Wow!

Der Blog geht durch die Decke. Eben habe ich gesehen, dass wir rekordverdächtige 10.589 Seitenaufrufe haben.

Danke an alle treuen Leser und ein herzliches Hallo an alle, die neu auf unserer Seite sind!

Wir fahren gerade in Wellington ein, ab jetzt geht es also auf der Nordinsel weiter.

Kaikoura

Auf der SH70 fahren wir weiter Richtung Nordosten, wir durchqueren eine urzeitliche und fast unbesiedelte Gegend mit steilen Lehmbergen und schroffen Schluchten. Gleich nebenan liegt ein Skigebiet am Mount Lyfort, kaum vierzig Kilometer von der nächsten Küste entfernt. Die meisten Straßenschilder tragen Einschusslöcher oder Beulen von Schrotladungen, für die ansässigen Hillbillies scheint es ein Sport zu sein, auf diese vom fahrenden Auto aus zu schießen. Kurve folgt auf Kurve, für die hundert Kilometer brauchen wir gut zwei Stunden. Leitplanken gibt es hier keine, wer die Fahrbahn verlässt, trifft Fels oder Luft. Doch mehr als die Straßenführung macht uns die Temperatur zu schaffen: Gestern noch hatten wir Skiunterwäsche und Pullover getragen, heute haben wir draußen 36°C – das hält doch kein Mensch aus!

In Kaikoura wird es zum Glück erträglicher, zwar ist auch hier der Himmel durch Aschewolken von den Buschfeuern Australiens verhangen, aber wenigstens weht ein erfrischender Wind und es nicht ganz so heiß. Wir setzen uns erstmal an den Kiesstrand, kühlen unsere Füße im Wasser, beobachten die Angler, lesen die letzten Kapitel von Felix‘ Bachelorarbeit und schauen uns die Stadt an. Leider haben wir es versäumt, frühzeitig Walbeobachtung oder Delfinschwimmen zu buchen, genauso wenig haben wir einen Campingplatz reserviert. Also bleibt uns nur da örtliche Museum (sehr sehenswert!) und dann eine stundenlange erfolglose Suche nach einem Stellplatz. Schließlich fahren wir raus aus der Stadt und biegen in irgendeine Nebenstraße ein, wo wir ein ruhiges Plätzchen zwischen Steinbruch und Wäldchen finden. Hier schmeckt uns die Pasta mit Schwammerl und Gemüse!

Die kleinen Seebärenbabys mit den großen Kulleraugen spielen munter in der Pfütze zwischen den Felsen. Sobald eine der Mamas zur Kolonie hier an der südlichsten Spitze der Halbinsel Kaikouras zurückkehrt, beginnen sie zu quieken und zu grunzen. Eifrig beschnuppern sich die Tiere, bis sich Mama und Kind erkennen, dann wird geschmust und die Kuh legt sich irgendwann nieder, damit das Kleine ihre Zitzen suchen und trinken kann. Ich bin glücklich und gerührt, diese wunderbare Familienszene aus nächster Nähe miterleben zu dürfen. Bei den  Möwen ist es ganz ähnlich: Das Küken stolpert ein wenig planlos über die Felsen, während ein Elternteil aufpasst. Wehe, eine der Robben kommt zu nahe! Da werden die Flügel ausgestreckt und ein riesiges Gezeter beginnt, um vom Kind abzulenken.

Am Nachmittag habe ich mein zweites Naturerlebnis. Ein Tauchgang im Kelp der Baxter’s Bay gibt mir Eindrücke der hiesigen Unterwasserwelt. Neben den unvermeidlichen Hummern, Nacktschnecken und Fisch begegnet mir ein vorwitziger Oktopus, der mir gern die Unterwasserkamera abgenommen hätte. Der Kerl ist ziemlich groß und kräftig, aber ich lasse nicht los, bis er aufgibt.

Den Film vom frechen Kraken gibt’s hier:

und der Kelp:

Die raue Westküste

Endlich habe ich mich dazu durchgerungen, auch die rechte Sandale zu verabschieden. Bis heute hatte ich noch gehofft, dass die linke noch ihren Weg zurück zu uns fände, aber wer glaubt schon an den Weihnachtsmann? Überhaupt, Weihnachten. Wir haben Heiligabend am Milford Sound verbracht, am ersten Feiertag sind wir den Aufstrich des Anfangsbuchstabens vom Kepler Treck gewandert. Insgesamt hat der Treck rund 60 Kilometer, davon sind wir heute ein Zehntel gelaufen. Aber hin und zurück! Also doch das halbe K. Auch heute haben wir wieder ein wenig unsere abnehmende Fitness betrauert. Aber andererseits: Andere sind noch viel unfitter, auch Bekannte von uns. Oder haben schlimme Krankheiten. Oder sind schon gestorben. Also muss man dankbar sein.

Nach einem schönen, ausführlichen Frühstück geht es weiter nach Queenstown. Die Stadt ist überfüllt mit Weihnachtsurlaubern, also weiter über die Crown’s Range Richtung Norden. Auch dies ist eine wunderschöne, extrem gewundene Bergstraße. Wir kommen ins hübsche Arrowtown. Das kleine Provinznest hat sich ein wenig von dem alten Goldgräbercharme erhalten. Dennoch: Hier treffen wir auf die ersten sprechenden Toiletten. Ohne Scherz: Tür auf, und eine Stimme begrüßt dich. Musik erklingt, in diesem Fall „Rudi, the rednosed Reindeer“, dann erklärt dir das Klo, dass du zehn Minuten Zeit hast für dein Geschäft. Wenn du fertig bist, spült die Toilette selbsttätig – es könnte ja sein, dass du es vergessen hast? – und auf Knopfdruck öffnet sich die Türe wieder. Unglaublich, vor allem nachdem wir jetzt schon so viele Komposttoiletten gesehen und benutzt haben. Vielleicht will der Kiwi da ein bisschen was wieder gut machen?

Am Lake Haynes sitze ich in Pullover und mit Socken am Ufer und beobachte unerschrockene Neuseeländer, die tatsächlich ins Wasser steigen und schwimmen. Am Lake Wanaka besichtigen wir den berühmten Tree-in-the-lake. Er ist nicht schwer zu finden, es stehen immer mindestens zwei Dutzend Chinesen davor. Komischerweise treten sie fast immer in Gruppen oder gar in Horden auf. Die Chinesen, nicht die Bäume.

Im einzigen Bioladen von Fjordland, Southland und Otago erwerben wir noch ein weiteres Moskitospray. Vielleicht hilft ja das gegen die Sandfliegen? Dann fahren wir bei stetig schlechter werdendem Wetter weiter nordwärts, entlang der Seen Lake Wanaka, Lake Hawea und dann wieder Lake Wanaka. Jeder dieser Seen hat so gigantische Ausmaße! Am Haast Pass überqueren wir das Gebirge, ein kurzer Wandersteig bringt uns bei leichtem Regen auf den Haast Pass Lookout. Jeder der Urwälder hier auf der Südinsel hat einen eigenen besonderen Charakter, hier ist buchstäblich alles von Farnen und Flechten überwuchert. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, weil: Weit sehen kann man bei dem Wetter ohnehin nicht. In Haast gibt es dann tatsächlich genau einen kleinen Tante-Emma-Laden (hätten wir doch noch in Wanaka eingekauft!) und ein Café. Bei jetzt strömendem Regen kehren wir ein, leider gibt es nichts mehr zu essen. Wer hat bei dem Wetter Lust, im Freien zu kochen? Genau, niemand. Drum ist das Essen auch ausverkauft und auf allen Plätzen sitzen satte Touris, die sich an ihren Kaffeetassen festhalten, nur um nicht in den Sturm raus zu müssen. Also, dann eben nur Kaffee für uns und anschließend weiter auf der Straße entlang der Westküste. Es regnet Sturzbäche. Immerhin ist die Straße (bisher) nicht gesperrt.

Hier gibt es so gut wie gar nichts mehr. Kein Radio, kein Handynetz, keine Ortschaften. Am Knights Point sind die vorgelagerten Felsen kaum zu erkennen, von den Seelöwen ganz zu schweigen. Wir bleiben irgendwo am Paringa River neben der Straße stehen und vermeiden es, das Auto zu verlassen. Leider ist unser Bettzeug im Dachzelt, aber dorthin kommen wir jetzt keinesfalls. Also igeln wir uns hinten auf den Sitzbänken ein. Als der Sturzregen mal kurz etwas leichter wird, springe ich auf die Leiter und hole unser Bettzeug aus dem ersten Stock. Später wärmen wir noch eine Kürbissuppe aus der Dose auf. Nicht lecker. Am anderen Morgen ist der Regen vorbei und ein strahlend blauer Himmel lacht uns an! Nichtsdestoweniger ist unser Bettzeug komplett nass. An den eiskalten Blechwänden, an den Fenstern und an unserer Bettdecke des Vans kondensiert der Atem in der Nacht so stark, dass morgens alles schwimmt. Die Sandfliegen sind auch schon munter. Wir kochen Kaffee und fahren erstmal ein Stück mit voller Heizung und Klimaanlage. Kurz drauf kommen wir ans Meer – wieder so ein kilometerlanger Traumstrand: Bruce Bay. Hier frühstücken wir und lassen unser Auto trocknen, laden wieder ein paar Hundert Sandfliegen ein und weiter geht’s. Allein an meinem linken Fuß zähle ich 40 Stiche!

Die Gletscher an der Westküste sind unser nächstes Ziel. Den Fox Glacier bestaunen wir nur aus der Ferne: Vom Lake Matheson aus soll man einen schönen Blick haben, doch heute versteckt sich der Mount Cook meist hinter dicken Wolken. Nur ganz kurz sehen wir den schneebedeckten Gipfel. Sicher, wir könnten uns natürlich auch mit dem Helikopter rauffliegen lassen, rund 500€ hätte uns der Spaß gekostet. Hier stehen überall Helis herum und es scheint auch ganz normal zu sein, denn zum Fox Gletscher kommt man ohne Flug nur schwierig hin. Ist doch irgendwie verdreht: Da lassen sich die Leute per Helikopter auf den Gletscher fliegen, weil Gletscher klimawandelhalber bekanntlich immer kleiner, immer seltener und was Besonderes. Und beim Flug hinauf entstehen dann flugs noch ein paar Kohlendioxide, weil Heli mit Solar noch nicht erfunden. Wir steigen also wieder in unseren Toyota Diesel (ja!) und brausen weiter zum Franz-Josef Gletscher. Der hieß übrigens bis 1865 Albert. Der Entdeckungsreisende Julius Haast hat ihn dann aber nach dem österreichischen Kaiser umbenannt. Die Maori sagen wieder noch anders dazu: Waiau. Dem Gletscher ist das aber alles egal. Der schwitzt und wird jedes Jahr ein paar Dutzend Meter kürzer. Wir erwandern ihn über einen kurzen Wanderweg entlang dem reißenden Waiho-River, der aus dem Schmelzwasser des Franz-Josef besteht.

Unser Nachtlager schlagen wir in Okarito auf, endlich wieder duschen! Der Platz ist relativ arm an Sandfliegen, vielleicht liegt es auch an dem extremen Starkwind. Neben dem Kitchenshelter (eigenen Gaskocher mitbringen!) hat sich der Bus mit der Kiwiexperience breitgemacht. Junge Leute, die gemeinsam im Bus reisen und manche Etappen per Fahrrad zurücklegen. Gekocht wird gemeinsam, Zelte haben sie auch dabei. Eine gute Idee!

Auf der Route nordwärts wird es immer einsamer. Westland ist der am dünnsten besiedelte Teil Neuseelands. An den Tankstellen steht teilweise ein Schild, wie weit es jeweils bis zur nächsten ist. Und wir reden hier von 100 oder 200 Kilometern. Überhaupt, die Straße. Eben haben wir eine (solarbetriebene) Anzeigetafel passiert, die besagt, dass die Straße von sieben Uhr morgens bis 9 Uhr abends offen ist. Mit gutem Grund: Einige Stellen sind nur einspurig befahrbar, vielfach wurden Brücken und Böschungen bei den heftigen Regenfällen der letzten Wochen weggespült. Mehrfach passieren wir Stellen, wo offenbar Muren und Lawinen über die Straße hinweggegangen sind. Die schweren Baumaschinen für die Aufräumarbeiten stehen großteils noch an Ort und Stelle. Ich habe ja den Verdacht, dass das Gerät gleich hier bleibt, denn der nächste Erdrutsch ist nicht weit. Kein Wunder, dass viele der einheimischen Autos nicht nur über Allradantrieb verfügen, sondern auch ein hochgelegtes Luftansaugsystem. Stundenlang fahren wir über den Westhighway 6, gelegentlich kommen wir durch winzige Weiler wie die alten Goldgräberorte Ross oder HariHari. Meist gibt es dort einen Diner mit Bierausschank, manchmal eine Tankstelle, selten einen kleinen General Store (Tante Emma Laden). Wer hier lebt, hat definitiv eine große Tiefkühltruhe und eine eigene Wasser- und Stromversorgung. Zum Einkaufen mal eben zwei, dreihundert Kilometer in die nächste „Stadt“ zu fahren, das ist nicht jedermanns Sache. Doch die Landschaft ist atemberaubend schön. Immer wenn wir die breiten Flüsse auf den One Lane Bridges (einspurige Brücken) überqueren, schaue ich – zu Andreas Entsetzen – gern zur Seite. Meist thront ein nebelumwobener hoher Berg im Hintergrund, das Schmelzwasser seiner schneebedeckten Hänge strömt eisig-blaugrau über breite Kiesfelder. Angeschwemmte Bäume und zerschmettertes Treibholz spricht Bände über die Gewalt des Wassers.

Zum Glück wird das Wetter gerade wieder besser und wir wagen es trotz heftigem Wind am Lake Malinapua zum Baden zu gehen. Doch kaum, dass das Wasser bis an die Waden reicht, wird umdisponiert. Man kann sich auch prima mit den Händen ein wenig Wasser schöpfen und die Achseln auswaschen, das genügt. In Hokitika gönnen wir uns einen ziemlich mäßigen Burger und Sandwich, dann geht’s weiter in die größte Stadt Westlands: Greymouth. Hier leben gerade mal knapp 10000 Menschen. Monteiths Brewery ist wohl die größte Attraktion des Ortes, also hin. Mein Schatz ist so lieb und fährt das Auto im Anschluss an die Bierprobe.

Unsere Übernachtung am Spülsaum wird beinahe zum Alptraum. Der große Camperparkplatz ist nach unserer Bierprobe übervoll, also weichen wir aus auf die untere Strandpromenade, die Schilder mit den Überflutungswarnungen ignorierend. Im Laufe der Nacht kommt die Flut und wir hören die Wellen so laut, dass wir meinen, unser Auto wird schon umspült.

Die Pancake Rocks sind vor 35 Millionen Jahren durch Sedimentation in einem Urmeer entstanden. Schicht um Schicht legten sich Schwebeteilchen ab, Druck ließ die Schichten absinken und verdichtete das Ganze zur Versteinerung, später hoben sich die Gesteine und wurden Erosion durch Wellen und Wind unterworfen. So entstand das bizarre Felsengewirr am Meeresufer. Bei Flut erzeugen die Wellen in den Hohlräumen extremen Druck, der sich mit Krachen wie von Donnerschlägen und mit riesigen Wasserfontänen entlädt.  

Wenn jetzt ein Brontosaurier aus dem urzeitlichen Farnwald herauslugen würde – ich wäre nicht überrascht. Wie in Jurassic Park fühlen wir uns auf dem Punakaiki River Walk. Oben dichter Nebel, hohe und steile Felswände, unten ein glasklarer munter sprudelnder Fluss, und überall rundum sprießende, blühende und alles und sich selbst immer wieder überwachsende Vegetation. Am Stamm jedes Baumfarns ranken sich unzählige kleine Aufsitzerpflanzen hoch, Moose und Flechten bedecken jeden Quadratzentimeter.

Der Foulwind Walk führt uns über eine kleine nördliche Landspitze mit einem Leuchtturm. Abel Tasman hatte wohl seinerzeit Pech mit dem Wind, weshalb er die Gegend und das Kap Foulwind benannte. Dicht dabei gibt es eine Robbenkolonie. Die Tiere liegen gemütlich auf den Felsen unter unserem Ausblickspunkt. Man kann nicht dichter heran, man möchte auch nicht. Einerseits der Tierschutz, zum anderen der Gestank. Ich weiß nicht, ob es an der jetzigen Paarungszeit liegt, aber vor ein paar Wochen stanken die Tiere an der Ostküste weit nicht so. In der Bucht daneben nehme ich trotz kühlem Wasser und heftigem Wind ein Bad im Meer: Wunderbar!

Beim Einchecken im Berlin’s  am Buller River bekomme ich gleich ein Jobangebot. Ich könnte sofort als Koch oder Barmann anfangen. Mit den Sandfliegen hier habe ich mich aber noch nicht angefreundet.

Die Texte sind großen teils schon ein paar Tage alt – mangels Internet bin ich nicht zum Aktualisieren des Blog gekommen. Wir sind mittlerweile über den Lewis Pass rüber und in Waiau zurück auf der Ostseite.
Wir wünschen allen Verwandten, Freunden und anderen Lesern einen guten Rutsch!

Weihnachten am Milford Sound

Am Slope Point erreichen wir den südlichsten Punkt Neuseelands. Von hier sind es noch 4803km zum Südpol. Wahrscheinlich haben wir jetzt auch den südlichsten Punkt unserer Reise erreicht, denn ob wir es wirklich bis nach Feuerland schaffen, ist fraglich. In den letzten Wochen haben wir so oft gefroren, dass wir keine Lust mehr auf weitere Kälte haben.

22.12.2019 am Lake Manapouri

In Fortrose schlafen wir gleich neben den Dünen auf einem kleinen kostenlosen Stellplatz. In der Nacht hat es aufgeklart, wir können einen unglaublich schönen, klaren und dunklen Sternenhimmel sehen. Die ganze Milchstraße! Wir haben jetzt die Catlins verlassen und machen uns bei wieder immer schlechter werdendem Wetter über die einsamen Straßen von Southland zunächst nach Invercargill auf. In der südlichsten Großstadt Neuseelands kaufen wir für die Weihnachtsfeiertage ein. Außer Lebensmitteln für vier Tage sind auch ein Paar Handschuhe und Batterien für meine Stirnlampe dabei. Darüber hinaus ist ein Trip über den Milford-Sound unser gemeinsames Weihnachtsgeschenk. Vom Südmeer verabschieden wir uns bei McCracken’s Rest, einem wunderbaren Aussichtspunkt über viele Kilometer Strand nach beiden Seiten. Mächtige Brandung und stürmischer Wind lassen uns nicht lang verweilen; zumindest regnet es endlich mal nicht. Dann biegen wir Richtung Norden ab und mit jedem Kilometer wird das Wetter besser. Wir schalten die Heizung im Auto ab, dann ziehen wir die Pullover aus, schließlich fahren wir unsere Scheiben herunter! Rasch heben die steigende Temperatur und der strahlende Sonnenschein unsere Stimmung nach den vielen Regentagen wieder. Die Straßen werden umso einsamer, je weiter wir uns von der Umgebung Invercargills entfernen.

Schneebedeckte Gipfel tauchen in der Ferne auf, wir sehen unsere hunderttausendsten Schafe und es wird immer wärmer. Ab jetzt Richtung Nordwesten wird die Infrastruktur extrem dünn, es gibt kaum noch Tankstellen – von Abfalleimern, Mobilfunk oder Radio ganz zu schweigen. 

Wir stehen an einem kleinen Parkplatz in einem riesigen Tal. Den Lake Te Anau haben wir vor ein paar Minuten hinter uns gelassen, nachdem wir in der gleichnamigen Ortschaft nochmal getankt und ein paar letzte Lebensmittel eingekauft haben. Endlich ist der Himmel wieder blau, mächtige Berge säumen das Tal zu beiden Seiten. Ganz weit im Norden sehe ich schneebedeckte Gipfel. Ein reißender Wildwasserbach spaltet sich in viele Arme auf, die sich kurz darauf wieder vereinigen. Die Landschaft ist so atemberaubend schön, man ist versucht, alle paar hundert Meter anzuhalten, um ein Foto zu aufzunehmen. Zum Glück gibt es viele Aussichtspunkte und die Landschaft ist riesig. So verteilen sich die beträchtlichen Menschenmassen einigermaßen. Nur einmal, an den Mirror Lakes drehe ich um. Eben haben drei große Reisebusse ihre Passagiere ausgespien. Selbstverständlich sind wir nicht die einzigen, die sich an der Naturschönheit erfreuen wollen. Wenn alle diese Chinesen jetzt die Welt bereisen, meint Andrea, dann sollten wir vielleicht nach China fahren – da muss es ja ganz leer sein! Ich fürchte, der Plan geht nicht auf.

Die Landschaft ist extrem mächtig, man fühlt sich ganz klein dagegen. Morgens überfallen uns dann Myriaden von Sandfliegen, auch eine mächtige Naturgewalt. Das Frühstück verlegen wir auf den Platz The Divide – eine Art Sattel oder Pass. Während  wir an der offenen Heckklappe unser Käsebrot im Stehen verdrücken, krächzen und zwitschern über unseren Köpfen die Bergpapageien. Wir haben uns eine kurze Wanderung zur Howden Hut herausgesucht. In Serpentinen steigen wir zu der kleinen Selbstversorgerhütte, die idyllisch zwischen mächtigen Bergen und kristallklaren Seen liegt. Sandfliegen gibt es allerdings auch hier in rauen Massen. Wir bleiben keine fünf Minuten, an Rast ist nicht zu denken. Auch auf dem Rückweg sind wir wieder mal die langsamsten aller Wanderer, dauernd werden wir überholt. Es scheint uns, dass die Leute ein Wettrennen veranstalten: Wer kann noch mehr Punkte auf der Liste in einem Tag abhaken? Gut, dass wir gar nicht schneller können, denn mein Fußgelenk und Andreas Rücken bremsen uns. Schließlich sind wir auch mit Abstand die ältesten hier, wie beinahe überall auf unserer Reise. Besonders heute ein komisches Gefühl: es ist Heilig Abend, und wir sind hier ganz allein ohne unsere Kinder und die Oma.

Der weitere Weg Richtung Milford Sound führt uns über die Milford Road, eine der anerkannt schönsten Straßen der Welt, an vielen atemberaubenden Aussichtspunkten vorbei. Brav halten wir wie all die anderen Touristen, schießen unsere Fotos und fahren kurz drauf weiter. Zum Verweilen ist hier überall zu viel los. Vor dem Homer Tunnel müssen wir kurz warten – Einbahnregelung. Ein neugieriger Kea verkürzt die Wartezeit. Die leider inzwischen seltenen Bergpapageien sind sehr intelligent und extrem neugierig. Ich setze mich auf die Straße und baue aus ein paar Kieselsteinen eine Pyramide, der Vogel schaut gespannt zu und kommt näher. Doch bald schaltet die Ampel auf grün und ich springe zurück ans Steuer. Ciao, Kea! Der Tunnel, erbaut von 1939 bis 1953 (!) ist steil und finster. Wir unterqueren in wenigen Minuten das riesige Bergmassiv und erreichen auf der anderen Seite ein Tal mit beinahe senkrechten Wänden, aus denen viele Wasserfälle hervortreten und hunderte Meter herabfallen. Vor der Fertigstellung des Tunnels und der Straße war der Sound nur über den Milford Track zu Fuß oder per Schiff von der Tasmansee aus erreichbar. Die Bootstour über den Fjord haben wir uns zu Weihnachten geschenkt – im Sonderangebot gab es die Fahrt bei BookMe für 55 statt 99 NZ$. Tatsächlich ist unser Boot wie versprochen das mit Abstand kleinste im Hafen und zum Glück höchstens halb voll. Am Sound ist eine komplette Touristenbespaßungs- und Naturentdeckungsindustrie entstanden. Es gibt sogar einen Flughafen in Milford Sound! Kaum jemand wohnt hier, es geht nur um die Abwicklung der Touristentouren. Die zweistündige Bootstour genießen wir trotzdem, sie führt uns zu spektakulären Wasserfällen mit integriertem Regenbogen, entlang steilen, hunderte Meter hohen Felswänden bis ans Meer.

Auf dem Rückweg sehen wir sogar Fellrobben ganz aus der Nähe, dann fährt das Boot unter einem Wasserfall hindurch. Die Nacht verbringen wir auf dem ehemaligen Straßenarbeitercamp am Gunn’s Point – wieder umschwirrt durch Wolken von Sandfliegen. Hier geht es ziemlich rustikal zu: Mitten im Wald an einem kleinen Fluss und einem Bach stehen ein paar alte wellblechgedeckte Hütten, es gibt einen Generator und abends für ein paar Stunden Strom. Warmes Wasser zum Duschen kann man haben, solange es unter dem holzbeheizten Kessel brennt, danach ist es ziemlich frisch, genauer gesagt eiskalt. Abgesehen davon verfügt der Platz über einen unerschöpflichen Vorrat an Sandfliegen. Die kleinen Plagegeister stechen oder beißen, genau weiß ich es nicht. Aber der Effekt ist viel übler als bei normalen Moskitostichen. Binnen 24 Stunden entstehen große eitergefüllte Quaddeln, die nicht nur höllisch jucken, sondern richtig weh tun. Aber wehe, man kratzt, dann wird es noch viel, viel schlimmer.

Die Catlins – Urwald, Strand und Felsenküste

Meine linke Sandale hat sich entschieden, künftig getrennte Wege von ihrem rechten Gegenteil und von mir zu gehen. Irgendwo in Dunedin muss sie ausgestiegen sein. Wahrscheinlich ist sie vom Trittbrett unseres Vans gehüpft, als ich im strömenden Regen und eiskaltem Wind die Schiebetür geöffnet habe. Geblieben sind mir meine Flipflops aus Thailand und meine Wanderschuhe aus Bayern. Dazu eine verlassene rechte Sandale in Trauer.

Okay, Sandalen brauche ich momentan eh nicht. Die Flipflops eigentlich auch nicht, bei 11 Grad und Sturmböen. Der Lehm, auf dem wir wandern, ist stellenweise derart zäh, dass es laut schmatzt, wenn wir unsere Wanderstöcke wieder anheben. Von den Schuhen ganz zu schweigen. Der Weg führt uns durch einen Urwald aus Farn, Laubbäumen, Palmen, stacheligen Büschen und Schlingpflanzen entlang des Taieri River den Hang hinauf, über ein paar Nebenflüsse und Bäche, durch ein Sumpfgebiet und schließlich immer weiter hoch zu einem Felsen weit über dem Wasser. Den Spruch von den „four Seasons in one day“ kennt man ja, am Taieri River Mouth hatten wir heute vier Jahreszeiten in zehn Minuten. Und das vier oder fünfmal im Wechsel: buchstäblich von heißer Sonne bis zu eisigem Wind mit heftigen Schauern.

Am Flussufer unter uns ist der Wechsel von Flut und Ebbe gut zu sehen. Wo wir auf dem Hinweg noch beinahe im Wasser liefen, ist am Rückweg ein breiter Streifen Schlick und Kies trocken gefallen, bedeckt von tausenden kleinen Schnecken. Neuseeland hat nicht nur Kiwis, sondern noch viele andere endemische Vogelarten. In der Tat gab es hier einst, abgesehen von zwei oder drei Fledermausarten überhaupt keine Säugetiere. Folglich wurden sämtliche ökologischen Nischen durch Vögel besetzt: Raubtiere gab es keine, dafür Vögel in allen Größen und Formen. Der riesige Haastadler etwa oder der Moa beispielsweise, der mit bis zu etwa 270 Kilogramm Körpergewicht größte Laufvogel den es je gab, wurden bereits vor über 500 Jahren von den Maori ausgerottet. Durch importierte oder ungewollt zugewanderte Tierarten ist die Vogelwelt der Inseln heute immer noch in Gefahr. Fallen für Raubtiere sollen Abhilfe schaffen; besonders Ratten, Frettchen und Wiesel werden gefangen, wie wir von einem älteren Herrn erfahren, der uns auf der Wanderung begegnet. Er ist gerade unterwegs, die Fallen zu kontrollieren – Freiwilligenarbeit für die Gemeinde.

Geschlafen haben wir gestern auf Paulas Platz direkt hinter den Dünen von Taieri. Hier ist Camping noch wie früher: Hühner laufen herum, Bad und WC sind einfach und die Küche protzt mit einem Esstisch wie in einer Ritterburg. Die heutige Nacht verbringen wir auf dem Campground am Clutha River in Kaitangata. Der Chef Ralph ist Koch und lebt schon seit über fünfzig Jahren nicht mehr in der schwäbischen Heimat. Er hat schon alles mögliche gemacht in seinem Leben, momentan möchte er mir gern seinen Campingplatz verkaufen, um wieder mal umzusatteln. 500000 NZ$ will er für den Grund, ein Schnäppchen. Trotzdem werde ich mit dem Angebot nicht warm. Liegts vielleicht am Wetter?

19.12.2019 Campers Freuden Pounawea

Warum spricht man eigentlich von einem Kulturbeutel? Richtig, weil ohne droht man zu verlottern. Kulturlos eben. Wir sind in akuter Gefahr, obwohl wir beide so ein Sackerl mit Zahnpasta und Seife besitzen. Wenn die letzte Unterhose angezogen und das letzte T-Shirt angeschwitzt ist – von den Socken will ich schweigen – dann ist es Zeit, einen Platz mit einer Waschmaschine und, bei diesem Wetter, einem Trockner anzusteuern. Heute nach dem Waschen habe ich festgestellt, dass ich noch sechs Unterhosen besitze. Normalerweise würde man sagen, das reicht für eine Woche. Weit gefehlt, es reicht auch für zwei oder drei, je nachdem, wie oft man die Badehosen anhat. Leider momentan gar nicht. Heute ist jedenfalls Waschtag. Leider hat die Maschine eine von Andreas Socken aufgefressen. In Balclutha habe ich mir als Ersatz für die Sandalen ein Paar Opa-Hausschuhe gekauft. Modetrends waren mir schon immer egal, aber diese Treter sind wirklich extrem hässlich. Dennoch, die einzig verfügbaren Modelle in meiner ausgefallenen Größe. Wahrscheinlich wäre mir die Sandale gar nicht davongelaufen, wenn wir nicht so einen winzigen Van bewohnen würden. Darin ist jeder Quadratmillimeter mit irgendwelchem Zeug belegt, obwohl wir doch eigentlich gar nicht so viel dabei haben. Bei Regen macht es gleich gar noch viel weniger Spaß. Besonders abends und nachts, wenn wir zu Schlangenmenschen mutieren, zwischen unseren Rucksäcken, den Campingstühlen, den klammen Decken hindurchkriechen, um uns irgendwie zur Nacht in eine halbwegs erträgliche Position zu verbiegen. Die „Matratze“ ist ein etwa fünf Zentimeter hohes Polster, das aus vier Teilen besteht. Klar, dass diese ständig auseinander rutschen und man in der kalten Ritze landet. Heute Nacht ist die Unterkonstruktion aus Esstisch und hochgeklappter Sitzbank zweimal unter mir zusammen gebrochen. Das sind dann die Momente, wo man an dem ganzen Projekt zu zweifeln beginnt. Überhaupt, warum hat eigentlich das junge Paar Schweizer neben uns einen doppelt so großen Campingbus? Wie ein strahlend weißes Kreuzfahrtschiff überragt der gigantische Mercedes unseren winzigen Toyota in allen Dimensionen. Unsympathische Menschen entsteigen dem Koloss, frisch geduscht und geföhnt, aber „Guten Morgen“ können sie offenbar nicht.

Die Catlins sind ein riesiges, extrem dünn besiedeltes Gebiet an der Südostküste. Handyempfang oder gar Internet gibt es nur stellenweise, die Straßen sind meist nicht geteert. Die Natur ist gigantisch. Heute haben wir den Nugget Point, die Cannibal Bay und Jack’s Blow Hole besichtigt; spektakuläre Felsenkliffs, gigantische Strände und eine eingestürzte Höhle mit Verbindung zum Meer, wo die Brandung durch ein riesiges Felsenloch in die Höhe schießt. Das Wetter hat halbwegs gepasst, bei Sonne wär’s sicher schöner gewesen als im Regen. Eben bin ich nochmal durch den Starkregen zum Auto gehechtet und habe uns die Thermounterwäsche geholt. Wir sitzen in der halbwegs warmen Camingplatzküche und grausen uns vor unserem klammen Bus.

Tatsächlich, diese Nacht war die kälteste und feuchteste von allen bisher. Unser Atem kondensiert in der Kälte am Blech des Hiace, morgens ist alles patschnass. Heute waren wir trotz miesem Wetter bei mehreren Wasserfällen, am Lake Wilkie, einem kleinen Moorsee hinter den Dünen und in einer riesigen Höhle in den Felsen am Meer (Cathedral Cave) und an dem größten Strand, den ich je gesehen habe. Im Museum von Owaka haben wir uns über die Geschichte der lokalen Eisenbahn, der Holzfäller sowie der Walfänger informiert. Die Leute hatten ein hartes Leben damals! Sicher waren die Menschen seinerzeit nicht so verweichlicht wie wir. Aber was hilfts uns, wenn wir jetzt frieren?

20.12.2019 Whistling Frog Cafe

Albatrosse und Seelöwen

Königsalbatrosse können bis zu 1000 Kilometer am Tag fliegen. Mitunter sind sie jahrelang unterwegs, ohne jemals festen Boden zu berühren. Die riesigen Vögel haben eine Flügelspannweite von über drei Meter. Auf der Halbinsel Otago liegt eine große Brutkolonie, die einzige weltweit am Festland. Umweltschützer sorgen für ungestörte Ruhe auf den hohen, windumtosten Klippen und bemühen sich außerdem, Raubtiere wie Marder, Katzen etc. fern zu halten. Infolgedessen liegt der  Bruterfolg hier recht hoch. Trotzdem ist die Art stark bedroht: Langleinenfischerei, Netze und vor allem Plastikmüll im Meer raffen mehr Tiere dahin, als geboren werden. Man kann es kaum glauben, denn die Strände hier im Süden der Südinsel scheinen makellos sauber. Heute sind wir zur Sandfly Bay gewandert und haben dort die – ebenfalls bedrohten – Seelöwen beobachtet. Ein Traumstrand! Feinster Sand, riesige Dünen.

Die Seelöwen ruhen hier nach der anstrengenden Jagd im Wasser. Trotz strahlender Sonne war es eiskalt, denn der Wind ist uns nur so um die Ohren gepfiffen. Die Kiwis wissen schon, warum sie ihre Dixiklos mit Spanngurten am Boden festzurren.

Wir sitzen in einem Café in Dunedin und nutzen das WLAN, um unsere Fotos hochzuladen hochzuladen und zu überlegen, für welche Projekte wir unsere letzten Flug-Ablässe spenden, siehe Seite „Klimaneutral reisen“. Draußen regnet es in Strömen, wir hatten eine sehr ungemütliche und kalte Nacht in unserem kleinen Campervan. Bis jetzt hatten wir ja Glück mit dem Wetter, aber jetzt ist die Kalt- und Regenfront von der Westküste zu uns im Südosten herübergeschwappt. Die Leute reden viel über den Klimawandel. So ein Wetter habe es hier noch nie gegeben. Die anhaltenden Stürme haben die Westküste seit Wochen lahmgelegt, überflutete und gesperrte Straßen haben sogar Ortschaften isoliert. Andernorts gibt es eine Dürre und Australien ächzt seit Wochen unter einer schrecklichen Hitzewelle von bis zu 50°C.

17.12.2016 Dunedin

Kein WLAN in der Wildnis

Momentan sitze ich in unserem Campervan neben einem kleinen Bach auf einer Lichtung in einem romantischen Tal mit Sandsteinformationen, die mich ein wenig an die sächsische Schweiz erinnern, nur dass hier irgendwie alles viel größer ist als in Europa.

Ich weiß nicht, wie ich zusammenfassen soll, was wir in der letzten knappen Woche erlebt haben: Unglaublich schöne Landschaften, extremes Wetter, supernette Leute. Wir sind inzwischen etwa 1500 Kilometer über die Südinsel gefahren, haben die neuseeländischen Alpen mit ihren auch jetzt im Sommer schneebedeckten Gipfeln besucht, sind stundenlang auf schnurgeraden Highways durch gigantische Landschaften gereist, haben auf einfachen Parkplätzen ohne Wasseranschluss und weitab von jedem Strom- oder Handynetz übernachtet, sind auf extrem kurvigen Schotterstraßen oder einspurigen Holzbrücken über wilde Gebirgsflüsse beinahe von der Straße abgekommen vor lauter Schauen.

Nur in den Ortschaften oder manchmal auf den großen Highways gab es Handynetz, deshalb habe ich in letzter Zeit zwar viel Tagebuch geschrieben, aber nichts auf den Blog gebracht. Technische Probleme mit dem Server habe ich derzeit auch. Fotos rauf- und herunterladen ist ziemlich schwierig. Deshalb heute nur mal ein kurzer Zwischenstand. Die ausführliche Version gibt’s dann vielleicht mal als Buch, wie wäre das?

Ein Highlight war der Besuch am MountCook, dem höchsten Berg Neuseelands und überhaupt Australozeaniens. Mit 3724 Metern ist er fast tausend Meter höher als unsere Zugspitze. Die Bergseen von Canterbury sind von unbeschreiblich türkiser Farbe. Lake Tekapo, Lake Oahu und die anderen Seen haben uns sehr gefallen, doch die winzigen blauen Pinguine am Strand von Oamaru haben unser Herz bewegt. Überhaupt die Strände! Es ist zwar unglaublich windig und ziemlich kalt, aber die Fellrobben und Pinguine stört das nicht.

Lake Coleridge

Liebe Freunde, es geht uns gut! Lieb, dass so viele nachfragen – wir sind auf der Südinsel in den Bergen ganz weit weg von White Island und dem Vulkanausbruch.

Hier in Canterbury gibt es zwar einige Überschwemmungen, der Rangitata River ist über die Ufer gegangen und hat ein paar Brücken beschädigt. Aufgrund der Straßensperrungen haben wir mal wieder unsere Pläne ändern müssen – dafür aber ganz unverhofft wundervolle Landschaften abseits der Touristenpfade entdeckt.

Übrigens: Der Sommer in Neuseeland ist stellenweise kälter als der Winter in Deutschland! Wir haben uns mit langer Thermounterwäsche und dicken Pullovern eingedeckt…

Canterbury, Südinsel Neuseeland

Ich sitze in Okain’s Bay vor unserem Campervan und höre die Vögel zwitschern, im Hintergrund rauscht das Meer an einem wunderbaren Sandstrand. Dieser ist geschätzt ein bis eineinhalb Kilometer lang und mindestens hundert Meter breit, an jedem Ende gesäumt von schroffen, hunderte Meter hohen Felsen. Dort, wo das binsenartige scharfe Gras der Dünen endet und die ebene Strandfläche beginnt, ist der Sand noch gänzlich unberührt. Durch das Salz hat sich oben eine wenige Millimeter dicke Kruste gebildet, darunter ist der Sand fein und weich wie ich es noch nicht erlebt habe. Schwarze Strandläufervögel mit roten Schnäbeln picken hektisch im feinen Sand, ein paar Möwen sind zu sehen. Am ganzen Strand zähle ich, uns eingeschlossen, zehn Menschen. Eine ganz unerschrockene Frau geht tatsächlich ins Wasser! Mir war es schon knöcheltief zu kalt. Früher gab es an diesem Strand eine Walfangstation, man kann es fast nicht glauben. Eine winzige Siedlung nebst Maorimuseum haben wir vorhin besichtigt. Endlich komme ich wieder mal zum Schreiben.

Akaora war ein Traum. Allein der Blick von oben aus den Bergen hinunter in die vielfach aufgespaltene Bucht ist unbeschreiblich. Wir sind froh, dass wir den Abstecher von Christchurch aus auf die Halbinsel Banks unternommen haben. Unser Gastgeber John in Christchurch hatte ja eher abgeraten, aber wir sind begeistert. Der historische Ort mit seinen alten Häuschen im Stil der kolonialen Vergangenheit aus britischen und französischen Zeiten ist so gemütlich und postkartenidyllisch! Man hätte hier zum Beispiel auch weitere Studien zum Thema „Chinesen unterwegs“ betreiben können, es ankern Kreuzfahrtschiffe voller Asiaten im fjordähnlichen Sund ein paar Kilometer vor dem kleinen, beschaulichen Hafenort. Mit der Beschaulichkeit ist es aber auch dahin, wenn ein paar Hundert Kreuzfahrer durchs Dorf tigern. Wir hatten Glück und besichtigten Dorf, Hafenpier, Leuchtturm und die hervorragenden öffentlichen Toiletten ganz allein für uns. Eine Nacht auf dem Hippiecampingplatz Onuku Farm Hostel (Pizza 20$, 1000 Schafe), Hühner folgen uns auf dem Fuß, der Regenbogen an der Scheune bezeugt die Einstellung der Besitzer. Wir genießen einen wahrlich unglaublichen Sternenhimmel. Trotz Halbmond sieht man 100mal so viele Sterne wie zu Hause!

Doch der Reihe nach: In Christchurch auf der Südinsel Neuseelands landeten wir nach unserem verspäteten Flug aus Fidschi mit der von Malindo Air geborgten Maschine. Per Shuttlebus sind wir ins Zentrum gefahren und haben dort ein bisschen rumgeschaut: Vom historischen Erbe ist nach dem Erdbeben von 2011 nicht mehr viel übrig. Die halb zerstörte Kathedrale und ein paar andere Gebäude sind mit Zäunen gesichert, die Fenster vernagelt. Überall wird gebaut. In Johns Haus erleben wir unsere ersten wirklichen Couchsurfernächte, nachdem es in Kuala Lumpur nicht geklappt hatte. Wir wollen hier zwei Nächte verbringen, bis wir unser Wohnmobil übernehmen können. Geöffnet wird uns von der Tirolerin Nina, in der Küche sitzen Gerome und Lisa, zwei Deutsche, im Schlafzimmer Flo und Lina, aus Österreich. Später kommen noch ein französisches und ein deutsches Paar dazu. Fast dieselbe Situation wie zuletzt in Malaysia – aber jetzt können wir nicht mehr zurück. Als später John, unser Gastgeber eintrifft, stellt sich heraus, dass er ein wirklich offenes Haus betreibt und wohl beinahe jeden, der gern kommen möchte, zu sich einlädt. Er selbst ist Rentner und schwer herzkrank, genießt aber offenbar die Gesellschaft der überwiegend jungen Leute und spart trotz aller Beschwerden nicht mit wohlüberlegten Reisetipps. Er hat sogar seine persönliche Best-Of-NZ South-Tour zusammengestellt und gibt die Ausdrucke an seine Gäste weiter, wenn gewünscht. Beim gemeinsamen Kochen, Essen und Frühstück tauschen wir uns mit den anderen Travellern aus. John instruiert das Kochen nach seinen Vorstellungen, aber leider ist er beim Essen nicht dabei, dafür fühlt er sich zu schwach. Ich fühle mich hier in die Wohngemeinschaften meiner Jugendzeit  zurück versetzt. Hier allerdings sind alle der Mitbewohner äußerst rücksichtsvoll, sehr leise und hilfsbereit, außerdem besonders John gegenüber einfühlsam. Trotz der extremen Schlafsituation – bis zu sechs Personen in einem etwa 16 Quadratmeter Zimmer mit zwei Doppelbetten – finden wir die Sache insgesamt in Ordnung. Unser Bett ist ein Beweis der Relativitätstheorie: Auf dieser besonders weichen Matratze entsteht eine Raum-Zeit-Verschiebung; die Gravitation unserer Körper bewirkt eine tiefgreifende Einwölbung des Ereignishorizontes, wir versinken beinahe schwerelos in einem schwarzen Loch-Trichter aus Wackelpudding, bis irgendwer im Raum zu schnarchen beginnt, die Luftmatratzen quietschen, ein Handy losdudelt oder jemand aufs Klo muss.