Canterbury, Südinsel Neuseeland

Ich sitze in Okain’s Bay vor unserem Campervan und höre die Vögel zwitschern, im Hintergrund rauscht das Meer an einem wunderbaren Sandstrand. Dieser ist geschätzt ein bis eineinhalb Kilometer lang und mindestens hundert Meter breit, an jedem Ende gesäumt von schroffen, hunderte Meter hohen Felsen. Dort, wo das binsenartige scharfe Gras der Dünen endet und die ebene Strandfläche beginnt, ist der Sand noch gänzlich unberührt. Durch das Salz hat sich oben eine wenige Millimeter dicke Kruste gebildet, darunter ist der Sand fein und weich wie ich es noch nicht erlebt habe. Schwarze Strandläufervögel mit roten Schnäbeln picken hektisch im feinen Sand, ein paar Möwen sind zu sehen. Am ganzen Strand zähle ich, uns eingeschlossen, zehn Menschen. Eine ganz unerschrockene Frau geht tatsächlich ins Wasser! Mir war es schon knöcheltief zu kalt. Früher gab es an diesem Strand eine Walfangstation, man kann es fast nicht glauben. Eine winzige Siedlung nebst Maorimuseum haben wir vorhin besichtigt. Endlich komme ich wieder mal zum Schreiben.

Akaora war ein Traum. Allein der Blick von oben aus den Bergen hinunter in die vielfach aufgespaltene Bucht ist unbeschreiblich. Wir sind froh, dass wir den Abstecher von Christchurch aus auf die Halbinsel Banks unternommen haben. Unser Gastgeber John in Christchurch hatte ja eher abgeraten, aber wir sind begeistert. Der historische Ort mit seinen alten Häuschen im Stil der kolonialen Vergangenheit aus britischen und französischen Zeiten ist so gemütlich und postkartenidyllisch! Man hätte hier zum Beispiel auch weitere Studien zum Thema „Chinesen unterwegs“ betreiben können, es ankern Kreuzfahrtschiffe voller Asiaten im fjordähnlichen Sund ein paar Kilometer vor dem kleinen, beschaulichen Hafenort. Mit der Beschaulichkeit ist es aber auch dahin, wenn ein paar Hundert Kreuzfahrer durchs Dorf tigern. Wir hatten Glück und besichtigten Dorf, Hafenpier, Leuchtturm und die hervorragenden öffentlichen Toiletten ganz allein für uns. Eine Nacht auf dem Hippiecampingplatz Onuku Farm Hostel (Pizza 20$, 1000 Schafe), Hühner folgen uns auf dem Fuß, der Regenbogen an der Scheune bezeugt die Einstellung der Besitzer. Wir genießen einen wahrlich unglaublichen Sternenhimmel. Trotz Halbmond sieht man 100mal so viele Sterne wie zu Hause!

Doch der Reihe nach: In Christchurch auf der Südinsel Neuseelands landeten wir nach unserem verspäteten Flug aus Fidschi mit der von Malindo Air geborgten Maschine. Per Shuttlebus sind wir ins Zentrum gefahren und haben dort ein bisschen rumgeschaut: Vom historischen Erbe ist nach dem Erdbeben von 2011 nicht mehr viel übrig. Die halb zerstörte Kathedrale und ein paar andere Gebäude sind mit Zäunen gesichert, die Fenster vernagelt. Überall wird gebaut. In Johns Haus erleben wir unsere ersten wirklichen Couchsurfernächte, nachdem es in Kuala Lumpur nicht geklappt hatte. Wir wollen hier zwei Nächte verbringen, bis wir unser Wohnmobil übernehmen können. Geöffnet wird uns von der Tirolerin Nina, in der Küche sitzen Gerome und Lisa, zwei Deutsche, im Schlafzimmer Flo und Lina, aus Österreich. Später kommen noch ein französisches und ein deutsches Paar dazu. Fast dieselbe Situation wie zuletzt in Malaysia – aber jetzt können wir nicht mehr zurück. Als später John, unser Gastgeber eintrifft, stellt sich heraus, dass er ein wirklich offenes Haus betreibt und wohl beinahe jeden, der gern kommen möchte, zu sich einlädt. Er selbst ist Rentner und schwer herzkrank, genießt aber offenbar die Gesellschaft der überwiegend jungen Leute und spart trotz aller Beschwerden nicht mit wohlüberlegten Reisetipps. Er hat sogar seine persönliche Best-Of-NZ South-Tour zusammengestellt und gibt die Ausdrucke an seine Gäste weiter, wenn gewünscht. Beim gemeinsamen Kochen, Essen und Frühstück tauschen wir uns mit den anderen Travellern aus. John instruiert das Kochen nach seinen Vorstellungen, aber leider ist er beim Essen nicht dabei, dafür fühlt er sich zu schwach. Ich fühle mich hier in die Wohngemeinschaften meiner Jugendzeit  zurück versetzt. Hier allerdings sind alle der Mitbewohner äußerst rücksichtsvoll, sehr leise und hilfsbereit, außerdem besonders John gegenüber einfühlsam. Trotz der extremen Schlafsituation – bis zu sechs Personen in einem etwa 16 Quadratmeter Zimmer mit zwei Doppelbetten – finden wir die Sache insgesamt in Ordnung. Unser Bett ist ein Beweis der Relativitätstheorie: Auf dieser besonders weichen Matratze entsteht eine Raum-Zeit-Verschiebung; die Gravitation unserer Körper bewirkt eine tiefgreifende Einwölbung des Ereignishorizontes, wir versinken beinahe schwerelos in einem schwarzen Loch-Trichter aus Wackelpudding, bis irgendwer im Raum zu schnarchen beginnt, die Luftmatratzen quietschen, ein Handy losdudelt oder jemand aufs Klo muss.