Puerto Montt hat uns mit Regen überschüttet, das Museum, das wir besuchen wollten, hat zu und sonst gibt es hier NICHTS für uns zu gewinnen. Unser Versuch, einen Ausflug zu den Pinguinen in Punta Arenas zu buchen ist auch fehlgeschlagen. Wir fliehen ins Jumbo Einkaufszentrum, bestaunen den Konsumtempel und essen in der Cafeteria eine schlecht angemachte gefüllte Avokado. Als der Regen nachlässt, kommt tatsächlich wieder die Sonne raus. Wir laufen zur Hospedaje und schwören, nie wieder ohne Regenjacke und Wanderschuhe loszugehen.
Die nächsten Stunden verbringen wir in unserem schiefen Aufenthaltsraum zwischen den verschiedenen Bildschirmen hin- und her navigierend. Wir versuchen, Klarheit über unsere weitere Reiseroute zu erhalten. Ein Reiseplan ist rasch geschmiedet, doch spannend wird die Umsetzung. Ich versuche, einen Bus zu buchen: Die Verbindung Punta Arenas – Ushuaia ist gefragt. Kaum eine halbe Stunde dauert es, bis alle erforderlichen Daten ins Online-Formular eingetragen sind. Warum, frage ich mich, müssen wir da eine deutsche Adresse, Telefonnummer, Beruf und Familienstand eingeben? Die Passnummern wissen wir inzwischen sowieso schon auswendig. Als es ans Bezahlen geht, kommt der Clou: Die Anweisung per Kreditkarte funktioniert nur mit einer Bestätigung über die Banking-App auf dem Handy. Diese wiederum erfordert eine TAN. Selbstverständlich habe ich auch einen mobilen TAN-Generator dabei. Mit zittrigen Händen schiebe ich die Scheckkarte in den Schlitz und gebe den Code ein: Habe ich alles richtig gemacht? Da rutscht mir das Gerät aus der Hand. Der Batteriedeckel öffnet sich und die Knopfzellen springen munter heraus. Auf dem Schurwollteppich hört man weder einen Aufprall noch ein Rollgeräusch, also verbringe ich die nächsten Minuten im Vierfüßlerstand auf dem Fußboden. Als endlich alle Batterien wieder am Platz und der Deckel eingesetzt ist, wundere ich mich, dass bisher kein Time-Out die Verbindung gekappt hat. Der Schweiß steht mir auf der Stirn, erneut versuche ich, die Bestätigung abzurufen. Doch die Maschine lacht mich aus, nur ein kaltes „Kein Code“ prangt auf dem Gerät. Am Busbahnhof gibt es hoffentlich noch einen Schalter.
Natürlich gibt es an diesem Busbahnhof zu dieser Busverbindung keinen Schalter. Dafür hat nun das Museum auf. Eine nette Ausstellung über die Stadtgeschichte und das große Erdbeben von 1960. Das ausgestellte Sofa steht genau so schief wie in unserer Unterkunft alle Möbel. Alles in Spanisch, keine Übersetzungen. Überhaupt ist das Spanisch hier kein spanisches Spanisch, sondern definitiv eher chilenisch, also ganz anders. Wir beschließen, nochmal essen zu gehen. In dem kleinen Fischlokal über dem Markt gibt es jede Sorte Fisch, solange es Lachs ist. Andrea mag keinen Lachs und bestellt ab. Daraufhin bringt die Kellnerin auch für mich nichts. Dass das so bleibt, blüht uns erst nach zwei Bier und zwei Wein. Hungrig, aber beschwingt verlassen wir die Servicewüste und suchen uns ein anderes Lokal.
Fazit: Der Apfel-Nuss Kuchen von heute früh und die liebe Umarmung unserer Mitbewohnerin („Me encantan los abrazos!“) waren die Highlights des Tages. Aber immerhin. Daheim hat AKK gerade aufgegeben und die thüringischen Politikkapriolen sind miese Vorzeichen für unser Land. Dann doch lieber eine Umarmung von einer wildfremden Oma.
Denkmal für die deutschen Siedler
Punta Arenas
Was sagst du zu einer Umarmung vom Taxifahrer, der dich gerade zum Flughafen gebracht hat? Genau, du bist baff. Ich habe das Gefühl, dass es jetzt wirklich aufwärts geht. Jedenfalls schmeckt der Chop Austral Calafate (eine Halbe leckeres Bier aus Patagonien) Die Shrimps mit Knoblauchbutter sowie die Muschelsuppe sind mit das Beste, was wir bisher in Chile zu essen bekommen haben. Andrea will unbedingt noch in die Freihandelszone, um sich eine warme Daunenjacke zu kaufen. Ihren neuseeländischen Farmerpulli hat sie in Auckland entsorgt, deshalb braucht sie jetzt für die morgige Pinguintour etwas Warmes. Ich habe mich entschieden, auf Kiwi zu machen und laufe im T-Shirt durch Punta Arenas, während alle anderen Leute Steppjacken tragen. Hoffentlich geht das morgen auch so gut. Meine Pullis und mein Stirnband sind nämlich komplett in der Wäsche.
Hah! Welch eine Überraschung! Eben war ich beim Patron, um ihm zu sagen, dass wir morgen kein Frühstück, sondern ein Lunchpaket brauchen (ein linguistisches Abenteuer!). Er hat mich jedenfalls verstanden, nur ich eben seine Antwort nicht. Zum Glück kam dann mein Engel um die Ecke, um zu dolmetschen. Das beste ist: Unsere Wäsche ist tatsächlich schon fertig! Ihr könnt euch nicht vorstellen, welche Freude das für uns ist. Nicht nur, weil ich morgen um den Pulli froh sein werde, sondern überhaupt. Daheim, Wäsche sortieren und zusammenlegen: Höchststrafe! Lieber wasche ich zwei Autos und räume den Keller auf. Hier dagegen: ein Genuss. Zuerst wird misstrauisch der Wäschesack entpackt: Ist auch wirklich wieder alles da? Ungern erinnern wir uns an verwitwete Einzelsocken und komplett verlorene Unterhosen. Man nimmt jedes Stück zärtlich in die Hand, riecht behaglich am frischen Duft und streicht über den sauberen Flor. Aaah! Welch ein Genuss! Wieder frische Sachen für eine Woche!
Marta, Renata und Johanna, drei sehr nette junge Mädels aus Santiago lernen wir abends im Gemeinschaftsraum kennen. Sie haben hier Wanderurlaub gemacht, dürften also nicht aus allzu armen Elternhäusern stammen. Nichtsdestoweniger sind sie gar nicht begeistert von der politischen und gesellschaftlichen Situation ihres Landes. Anfang März, so sagen sie, sind die Schulferien vorbei, dann geht es mit den Demonstrationen und Aufständen weiter, kein Zweifel. Wir fragen nach ihrer Einschätzung, ob sich nach den im April angesetzten Wahlen etwas ändern wird: Nein, wahrscheinlich nicht. Es sei eh gleich, wen man wähle, die da oben verfolgen ja ohnehin ihre eigenen Interessen. Von den drei ist nur Johanna alt genug, wählen zu dürfen, die anderen beiden sind noch nicht volljährig. Dennoch hat Marta schon jetzt fest vor, sobald sie achtzehn ist nach Kanada zu gehen, in ihrem Land sieht sie keine Zukunft für sich.