Lisa ist 58. Vor acht Jahren hat sie sich ihr Moki, das traditionelle Gesichtstattoo stechen lassen. Eigentlich, finden wir, sieht sie gar nicht so Maori-like aus, aber die Oma und die Uroma waren Maorifrauen. Ich frage sie, ob das nicht wahnsinnig weh getan hat: Ihr ganzes Kinn und die Unterlippe sind mit geschwungenen, schwarz ausgefüllten dicken Linien bedeckt. Die Oberlippe ist komplett gefärbt. Darüber hinaus trägt sie ein Emblem in der Mitte der Stirn und weitere Tattoos auf Hals, Händen und Oberarmen. Ja, sagt sie, der Schmerz sei fast unerträglich gewesen, besonders an den Lippen. Aber sie fand es einfach wichtig, zu den Traditionen und der Kultur ihrer Ahninnen zu stehen. Sie führt die Awhi Farm, ein Zentrum für nachhaltiges Leben. Wir haben die Gelegenheit, hier zu übernachten und genießen die positive Atmosphäre des Ortes. Nachhaltigkeit praktiziert Lisa hier schon seit rund zehn Jahren: Solarduschen, ökologischer Gemüseanbau, Komposttoiletten und Unabhängigkeit vom Stromnetz gehören dazu. Das Ganze wird durch junges WooF-Personal (Working on organic Farms) aus aller Herren Länder unterstützt. Eine wilde kleine Kommune, die versucht ein bisschen Etwas zur Rettung des Planeten beizutragen. Wir freunden uns mit Honey, der Farmhündin und Künney, der Haussau an. Beide wohnen ganz dicht neben der Küche, eigentlich schon fast in der Küche, denn da fallen wohl die besten Leckerbissen ab. Alle Facilities sind in kleinen offenen Hütten untergebracht, die sehr fantasievoll ausgebaut und angemalt sind. Ein wunderbarer Platz!
Taupo sticht dagegen total durchgestylt und tourimäßig ab. Alles ist voll mit Motorbooten, Campervans und Heerscharen von Menschen. Die Stadt ist voll auf Fremdenverkehr eingestellt. Überall geht es rund, die Straßen sind voller Autos, die Gehsteige voller Menschen. Mir wird schon ganz anders. Endlich finden wir das i-Site, eine Art Tourismusbüro. Ich bin enttäuscht, als die Dame am Empfang es ablehnt, unser Tablet zu laden. Nach zwei Tagen im Outback sind die Akkus erschöpft – eigentlich hatte ich auf mehr Freundlichkeit gehofft. Aber der Tourismus ist inzwischen eine respektable Geldquelle für Neuseeland geworden, und so lässt man eben nichts aus. Ich könne das Gerät schon hier laden, aber dafür müsste ich dann soundsoviel bezahlen. Ich lehne dankend ab und verlasse den Ort des Grauens. So lange, wie das Laden dauert, kann ich es hier nicht aushalten.
Ein kurzer Abstecher zum Huka-Fall bestätigt mir dieses Gefühl: Auf der kleinen Brücke über den Wasserfällen drängeln sich etwa 30 Personen, meine Laune rauscht schneller talwärts als das Wasser hier. Wir fliehen Richtung Nordost in die Nähe der Thermalquellen und der seismisch aktiven Zone von Rotorua. Ein kurzer Besuch bei den „Craters of the Moon“ stimmt uns ein: Hier gibt es Fumarolen und kleine kochende Schlammtümpel zu sehen. Über der gesamten Gegend liegt ein dezenter Duft von fauligen Eiern – Schwefeldampf.
Abgesehen davon nimmt die allgemeine Verlotterung nun wirklich drastische Formen an. Statt zu duschen, gehen wir kurz in einem eiskalten See schwimmen – das ist ja noch akzeptabel. Socken in Sandalen sind zugegebenermaßen stiltechnisch inakzeptabel, kältebedingt jedoch normal. Die Steigerung: lange Hosenbeine in den Socken (die in Sandalen stehen) – ein ModeGAU, aber: Wenn doch die Sandfliegen jeden unbedeckten Millimeter Haut gnadenlos attackieren! Der Superlativ: All die vorher genannten Verfehlungen, und dazu noch ein offener Hosenstall. Hier schaut keiner, niemand nimmt Anstoß, es ist schlichtweg egal. Hier laufen so viele Leute derart lässig-schlabbrig rum, es ist unglaublich. Sobald man eine der Schiebetüren öffnet, steigt sowieso irgendein Kleidungsstück aus. Bevorzugt die schwarzen langen Unterhosen, die wir beinahe jede Nacht anhaben, fliehen aus dem Auto und suhlen sich im Dreck… entsprechend hängen sie voller trockener Grashalme, das sieht sehr hübsch aus.