Marlborough und Tasman

Hier der letzte Nachtrag von der wunderbaren Südinsel, dann geht es auf der Nordinsel weiter.

Nachdem die Herbergssuche in Kaikoura am Tag zuvor schon so ein Drama war, fahren wir gleich raus aus der Stadt zu dem idyllischen kleinen und sehr einfachen DOC-Campingplatz PuiPui (Wasser aus dem Fluss und Plumpsklo). Er liegt in einer Schlucht über einem Wildwasserfluss, der zum Glück gerade nur wenig Wasser führt. Doch die zerfressenen, fast überhängenden Felswände und die zerfetzten Bäume im Flussbett sprechen Bände über die Gewalt des Wassers.

Auf der A1 Richtung Norden, angeblich eine der spektakulärsten Küstenstraßen der Welt… wir sind nur mäßig beeindruckt, denn der Himmel ist stark bewölkt und der Wind bläst heftig. Die Strände sind zwar riesig, aber dunkelgrau; wie der Himmel und das Meer auch. Nichtsdestoweniger haben sich ein paar unerschrockene Surfer hinaus gewagt. Kurz vor Havelock finden wir Platz auf einem schönen, einfachen Campingplatz mit Naturbad im Fluss. Sheila hat eine gut ausgestattete Küche mit Töpfen, trinkbarem Wasser und einem Männerasyl: „Women, leave your men here and go shopping, don’t forget to pick them up afterwards“. Mit gefällt am besten der Bedford Bus ganz hinten am Campground. Ein Schornstein schaut aus dem Dach und jemand hat einige Ster Holz aufgeschichtet, offenbar dient der Bus aus den 60ern als Holzfällerhütte für den Winter.

Am andern Morgen fahren wir weiter zur Pelorus Bridge und gehen die vierstündige Wanderung zum Trig K mit zwei Wasserfällen. Wir hören unterwegs das Ticken der Holzwürmer und das Zirpen der Zikaden – weit über Zimmerlautstärke! – wir sehen einen urtümlichen Urwald, entdecken die Neuseelandtaube Kereru mir dem grün-weißen Gefieder, werden begleitet vom Fantail, einem winzigen, sehr neugierigen Vogel mit auffälligem schwarzweißem Schwanz und kosten den süßen Nektar des schwarzen Pilzes, der hier die Borke vieler Bäume überzieht. Zum Schluss baden wir im eiskalten Pelorusfluss zwischen Stromschnellen und Kiesbänken. Die heiße Sonne wärmt uns in Minutenschnelle wieder auf.

Die Straße über die Berge nach Nelson ist eine Schau. Gern wäre ich sie mit dem Motorrad abgefahren – hier reiht sich eine Kurve an die andere. Die Ausblicke sind schön, sie erinnern uns teilweise an den Bayrischen Wald: Sanfte Berghänge, allesamt von Nadelbäumen bestanden: Hier sind es kalifornische Kiefern, daheim wären es wohl Fichten. In Nelson gibt es nichts für uns, in Richmond finden wir auch keinen Platz, die Hauptsaison schlägt jetzt voll durch. Aber mein Schatz ist der beste Fremdenführer, sie findet uns einen schönen und günstigen Platz zwischen Richmond, Hope und Brightwater: Die Besitzerin Sue ist so angetan von unserer Ehrlichkeit (wir hatten schon bezahlt, als sie zur Kontrolle kam), dass sie uns anbietet, von ihren Orangen, Zitronen und Avocados zu ernten.

Der Abel Tasman Nationalpark ist der kleinste von Neuseeland. Dennoch groß! Wir haben natürlich wieder mal nichts vorgebucht –  jetzt in der Hauptsaison bekommt man nicht mal ein Kajak geliehen, ohne wochenlang vorzureservieren. Also lassen wir uns vom Wassertaxi nach Anchorage bringen, die Fahrt zum Slip ist schon allein eine Show: Der alte Ford Traktor zieht das Motorboot mitsamt seinem Dutzend Passagiere runter ins Watt, bis das Wasser so hoch steht, dass das Boot aufschwimmt. Wir bewundern unterwegs noch den Split Apple Rock und die Fellrobbenkolonie auf Adelaide Island und hüpfen dann ausgeruht aus dem Motorboot an den Strand in Anchorage mitten im Nationalpark. Für die Wanderung zurück brauchen wir dann vier Stunden, es sind knapp 14 Kilometer. Die Aussicht auf die Strände unter uns ist gigantisch, der Urwald, den wir durchqueren beinahe unberührt.

Erschüttert erfahren wir abends, dass John, unser erster Gastgeber verstorben ist. Er hatte uns vor sechs Wochen in Christchurch als Couchsurfer sehr herzlich aufgenommen und in vielen Dingen geholfen. Vor fünf Wochen hatten wir ihn wieder getroffen, Sylvester zuletzt Kontakt gehabt und jetzt, drei Tage später ist er nicht mehr.

Wenn man direkt am Strand sein Nachtlager aufschlägt, der Himmel sternenklar ist und am Morgen die Möwen und die Spatzen mit am Frühstückstisch sitzen, dann hat man nichts falsch gemacht. Wir hören, wie die Wellen sich am Strand brechen. Auf einem alten Baumstamm nehmen wir Platz und blicken über die Bucht nach Richmond – trotz der Nähe der großen Stadt können wir wieder mal im wahrsten Sinne des Wortes unbehelligt von Lichtverschmutzung die gesamte Milchstraße bewundern.

Rabbit Island und nochmals Pelorus River

Wir haben ja schon ein paar schöne Strände gesehen, aber auf Rabbit Island sind wir wieder mal fast sprachlos vor Begeisterung: Der Sand ist fein, er fällt ganz sanft ab zum Meer. Die Bäume und Sträucher sehen aus, als ob es die nur hier gäbe. Tatsächlich sind auch viele Pflanzen endemisch. Doch was so naturbelassen aussieht, ist in Wahrheit Resultat der Bemühungen der Naturschutzbehörden. Mit viel Mühe, Fallen und 1080 Gift versucht man, die ursprüngliche Flora und, soweit möglich, auch Fauna wieder herzustellen. Schon öfter sind wir an Kahlschlägen oder toten Wäldern vorbei gekommen. Diese sind, ebenso wie zahllose Possums, Hermeline, Ratten usw. Opfer der recht radikalen Methoden des Department of Conservation. Ob es wohl gelingen wird, die einzigartigen Lebensräume Neuseeland wieder herzustellen?

Wo sich schon die Zwerge über Stromschnellen herunter treiben ließen, gefällt uns die Landschaft fast noch besser. Dass der Pelorus River Drehort für den zweiten Teil des Filmes „Der Hobbit“ war, erfahren wir auf einer wunderschönen Kajakfahrt. Das glasklare Wasser, die Felsen und die vielen Kaskaden, die wir durchfahren, lassen keine Langeweile aufkommen. In Havelock essen wir außerdem die besten Grünlippmuscheln weltweit, schließlich rühmt sich das Dörflein, Welthauptstadt der leckeren Weichtiere zu sein.

Die Nacht verbringen wir wieder bei Sheila, wie vor ein paar Tagen. Immerhin ist wieder mal Waschtag und der Platz ist wirklich sehr bequem. Kein Wunder, dass der Rentner Adam schon vor zig Jahren beschlossen hat, hier ganz zu leben. Seinen alten Bedford Bus hat er zwar durch einen neueren ersetzt, dem Platz sind aber beide treu geblieben. Wieder gibt es heute trotz Halbmond einen unglaublichen Sternenhimmel, aber es ist gleichzeitig unsere kälteste Nacht in Neuseeland. Weil es so klar ist, verschwindet auch das letzte Bisschen Sonnenwärme rasch nach Sonnenuntergang. Übrigens: Der abnehmende Mond sieht hier genauso aus wie bei uns der zunehmende – und umgekehrt. Man kann sich also nicht die alte Kinderregel mit den Buchstaben reindenken. Genauso schwierig wie mit dem Schatten. Wenn du hier dein Auto parkst und dir überlegst, wo in ein paar Stunden der Schatten sein wird, musst du aufpassen. Es ist nämlich ganz anders als daheim in Deutschland. Die Sonne wandert nämlich nicht rechts rum. Selbstverständlich weiß ich auch, dass die Sonne sowieso nicht wandert, aber eben scheinbar. Und das eben anders herum. Mittags steht sie nämlich im Norden! Freilich geht sie auch hier in Osten auf und im Westen unter, der Rest unterscheidet sich aber massiv. Das kann jemanden wie mich schon ein wenig durcheinander bringen… natürliche Orientierung ist nicht mehr instinktiv, sondern erfordert plötzlich bewusstes Nachdenken.

Jedenfalls haben wir uns heute auf die Scenic Route durch den Kenepuru Sound und den Queen Charlotte Sound aufgemacht. Ich habe mir wieder mal ein Motorrad unterm Hintern gewünscht, denn hier reiht sich wirklich eine Kurve an die andere. Traumhafte Ausblicke und Kaiserwetter machen die Sache rund. Ein Glück, dass mein Schatz so hart im Nehmen ist. Ich könnte auf dieser Straße nicht Beifahrer sein, dafür hätte ich zu viel Angst. Rechts der Fels, links der Abgrund – jeweils fast senkrecht. Die Straße ist super eng und vielerorts abgerutscht, geflickt, beschädigt. Da rumpelt der Hiace schon, wenn die Fahrbahn mal eben um 20 oder 30 Zentimeter absinkt! Wir unternehmen noch eine kleine Wanderung in die Mistletoe Bay und fahren weiter zu einem der schönsten Plätze, die wir hier jemals bewohnt haben: Aussie’s Camp. Von dort wandern wir nochmal ein paar Kilometer bis zum Ende der Landzunge, wo man einen Blick auf den Fjord hat. Die Rechnung geht auf: Hier haben wir tatsächlich 3G Empfang und können die letzte Version der Bachelorarbeit unseres Sohnes herunterladen. Wir sind schon gespannt, wie sich das Ganze so liest. „What are you guys up to?“ fragt uns lässig unser Nachbar – mit guys (Burschen) sind selbstverständlich alle Anwesenden, gleich welchen Geschlechts gemeint. So wunderbar unverkrampft sind die Kiwis eben. Bei der Gelegenheit kommt mir das Gendern in Felix‘ Bachelorarbeit in den Sinn – so ein Blödsinn.