Nun sind wir nach drei Tagen Valparaiso auf dem Weg zurück nach Santiago, denn von dort gibt es viel mehr Möglichkeiten, weiter in den Süden zu fahren. Schließlich sind wir ganz klassisch per Ubertaxi zum Busbahnhof gefahren und haben uns dort ein Ticket am Schalter gekauft. Wir wollen es unbedingt vermeiden, mitten in der Nacht oder allzu früh morgens irgendwo anzukommen, wo wir dann mit dem kompletten Gepäck erst stundenlang warten müssen, bis wir eine Unterkunft finden oder es sonstwie weitergeht. Der bequeme Bus des Unternehmens Condor tröstet nicht ganz darüber hinweg, dass wir nicht unsere gewünschte Verbindung nach Pucon bekommen haben. Die Sitze sind weich gepolstert, die Beinfreiheit geradezu luxuriös. Ein großes Display zeigt an, wie schnell der Bus unterwegs ist und Schilder weisen die Fahrgäste darauf hin, dass sie sich beschweren sollen, wenn der Fahrer zu schnell fährt. Tatsächlich ertönt eine Hupe, wenn er mal versehentlich über hundert fährt. Gebirge und Hügellandschaften ziehen an den Fenstern vorbei. Der Mischwald besteht aus Laub- und Nadelbäumen sowie Palmen, es gibt kaum Unterholz und alles scheint staubtrocken zu sein. Die Straße ist eine perfekt ausgebaute vierspurige kreuzungsfreie Autobahn. Eine der besten Straßen seit Malaysia und Singapur. In Neuseeland gab es nur um Auckland herum ein paar größere Straßen, ansonsten waren alle State Highways einfache Landstraßen, Brücken häufig einspurig.
Was soll ich sagen, wir verbringen einen weiteren Tag in Santiago, denn unser Bus nach Süden fährt erst um 21 Uhr. Bis dahin besichtigen wir noch ein Kunstmuseum und einen Park. Wiederum sehen wir einige Menschen, die hier im Zelt oder auf Matratzen ihr Lager bezogen haben. Wer nämlich in diesem Land den Job verliert ist schnell auch die Wohnung los und dann bleibt oft nur das Zelt, das eigentlich für den nächsten Urlaub gedacht war. Bei einem Mindestlohn von rund 420 Euro – die einfachen Leute verdienen kaum mehr als das – kann man auch schlecht irgendwelche Reserven bilden. Vielen bleibt nichts anderes übrig, sie tragen entbehrliche Wertgegenstände oder einfachen Hausrat zum Flohmarkt, um es zu Geld zu machen. Wir sehen junge Leute, die in der Rotphase vor der Autoschlange an einer Ampel mitten auf der Straße artistische Kunststücke vorführen. Anschließend sammeln sie Kleingeld ein. Andere kommen auf krumme Ideen. So hat mir heute irgendjemand in der Metro das Mobiltelefon aus der Tasche gezogen. Sehr ärgerlich für mich, das grenzt ja heutzutage fast an Amputation. Ich wünsche dem Dieb jedenfalls viel Spaß mit dem alten Gerät. Es war nicht mehr viel wert, der Akku hielt mit Ach und Krach noch einen halben Tag und ständig stürzten Apps ab. Ich habe das Handy jedenfalls sofort über Google gesperrt und meine Daten gelöscht.
Trotzdem hat mir die Sache mindestens eine Nacht und die nächsten Tage total versaut. Der Nachtbus nach Villarica war so schon eine Foltertour. Luxuriöse Sitze, aber mit eingesessenen Mulden für Menschen, die mindestens einen, wenn nicht zwei Köpfe kürzer sind als ich. Mit eingeklemmten Brust- und Lendenwirbeln träume ich vom Taschendieb. Es kommt aber noch schlimmer: Kurz vor halb sechs Uhr kommen wir an, es herrscht noch komplette Dunkelheit, eine gottverlassene Straße und ein paar müde Straßenhunde begrüßen uns bei etwa 6 Grad. Zumindest lange Hosen haben wir an.
Doch Villarica entpuppt sich bei Licht doch als ein schöner Fleck. Fast von überall in der Stadt kann man den riesigen Vulkan sehen, der auch noch ganz idyllisch hinter einem riesigen See liegt. Es ist zwar eine Feriengegend, aber hier sind ausschließlich chilenische Touristen unterwegs. Erstaunlicherweise fallen wir trotzdem kaum auf, im Gegenteil, manchmal werden wir angeredet, als ob man uns für Chilenen halten würde. Das chilenische Volk ist ein derartiges Gemisch aus vielen Völkern, da gibt es spanische, englische, kroatische, deutsche und viele andere Wurzeln. In die chilenische Sprache haben aus dem Deutschen einzig die Wörter „Yah“(=Ja) und „Kuchen“ Eingang gefunden, dafür ist Kuchen aber bis heute SEHR wichtig in Chile. Überall gibt es Kuchen, bestimmt essen die Leute mehr Kuchen als Brot. Die nette kleine Stadt erwandern wir zu Fuß, die angebotenen Ausflüge zu diversen Wasserfällen oder Thermalquellen sparen wir uns aber. Wir verbringen eineinhalb Tage damit, ein neues Handy für mich zu kaufen sowie eine neue SIM-Karte zu aktivieren. Alles nicht so einfach hier!