Update 25.03.

Freunde haben sich für uns verwendet und alle möglichen Stellen angeschrieben. Ich war von dieser Idee zunächst nicht begeistert, weil ich befürchtete, dass dies die ohnehin knappen Kapazitäten der Behörden zusätzlich belastet. Außerdem wollen wir keine Bevorzugung gegenüber anderen Gestrandeten. Auf die Mailaktion hin hat sich bei mir die Honorarkonsulin in Eldorado, etwa 100 Kilometer südlich von hier gemeldet. Das war ein großer Lichtblick und ein Hoffnungsschimmer. Die Konsulin klang sehr engagiert. Danke, das habt ihr geschafft! Nach unseren schlechten Erfahrungen mit dem Konsulat in Posadas hatten wir es nicht in Betracht gezogen, uns an sie zu wenden, zumal laut Botschaft alle Konsulate geschlossen sind. Ich habe ihr geschrieben, wo wir genau sind und alle Kontaktmöglichkeiten.

Nun möchte ich euch alle bitten, von weiteren Interventionen abzusehen und die zuständigen Stellen ihre Arbeit tun zu lassen, insbesondere die deutsche Botschaft in Buenos Aires.

Was tun wir? Die elektronische Kommunikation und das Durchecken der verschiedenen Internetseiten braucht eine Menge Zeit, macht uns aber gleichzeitig nervös. Lieber beschäftige ich mich damit, verschiedene Dinge in unserem Apartment zu reparieren. Der Anschluss der Gasflasche und der Abfluss vom Waschbecken sind mit kleinen Streifen Klarsichtolie abgedichtet, das abgerissene Sat-Kabel neu verdrahtet, die Klimaanlage im Schlafzimmer und die Zündung vom Gasherd repariert. Zum Glück ist das Haus ein rechte Bruchbude und die Handwerker hier echte Pfuscher, so geht ständig etwas anderes kaputt und ich habe bis jetzt immer etwas zu tun. Ansonsten spielen wir Stadt-Land-Fluss beziehungsweise Krankheit-historische Person-alkoholisches Getränk auf Kassenzetteln vom Supermarkt. Auch Teekesselchen und heiteres Beruferaten sind sehr beliebt, alles was das Hirn flott hält und ein wenig ablenkt. Außerdem haben wir jetzt drei Avokadokerne, mit denen wir jonglieren üben.

Wie geht es uns? Jeden Morgen wache ich auf und zögere zunächst, den Tag zu begrüßen, aufzustehen und ans Handy zu gehen. In den paar Stunden Schlaf können wir wenigstens die Situation vergessen, wenngleich der Schlaf lückenhaft und zerrissen ist. Irgendwo in der Nachbarschaft ist praktisch durchgehend zwischen einem und ein paar Dutzend der unzähligen Straßen- und Wachhunde am Bellen. Zudem liegen wir oft wach und grübeln. Ist es die richtige Entscheidung, nach Buenos Aires zu fliegen? Für Mittwoch, den 1. April haben wir einen Inlandsflug gebucht. Onlinebuchen ist jetzt wieder möglich. Ob der auch wieder gecancelt wird wie der letzte, stellt sich bald heraus. Andererseits soll die Situation am Flughafen mies sein: Am Montag ist der erste Rückholflug aus Buenos Aires nach Deutschland abgeflogen. Rund 100 Deutsche haben ihn nicht erreicht, die Plätze wurden an andere Europäer vergeben. Nun campieren Gestrandete dort ohne Versorgung auf den Gängen. Wer es wagt, in die Stadt zu fahren, wird von bewachten Bussen in eins der wenigen Hotels gebracht, die noch für Ausländer geöffnet sind. Link zum Weltspiegel Podcast: „So schnell wie möglich nach Hause“. So betrachtet, haben wir echt Glück mit unserem Vermieter und diesem Apartment. Im Übrigen spricht man davon, dass der Flughafen BA bald geschlossen werden soll und außerdem die Ausgangssperre bis Ostern verlängert wird.


Pfannkuchen 24.03.

Aufgrund meines gestrigen Beitrages haben sich einige Freunde gemeldet, die uns finanziell helfen wollten. Danke, das ist nicht nötig. Wir haben selbst noch genug. Der Vermieter ist bezahlt, in bar. Es tut gut, zu hören, dass daheim Menschen Anteil nehmen, obwohl es euch doch selbst nicht gut geht.

Unser Problem ist die extrem rigide Ausgangssperre. Wer diese bricht, dem drohen lange Haftstrafen, man spricht von bis zu 15 Jahren. Gestern war unser Vermieter da, um sein Geld zu holen. Er meinte, mit dem Auto kommen wir nicht so schnell nach Buenos Aires. Er sagte uns, jede Provinz ist mit Polizeisperren abgeriegelt. Beim Übertreten der Provinzgrenzen ist mindestens ein Coronatest fällig, das heißt dann folglich auch Warten auf das Ergebnis. In Deutschland rechnet man mit rund 48 Stunden pro Test, optimistisch geschätzt und falls ein Labor in der Nähe ist. Das dürfte auf die hiesigen Verhältnisse kaum übertragbar sein. Auf dem Weg wären folgende Provinzen zu durchqueren: Misiones, Corriente, Entre Rios, Buenos Aires und die autonome Stadt Buenos Aires. Also mindestens viermal. Derweil ist der Flieger sicher weg. Unsere einzige Chance ist ein Flug in die Hauptstadt. Dort stapeln sich bereits obdachlose Gestrandete, die keine Bleibe finden. Auf der Facebook-Seite „Deutsche in Argentinien“ stehen einige Beiträge zum Thema.

Gestern kamen zwei weitere Tiefschläge: Die Stadtverwaltung hat die Ladenöffnungszeiten in Iguazu für die nächsten 120 Tage noch weiter eingeschränkt. Grund: Corona und Dengue. Offenbar gibt es tatsächlich ein größeres Problem mit Dengue. Coronafälle sind in der gesamten Provinz Misiones bisher nicht aufgetreten. Aber Dengue ist auch kein Spaß, eher schlimmer als Covid-19.
Außerdem haben wir erfahren, dass Daniel, ein Mitbewohner aus dem Hostel mit dem letzten Flugzeug über Brasilien rausgekommen und daheim in Amsterdam ist. Er hat uns erst Bescheid gesagt, nachdem wir ihn in Sorge angeschrieben haben. Andrea hatte einen Zusammenbruch. Scheinbar sind wir die letzten, die es nicht mehr raus geschafft haben.

Im Internet haben wir die Tagesthemen angesehen. Die Politik stellt viel Geld bereit, um die Wirtschaft zu unterstützen. Selbstverständlich gönne ich das jedem betroffenen Unternehmer, besonders den kleinen. Von uns Gestrandeten aber ist nicht die Rede. Sind wir selbstsüchtig? Wir fühlen uns vergessen und verlassen.

Wer hat schon mal Pfannkuchenteig mit einer Gabel angerührt? Ich rate euch ab. Mindestens ein Schneebesen ist zu empfehlen. Ich habe gestern mit der Gabel fast eine Stunde gebraucht. Da wir auch keine Schüssel haben, musste der verbeulte Aluminiumtopf herhalten. Leider schmeckte der Teig dann auch nach Alu, denn ich habe wahrscheinlich erhebliche Mengen des giftigen Metalls beim Rühren vom Boden weggekratzt. Aber was hilfts, wenn die Tochter sich doch Pfannkuchen wünscht? Beim Braten ist dann auch noch das Gas ausgegangen. Heute muss ich sehen, wo ich eine neue Gasflasche bekomme.

Zahlungsproblem 23.03.

Nachdem wir aus Iguazu nicht so bald wegkommen, müssen wir unseren Aufenthalt im Apartment verlängern. Fede, dem Vermieter ist es recht, wahrscheinlich ist er froh über ein paar Einnahmen in diesen düsteren Zeiten. Aber wie sollen wir ihn bezahlen? Über die Webseite AirBnB ist es nicht möglich! Es ist unglaublich, die Seite sperrt einfach den ganzen Kalender bis zum derzeit geplanten Ende der Quarantäne und Ausgangssperre am 31. März! Denkt denn von diesen hirnverbrannten Idioten überhaupt irgendjemand daran, dass hier vielleicht noch Leute festsitzen? Den ganzen Nachmittag verbringe ich mit vielen vergeblichen Versuchen, unsere Wochenmiete an Fede zu schicken oder zu überweisen. Paypal funktioniert nicht. Xoom ebenso. Eine Auslandsüberweisung schlägt fehl. Unglaublich, was man hier alles dafür braucht: Den Geburtsnamen der Mutter, alle möglichen Steuernummern, vollständige Adresse und Telefonnummer. Es hilft nichts. Ich versuche, mich bei payoneer anzumelden, einer anderen Geldtransferagentur. Auch das gelingt nicht. Schließlich mache ich mich völlig entnervt auf den Weg zum nächsten Geldautomaten. Der Maximalbetrag, den ich abheben kann, ist diesmal zum Glück 5000 Pesos, rund 73 Euro. Manchmal bekommt man auch nur weniger als die Hälfte. Dafür ist eine Gebühr von 9,40 Euro fällig. Mit diesen lächerlichen 12,5% habe ich bestimmt irgendeinen fetten Bankier unterstützt.

Mein Weg durchs Viertel zum Einkaufen, eigentlich eine willkommene Abwechslung und die einzige Möglichkeit, sich die Beine zu vertreten, gerät zur Zitterpartie. Unser Viertel liegt offenbar direkt neben einer sehr ärmlichen Nachbarschaft, die ich auf dem Weg zum Geldautomaten durchquere. Google Maps hat mich hier lang geschickt. Den Rückweg will ich anders gehen, nehme ich mir vor. Ein paar Straßen weiter schwelt seit gestern ein Feuer, Brandgeruch liegt in der Luft. Die Rauchfahne kann ich von einem Hügel aus gut sehen. Viele verlassene Häuser und aufgegebene Baustellen, ärmliche Häuser und brachliegende Grundstücke gibt es hier, vergessene Schrottautos stehen rostend auf der Straße. Leute sitzen auf der Straße oder vor ihren Hütten und beäugen mich argwöhnisch, wie mir scheint. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, meine Nerven sind derzeit nicht die besten. Auf dem Weg komme ich in unmittelbarer Nähe auch an ganz normalen Häusern vorbei, deren Bewohner sich durch hohe Zäune, Mauern und Gitter schützen. Wer hier etwas besitzt, muss es offenbar gut bewachen. Stacheldraht liegt in dicken Rollen auf Mauerkronen, manche Zäune tragen eine Bewehrung aus elektrisch geladenem Draht. Der einzige Geldautomat der Gegend steht direkt gegenüber der örtlichen Polizeistation – warum wohl? Rasch bediene ich das Gerät und sehe zu, dass ich wieder verschwinde. Der Supermarkt liegt nahe, ein Lichtblick: Es scheint hier noch fast alle Waren zu geben, wenn auch das Gemüse schon sehr schrumpelig wirkt. Eier werden einzeln ohne Verpackung verkauft. Ich nehme mir vor, morgen mit unserer leeren Eierschachtel wiederzukommen.

Ich bin froh, dass ich mit dem Blog eine Beschäftigung habe. 3498 Seitenaufrufe hatte meine Seite in den letzten sieben Tagen. Offenbar ist es vielen Leuten langweilig. Im Moment, am frühen Morgen läuft das Internet hier wieder flüssig, gestern hat es ziemlich gestockt. Zum Glück haben wir jetzt wieder WLAN und können unser Datenvolumen sparen.

Neben dem üblichen Tagesprogramm (Gymnastik, Informationen suchen, Trinkwasser abkochen, Spanisch lernen, Stadt-Land-Fluss, Kochen) habe ich mir für heute vorgenommen, das Leck an unserer Gasflasche beziehungsweise dem Gasschlauch zu suchen und wenn möglich abzudichten. Immer, wenn wir kochen, riecht es nach Gas… das ist nicht gut. Andrea liest viel und lernt am meisten von uns Spanisch, Pia hört Musik und lernt Gedichte auswendig. Gestern erfreute sie uns durch einen perfekten Vortrag der Bürgschaft, als nächstes hat sie sich den Zauberlehrling vorgenommen. Wir erzählen uns gegenseitig Geschichten und Märchen.  So vermeiden wir, ständig nach Neuigkeiten zu Corona oder unserer Situation zu forschen, um uns nicht komplett verrückt zu machen. Uns geht es hier den Umständen entsprechend gut. Gestern haben wir die Tagesschau angesehen. Angesichts der Berichte über Italien oder auch Venezuela haben wir hier nichts zu jammern.

Isoliert 22.03.

Danke liebe Freunde, für eure Ideen und Vorschläge. Ja, wir sind bei Elefand registriert und stehen in Kontakt mit der Botschaft in Buenos Aires. Andrea hat uns auch bei rueckholprogramm.de eingetragen, aber wir können dort unsere Daten nicht einsehen oder ändern. Wenn wir uns einloggen, landen wir mal auf einer, mal auf einer anderen Seite. Möglichkeit 1: Gelber Hintergrund, groß stehen in der Mitte die Worte „Where to?“ sowie ganz klein oben rechts der Loginname und die Möglichkeit sich abzumelden und irgendwas von Third Party Access, das nicht funktioniert. Für mich schaut das aus wie ein hängender Programmcode von SAP.
Manchmal landen wir aber auch bei Möglichkeit 2: Leere Eingabefelder, so als ob wir unsere Angaben noch nicht in der Datenbank hinterlegt hätten.
Wenn das hier jemand liest, der davon Ahnung hat, bitte schick mir einen Kommentar.
Wir zögern noch, unsere Daten nochmals einzupflegen, weil wir natürlich Doppelungen vermeiden wollen.

Ihr könnt uns keine Pakete schicken. Die Idee ist lieb gemeint, hat aber leider einen Haken: Momentan fliegt so gut wie nichts. Abgesehen davon sind wir (noch) mit allem Nötigen versorgt.
Manche fragen mich, ob wir nicht langsam heimkommen wollen. Natürlich! An eine Fortführung unserer Weltreise ist nicht zu denken. Ganz Südamerika ist zu, es gibt keine Transportmöglichkeiten, Busse, Flüge… alle Grenzen sind dicht. Wir wollen nur noch raus hier und möglichst nach Hause, bevor hier das komplette Chaos ausbricht. Das argentinische Gesundheitssystem ist definitiv nicht vergleichbar mit dem deutschen oder italienischen. Nicht auszudenken, was hier passiert, wenn die Infektionen derart hochschnellen. Was wir uns wünschen, ist ein Auto oder ein Bus oder am besten ein Inlandsflug, mit dem wir nach Buenos Aires kommen. Von dort starten die Rückholflüge, nicht von hier in Iguazu. Bis in die Hauptstadt sind es gut 1300 km, bei optimistischer Schätzung braucht man für die Strecke mit dem Auto rund 15 bis 20 Stunden. Da hier aber eine strenge Ausgangssperre verhängt wurde, dürfen wir uns erst auf den Weg machen, wenn wir ein gültiges, bestätigtes Rückflugticket vorweisen können und symptomfrei sind. Für den Weg brauchen wir dann einen Passierschein (haben wir bereits) und ein Transportmittel, das uns fehlt. Der erste Rückholflug geht angeblich morgen und ist schon voll mit Familien mit Kindern und älteren Leuten, vor allem Menschen, die bereits in Buenos Aires sitzen. Auf der Internetseite der Botschaft steht, dass mindestens noch ein weiterer Flug geplant ist. Irgendwie müssen wir es bis dahin schaffen. Die deutsche Botschaft warnt ausdrücklich davor, die Ausgangssperre voreilig zu brechen, da harte Sanktionen drohen.

Die Lage ist angespannt, in der Stadt sind immer weniger Leute unterwegs. Unsere Unterkunft liegt an einer Kreuzung. Jedes mal wenn ein Auto stehen bleibt, denken wir: Jetzt holt uns die Polizei. Sicher, das ist paranoid, aber nach dem Vorfall letzte Nacht verständlich. Ich war gestern hier im Viertel einkaufen: Die Läden sind überwiegend geschlossen, bei manchen wird durch ein Türgitter verkauft. Das geht so: Im dunklen Laden sitzt irgend wo ein Mensch, ich kann ihn kaum sehen. Freundlich grüße ich und frage, ob er die Dinge hat, die auf unserer Wunschliste stehen. Die spanischen Wörter für die wichtigsten Nahrungsmittel kenne ich schon. Der Mann sucht die Sachen zusammen, die er da hat und packt alles in ein paar Tüten. Auf Abstand bedacht erfolgt der Austausch von Geldscheinen und Wechselgeld, natürlich kann ich nicht mit der Kreditkarte bezahlen sondern nur bar. Schließlich reicht er mir die Waren durchs Gitter. Gestern habe ich in drei verschiedenen Tante-Emma-Läden das Allernötigste bekommen. Der eine hatte Brot, der andere Äpfel, der dritte Kartoffeln. Heute will ich versuchen, mich bis zum nächsten Supermarkt vorzuwagen. Pia hustet noch immer und geht deshalb nicht raus. Andrea bleibt bei ihr. Auf keinen Fall wollen wir hier auffallen, zu tief sitzt noch der Schrecken.

Nein, wir hamstern nicht. Überhaupt scheinen die Argentinier zwar auch Vorräte anzulegen, aber breit gestreut. Ich frage mich, warum die Deutschen so versessen auf Klopapier sind? Ist das ihre Lieblingsbeschäftigung in der Isolation, aufs Häusl gehen?

Angeschwärzt und rausgeflogen 21.03.

Gestern mussten wir kurz nach 22 Uhr unsere Bleibe verlassen. Wir kommen uns vor wie in einem schlechten Film, es wirkt alles so surreal auf uns. Ein paar kurze Zeilen von Fede, unserem Vermieter, Blitzpacken unserer Siebensachen und eine Viertelstunde später standen wir auf der Straße. Nachbarn in der Wohnanlage hatten sich bei unserem Vermieter beschwert, weil Pia gehustet hat. Sie hat sich beim Wechsel zwischen eiskalter Klimaanlage und schwülheißem Wetter draußen erkältet. Nein, sie hat bestimmt kein Corona, typische Anzeichen wie Fieber fehlen, dafür hat sie Schnupfen, was auch dagegen spricht.

Zum Glück hatte Fede eine andere Unterkunft für uns. Nach langem und bangem Warten kam endlich ein Taxi. Die neue Ferienwohnung ist sogar noch größer, dafür sehr hellhörig. Dank Ausgangssperre fährt nur sehr wenig Verkehr, aber die Mopeds und Lastwagen, die alle paar Minuten vorbeikommen, scheinen direkt durchs Wohnzimmer zu brausen. Der Gasherd funktionierte erstmal nicht und der Kühlschrank fiel auseinander, aber beides habe ich noch in der Nacht repariert, ich habe ja sonst nicht viel zu tun. Diese Nacht habe ich kaum ein Auge zugetan. Die Nachbarschaft ist ärmlicher als die vorherige. Es gibt reichlich Straßenhunde, die ständig im Clinch liegen mit den Wach- und Kettenhunden der Einwohner. Wir bemühen uns, sehr leise zu sein und überhaupt nicht aufzufallen.
Gestern haben wir erfahren, dass nach dem schlimmen Regen das Denguefieber umgeht. Corona ist hier bisher noch nicht, aber Dengue. Diese Erfahrung möchte ich uns unbedingt ersparen.

Viele Menschen leben hier von einem Tag auf den anderen, sie hatten insbesondere in der Rezession der letzten Jahre keine Chance, finanzielle Reserven zu bilden. Wir befürchten, dass Teile der Bevölkerung irgendwann Probleme bekommen, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Dann wird nicht mehr gehamstert, sondern geplündert.

Es ist schwer, unter den gegebenen Umständen gefasst und ruhig zu bleiben, zumal wir hier sehr wenige Dinge haben, um uns zu beschäftigen. Die Versuchung ist groß, ständig am Handy zu hängen und nach neuen Informationen zu suchen, aber das macht einen auf die Dauer irr.  

Wir haben uns ein Tagesprogramm überlegt, damit wir geistig klar bleiben: Aktuelle Info, Gymnastik, Frühstück, Putzen, Spiele, Spanisch lernen, Geschichten erzählen, nochmal Gymnastik, wieder Info, Kochplan überlegen, Einkaufsliste, Einkaufen (falls möglich, sehr beliebt), wieder Gymnastik, gemeinsam kochen, Essen, nochmal Info.

Wir denken viel an unsere Lieben daheim, Verwandte und Freunde; Menschen, denen es vielleicht noch schlechter geht. Nach der Pandemie wird die Welt nicht mehr dieselbe sein. Wie immer bringt die Krise die besten und die schlechtesten Charakterzüge in den Menschen hervor. Wir haben heute Nacht beides erlebt, aber bestimmt kann da jeder von euch seine eigene Geschichte erzählen in diesen Tagen.

Update 20.03.

Die Aussetzung des öffentlichen Verkehrswesens (Busse, Flüge) in Argentinien wurde heute bis 31. März verlängert. Unser Flug in die Hauptstadt, den wir gestern buchen konnten, ist annulliert.

Mein Eindruck ist, dass die meisten Länder Südamerikas (außer Brasilien) früher und entschlossener reagiert haben als Europa. Das ist auch gut so. Ich wage nicht mir vorzustellen, was hier passiert, wenn eine Infektionswelle wie in Italien losbricht. Intensivmedizin und Beatmungsbetten gibt es sicher nicht so viele wie dort.

Das Dekret der Regierung spricht von einer sozialen, präventiven und obligatorischen Isolation der gesamten Bevölkerung. Auch Autofahren ist nur Personen erlaubt, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung systemwichtige Aufgaben (Produktion, Ver- und Entsorgung, Gesundheitsdienste) erledigen müssen. Also hat es auch keinen Sinn, zu astronomischen Preisen ein Auto zu mieten, um sich nach Buenos Aires durchzuschlagen.

Die Geschäfte bleiben geschlossen, Lebensmittelläden und Apotheken haben stundenweise offen und dürfen nur von Einzelpersonen betreten werden. Von anderen gestrandeten Reisenden haben wir erfahren, dass Polizeiteams unterwegs sind, die Personalien von Ausländern aufnehmen beziehungsweise Pässe sehen wollen. Praktisch befinden wir uns bereits seit drei Tagen in einer selbst auferlegten Quarantäne. Wir sitzen in unserem Zimmer und verbringen die Zeit mit Recherche zur Situation, Gymnastik, Spielen, Spanischlernen und kümmerlichen Kochversuchen.

Unsere Möglichkeit, frisches Essen zu lagern ist sehr beschränkt, immerhin haben wir einen Minikühlschrank. Der Strom läuft jetzt wieder seit gestern ohne Unterbrechung. Wir haben Wasser, einen Topf und eine Kochplatte. Mein Datenvolumen ist jetzt noch 3.25 GB.

Update 19.03.

Danke an alle, die sich um uns sorgen und bemühen. Auch wir denken an euch. Wie gesagt, hier geht nichts mehr. Wir kommen momentan nicht mehr aus Iguacu raus. Die Grenze nach Brasilien ist geschlossen und es gibt bis auf weiteres keine Busse oder Flugzeuge für uns. Wir haben gerade den ersten möglichen Flug nach der Quarantänefrist für nächsten Donnerstag nach Buenos Aires gebucht und hoffen, dass dieser auch stattfindet.

Der Vermieter hat uns zugesichert, dass wir das Apartment für eine Woche haben können. Die Menschen hamstern hier genauso wie in Europa. Die Polizei fährt mit Lautspecherwägen durch die Straßen und fordert die Leute auf, nach Hause zu gehen. Überall sieht man bewaffnete Patrouillen mit schusssicheren Westen. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, Lebensmittelläden haben stundenweise auf und dürfen nur von Einzelpersonen betreten werden. Vor den Läden stehen lange Schlangen.

Der gestrige stundenlange Wolkenbruch lässt mich befürchten, dass jetzt bald die Regenzeit beginnt. Solch einen extremen Starkregen habe ich noch nicht erlebt. Binnen Sekunden stand das Wasser auf der Straße hüfttief! Der Strom war stundenlang ausgefallen, zum Glück gibt es jetzt wieder Strom.

Wir können unter diesen Umständen selbstverständlich unsere Reise nicht fortsetzen, stecken andererseits hier fest. Die Nachrichtenlage ist unklar, aber sicher ist, dass in Argentinien eine landesweite Quarantäne ausgerufen wurde. Über eine Ausgangssperre wird schon gesprochen.

Da wir hier festsitzen, bleibt uns nichts als abzuwarten und zu hoffen, dass die Behörden uns nicht trennen. Bisher sind alle Menschen freundlich zu uns. Einige Freunde haben vorgeschlagen, sich für uns bei Abgeordneten zu verwenden. Danke für euere Idee und Bereitschaft. Ich habe das jedoch bisher abgelehnt. Ich schätze, die Krisenteams sind froh, wenn sie ihre Arbeit tun können und nicht von Politikern behelligt werden. Wir sind in der Krisenliste „Elefand“ und im „rueckholprogramm.de“ eingetragen. Soweit Strom, Akku und mobiles Datenvolumen reichen, verfolgen wir die Meldungen auf den Seiten des Auswärtigen Amtes und der deutschen Botschaft in Buenos Aires, mit der wir auch per Email in Kontakt stehen.

Update

Auf der Suche nach einer Bleibe sprechen wir mit vielen Hotel- und Hostelwirten, die uns allesamt ablehnen. Einer davon ist sehr mitfühlend, umarmt uns sogar herzlich, aber aufnehmen könne er uns nicht. Er riskiere seine Existenz, wenn er das täte. Als wir ihm erzählen, dass wir auch schon bei der Polizei (erfolglos) nachgefragt haben, reagiert er entsetzt. Geht bloß nicht zur Polizei, rät er uns in aufgeregtem und schwer verständlichem Spanisch. Mit Gesten zeigt er Handfesseln und Kopf-ab. Er fürchtet, dass man uns dann die Pässe abnehmen und irgendwohin bringen könne.

Letztlich haben wir ein kleines Apartment gefunden. Der Vermieter wusste offenbar noch nichts von den Restriktionen und übersieht auch offenbar noch nicht die bevorstehenden Folgen. Hoffentlich bleibt er bei seiner Zusicherung, dass wir hier bis auf Weiteres bleiben können. Wir haben jetzt erstmal für eine Woche gebucht und bezahlt. Das Apartment hat drei Betten, einen Tisch und eine Spüle, einen Kühlschrank und eine winzige Kochplatte. Wenn hier die Restaurants schließen, können wir uns selbst versorgen, ein Wasserkocher ist da, wir können das Trinkwasser abkochen. Noch kann man einkaufen, wir hoffen bloß, dass die Leute hier nicht zu hamstern anfangen. Mit unseren dürftigen Sprachkenntnissen und der schwierigen Informationslage sind wir sicher die Letzten, die davon etwas mit- und etwas abbekommen.

Wir haben hier zwar kein WLAN, aber gestern immerhin noch daran gedacht, unsere argentinischen SIMkarten aufzuladen. Bis auf weiteres sind wir also noch online. Wir haben noch Bargeld, wenn auch zu horrenden Gebühren abgehoben. Egal.

Wir haben uns mehrfach bei den deutschen Auslandvertretungen gemeldet, allerdings kommen von der Botschaft und vom Auswärtigen Amt lediglich allgemeine Infomails zu uns, verständlicherweise sind die Mitarbeiter wahrscheinlich mit wichtigeren Fällen befasst. Die Onlineseite der Krisenliste „Elefand“ ist zuletzt sporadisch erreichbar, offenbar total überlastet. Die Informationen des Auswärtigen Amtes und der Botschaft in Buenos Aires verfolgen wir natürlich.

Heute gibt es zwar noch letzte Busverbindungen aus Iguacu heraus, aber die Busse sind sämtlich ausgebucht. Flüge gibt es ebenfalls keine mehr. Ab morgen schließen alle Restaurants, Hotels und Geschäfte, die Quarantäne gilt landesweit. Die Grenzen zu den Nachbarländern sind bereits geschlossen. Iguacu ist eine Kleinstadt in Grenznähe zu Brasilien, es gibt sogar einen Flugplatz. Meine Einschätzung ist: Solange wir kein Flugticket haben, ist es besser hierzubleiben, als panisch irgendwohin zu fahren, wo wir dann möglicherweise ohne Unterkunft schlechter dastehen als hier. Schon gar nicht in einer Millionenstadt wie Rio, Buenos Aires oder noch schlimmer Sao Paulo. Ich stelle es mir wenig reizvoll vor, in einem relativ armen, von Rezession und Pandemie gebeutelten Land auf der Straße zu leben, wenn hier der Horror erst so richtig losgeht. Im Übrigen ist es jetzt generell wenig sinnvoll, herumzureisen. Kontakte einschränken, das ist ja wohl der Sinn einer Quarantäne, oder?

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Krise sind nicht absehbar, zweifellos wird unsere Welt nicht mehr dieselbe sein. Vielleicht will der Planet uns zeigen, dass es genug ist? Gewiss hat Corona bereits jetzt mehr für das Weltklima getan als alle Klimaschutzpakete und Freitagsdemonstranten zusammen.

Wir danken den vielen lieben Freunden, die an uns denken und uns schreiben. Das tut gut. Wir denken auch an euch und wünschen euch mit ganzem Herzen, dass es euch gut geht.

Gestrandet und vergessen

Schließlich finde ich Zeit, das Erlebte zusammenzufassen. Der heutige Tag war ein Wechselbad der Gefühle. Heute hat uns unsere Wirtin eröffnet, dass das Hostel in zwei Tagen schließt. Dass wir dann auf der Straße stehen, tut ihr leid, aber sie hat ihre Anweisungen. Fast stündlich änderten sich die spärlichen Gerüchte und Informationen, die wir hier bekamen. Sind die Grenzen offen? Wo ist es besser, hier bleiben, nach Brasilien weitereisen, in eine andere Provinz fahren? Nun steht fest: Es gibt keine Busse mehr. Flüge schon gar nicht. Die anderen Gäste berichten Widersprüchliches. Wir machen uns sofort auf, Informationen einzuholen. Viele Kilometer laufen wir mehrfach zum Busbahnhof, zur Touristeninformation, zur Polizei, zur Fluggesellschaft Aerolinas Argentinas, zu verschiedenen Hotels und Hostels. Nach wie vor sind die Informationen widersprüchlich. Eins ist klar: Die Provinz Misiones wird eine zweiwöchige Quarantäne ausrufen und Reisende sind dabei nicht vorgesehen. Wir bekommen keine neue Unterkunft, wo auch immer wir nachfragen. Angeblich gibt es von Rio de Janeiro oder von Sao Paolo aus noch Flüge nach Europa, aber die Grenze zu Brasilien wurde im Laufe des Tages auch geschlossen. Ein blanker Hohn sind die Antworten der deutschen Auslandsvertretungen: Das deutsche Konsulat in Posadas hat nur eine Dame am Telefon, die weder deutsch noch englisch spricht, dafür sehr schnell spanisch. Bruchstückhaft verstehen wir, dass sie auch nichts weiß. Die deutsche Botschaft in Buenos Aires speist uns mit einer nichtssagenden Email ab. In keinem Wort wird auf unser Problem eingegangen, dass wir binnen Kürze obdachlos sein werden.

Gute Nachricht: Wir haben vielleicht – hoffentlich! ab morgen eine Unterkunft über AirBnB.

Reisen macht unter diesen Umständen keinen Spaß. Wir haben kein Problem damit, eine Quarantäne abzusitzen. Doch wenn hier die Hamsterkäufe losgehen, sind wir bestimmt die letzten die etwas abbekommen. Wer nicht mal einen Kühlschrank hat, kann sich schlecht versorgen bei 40 Grad.