Meine linke Sandale hat sich entschieden, künftig getrennte Wege von ihrem rechten Gegenteil und von mir zu gehen. Irgendwo in Dunedin muss sie ausgestiegen sein. Wahrscheinlich ist sie vom Trittbrett unseres Vans gehüpft, als ich im strömenden Regen und eiskaltem Wind die Schiebetür geöffnet habe. Geblieben sind mir meine Flipflops aus Thailand und meine Wanderschuhe aus Bayern. Dazu eine verlassene rechte Sandale in Trauer.
Okay, Sandalen brauche ich momentan eh nicht. Die Flipflops eigentlich auch nicht, bei 11 Grad und Sturmböen. Der Lehm, auf dem wir wandern, ist stellenweise derart zäh, dass es laut schmatzt, wenn wir unsere Wanderstöcke wieder anheben. Von den Schuhen ganz zu schweigen. Der Weg führt uns durch einen Urwald aus Farn, Laubbäumen, Palmen, stacheligen Büschen und Schlingpflanzen entlang des Taieri River den Hang hinauf, über ein paar Nebenflüsse und Bäche, durch ein Sumpfgebiet und schließlich immer weiter hoch zu einem Felsen weit über dem Wasser. Den Spruch von den „four Seasons in one day“ kennt man ja, am Taieri River Mouth hatten wir heute vier Jahreszeiten in zehn Minuten. Und das vier oder fünfmal im Wechsel: buchstäblich von heißer Sonne bis zu eisigem Wind mit heftigen Schauern.
Am Flussufer unter uns ist der Wechsel von Flut und Ebbe gut zu sehen. Wo wir auf dem Hinweg noch beinahe im Wasser liefen, ist am Rückweg ein breiter Streifen Schlick und Kies trocken gefallen, bedeckt von tausenden kleinen Schnecken. Neuseeland hat nicht nur Kiwis, sondern noch viele andere endemische Vogelarten. In der Tat gab es hier einst, abgesehen von zwei oder drei Fledermausarten überhaupt keine Säugetiere. Folglich wurden sämtliche ökologischen Nischen durch Vögel besetzt: Raubtiere gab es keine, dafür Vögel in allen Größen und Formen. Der riesige Haastadler etwa oder der Moa beispielsweise, der mit bis zu etwa 270 Kilogramm Körpergewicht größte Laufvogel den es je gab, wurden bereits vor über 500 Jahren von den Maori ausgerottet. Durch importierte oder ungewollt zugewanderte Tierarten ist die Vogelwelt der Inseln heute immer noch in Gefahr. Fallen für Raubtiere sollen Abhilfe schaffen; besonders Ratten, Frettchen und Wiesel werden gefangen, wie wir von einem älteren Herrn erfahren, der uns auf der Wanderung begegnet. Er ist gerade unterwegs, die Fallen zu kontrollieren – Freiwilligenarbeit für die Gemeinde.
Geschlafen haben wir gestern auf Paulas Platz direkt hinter den Dünen von Taieri. Hier ist Camping noch wie früher: Hühner laufen herum, Bad und WC sind einfach und die Küche protzt mit einem Esstisch wie in einer Ritterburg. Die heutige Nacht verbringen wir auf dem Campground am Clutha River in Kaitangata. Der Chef Ralph ist Koch und lebt schon seit über fünfzig Jahren nicht mehr in der schwäbischen Heimat. Er hat schon alles mögliche gemacht in seinem Leben, momentan möchte er mir gern seinen Campingplatz verkaufen, um wieder mal umzusatteln. 500000 NZ$ will er für den Grund, ein Schnäppchen. Trotzdem werde ich mit dem Angebot nicht warm. Liegts vielleicht am Wetter?
19.12.2019 Campers Freuden Pounawea
Warum spricht man eigentlich von einem Kulturbeutel? Richtig, weil ohne droht man zu verlottern. Kulturlos eben. Wir sind in akuter Gefahr, obwohl wir beide so ein Sackerl mit Zahnpasta und Seife besitzen. Wenn die letzte Unterhose angezogen und das letzte T-Shirt angeschwitzt ist – von den Socken will ich schweigen – dann ist es Zeit, einen Platz mit einer Waschmaschine und, bei diesem Wetter, einem Trockner anzusteuern. Heute nach dem Waschen habe ich festgestellt, dass ich noch sechs Unterhosen besitze. Normalerweise würde man sagen, das reicht für eine Woche. Weit gefehlt, es reicht auch für zwei oder drei, je nachdem, wie oft man die Badehosen anhat. Leider momentan gar nicht. Heute ist jedenfalls Waschtag. Leider hat die Maschine eine von Andreas Socken aufgefressen. In Balclutha habe ich mir als Ersatz für die Sandalen ein Paar Opa-Hausschuhe gekauft. Modetrends waren mir schon immer egal, aber diese Treter sind wirklich extrem hässlich. Dennoch, die einzig verfügbaren Modelle in meiner ausgefallenen Größe. Wahrscheinlich wäre mir die Sandale gar nicht davongelaufen, wenn wir nicht so einen winzigen Van bewohnen würden. Darin ist jeder Quadratmillimeter mit irgendwelchem Zeug belegt, obwohl wir doch eigentlich gar nicht so viel dabei haben. Bei Regen macht es gleich gar noch viel weniger Spaß. Besonders abends und nachts, wenn wir zu Schlangenmenschen mutieren, zwischen unseren Rucksäcken, den Campingstühlen, den klammen Decken hindurchkriechen, um uns irgendwie zur Nacht in eine halbwegs erträgliche Position zu verbiegen. Die „Matratze“ ist ein etwa fünf Zentimeter hohes Polster, das aus vier Teilen besteht. Klar, dass diese ständig auseinander rutschen und man in der kalten Ritze landet. Heute Nacht ist die Unterkonstruktion aus Esstisch und hochgeklappter Sitzbank zweimal unter mir zusammen gebrochen. Das sind dann die Momente, wo man an dem ganzen Projekt zu zweifeln beginnt. Überhaupt, warum hat eigentlich das junge Paar Schweizer neben uns einen doppelt so großen Campingbus? Wie ein strahlend weißes Kreuzfahrtschiff überragt der gigantische Mercedes unseren winzigen Toyota in allen Dimensionen. Unsympathische Menschen entsteigen dem Koloss, frisch geduscht und geföhnt, aber „Guten Morgen“ können sie offenbar nicht.
Die Catlins sind ein riesiges, extrem dünn besiedeltes Gebiet an der Südostküste. Handyempfang oder gar Internet gibt es nur stellenweise, die Straßen sind meist nicht geteert. Die Natur ist gigantisch. Heute haben wir den Nugget Point, die Cannibal Bay und Jack’s Blow Hole besichtigt; spektakuläre Felsenkliffs, gigantische Strände und eine eingestürzte Höhle mit Verbindung zum Meer, wo die Brandung durch ein riesiges Felsenloch in die Höhe schießt. Das Wetter hat halbwegs gepasst, bei Sonne wär’s sicher schöner gewesen als im Regen. Eben bin ich nochmal durch den Starkregen zum Auto gehechtet und habe uns die Thermounterwäsche geholt. Wir sitzen in der halbwegs warmen Camingplatzküche und grausen uns vor unserem klammen Bus.
Tatsächlich, diese Nacht war die kälteste und feuchteste von allen bisher. Unser Atem kondensiert in der Kälte am Blech des Hiace, morgens ist alles patschnass. Heute waren wir trotz miesem Wetter bei mehreren Wasserfällen, am Lake Wilkie, einem kleinen Moorsee hinter den Dünen und in einer riesigen Höhle in den Felsen am Meer (Cathedral Cave) und an dem größten Strand, den ich je gesehen habe. Im Museum von Owaka haben wir uns über die Geschichte der lokalen Eisenbahn, der Holzfäller sowie der Walfänger informiert. Die Leute hatten ein hartes Leben damals! Sicher waren die Menschen seinerzeit nicht so verweichlicht wie wir. Aber was hilfts uns, wenn wir jetzt frieren?
20.12.2019 Whistling Frog Cafe
hallo liebe klinkharts,wir verfolgen eifrig eure Reise .
Wir wünschen euch fröhliche,besinnliche Weihnachten.
Liebe Grüsse aus Neuötting
Liebe Margret,
wir wünschen euch auch ein schönes Weihnachten! Hier wird es endlich ein wenig wärmer, nach Tagen sibirischer Kälte und Wind. Sind gerade auf dem Weg zum Milford Sound. Unglaublich, die Landschaft! Liebe Grüße
Jo und Andrea