlich stämmig, kurzes krauses Haar, sie sind superfreundlich und haben stets eine Blume hinterm Ohr, das gehört einfach dazu. Man liest uns alle Wünsche von den Augen ab und das Fidschibier erweist sich auch als durchaus trinkbar. Mit der traditionellen Kava-Zeremonie sind wir dann endgültig angekommen; die Mädels nennen mich Papa Jo. Zwar ist auf Viti Levu nichts billig, aber ich habe mir vorgenommen, hier nicht ständig zu rechnen. Sicher müssen wir auf unser Budget achten, denn ein Jahr unterwegs ist kein zweiwöchiger Strandurlaub. Aber in Südostasien haben wir die erste Zeit sehr sparsam gelebt, also wird uns die Woche auf Fidschi hoffentlich nicht ruinieren.

Das Tauchen hier ist sehr schön und aufgrund Strömung und Seegang ziemlich anspruchsvoll. Die passablen Sichtweiten um 10-20 Meter, die intakten Riffe mit zahllosen bunten Fischen und Korallen und die allgegenwärtigen Riffhaie lassen mich inzwischen kaum noch in Begeisterungsstürme ausbrechen, denn ich bin nach den Tauchgängen in Tulamben, Gili und vor allem Komodo total verwöhnt. Neulich sagte ich zu meiner Frau: Wenn jetzt noch ein Walhai daherkommt, kann ich mir ein anderes Hobby suchen. Die Padi-Basis hier beim Hotel verfügt über zwei schnelle Festrumpfboote und gutes Material. Jede Tarierweste ist mit einer Boje und Signalmitteln ausgerüstet. Ich schreibe mich für die nächste Ausfahrt ein; ein später Nachmittagstauchgang und ein Nachttauchgang sind geplant. Mit den einheimischen Guides und der kleinen Gruppe US-Amerikaner mache ich mich rasch bekannt, aber beim Bootsbriefing bin ich doch überrascht, als Annie, die Bootsfrau mir erklärt, auf welchen Frequenzen der Funknotruf läuft. Das habe ich so bisher nirgends erlebt – liegt aber wahrscheinlich daran, dass hier einfach weit rundum nichts kommt. Wer hier abtreibt, hat einen langen, einsamen Weg nach Australien vor sich. Beim Tauchen auf Sicherheit zu achten versteht sich von selbst, bei einem Dekounfall müsste der Verletzte im Tiefflug bis Neuseeland gebracht werden – keiner will das. Eigentlich tauchen dann auch alle recht vernünftig, abgesehen von einem der Amerikaner. Der dicke Dan aus Hawaii ist ein echter Unterwasserrambo, spielt mit allem herum, was er sieht, fängt die kleinen Krabben, ärgert Sepien und verschreckt die Weißspitzenriffhaie, indem er grapschend auf sie zu und mir vor die Kameralinse schwimmt. Am anderen Tauchtag ist er nicht dabei, alles ist entspannt. Hart- und Weichkorallen von wunderbarer Schönheit, gemusterte Nacktschnecken, Krebse, bunte Fische aller Größen und vor allem das riesige Riff mit vielen Tunnels die wir durchtauchen lassen die Grundzeit im Flug vergehen. Strömung und Seegang sind teilweise ziemlich heftig, besonders in der Oberflächenpause zwischen den Tauchgängen muss ich aufpassen, dass ich mein Frühstück bei mir behalte. Die Preise fürs Tauchen sind beachtlich: 350F$ (165€) für einen Doppeltankausflug, 400F$ (179€) für die Nachttauchgänge und dazu noch die Leihgebühr für die Ausrüstung 75$ (30€).

Singapur

Big brother is watching you! Überall in der Stadt sind Kameras. Erstmal ein komisches Gefühl, als uns das bewusst wird. Sonst kommt uns Singapur sehr sauber und aufgeräumt vor. Darüber hinaus überraschend grün: Entlang der acht- bis zwölfspurigen nigelnagelneuen Autobahn erblicken wir statt Palmölplantagen abwechslungshalber gepflegte Grünanlagen mit schönem parkähnlichem Baumbestand. An der Endstation unserer Busreise stellen wir fest, dass man das Zweitagesticket für die öffentlichen Verkehrsmittel nicht hier, sondern weiter in der Innenstadt bekommt. Also begeben wir uns erstmal auf einen ausgedehnten Ausflug in die Unterwelt. Die S- und U-Bahnen heißen MRT, sind extrem sauber, effektiv und fahren pausenlos. Die Schienen sind vom Bahnsteig an den Haltestellen überall durch gläserne Mauern mit automatischen Türen getrennt: Attentäter, Amokläufer und Selbstmörder haben keine Chance. Schilder, Durchsagen und allgegenwärtige Videobildschirme weisen auf das korrekte Verhalten im öffentlichen Raum hin: Essen und Trinken verboten, Rauchen oder Alkohol undenkbar, selbst Hinsetzen oder grundloser Aufenthalt in den Bahnhöfen ist nicht gestattet.

Sobald wir irgendwo stehen bleiben, um uns zu orientieren oder nur zu überlegen, wo wir überhaupt hinwollen, kommt jemand auf uns zu, um nach dem rechten zu sehen. Die Menschen um uns herum verhalten sich tatsächlich sehr diszipliniert. Die meisten trotten dahin, den Blick fest auf ihr Smartphone gerichtet. Selbst vor Schnellrestaurants gibt es ordentliche Schlangen, wo man sich anstellt, bis ein Angestellter einen zum Tisch führt. Wir sehen viel Grün in der Stadt und sehr wenig Müll am Boden. Gleich in den ersten Stunden hier beobachten wir, wie die Polizei einen jungen Mann verfolgt und festnimmt. Kurz darauf im U-Bahnhof tritt ein Uniformierter mit einer Art Stableuchte unter die Wartenden und scannt Hände, Gesichter und Kleidung. Ist er auf der Suche nach einem Dieb, der markierte Ware oder Geld angefasst hat?

Insgesamt haben wir den Eindruck, dass die spontane Hilfsbereitschaft in den am wenigsten „entwickelten“ Ländern unserer Reise am größten war. Etwa in Sri Lanka konnten wir uns auch bei mehrstündigen Busreisen darauf verlassen, dass irgendjemand uns schon sagen würde, wann wir aussteigen müssten. Hier in Singapur oder auch zuletzt in Malaysia ist uns so etwas nicht passiert. Heute saßen wir in einem Café und versuchten verzweifelt im dortigen WLAN an zwei Handys herauszubringen, wo wir unser Ticket bekommen. Die Leute an unserem Tisch haben keineswegs Hilfe angeboten, sondern eher genervt reagiert.

Nach ein paar Fahrten mit der MRT haben wir unser Gepäck in der Unterkunft, dem Kapselhotel spacepod@com verstaut. Das ist mit etwa 35€ doppelt so viel wie unsere teuerste Unterkunft bisher überhaupt, aber für hier noch einigermaßen erschwinglich. Die Schlafkabinen sind gestylt wie im Raumschiff.

Wir machen Bekanntschaft mit Dirk aus Düsseldorf, der hier gerade sein Mountainbike zusammenschraubt, um damit einige Monate durch Südostasien zu radeln. In Little India gehen wir preiswert und gut essen, wenn auch doppelt so teuer wie zuletzt in Malaysia. Als wir uns nach einem Spaziergang noch ein Bier gönnen, fallen wir beim Bezahlen beinahe um: 12 Dollar (SGD) für ein 0,33l Bier ist nicht gerade ein Schnäppchen (~8€).
Dafür ist die Dämmerung in den Bay Gardens, dem prachtvollen, weltberühmten Park mit den riesigen künstlichen Baumskulpturen ein kostenloser Genuss.

Am nächsten Tag erkunden wir die berühmten Wolkenkratzer Singapurs noch ein wenig ausführlicher, durchwandern Up- und Downtown, fahren viel mit der Stadtbahn herum und begeben uns schließlich nachmittags zurück zum Kapselhotel. Wir haben hier unser Gepäck abgestellt und dürfen auch nochmal duschen, obwohl wir längst ausgecheckt haben. Insgesamt hat uns Singapur überraschend gut gefallen. Dann geht es wieder mal zum Flughafen und das Kapitel Asien ist beendet. Auf nach Fidschi!

Malakka

Malaka, Melaka oder Mallacca – geschrieben wird der Name dieser Stadt auf vielfältige Weise. Geschichtsträchtig und bunt ist die knapp 400000 Einwohner zählende Küstenstadt an der nach ihr benannten Straße von Malakka. Aufgrund der vielen historischen Gebäude wurde sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erhoben. Bis heute ist Malakka Stadt und Staat innerhalb Malaysias, einst war es ein eigenes Sultanat. Im Jahre 1402 rastete hier ein reisender Prinz unter einem Baum an der Mündung des Flusses. Als ein Reh einen seiner Jagdhunde mit einem Tritt der Hufe in den Fluss beförderte, deutete der Prinz dies als gutes Omen und gründete das Sultanat. Das niederländische Stadthuijs, die Ruine der St. Paul’s Kirche und die verwinkelte Altstadt zeugen ebenso wie die hervorragende indische, chinesische, malayische und internationale Küche von der bewegten Geschichte dieser Stadt, die früher so wichtig für den Handel gewesen ist. Der Hafen ist heute bedeutungslos, da viel zu flach für die großen Überseeschiffe.

Viele malayische, koreanische, chinesische und auch ein paar westliche Touristen kommen, um den charmanten Flair der Stadt zu genießen. Wenn auf der Straße laute Musik wummert und rummst, handelt es sich keineswegs wie bei uns um junge Männer in ihren zu mobilen Stereoanlagen umgebauten Angeberautos: Vielmehr wurde die Tradition der in Südostasien allgegenwärtigen Fahrradrikschas hier auf eine merkwürdige Spitze getrieben. Die Beiwagenrikschas für zwei bis drei Passagiere sind mit riesigen Rückenlehnen, LED-beleuchtetem Plüschdekor (Hello Kitty, Baby Shark oder Minion) und wattstarken Stereoanlagen ausgestattet.

Wir schlendern durch das historische Zentrum, besichtigen die museumsdidaktisch unterirdisch schlechte Ausstellung im Stadthuijs, erklimmen den St.-Pauls Hill und buchen eine Flußrundfahrt. Vom Boot aus bestaunen wir die mit riesigen Kunstwerken bemalten Häuser am Ufer, die ein wenig an Amsterdams Grachten erinnern. Am meisten amüsieren wir uns über das Verhalten unserer indischen Mitfahrer: In jeder erdenklichen Pose und Kombination fotografieren sich die Leute pausenlos gegenseitig und selbst.

Für die letzten 250 Kilometer über Land braucht unser Bus rund dreieinhalb Stunden. Wir brechen zeitig auf, fahren wieder mal per Grab-Taxi zum Zentralbusbahnhof Melakka. Dieser ist zwar fast so groß und kompliziert wie ein Flughafen, verfügt aber weder über ausreichend Toiletten noch über Kaffee zur frühen Morgenstunde um halb acht. Traurig. Auf der Fahrt im klimatisierten Luxusreisebus stellen wir wieder einmal fest, dass die malaysischen Autobahnen deutlich besser sind als deutsche. Der Fahrer unterhält uns mit endlosen indischen Bollywood-Schmachtfetzen.

Abermals ziehen sich endlose Palmölplantagen an der Straße entlang; von Horizont zu Horizont nichts als Ölpalmen. Diese Monokultur ist ein trostloser und trauriger Anblick, eine Biowüste, geschuldet und verursacht durch den Hunger von uns Konsumenten nach billigem Palmöl. Nur eins sieht noch trostloser aus: Wenn nach einigen Jahren der Ertrag der alten Bäume sinkt, werden sie gefällt. Die Stämme werden abtransportiert, die abgehackten Blätter bleiben auf dem Boden liegen; hässliche Kahlschlagflächen, die bald mit frischen Palmsetzlingen neu aufgeforstet werden. Man fragt sich bloß, wie lange das der Boden mitmacht, bis er komplett ausgelaugt ist.

Auf der Fahrt nach Singapur, 24.11.2019