Unterwegs 3. April

Die Klingonen sind on the road. Man sieht deutlich die Erleichterung…

Zuvor war’s noch ziemlich spannend, denn das Taxi kam ewig nicht, die Zentrale hatte den Fahrer zu unserem Ziel geschickt, statt zu unserer Adresse. Aber der Taxler kam dann doch noch und er war ein echter Könner am Steuer. Mit quietschenden Reifen hat er uns quer durch die Stadt gebracht.

Sind schon in Eldorado. Zwischendrin immer wieder kein Netz, aber das ist normal hier. Jetzt die vierte Polizeikontrolle, aber keine Probleme bisher.

Die von der Fernstraße abzweigenden Seitenstraßen in die Dörfer entlang der Strecke sind fast alle mit Erdhaufen oder Baumstämmen blockiert. So wird hier die Quarantäne durchgesetzt.

Auf der Straße ist fast kein Verkehr, kein Wunder. Wir kommen gut voran. Der nächste brenzlige Punkt wird die Provinzgrenze von Misiones nach Corriente bei der Stadt Posadas. Wir hoffen sehr, dass uns dort kein durchgeknallter Provinzsheriff aufhält.

Obwohl wir immer noch in einer extrem dünn besiedelten Gegend unterwegs sind, habe ich immer wieder mal kurz Netz. Beiderseits der Straße Urwald, Eukalyptus- und Pinienplantagen, dann wieder Urwald.

Puerto Rico. Wieder Kontrolle. Alles gut. Wir haben inzwischen dreimal gehalten, um andere Leute aufzunehmen. Offenbar alle über die Botschaften.

Santo Pipo. Der Bus ist schon zu einem Drittel voll. Ich habe gerade Annika, die allein weltreisende Radfahrerin persönlich kennengelernt, mit der ich seit ein paar Tagen im Chat war. Sie hat den Bus bei den letzten zwei Haltestellen wegen langwieriger Polizeikontrollen verpasst, uns im PKW der Honorarkonsulin verfolgt, überholt und beim nächsten erwischt. Nun verteilt Annika Formulare vom Konsulat an alle Deutschen. Es handelt sich um Kostenübernahmeverpflichtungen, denn wie es scheint wird uns die Busfahrt nun doch in Rechnung gestellt. Also war der schöne Spaziergang gestern zu den verschiedenen Geldautomaten der Stadt eine reine Sportveranstaltung mit Kostenfaktor. Braucht irgendwer argentinische Pesos?

Posadas, jetzt kommt bald die Provinzgrenze, es wird spannend… Aber vorher nochmal ein Stopp, diesmal nicht auf freier Strecke, sondern fast normal im Busterminal. Seit einer halben Stunde kurven wir kreuz und quer durch Posadas. Entweder der Fahrer hat sich verfahren… endlich, jetzt halten wir, neue Fahrgäste steigen ein.

Zehn Kilometer weiter, an der Grenze zur Provinz Corrientes stehen wir schon seit einer Weile. Die Polizei verhandelt mit den Busfahrern… Ein Beamter fotografiert den Bus von allen Seiten. Man verhandelt lange, ein anderer Beamter telefoniert. Wir fotografieren mal lieber nicht. Jetzt stehen die Polizisten untätig da, offensichtlich warten sie auf einen Rückruf von ihren Vorgesetzten. Nichts passiert. Eine bizarre Situation, wir beobachten unsere Beobachter. Nun haben sie unseren Fahrer geholt und diskutieren mit ihm im Schatten eines kleinen Bäumchens. Der Busfahrer telefoniert, reicht sein Handy an den Polizisten…. man desinfiziert sich die Hände, das Telefon aber nicht…

Jetzt ist unser Bus noch ein wenig weiter von der Straße herunter an den Rand gefahren, das dauert noch. Wir stehen hier seit einer Stunde… gerade kommt nochmal die Mail von der deutschen Botschaft herein, ob wir den Flug wahrnehmen wollen. JA, JA, JA, das haben wir doch schon neunmal bestätigt! Egal, nochmal.

Abfahrt! Endlich.

18.00 Uhr. Noch 200 km bis Corrientes, dem nächsten planmäßigen Halt. Haben eben den riesigen Stausee des Rio Parana hinter uns gelassen, seit Stunden sind rechts und links der Straße endlose Baumplantagen zu sehen. Die gigantische Monokultur beliefert die Bau-und vor allem die weltweite Papierindustrie.

Die Sonne geht langsam unter. Zum Glück gibt es eine Ladebuchse für mein Handy unterm Sitz. Danke an alle, die daheim mitfiebern! Übrigens: Der Blog hat ziemlich gute Einschaltquoten, derzeit 4927 Aufrufe. Viele liebe Freunde haben uns Glückwünsche geschickt und drücken die Daumen, das gibt uns Kraft.

18.30, wieder ein Stop, diesmal Militär. Jetzt geht es aber schon nach wenigen Minuten weiter. Ob uns Gauchito Gil geholfen hat? Der Volksheilige wird hier sehr verehrt, überall sieht man kleine Altäre mit roten Fahnen neben der Straße. Auch direkt neben der letzten Kontrollsperre.

Die bizarren Emailaktionen der deutschen Botschaft setzen sich fort. Eben hatten wir wieder kurz Netz, jetzt berichten ein paar der Schicksalsgefährten, sie hätten schon wieder Mails von der Botschaft: Sie sollen nochmals rückbestätigen, dass sie den Flug LH345 nehmen wollen. Andere bekommen keine Mail. Könnt ihr euch vorstellen, wie sehr das zu unserer Verunsicherung beiträgt?

20:00, etwa 25km vor Corrientes. Wieder Kontrolle. Diesmal kommen wir schon nach einer Viertelstunde wieder los. Überhaupt scheint Corrientes sehr wichtig zu sein. Der nächste Kontrollposten nur 25km weiter. Diesmal springen nicht nur Polizisten, sondern auch weißbekittelte Männer mit digitalen Infrarot-Fieberthermometern herum. Es dauert…

20.45 Endlich der nächste planmäßige Stop. Fünf weitere Versprengte steigen ein. Die Botschaft mailt jetzt an manche Leute im Bus weitere Erklärungen. Diese soll man ausdrucken und ausfüllen. Zu dumm, dass keiner hier einen Drucker zur Hand hat, von Steckdose ganz zu schweigen. Der nächste Checkpoint ist nicht weit, direkt an der Auffahrt der Brücke über den Rio Parana. Polizei und medizinisches Personal. Es dauert nur ein paar Minuten, da fährt unser Bus auch schon hinüber Richtung Resistencia in der Provinz Chaco. Dadurch verlängert sich unser Weg um weitere 200 km. Wenn nicht noch weitere Haltestellen und Umwege dazu kommen. Kontrollpunkt der Gendarmerie. Oder will er nur möglichst viele Kontrollpunkte abgrasen?

Nein, sicher nicht. Wir sammeln gestrandete Menschen in einem riesigen Land ein, jede und jeder der einsteigt, trägt ein Lächeln im Gesicht. Es wäre egoistisch, sich zu beklagen. Da wir mit Chaco eine neue Provinz betreten, geht jetzt auch eine neue Fotosession los. Mal sehen, ob der Vorgesetzte telefonisch erreichbar ist. Oder in Siesta? Nein, unmöglich, es ist ja schon 21.15 Uhr.

Wir fahren 50m weiter und erreichen den nächsten Kontrollpunkt. Diesmal von der Polizei. Praktischerweise steigen auch gleich neue Schicksalsgenossen ein. Am nächsten Kreisel drehen wir um, es geht zurück nach Corrientes. Gut daran ist, dass wir keine zusätzlichen 200km fahren. Schlecht, dass wir die letzten 30 km mit der größten Dichte an Checkpoints jetzt nochmals in der anderen Richtung durchfahren.

22:40 Wir sind etwa 60 km südlich von Corrientes, insgesamt haben wir in knapp 12 Stunden rund 700km zurückgelegt. Die letzte Stunde war ruhig, keine Kontrollen. Die meisten Leute schlafen, das probiere jetzt auch.

2. Update, 2. April: Erfolge!

Keine sechs Stunden haben wir gebraucht, dann ist es schon geschafft. Zunächst machen wir uns auf zur großen Tankstelle im Ort. Die Managerin, eine Bekannte der Honorarkonsulin verfügt über einen Drucker und hat unsere Passierscheine ausgedruckt. Doch zunächst ist die Dame nicht da, also warten wir erst mal. Währenddessen erfahren wir über unsere Whatsappgruppe, dass man das Attest auch ohne die anderen Zettel bekommen kann, also ab ins Hospital. Warten, Untersuchung, Warten, Zahlen, Warten, dann das ersehnte Gesundheitsattest, ein handgeschriebener Zettel. Hurra! Das geht ja richtig glatt heute. Zurück zur Tankstelle, die Dame ist inzwischen zu sprechen, mehr noch: Sie hat einen dicken Stapel Papiere für uns. Nochmals Hurra! Wir wandern zurück zu unserer Bleibe, ziehen die schweißnassen Kleider aus und duschen uns so kalt wie möglich ab. Gerade, als wir unsere Sachen per Hand ausgewaschen haben, kommt die Nachricht unserer Frau Konsulin, dass jeder Deutsche für den Bus morgen 3840 Pesos (~55€) zu zahlen hat, man soll das Geld passend und bar bereithalten. Optimales Timing, gerade haben wir einen Großteil unserer Pesos im Hospital ausgegeben.

Achtung! Die Klingonenbande ist in der Stadt!

Also machen wir uns nochmal auf, Bargeld zu besorgen. Das Geldabheben ist hier weder einfach noch billig, ich hatte schon früher darüber berichtet. Am ersten Automaten steht eine lange Schlange vor uns, jeder Kunde auf einem weißen Kreuz am Boden. Als wir dran sind, spuckt der Apparat für uns kein Geld aus. Besorgt marschieren wir weiter zum nächsten.. Hat die Regierung nun beschlossen, Ausländer kein Geld mehr abheben zu lassen? Klingt paranoid, aber wir halten inzwischen alles für möglich. Die Bank liegt zufällig fast genau neben der Tankstelle, wo wir erst vor kurzem die Papiere geholt haben. Hat mich das Murmeltier nicht heute früh schon begrüßt? Die Schlange hier ist etwas kürzer, trotzdem geht’s noch langsamer. Endlich sind wir dran. Volltreffer, jeder kann 5000 Pesos abheben, nur die Gebühr dafür ist seit dem letzten Mal wieder gestiegen. Jetzt sind 660 Pesos fällig, schlappe 13,2%. Egal, ist ja nur Geld. Bewegung hatten wir auch endlich mal wieder – wir sind rund zehn Kilometer gelaufen heute. Polizei haben wir unterwegs gar keine gesehen – vielleicht halten die ja auch Siesta. Wir sind gespannt, was als Nächstes passiert.

Die Presse berichtet über erste Plünderungen in Posadas und 6813 Fälle von Denguefieber in der Provinz Misiones sowie den Kampf dagegen.

Siesta 2.4.

Der Wassermangel in der Region ist besorgniserregend. Die Wasserfälle von Iguazu liegen praktisch trocken. Weniger als ein Fünftel der üblichen Wassermenge kommt noch an. Flora und Fauna des Nationalparks sind akut gefährdet. Regen ist nicht in Sicht.
Das Bild unten ist verlinkt zum Artikel.

Die argentinische Regierung setzt die Grenzschließung strikt durch. So hat man eine Gruppe Touristen inklusive einiger eigener zurückkehrender Landsleute tagelang auf der internationalen Brücke Tancredo Neves bei bis zu knapp 40 Grad Hitze ausharren lassen. Nun durften die armen Menschen endlich aus humanitären Gründen doch einreisen. Bild ist wieder verlinkt.

Nachmittag

So, jetzt haben es sich die Franzosen wohl anders überlegt. Offenbar ist den ihnen inzwischen aufgefallen, dass wir keine französischen Passnummern haben. Nun gilt das Angebot im Bus mitzufahren nur noch bedingt, soweit da Plätze frei sind. Natürlich wurde uns das nicht in einer einzelnen Nachricht mitgeteilt, sondern tröpfchenweise auf allen möglichen Kanälen: Email, Whatsapp, telefonisch; jedem Gruppenmitglied zu einer anderen Zeit. Also beginnt wieder der ganze Trara mit Konsulat und Botschaft und hin und her. Irgendwann gegen 14.00 Uhr habe ich unsere Honorarkonsulin angerufen und erfahren, dass sie jetzt gleich Siesta machen wird. Sie kann sich erst nach der Siesta um die Sache kümmern. Wir sollen noch rund 100 Seiten Passierscheine in x-facher Ausfertigung ausdrucken, sortieren und verteilen und außerdem ein ärztliches Attest über unsere Symptomfreiheit beibringen. Aber wie wir an die Papiere kommen und zu welchem Arzt wir gehen sollen, das erfahren wir dann nach ihrer gepflegten Siesta. Um es richtig darzustellen: Sie sagte uns, dass wir uns an die Gepflogenheiten des Landes anzupassen hätten, dazu gehöre, die Siesta zu respektieren.

Abend

Die Siesta braucht dann auch ihre Zeit: Ganze vier Stunden dauert es, bis wir wieder etwas von der Konsulin hören. Zu diesem Zeitpunkt ist es 17.52 Uhr – ab 18.00 Uhr sollte man keinesfalls mehr die Wohnung verlassen, die Ausgangssperre ist hier sehr streng. Freundlicherweise weist die Konsulin uns darauf auch nochmal hin. Praktisch, nun haben wir ganze 8 Minuten Zeit, um die zwei Kilometer zur Tankstelle zu laufen, uns dort die Papiere abzuholen, damit zum Krankenhaus zu laufen, uns ein Attest ausstellen zu lassen und wieder zurück zur Unterkunft zu gelangen.

Wir ziehen es vor, für heute auf diese Tour zu verzichten und öffnen die erste Flasche Bier. Gleichzeitig tauschen wir uns mit den anderen Gestrandeten aus, die unsere Begeisterung für die Arbeit des deutschen Konsulats teilen. Wir schreiben nochmals der Konsulin im Namen aller und fragen, ob sie immerhin für uns herausfinden kann, ob und wann dieser Bus der französischen Botschaft morgen fahren wird. Leider kann sie das nicht; da kann aber unsere Konsulin mal nichts dafür, es ist schlicht so, dass das französische Konsulat selbst nichts weiß. Der Austausch zwischen den verschiedenen diplomatischen Vertretungen funktioniert nach wie vor absolut grandios – nämlich gar nicht.

Kurz vor acht Uhr kommt wieder eine Mail, der Bus ist wohl auf den 3. April verschoben. Zumindest im Bus haben wir (vielleicht?) einen Platz. Im Flugzeug wohl eher nicht. Mir geht dieses Gezerre total auf die Nerven.

Morgen des 2. 4.

Es ist jetzt kurz vor 6, die Mücken und die Köter in der Nachbarschaft machen es unmöglich, zu schlafen. Also schreibe ich den Blog. Heute wollen wir versuchen, an die Passierzettel und das ärztliche Attest zu kommen. Klar, dass wir dafür die Ausgangssperre brechen müssen.
Hoffentlich geht alles gut.

Geht’s noch schlimmer? 1.4.

Der gestrige Tag vergeht wieder in bangem Warten. Abends telefonieren wir noch lang mit unserem Freund Alex. Dann, beim Essen rappeln alle Handys gleichzeitig und gleich drauf melden unsere Leute aus der Whatsappgruppe „Gestrandet in Iguazu“, dass sie alle eine Mail bekommen haben. Auch wir schauen in unsere Postfächer: Alle haben die Bestätigung der französischen Botschaft erhalten, dass sie in diesem Bus mitfahren können.

Alle, außer Andrea.

Es ist ein schlechter Witz, wir sollen in einem französischen Bus evakuiert werden, von dem wir über eine Frau aus Weißrussland erfahren haben, von dem weiterhin weder die deutsche noch die französische Konsulin etwas wusste. Aber es dürfen nur zwei von uns drei mit. Verständlicherweise hat Andrea einen regelrechten Nervenzusammenbruch. Ich bin am Boden zerstört und mache mir große Vorwürfe. Was wird uns als nächstes passieren? Pia ist in diesen Stunden die Stärkste von uns. Sofort setzt sie sich hin und entwirft einen Brief an die französische Botschaft. Justine aus unserer Gruppe übersetzt diesen auf französisch, wir schicken die Mail ab. Die Nacht wird die schlimmste von allen bisher. Obwohl wir alle unsere Handys stummschalten, können wir nur wenige Stunden Ruhe finden.

Am Morgen kommt die erlösende Email auch bei Andrea an. Wir machen uns neue Hoffnung. Lange können wir dieses Wechselbad nicht mehr ertragen.

Erst jetzt lese ich die Bestätigung genauer, es steht drin, dass wir Platz im Bus haben, dass dieser von Iguazu über Posadas, Corrientes und Gualeguaychu nach Buenos Aires direkt zum Flughafen Ezeiza fahren soll. Dort soll er am 3. April morgens ankommen, am Nachmittag soll eine französische Maschine nach Paris losfliegen. Alle, die im Bus gesessen sind, sollen angeblich auch im Flieger Platz bekommen. Der Flug soll 550€ kosten.

Schlechte Nachrichten, gute Nachrichten 31.3.

Die Läden im Viertel heißen Supermercado, Minimarket, Maxikiosco oder Dispensa. Wer meint, aus diesen Bezeichnungen Rückschlüsse auf die Größe des Ladens ziehen zu können, irrt sich aber gewaltig. Die meisten sind winzig. Mit einigen Metern Abstand wartet man in der prallen Sonne auf der staubigen Straße, bis der Platz vor dem Türgitter frei wird. Dann gibt man seine Bestellung auf, der Verkäufer sucht alles zusammen, was er da hat. Man bezahlt und bekommt die Waren durchs Gitter oder über den Stacheldrahtzaun gereicht. Ich besuche die verschiedenen Geschäfte im Wechsel, um möglichst viele Leute kennenzulernen und an Informationen zur Lage hier zu kommen. Bisher sind fast alle freundlich zu mir, nur wenige wollen nicht mit uns reden. Heute geht Andrea zum ersten Mal zum Einkaufen.

Wir haben den Grund der Wasserknappheit erfahren: Brasilien hat seine Staudämme geschlossen, es kommt fast kein Wasser mehr in den Iguazufluss. Die Wasserfälle liegen praktisch trocken. Die Ansaugrohre des Wasserwerks ragen aus der Wasseroberfläche. Momentan speist ein kleiner Nebenfluss, der Mboca-i die Wasseraufbereitungsanlage, der liefert jedoch nur 300 Kubikmeter pro Stunde, das bedeutet eine Reduzierung um 75 Prozent. Dies führt nicht nur zu Wasserknappheit, sondern betrifft darüber hinaus die fünf Wasserkraftwerke der Region. So erklären sich auch die immer häufiger auftretenden Stromausfälle.

Wir verwenden Grauwasser für die Toilettenspülung und dies auch nur noch für große Geschäfte, verwenden Frischwasser nur abgekocht zum Trinken und waschen uns mit dem Waschlappen, statt zu duschen. Blöd, dass man sich ständig die Hände waschen soll… ohne Wasser wird das schwierig. Wir achten darauf, dass unsere Geräte stets vollgeladen sind, um den nächsten Stromausfall auf Akku zu überbrücken.

Heute tauen wir unseren Kühlschrank ab; im Eisfach liegt bereits ein kleiner Gletscher. Das Eis legen wir in unseren Kochtopf, um es zum Abspülen zu verwenden.

Die Stimmung ist schlecht. Wir haben eine Whatsappgruppe gegründet für Gestrandete in Iguazu, insgesamt sind wir sieben Schicksalsgefährten. So ist es leichter, an Informationen zu kommen und diese zu verteilen. Außerdem sind wir in mehreren Facebookgruppen. Es scheint, dass die Verteilung der Plätze im Rückholflieger völlig willkürlich erfolgt. Wir wissen von Leuten mit kleinen Kindern oder Babys, die nicht für den Flug am 1.4. benachrichtigt wurden. Andererseits wurden aber junge allein reisende gesunde Leute gefragt, ob sie den Flug wahrnehmen möchten. Offenbar gibt es Kompetenzgerangel zwischen Botschaft und Konsulat. Die Informationen, die wir erhalten, sind nicht konsistent. Außerdem sind die Aktionen der einzelnen europäischen Länder bei weitem nicht aufeinander abgestimmt: So haben wir erfahren, dass ein Bus kommen soll, um die Franzosen aus den nördlichen Provinzen abzuholen. Weder die französische noch unsere Honorarkonsulin wussten davon allerdings etwas! Von einer Weißrussin haben wir den Link zu einem Formular erhalten, wo man sich für diesen Bus eintragen kann. Jetzt muss unsere Konsulin noch einen förmlichen Antrag beim französischen Konsulat/Botschaft stellen, damit man uns auch mitnimmt. Der Konsul von Weißrussland hat das offenbar viel schneller hinbekommen als die deutsche Bürokratie.

Es gibt auch etwas Erfreuliches zu berichten: Eine nette Frau, die wir persönlich nicht kennen, hat uns ihre Wohnung in Buenos Aires zum Übernachten angeboten – falls wir es irgendwann dorthin schaffen sollten. Sie ist die Bekannte von Freunden.

Versorgungsprobleme 30.03.

Es ist so heiß, dass die Straßenhunde wie tot im Schatten liegen, selbst die lästigen Kläffer auf dem Nachbargrundstück verbellen mich nur kraftlos. Der Collie-Schäfermischling bleibt im Schatten und springt nur zweimal gegen den Gitterzaun, der Rottweiler daneben belässt es bei einem bösen Knurren. Auf meinen täglichen Besorgungswegen durchs Viertel habe ich zwei Avokado- und einen Orangenbaum entdeckt. Wo diese stehen, habe ich mir gut gemerkt, fast jeden Tag lege ich meine Wege so, dass ich daran vorbeikomme. Wenn ich Glück habe, liegt da manchmal frisches Fallobst. Letztens konnte ich zwei Avokados und zwei Orangen erbeuten.

Fede, unser Vermieter hat uns informiert, dass die Wasserversorgung der Stadt momentan nicht gewährleistet ist. Wir sollen sparsam mit dem Vorrat umgehen, der noch da ist. Hintergrund: Da hier öfter mal die Wasserversorgung ausfällt, hat so gut wie jedes Haus einen Hochtank auf dem Dach. Sobald wieder Wasser kommt, füllt sich dieser Behälter auf, was bis auf weiteres nicht möglich ist. Leider ist der Tank für mich unzugänglich, ich traue mich nicht da hochzuklettern. Deshalb weiß ich auch nicht, wie viel Wasser da noch drin ist. Bei der Toilettenspülung kam heute eine braune Brühe.

Die weltberühmten Wasserfälle von Iguazu, deretwegen wir hierher gereist sind, liegen beinahe trocken. Unser Vermieter hat uns ein aktuelles Foto geschickt.

Am 14. März war der letzte glückliche Tag unserer Reise. Da sahen wir die Fälle noch anders.

Der Strom ist gestern und heute wieder ausgefallen. Zwar nur für Minuten, aber es ist jedesmal ein Schock. Welche Hiobsbotschaft kommt als nächstes?

Soweit möglich, verfolgen wir lokale Onlinenachrichten. Es scheint tatsächlich bis vor ein paar Tagen noch Inlandsflüge gegeben zu haben, diese wurden aber nur an Argentinier vergeben. Gemeinden entlang der Hauptstraße errichten Straßensperren aus Erdwällen, um sich vor infizierten Reisenden zu schützen. Die Quarantäne und Ausgangssperre wurde bis 12. April verlängert. Viele Verstöße gegen die Ausgangssperre werden gemeldet, die Polizei greift hart durch. Es wird über Fälle von Viehdiebstahl berichtet. Die Zahlen der Infektionen steigen steil an. Ein Team von hundert Ärzten soll aus Kuba kommen, um hier zu helfen.

Update 29.03.

Unser Flug nach BA für 31. März ist gestern spätabends gecancelt worden, wie alle anderen Flüge vorher auch. Aerolineas Argentinas hat landesweit alle Flüge bis 13. April abgesagt.

Heute Vormittag hat die Honorarkonsulin von El Dorado angerufen. Sie sagt, der Rückholflug am 1.4. ist bereits voll besetzt mit Menschen höherer Priorität. Ein weiterer sei für den 4.4. geplant. Mal sehen, ob wir da hin kommen.

Den ganzen Tag über haben sich die Wolken aufgetürmt, die Luft draußen ist zum Schneiden dick. Die drückende Schwüle ergibt eine ungute Kombination mit dem seit Tagen schwelenden Müllfeuer ein paar Straßen weiter. Winzige Regentropfen fallen auf die heißen Steine, wo sie sofort verdunsten, dazwischen schweben Ascheflocken. Der Supermarkt, wo ich mit der Kreditkarte zahlen kann ist heute geschlossen, also laufe ich zu einem der anderen kleinen Läden in der Nähe. Ob er Käse hat, frage ich den Mann. Ja, freilich. Auch alles andere was wir für die Pizza brauchen, die wir uns heute backen wollen, ist in dem Geschäft vorhanden: Paprika, Tomaten, Knoblauch. Mehl, Öl und Hefe haben wir noch vom letzten Mal. Während er mir den Käse mit seiner museumsreifen rostigen Schneidemaschine aufschneidet, habe ich Gelegenheit, mich im Halbdunkel des Geschäfts umzusehen. Unser Gesundheitsamt hätte hier seine helle Freude. Um die Theke herum liegen kleine Abfallhäufchen der zuvor geschnittenen Waren. Weiter hinten sitzt ein Kollege bei seiner Brotzeit an derselben Theke, im Mundwinkel eine Zigarette. Es kommt sogar zu einem kleinen Gespräch: Wo ich her sei und wie lang schon hier, ob ich schon die Wasserfälle gesehen hätte und dass Bayern München super sei. Zum Abschied wünscht er Glück und nennt mich amigo. Das Desinfektionsspray reicht er mir auch gleich noch.

Unser Vermieter hat uns eben informiert, dass die Wasserversorgung der Stadt momentan nicht gewährleistet ist. Irgendetwas ist gebrochen und muss repariert werden, solange sollen wir Wasser sparen.

Update 28.03.

Wir sitzen nach wie vor fest in Iguazu. Wegen der Ausgangssperre dürfen wir das Haus nicht verlassen, außer zum Einkaufen. Andrea und Pia sind seit zehn Tagen nicht mehr draußen gewesen. In der Stadt geht das Denguefieber um. Unser Inlandsflug am 30. März nach Buenos Aires ist auf einen Tag später verschoben. Wir wissen nicht, ob dieser Flug überhaupt stattfindet und ob dann der Flughafen noch offen ist. Mit der Fluggesellschaft können wir keinen Kontakt herstellen. Für all die Flüge hat man uns mittlerweile fast 1400 € abgebucht, egal ob storniert oder umgebucht. Das ist offenbar das einzige, das noch klappt: Geld einziehen. Laut Lufthansaseite soll der nächste Rückholflug nun bereits am 31. März stattfinden: LH 349. Falls es uns gelingt, nach BA zu kommen, haben wir immerhin schon eine Bleibe gefunden, die auch noch Ausländer reinlässt. Die Lage in Argentinien spitzt sich immer weiter zu. Link Weltspiegel

Viele Jahre haben wir auf unseren Lebenstraum dieser Weltreise hingearbeitet, gespart, geplant und uns darauf gefreut. Nun ist der Traum zum Albtraum geworden. Am schlimmsten daran ist, dass wir auch noch unsere Tochter auf die Idee gebracht haben, uns hier zu besuchen. Das ständige Hin und Her stresst mich. Täglich kommt irgendein Tipp, eine Info, ein Hinweis der ein bisschen Hoffnung macht, sofort brechen wir alle in hektische Betriebsamkeit aus und versuchen den Strohhalm zu ergreifen, dann wieder stundenlanges Warten ohne sinnvolle Beschäftigung und schließlich jedes mal eine Enttäuschung, ein Negativbescheid, eine Absage.

Update 27.03.

Hier fahren ständig Busse mit verhängten Fenstern vorbei, obwohl doch eigentlich keine Busse mehr fahren dürfen. Ich vermute folgenden Hintergrund: An der brasilianisch-argentinischen Grenze warten Hunderte Menschen, großen Teils argentinische Touristen, die aus Brasilien oder Europa kommen und in ihre Heimat zurück wollen. Um die 9000 sind angeblich bereits aus Foz de Iguazu auf der brasilianischen Seite nach Puerto Iguazu auf der argentinischen Seite gekommen, allesamt aus Risikogebieten. Der Bürgermeister hatte wegen des davon ausgehenden Gesundheitsrisikos zeitweise die Grenze mit Gemeindefahrzeugen sperren lassen. Nun bemühen sich die völlig überforderten Behörden, die Menschen in Bussen und Flugzeugen weiter im Land zu verteilen, damit sie zuhause ihre Quarantäne absitzen können. Wahrscheinlich werden auch deshalb laufend die nationalen Flüge gecancelt, weil man andere Menschen in die Flugzeuge lässt. So jedenfalls verstehe ich die Presseberichte, die ich heute gelesen habe. Google Übersetzer treibt wundersame Blüten, unser Spanisch reicht nicht für die Artikel.

Gelegentlich fahren Pickups mit großen Tanks durch unsere Straße. Sie sprühen einen stinkenden Nebel auf die Grundstücke. Beim Einkaufen gebe ich mir Mühe, möglichst flach zu atmen, wenn ich in diesen gerate. Ich gehe davon aus, dass man versucht, die Mücken einzudämmen, die hier das Denguefieber übertragen.

Wie ist der Stand der Rückholung? Alle registrierten Personen im Land wurden aufgefordert, sich zu rückzumelden, wenn sie am nächsten Rückholfug teilnehmen wollen und es voraussichtlich schaffen, rechtzeitig die Hauptstadt zu erreichen. Wir haben uns gemeldet, da wir ja den fragwürdigen Inlandsflug gebucht haben. Außer unserer gab es über 700 weitere Rückmeldungen. Wie viele Personen sich hinter dieser Zahl verbergen, ist mir unbekannt. Sicher weit über tausend. Berechtigten Vorrang haben Familien mit Kindern, ältere Personen, unbegleitete Minderjährige und Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen.

Update 26.03.

Das Gute vorweg: Wir haben gestern ein Mail von der Botschaft bekommen. Scheinbar ist der nächste Flug für den 1.4. geplant. Wir wissen zwar nicht, ob wir da mit dürfen, haben aber vorsorglich noch einen Flug von Iguazu nach BA für den 30.3. gebucht. Das Brechen der Ausgangssperre zur Anreise zum Flughafen soll nun erlaubt sein. Es ist halt Glückssache, von wem man kontrolliert wird. Manche Polizisten beziehungsweise Soldaten sind besser informiert, andere weniger gut.

Mal sehen, ob dieser Flug stattfindet und falls wir mitkommen, wo wir dort unterkommen können. Hotels und Herbergen sind zum großen Teil für Ausländer geschlossen, am Flughafen campieren bereits einige Gestrandete ohne jegliche Versorgung. Leute dort und in anderen Regionen sind Ignoranz, Beschuldigungen und Anfeindungen ausgesetzt. Uns geht es im Vergleich dazu gut. Mehrere Menschen bemühen sich, eine Privatunterkunft oder ein Hotel für uns in Buenos Aires zu finden. Es wird seitens der Botschaft dringend davon abgeraten, in die Hauptstadt zu kommen, wenn man keine Bleibe hat. Die Polizeikontrollen greifen hart durch, wenn man auf der Straße gesehen wird.

Ob wir den anderen Flug stornieren können oder dafür etwas zurück bekommen, wissen wir nicht. Umbuchen war nicht möglich, da sind wir an der Webseite der Aerolineas Argentinas gescheitert, auch das Callcenter ist nicht erreichbar. Von Andreas Kreditkarte hat die Airline statt 330€ den vierfachen Betrag abgebucht beziehungsweise zur Abbuchung vorgemerkt. Die ganze Situation stresst uns zunehmend, insbesondere der abrupte Wechsel zwischen Nichts-tun-können und extremer Anspannung.

Gestern habe ich beim Einkaufen ein kurzes Gespräch mit dem Mann im Tante-Emma-Laden geführt. Bisher war es eher ein schweigendes, misstrauisches Abgefertigt-Werden, doch gestern fragte man mich, wo ich her sei. Aus Deutschland, aber schon seit acht Monaten unterwegs. Ob wir gesund seien? Freilich, außer dass wir langsam loco, verrückt werden vom eingesperrt sein. Da hat er gelacht und den Opa dazu geholt, Nachkomme deutscher Einwanderer. Ein paar Worte Deutsch konnte dieser auch noch. Wie mich dieses kurze Gespräch für ein paar Minuten gelöst und auf andere Gedanken gebracht hat! Andrea und Pia dagegen haben seit acht Tagen nicht mehr das Haus verlassen, die Armen. Wie gut, dass wir zusammen sind. Wie schlimm muss es für jemanden sein, der allein eine solche Situation überstehen muss.