Südliche Nordinsel NZ

Die riesige Interislander Fähre schwankt leise, langsam aber doch sehr beträchtlich hin und her. Eigentlich sind wir beide seefest, aber jetzt wird es uns doch zu viel. Wir suchen uns ein bequemes Plätzchen und machen die Augen zu, bis die See wieder ruhiger wird. Nach etwa drei Stunden laufen wir in Wellington ein, mit dem Ende des Geschwankes ist die Übelkeit wie weggeblasen. Frisch wie die jungen Kiwis erkunden wir die Stadt in einem kurzen Spaziergang. Neuseelands Hauptstadt ist zwar mit 200.000 Einwohnern die zweitgrößte des Landes, dennoch aber recht übersichtlich. Die flippige Cuba Street, die viktorianischen Villen auf dem Hügel, die Hafenpromenade, ein Blick ins Te Papa Museum und ein Eis beim dienstältesten dampfbetriebenen Hafenkran der Welt runden unseren Besuch ab. Wie man hier erdbebensicher Hochhäuser baut, erfahre ich auch nebenbei. Dann fahren wir aber raus aus der Stadt und ins Grüne, das liegt uns einfach besser. Der Campground ist Skip Turley gewidmet, President of the Wellington Bataillion, the Boys‘ Brigade. Die Einrichtung stammt wohl auch aus den 1950er Jahren. Außer ein paar Dauerbewohnern ist der riesige Platz völlig menschenleer, es springen weder betende Boyscouts noch alte Veteranen herum. Uns ist es recht so. Wir kochen uns nochmal die leckeren Grünlippmuscheln. Bei Countdown haben die riesigen Dinger gerade mal 5 Dollar das Kilo gekostet!

9.1.2020 Lake Wairarapa

Die nächste Etappe ist kurz. Ich bin erlebnismüde. Zu meiner lieben Andrea sage ich: Heute will ich mal gar nichts erleben. Luxusproblem, denkt ihr vielleicht. Aber jeden Tag woanders, ständig neue Eindrücke und kaum Zeit, um diese zu verdauen – das ist auf Dauer ziemlich anstrengend! Jedenfalls fahren wir nur eben über die Remutaka Range und den gleichnamigen Pass. Ein Denkmal erinnert an die neuseeländischen Truppen, die hier im ersten Weltkrieg zunächst nach Upper Hutt und dann weiter nach Wellington marschierten, um sich nach Europa in den Tod einschiffen zu lassen. Am Lake Wairapapa sage ich zu meiner Liebsten: „Schau mal, wie schön. Hier passiert gar nichts!“ Die Landschaft wirkt leer und ein bisschen öde. Der Campingplatz ist riesig, es gibt kaum Besucher. Der See ist mit 78 Quadratkilometern fast so groß wie der Chiemsee, aber nur 2,5 Meter tief. Es gibt zwei Plumpsklos und drei Mülleimer. Was will man mehr? Wir beschließen, hier ein wenig zu rasten und alles setzen zu lassen. Jeden Tag ein anderer Spot, jeden Tag ein neues Abenteuer – das geht auf Dauer nicht. Irgendwann weiß man nämlich nicht mehr, was gestern war.

Am Abend versüßen uns noch ein paar Jugendliche die Ruhe mit Mopedfahren, Hupen und Geschrei. Wir beschließen, es ihnen am andern Morgen durch extra frühes Aufstehen, ausgiebiges Schiebetüren-Betätigen und ihnen deftigen Furz ins Zelt heimzuzahlen. Tun wir dann natürlich doch nicht, lieb wie wir sind. Tatsächlich sind die Burschen doch kurz nach uns auf und spielen ihre unschuldigen Spiele weiter: Jetzt werfen sie mit großen Steinen auf den blechernen Mülleimer neben dem Plumpsklo. Jeder Treffer wird im ganzen Camp gefeiert. Aber eigentlich sind die Buben ganz lieb und höflich, nur nicht ganz ausgebacken.

Die Landschaften, die wir heute besuchen sind mehr als ein Ausgleich: Entlang und durch die Putangirua Range kommen wir schon fast aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Schlucht mit den Pinnacles sind auch ein Drehort des Herrn der Ringe. Aragorn, Legolas und Gimli, der Zwerg waren durch die gespenstische Landschaft zu den Pfaden der Toten gewandert. Wir dagegen haben einen warmen, sonnigen Tag erwischt und schwitzen auf der knapp dreistündigen Wanderung. Die Ausblicke sind überwältigend.

Auch das nahe Cape Palliser und der dortige Leuchtturm beeindrucken uns sehr. Es ist der südlichste Punkt der Nordinsel, bei klarem Wetter soll es angeblich möglich sein, bis zur Südinsel hinüberzusehen. Heute ist allerdings die Luft getrübt durch den Rauch der australischen Buschfeuer, dennoch lässt uns die urtümliche Gewalt der Landschaft staunen. Wie stark der Wind hier mitunter bläst, kann man an dem festgezurrten Klohäuschen sehen. Die Stahlseile sind bestimmt nicht als Diebstahlssicherung gedacht! Auch hier besuchen wir eine Kolonie von Fellrobben und beobachten ganz aus der Nähe diese eleganten Tiere. Gleich neben der tosenden Brandung ruhen sie in der Sonne, beschnuppern sich gegenseitig, spielen mit den Kleinen im Wasser. Die Landschaft ist atemberaubend: Am liebsten würden wir das Auto stehen lassen, um die Küstenstraße zu Fuß abzulaufen – ein Fotomotiv folgt dem anderen. Die zahlreichen Landslips und Washouts tragen dazu bei, dass die Straße auch sehr interessant zu befahren ist. In Ngawi machen wir kurz Pause, hier gibt es wieder Netz für den Blog und Fish&Chips für den Blogger. „Ihr seid aus Deutschland, oder?“ werden wir von einem Maorimann mit beeindruckenden Tattoos gefragt. Wir unterhalten uns ausführlich über unsere Länder, wie schon bei manch anderer Begegnung mit anderen Kiwis zuvor. Die Leute sind wirklich sehr offen, sehr freundlich und begierig, Neues zu erfahren.

Nebenbei erfahren wir, dass Trump fast in einen neuen Krieg mit dem Iran hineinschlittert. Mit Entsetzen hören wir von dem abgeschossenen ukrainischen Flugzeug und dem ermordeten iranischen General.

11.1.2020 Von Lake Ferry über Greytown und Mt. Bruce nach Eketahuna, Kiwihauptstadt

Riesige bewaldete und von Gras bestandene Hügel säumen unseren Weg. Martinborough, Greytown, Carterton und Masterton reihen sich in einem weiten Tal hintereinander. Auf der Südinsel mussten wir öfter stundenlang fahren, um von einem Dorf ins nächste zu kommen. Die beiden ersten sind schmucke Städtchen in einer Weinbaugegend, die anderen eher hässliche Ansammlungen von Zweckbauten, wo Farmer sich mit Material versorgen können. Entlang der Straße stehen  Werbetafeln für Traktorreifen, Mietbulldozer und Rinderbesamung. Das aus Betonblöcken nachgebaute Stonehenge beeindruckt uns nicht so sehr, die Vogelaufzuchtstation am Mount Bruce schon eher. Hier werden Neuseelands seltene und bedrohte Vogelarten aufgezogen und in den umliegenden Bergen ausgewildert. Wir sehen sogar einen weißen Kiwi! Auf einem einfachen Camping in Eketahuna finden wir Platz für die Nacht. Hier in der Gegend gibt es die seltenen Vögel tatsächlich freilebend.

12.11.2020 Von Eketahuna über Whanganui nach Hawera – 225km

Der folgende Tag ist ein Fahrtag, wir basteln an unserem eigenen Roadmovie. Eben haben wir den 6000ten Kilometer in Neuseeland zurückgelegt. Der einzige Sender, den wir gelegentlich im Autoradio empfangen, spielt ununterbrochen Oldies aus den 50er und 60er Jahren. Wann habt ihr zum letzten Dean Martin im Radio gehört? Wir rätseln, ob die Radiostationen hier nicht bei der Gema mitmachen und deshalb nur Werke lang verstorbener Künstler bringen.
In dem Hochtal hinter Masterton weht der Wind so stark, dass alles schief zu sein scheint: Bäume, Zäune, Strommasten. Rechts ist ein Gebirge, links auch. Wir fahren einfach so lange, bis sich die Ausläufer der beiden in der Mitte treffen und folgen dann den Serpentinen in die Höhe rauf und auf der anderen Seite wieder herunter. Da liegt dann Palmerston North vor uns. John Cleese, bekannt von Monty Python’s sagte einmal über diese Stadt, sie sei so hässlich – wer sich das Leben nehmen will, sich aber nicht traut soll einfach hierher kommen. Die Stadtverwaltung von Palmerston revanchierte sich, indem sie die örtliche Müllkippe in Mount Cleese benannte.

Am Lake Wiritoa machen wir Pause und beobachten, was der Kiwi so am Sonntag gerne tut: Hier sind drei Viertel des Sees den Motorbooten vorbehalten, die unter höllischer Lärmentwicklung immer im Kreis herum fahren, wobei sie mehr oder weniger elegante Wasserskifahrer oder quietschbunte Gummiwürste und Plastikrafts hinter sich her ziehen, auf denen der kreischende Nachwuchs sich festzuhalten versucht. Und die Frau steht derweil am Grill und hat ihre Ruhe. Ein neuseeländischer Mann braucht also mindestens einen Allradpickup, ein Boot, ein Jetski, ein Quad, eine Enduro und… vielleicht noch ein Leichtflugzeug. Mindestens. An den Strand geht man nicht – nein, man fährt mit dem Geländewagen oder Quad, damit das Wasser möglichst hoch spritzt. Das ist nicht übertrieben, wir haben es jetzt schon ein paar mal sonntags an ländlichen Seen und Meeresufern beobachtet.

Das Highlight des Tages ist dann aber der Campground am Meer bei Ohawe. Direkt über den Klippen bietet er wunderbare Ausblicke, alles hat den Charme des Camping früher. Vor dem Office, einer etwas wackeligen Holzhütte liegt ein Wirbelknochen eines Wals. Nur den mächtigen Vulkan Taranaki können wir nicht sehen, der liegt nämlich hinter den Dünen. Leider ist der Strand so steinig und die Brandung derart wild, dass wir uns nicht weit hinein trauen. Aber der Sonnenuntergang ist dafür so romantisch wie wir es uns gewünscht haben.