Update 28.03.

Wir sitzen nach wie vor fest in Iguazu. Wegen der Ausgangssperre dürfen wir das Haus nicht verlassen, außer zum Einkaufen. Andrea und Pia sind seit zehn Tagen nicht mehr draußen gewesen. In der Stadt geht das Denguefieber um. Unser Inlandsflug am 30. März nach Buenos Aires ist auf einen Tag später verschoben. Wir wissen nicht, ob dieser Flug überhaupt stattfindet und ob dann der Flughafen noch offen ist. Mit der Fluggesellschaft können wir keinen Kontakt herstellen. Für all die Flüge hat man uns mittlerweile fast 1400 € abgebucht, egal ob storniert oder umgebucht. Das ist offenbar das einzige, das noch klappt: Geld einziehen. Laut Lufthansaseite soll der nächste Rückholflug nun bereits am 31. März stattfinden: LH 349. Falls es uns gelingt, nach BA zu kommen, haben wir immerhin schon eine Bleibe gefunden, die auch noch Ausländer reinlässt. Die Lage in Argentinien spitzt sich immer weiter zu. Link Weltspiegel

Viele Jahre haben wir auf unseren Lebenstraum dieser Weltreise hingearbeitet, gespart, geplant und uns darauf gefreut. Nun ist der Traum zum Albtraum geworden. Am schlimmsten daran ist, dass wir auch noch unsere Tochter auf die Idee gebracht haben, uns hier zu besuchen. Das ständige Hin und Her stresst mich. Täglich kommt irgendein Tipp, eine Info, ein Hinweis der ein bisschen Hoffnung macht, sofort brechen wir alle in hektische Betriebsamkeit aus und versuchen den Strohhalm zu ergreifen, dann wieder stundenlanges Warten ohne sinnvolle Beschäftigung und schließlich jedes mal eine Enttäuschung, ein Negativbescheid, eine Absage.

Update 27.03.

Hier fahren ständig Busse mit verhängten Fenstern vorbei, obwohl doch eigentlich keine Busse mehr fahren dürfen. Ich vermute folgenden Hintergrund: An der brasilianisch-argentinischen Grenze warten Hunderte Menschen, großen Teils argentinische Touristen, die aus Brasilien oder Europa kommen und in ihre Heimat zurück wollen. Um die 9000 sind angeblich bereits aus Foz de Iguazu auf der brasilianischen Seite nach Puerto Iguazu auf der argentinischen Seite gekommen, allesamt aus Risikogebieten. Der Bürgermeister hatte wegen des davon ausgehenden Gesundheitsrisikos zeitweise die Grenze mit Gemeindefahrzeugen sperren lassen. Nun bemühen sich die völlig überforderten Behörden, die Menschen in Bussen und Flugzeugen weiter im Land zu verteilen, damit sie zuhause ihre Quarantäne absitzen können. Wahrscheinlich werden auch deshalb laufend die nationalen Flüge gecancelt, weil man andere Menschen in die Flugzeuge lässt. So jedenfalls verstehe ich die Presseberichte, die ich heute gelesen habe. Google Übersetzer treibt wundersame Blüten, unser Spanisch reicht nicht für die Artikel.

Gelegentlich fahren Pickups mit großen Tanks durch unsere Straße. Sie sprühen einen stinkenden Nebel auf die Grundstücke. Beim Einkaufen gebe ich mir Mühe, möglichst flach zu atmen, wenn ich in diesen gerate. Ich gehe davon aus, dass man versucht, die Mücken einzudämmen, die hier das Denguefieber übertragen.

Wie ist der Stand der Rückholung? Alle registrierten Personen im Land wurden aufgefordert, sich zu rückzumelden, wenn sie am nächsten Rückholfug teilnehmen wollen und es voraussichtlich schaffen, rechtzeitig die Hauptstadt zu erreichen. Wir haben uns gemeldet, da wir ja den fragwürdigen Inlandsflug gebucht haben. Außer unserer gab es über 700 weitere Rückmeldungen. Wie viele Personen sich hinter dieser Zahl verbergen, ist mir unbekannt. Sicher weit über tausend. Berechtigten Vorrang haben Familien mit Kindern, ältere Personen, unbegleitete Minderjährige und Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen.

Update 26.03.

Das Gute vorweg: Wir haben gestern ein Mail von der Botschaft bekommen. Scheinbar ist der nächste Flug für den 1.4. geplant. Wir wissen zwar nicht, ob wir da mit dürfen, haben aber vorsorglich noch einen Flug von Iguazu nach BA für den 30.3. gebucht. Das Brechen der Ausgangssperre zur Anreise zum Flughafen soll nun erlaubt sein. Es ist halt Glückssache, von wem man kontrolliert wird. Manche Polizisten beziehungsweise Soldaten sind besser informiert, andere weniger gut.

Mal sehen, ob dieser Flug stattfindet und falls wir mitkommen, wo wir dort unterkommen können. Hotels und Herbergen sind zum großen Teil für Ausländer geschlossen, am Flughafen campieren bereits einige Gestrandete ohne jegliche Versorgung. Leute dort und in anderen Regionen sind Ignoranz, Beschuldigungen und Anfeindungen ausgesetzt. Uns geht es im Vergleich dazu gut. Mehrere Menschen bemühen sich, eine Privatunterkunft oder ein Hotel für uns in Buenos Aires zu finden. Es wird seitens der Botschaft dringend davon abgeraten, in die Hauptstadt zu kommen, wenn man keine Bleibe hat. Die Polizeikontrollen greifen hart durch, wenn man auf der Straße gesehen wird.

Ob wir den anderen Flug stornieren können oder dafür etwas zurück bekommen, wissen wir nicht. Umbuchen war nicht möglich, da sind wir an der Webseite der Aerolineas Argentinas gescheitert, auch das Callcenter ist nicht erreichbar. Von Andreas Kreditkarte hat die Airline statt 330€ den vierfachen Betrag abgebucht beziehungsweise zur Abbuchung vorgemerkt. Die ganze Situation stresst uns zunehmend, insbesondere der abrupte Wechsel zwischen Nichts-tun-können und extremer Anspannung.

Gestern habe ich beim Einkaufen ein kurzes Gespräch mit dem Mann im Tante-Emma-Laden geführt. Bisher war es eher ein schweigendes, misstrauisches Abgefertigt-Werden, doch gestern fragte man mich, wo ich her sei. Aus Deutschland, aber schon seit acht Monaten unterwegs. Ob wir gesund seien? Freilich, außer dass wir langsam loco, verrückt werden vom eingesperrt sein. Da hat er gelacht und den Opa dazu geholt, Nachkomme deutscher Einwanderer. Ein paar Worte Deutsch konnte dieser auch noch. Wie mich dieses kurze Gespräch für ein paar Minuten gelöst und auf andere Gedanken gebracht hat! Andrea und Pia dagegen haben seit acht Tagen nicht mehr das Haus verlassen, die Armen. Wie gut, dass wir zusammen sind. Wie schlimm muss es für jemanden sein, der allein eine solche Situation überstehen muss.

Update 25.03.

Freunde haben sich für uns verwendet und alle möglichen Stellen angeschrieben. Ich war von dieser Idee zunächst nicht begeistert, weil ich befürchtete, dass dies die ohnehin knappen Kapazitäten der Behörden zusätzlich belastet. Außerdem wollen wir keine Bevorzugung gegenüber anderen Gestrandeten. Auf die Mailaktion hin hat sich bei mir die Honorarkonsulin in Eldorado, etwa 100 Kilometer südlich von hier gemeldet. Das war ein großer Lichtblick und ein Hoffnungsschimmer. Die Konsulin klang sehr engagiert. Danke, das habt ihr geschafft! Nach unseren schlechten Erfahrungen mit dem Konsulat in Posadas hatten wir es nicht in Betracht gezogen, uns an sie zu wenden, zumal laut Botschaft alle Konsulate geschlossen sind. Ich habe ihr geschrieben, wo wir genau sind und alle Kontaktmöglichkeiten.

Nun möchte ich euch alle bitten, von weiteren Interventionen abzusehen und die zuständigen Stellen ihre Arbeit tun zu lassen, insbesondere die deutsche Botschaft in Buenos Aires.

Was tun wir? Die elektronische Kommunikation und das Durchecken der verschiedenen Internetseiten braucht eine Menge Zeit, macht uns aber gleichzeitig nervös. Lieber beschäftige ich mich damit, verschiedene Dinge in unserem Apartment zu reparieren. Der Anschluss der Gasflasche und der Abfluss vom Waschbecken sind mit kleinen Streifen Klarsichtolie abgedichtet, das abgerissene Sat-Kabel neu verdrahtet, die Klimaanlage im Schlafzimmer und die Zündung vom Gasherd repariert. Zum Glück ist das Haus ein rechte Bruchbude und die Handwerker hier echte Pfuscher, so geht ständig etwas anderes kaputt und ich habe bis jetzt immer etwas zu tun. Ansonsten spielen wir Stadt-Land-Fluss beziehungsweise Krankheit-historische Person-alkoholisches Getränk auf Kassenzetteln vom Supermarkt. Auch Teekesselchen und heiteres Beruferaten sind sehr beliebt, alles was das Hirn flott hält und ein wenig ablenkt. Außerdem haben wir jetzt drei Avokadokerne, mit denen wir jonglieren üben.

Wie geht es uns? Jeden Morgen wache ich auf und zögere zunächst, den Tag zu begrüßen, aufzustehen und ans Handy zu gehen. In den paar Stunden Schlaf können wir wenigstens die Situation vergessen, wenngleich der Schlaf lückenhaft und zerrissen ist. Irgendwo in der Nachbarschaft ist praktisch durchgehend zwischen einem und ein paar Dutzend der unzähligen Straßen- und Wachhunde am Bellen. Zudem liegen wir oft wach und grübeln. Ist es die richtige Entscheidung, nach Buenos Aires zu fliegen? Für Mittwoch, den 1. April haben wir einen Inlandsflug gebucht. Onlinebuchen ist jetzt wieder möglich. Ob der auch wieder gecancelt wird wie der letzte, stellt sich bald heraus. Andererseits soll die Situation am Flughafen mies sein: Am Montag ist der erste Rückholflug aus Buenos Aires nach Deutschland abgeflogen. Rund 100 Deutsche haben ihn nicht erreicht, die Plätze wurden an andere Europäer vergeben. Nun campieren Gestrandete dort ohne Versorgung auf den Gängen. Wer es wagt, in die Stadt zu fahren, wird von bewachten Bussen in eins der wenigen Hotels gebracht, die noch für Ausländer geöffnet sind. Link zum Weltspiegel Podcast: „So schnell wie möglich nach Hause“. So betrachtet, haben wir echt Glück mit unserem Vermieter und diesem Apartment. Im Übrigen spricht man davon, dass der Flughafen BA bald geschlossen werden soll und außerdem die Ausgangssperre bis Ostern verlängert wird.


Pfannkuchen 24.03.

Aufgrund meines gestrigen Beitrages haben sich einige Freunde gemeldet, die uns finanziell helfen wollten. Danke, das ist nicht nötig. Wir haben selbst noch genug. Der Vermieter ist bezahlt, in bar. Es tut gut, zu hören, dass daheim Menschen Anteil nehmen, obwohl es euch doch selbst nicht gut geht.

Unser Problem ist die extrem rigide Ausgangssperre. Wer diese bricht, dem drohen lange Haftstrafen, man spricht von bis zu 15 Jahren. Gestern war unser Vermieter da, um sein Geld zu holen. Er meinte, mit dem Auto kommen wir nicht so schnell nach Buenos Aires. Er sagte uns, jede Provinz ist mit Polizeisperren abgeriegelt. Beim Übertreten der Provinzgrenzen ist mindestens ein Coronatest fällig, das heißt dann folglich auch Warten auf das Ergebnis. In Deutschland rechnet man mit rund 48 Stunden pro Test, optimistisch geschätzt und falls ein Labor in der Nähe ist. Das dürfte auf die hiesigen Verhältnisse kaum übertragbar sein. Auf dem Weg wären folgende Provinzen zu durchqueren: Misiones, Corriente, Entre Rios, Buenos Aires und die autonome Stadt Buenos Aires. Also mindestens viermal. Derweil ist der Flieger sicher weg. Unsere einzige Chance ist ein Flug in die Hauptstadt. Dort stapeln sich bereits obdachlose Gestrandete, die keine Bleibe finden. Auf der Facebook-Seite „Deutsche in Argentinien“ stehen einige Beiträge zum Thema.

Gestern kamen zwei weitere Tiefschläge: Die Stadtverwaltung hat die Ladenöffnungszeiten in Iguazu für die nächsten 120 Tage noch weiter eingeschränkt. Grund: Corona und Dengue. Offenbar gibt es tatsächlich ein größeres Problem mit Dengue. Coronafälle sind in der gesamten Provinz Misiones bisher nicht aufgetreten. Aber Dengue ist auch kein Spaß, eher schlimmer als Covid-19.
Außerdem haben wir erfahren, dass Daniel, ein Mitbewohner aus dem Hostel mit dem letzten Flugzeug über Brasilien rausgekommen und daheim in Amsterdam ist. Er hat uns erst Bescheid gesagt, nachdem wir ihn in Sorge angeschrieben haben. Andrea hatte einen Zusammenbruch. Scheinbar sind wir die letzten, die es nicht mehr raus geschafft haben.

Im Internet haben wir die Tagesthemen angesehen. Die Politik stellt viel Geld bereit, um die Wirtschaft zu unterstützen. Selbstverständlich gönne ich das jedem betroffenen Unternehmer, besonders den kleinen. Von uns Gestrandeten aber ist nicht die Rede. Sind wir selbstsüchtig? Wir fühlen uns vergessen und verlassen.

Wer hat schon mal Pfannkuchenteig mit einer Gabel angerührt? Ich rate euch ab. Mindestens ein Schneebesen ist zu empfehlen. Ich habe gestern mit der Gabel fast eine Stunde gebraucht. Da wir auch keine Schüssel haben, musste der verbeulte Aluminiumtopf herhalten. Leider schmeckte der Teig dann auch nach Alu, denn ich habe wahrscheinlich erhebliche Mengen des giftigen Metalls beim Rühren vom Boden weggekratzt. Aber was hilfts, wenn die Tochter sich doch Pfannkuchen wünscht? Beim Braten ist dann auch noch das Gas ausgegangen. Heute muss ich sehen, wo ich eine neue Gasflasche bekomme.

Zahlungsproblem 23.03.

Nachdem wir aus Iguazu nicht so bald wegkommen, müssen wir unseren Aufenthalt im Apartment verlängern. Fede, dem Vermieter ist es recht, wahrscheinlich ist er froh über ein paar Einnahmen in diesen düsteren Zeiten. Aber wie sollen wir ihn bezahlen? Über die Webseite AirBnB ist es nicht möglich! Es ist unglaublich, die Seite sperrt einfach den ganzen Kalender bis zum derzeit geplanten Ende der Quarantäne und Ausgangssperre am 31. März! Denkt denn von diesen hirnverbrannten Idioten überhaupt irgendjemand daran, dass hier vielleicht noch Leute festsitzen? Den ganzen Nachmittag verbringe ich mit vielen vergeblichen Versuchen, unsere Wochenmiete an Fede zu schicken oder zu überweisen. Paypal funktioniert nicht. Xoom ebenso. Eine Auslandsüberweisung schlägt fehl. Unglaublich, was man hier alles dafür braucht: Den Geburtsnamen der Mutter, alle möglichen Steuernummern, vollständige Adresse und Telefonnummer. Es hilft nichts. Ich versuche, mich bei payoneer anzumelden, einer anderen Geldtransferagentur. Auch das gelingt nicht. Schließlich mache ich mich völlig entnervt auf den Weg zum nächsten Geldautomaten. Der Maximalbetrag, den ich abheben kann, ist diesmal zum Glück 5000 Pesos, rund 73 Euro. Manchmal bekommt man auch nur weniger als die Hälfte. Dafür ist eine Gebühr von 9,40 Euro fällig. Mit diesen lächerlichen 12,5% habe ich bestimmt irgendeinen fetten Bankier unterstützt.

Mein Weg durchs Viertel zum Einkaufen, eigentlich eine willkommene Abwechslung und die einzige Möglichkeit, sich die Beine zu vertreten, gerät zur Zitterpartie. Unser Viertel liegt offenbar direkt neben einer sehr ärmlichen Nachbarschaft, die ich auf dem Weg zum Geldautomaten durchquere. Google Maps hat mich hier lang geschickt. Den Rückweg will ich anders gehen, nehme ich mir vor. Ein paar Straßen weiter schwelt seit gestern ein Feuer, Brandgeruch liegt in der Luft. Die Rauchfahne kann ich von einem Hügel aus gut sehen. Viele verlassene Häuser und aufgegebene Baustellen, ärmliche Häuser und brachliegende Grundstücke gibt es hier, vergessene Schrottautos stehen rostend auf der Straße. Leute sitzen auf der Straße oder vor ihren Hütten und beäugen mich argwöhnisch, wie mir scheint. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, meine Nerven sind derzeit nicht die besten. Auf dem Weg komme ich in unmittelbarer Nähe auch an ganz normalen Häusern vorbei, deren Bewohner sich durch hohe Zäune, Mauern und Gitter schützen. Wer hier etwas besitzt, muss es offenbar gut bewachen. Stacheldraht liegt in dicken Rollen auf Mauerkronen, manche Zäune tragen eine Bewehrung aus elektrisch geladenem Draht. Der einzige Geldautomat der Gegend steht direkt gegenüber der örtlichen Polizeistation – warum wohl? Rasch bediene ich das Gerät und sehe zu, dass ich wieder verschwinde. Der Supermarkt liegt nahe, ein Lichtblick: Es scheint hier noch fast alle Waren zu geben, wenn auch das Gemüse schon sehr schrumpelig wirkt. Eier werden einzeln ohne Verpackung verkauft. Ich nehme mir vor, morgen mit unserer leeren Eierschachtel wiederzukommen.

Ich bin froh, dass ich mit dem Blog eine Beschäftigung habe. 3498 Seitenaufrufe hatte meine Seite in den letzten sieben Tagen. Offenbar ist es vielen Leuten langweilig. Im Moment, am frühen Morgen läuft das Internet hier wieder flüssig, gestern hat es ziemlich gestockt. Zum Glück haben wir jetzt wieder WLAN und können unser Datenvolumen sparen.

Neben dem üblichen Tagesprogramm (Gymnastik, Informationen suchen, Trinkwasser abkochen, Spanisch lernen, Stadt-Land-Fluss, Kochen) habe ich mir für heute vorgenommen, das Leck an unserer Gasflasche beziehungsweise dem Gasschlauch zu suchen und wenn möglich abzudichten. Immer, wenn wir kochen, riecht es nach Gas… das ist nicht gut. Andrea liest viel und lernt am meisten von uns Spanisch, Pia hört Musik und lernt Gedichte auswendig. Gestern erfreute sie uns durch einen perfekten Vortrag der Bürgschaft, als nächstes hat sie sich den Zauberlehrling vorgenommen. Wir erzählen uns gegenseitig Geschichten und Märchen.  So vermeiden wir, ständig nach Neuigkeiten zu Corona oder unserer Situation zu forschen, um uns nicht komplett verrückt zu machen. Uns geht es hier den Umständen entsprechend gut. Gestern haben wir die Tagesschau angesehen. Angesichts der Berichte über Italien oder auch Venezuela haben wir hier nichts zu jammern.

Isoliert 22.03.

Danke liebe Freunde, für eure Ideen und Vorschläge. Ja, wir sind bei Elefand registriert und stehen in Kontakt mit der Botschaft in Buenos Aires. Andrea hat uns auch bei rueckholprogramm.de eingetragen, aber wir können dort unsere Daten nicht einsehen oder ändern. Wenn wir uns einloggen, landen wir mal auf einer, mal auf einer anderen Seite. Möglichkeit 1: Gelber Hintergrund, groß stehen in der Mitte die Worte „Where to?“ sowie ganz klein oben rechts der Loginname und die Möglichkeit sich abzumelden und irgendwas von Third Party Access, das nicht funktioniert. Für mich schaut das aus wie ein hängender Programmcode von SAP.
Manchmal landen wir aber auch bei Möglichkeit 2: Leere Eingabefelder, so als ob wir unsere Angaben noch nicht in der Datenbank hinterlegt hätten.
Wenn das hier jemand liest, der davon Ahnung hat, bitte schick mir einen Kommentar.
Wir zögern noch, unsere Daten nochmals einzupflegen, weil wir natürlich Doppelungen vermeiden wollen.

Ihr könnt uns keine Pakete schicken. Die Idee ist lieb gemeint, hat aber leider einen Haken: Momentan fliegt so gut wie nichts. Abgesehen davon sind wir (noch) mit allem Nötigen versorgt.
Manche fragen mich, ob wir nicht langsam heimkommen wollen. Natürlich! An eine Fortführung unserer Weltreise ist nicht zu denken. Ganz Südamerika ist zu, es gibt keine Transportmöglichkeiten, Busse, Flüge… alle Grenzen sind dicht. Wir wollen nur noch raus hier und möglichst nach Hause, bevor hier das komplette Chaos ausbricht. Das argentinische Gesundheitssystem ist definitiv nicht vergleichbar mit dem deutschen oder italienischen. Nicht auszudenken, was hier passiert, wenn die Infektionen derart hochschnellen. Was wir uns wünschen, ist ein Auto oder ein Bus oder am besten ein Inlandsflug, mit dem wir nach Buenos Aires kommen. Von dort starten die Rückholflüge, nicht von hier in Iguazu. Bis in die Hauptstadt sind es gut 1300 km, bei optimistischer Schätzung braucht man für die Strecke mit dem Auto rund 15 bis 20 Stunden. Da hier aber eine strenge Ausgangssperre verhängt wurde, dürfen wir uns erst auf den Weg machen, wenn wir ein gültiges, bestätigtes Rückflugticket vorweisen können und symptomfrei sind. Für den Weg brauchen wir dann einen Passierschein (haben wir bereits) und ein Transportmittel, das uns fehlt. Der erste Rückholflug geht angeblich morgen und ist schon voll mit Familien mit Kindern und älteren Leuten, vor allem Menschen, die bereits in Buenos Aires sitzen. Auf der Internetseite der Botschaft steht, dass mindestens noch ein weiterer Flug geplant ist. Irgendwie müssen wir es bis dahin schaffen. Die deutsche Botschaft warnt ausdrücklich davor, die Ausgangssperre voreilig zu brechen, da harte Sanktionen drohen.

Die Lage ist angespannt, in der Stadt sind immer weniger Leute unterwegs. Unsere Unterkunft liegt an einer Kreuzung. Jedes mal wenn ein Auto stehen bleibt, denken wir: Jetzt holt uns die Polizei. Sicher, das ist paranoid, aber nach dem Vorfall letzte Nacht verständlich. Ich war gestern hier im Viertel einkaufen: Die Läden sind überwiegend geschlossen, bei manchen wird durch ein Türgitter verkauft. Das geht so: Im dunklen Laden sitzt irgend wo ein Mensch, ich kann ihn kaum sehen. Freundlich grüße ich und frage, ob er die Dinge hat, die auf unserer Wunschliste stehen. Die spanischen Wörter für die wichtigsten Nahrungsmittel kenne ich schon. Der Mann sucht die Sachen zusammen, die er da hat und packt alles in ein paar Tüten. Auf Abstand bedacht erfolgt der Austausch von Geldscheinen und Wechselgeld, natürlich kann ich nicht mit der Kreditkarte bezahlen sondern nur bar. Schließlich reicht er mir die Waren durchs Gitter. Gestern habe ich in drei verschiedenen Tante-Emma-Läden das Allernötigste bekommen. Der eine hatte Brot, der andere Äpfel, der dritte Kartoffeln. Heute will ich versuchen, mich bis zum nächsten Supermarkt vorzuwagen. Pia hustet noch immer und geht deshalb nicht raus. Andrea bleibt bei ihr. Auf keinen Fall wollen wir hier auffallen, zu tief sitzt noch der Schrecken.

Nein, wir hamstern nicht. Überhaupt scheinen die Argentinier zwar auch Vorräte anzulegen, aber breit gestreut. Ich frage mich, warum die Deutschen so versessen auf Klopapier sind? Ist das ihre Lieblingsbeschäftigung in der Isolation, aufs Häusl gehen?

Angeschwärzt und rausgeflogen 21.03.

Gestern mussten wir kurz nach 22 Uhr unsere Bleibe verlassen. Wir kommen uns vor wie in einem schlechten Film, es wirkt alles so surreal auf uns. Ein paar kurze Zeilen von Fede, unserem Vermieter, Blitzpacken unserer Siebensachen und eine Viertelstunde später standen wir auf der Straße. Nachbarn in der Wohnanlage hatten sich bei unserem Vermieter beschwert, weil Pia gehustet hat. Sie hat sich beim Wechsel zwischen eiskalter Klimaanlage und schwülheißem Wetter draußen erkältet. Nein, sie hat bestimmt kein Corona, typische Anzeichen wie Fieber fehlen, dafür hat sie Schnupfen, was auch dagegen spricht.

Zum Glück hatte Fede eine andere Unterkunft für uns. Nach langem und bangem Warten kam endlich ein Taxi. Die neue Ferienwohnung ist sogar noch größer, dafür sehr hellhörig. Dank Ausgangssperre fährt nur sehr wenig Verkehr, aber die Mopeds und Lastwagen, die alle paar Minuten vorbeikommen, scheinen direkt durchs Wohnzimmer zu brausen. Der Gasherd funktionierte erstmal nicht und der Kühlschrank fiel auseinander, aber beides habe ich noch in der Nacht repariert, ich habe ja sonst nicht viel zu tun. Diese Nacht habe ich kaum ein Auge zugetan. Die Nachbarschaft ist ärmlicher als die vorherige. Es gibt reichlich Straßenhunde, die ständig im Clinch liegen mit den Wach- und Kettenhunden der Einwohner. Wir bemühen uns, sehr leise zu sein und überhaupt nicht aufzufallen.
Gestern haben wir erfahren, dass nach dem schlimmen Regen das Denguefieber umgeht. Corona ist hier bisher noch nicht, aber Dengue. Diese Erfahrung möchte ich uns unbedingt ersparen.

Viele Menschen leben hier von einem Tag auf den anderen, sie hatten insbesondere in der Rezession der letzten Jahre keine Chance, finanzielle Reserven zu bilden. Wir befürchten, dass Teile der Bevölkerung irgendwann Probleme bekommen, sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Dann wird nicht mehr gehamstert, sondern geplündert.

Es ist schwer, unter den gegebenen Umständen gefasst und ruhig zu bleiben, zumal wir hier sehr wenige Dinge haben, um uns zu beschäftigen. Die Versuchung ist groß, ständig am Handy zu hängen und nach neuen Informationen zu suchen, aber das macht einen auf die Dauer irr.  

Wir haben uns ein Tagesprogramm überlegt, damit wir geistig klar bleiben: Aktuelle Info, Gymnastik, Frühstück, Putzen, Spiele, Spanisch lernen, Geschichten erzählen, nochmal Gymnastik, wieder Info, Kochplan überlegen, Einkaufsliste, Einkaufen (falls möglich, sehr beliebt), wieder Gymnastik, gemeinsam kochen, Essen, nochmal Info.

Wir denken viel an unsere Lieben daheim, Verwandte und Freunde; Menschen, denen es vielleicht noch schlechter geht. Nach der Pandemie wird die Welt nicht mehr dieselbe sein. Wie immer bringt die Krise die besten und die schlechtesten Charakterzüge in den Menschen hervor. Wir haben heute Nacht beides erlebt, aber bestimmt kann da jeder von euch seine eigene Geschichte erzählen in diesen Tagen.

Update 20.03.

Die Aussetzung des öffentlichen Verkehrswesens (Busse, Flüge) in Argentinien wurde heute bis 31. März verlängert. Unser Flug in die Hauptstadt, den wir gestern buchen konnten, ist annulliert.

Mein Eindruck ist, dass die meisten Länder Südamerikas (außer Brasilien) früher und entschlossener reagiert haben als Europa. Das ist auch gut so. Ich wage nicht mir vorzustellen, was hier passiert, wenn eine Infektionswelle wie in Italien losbricht. Intensivmedizin und Beatmungsbetten gibt es sicher nicht so viele wie dort.

Das Dekret der Regierung spricht von einer sozialen, präventiven und obligatorischen Isolation der gesamten Bevölkerung. Auch Autofahren ist nur Personen erlaubt, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung systemwichtige Aufgaben (Produktion, Ver- und Entsorgung, Gesundheitsdienste) erledigen müssen. Also hat es auch keinen Sinn, zu astronomischen Preisen ein Auto zu mieten, um sich nach Buenos Aires durchzuschlagen.

Die Geschäfte bleiben geschlossen, Lebensmittelläden und Apotheken haben stundenweise offen und dürfen nur von Einzelpersonen betreten werden. Von anderen gestrandeten Reisenden haben wir erfahren, dass Polizeiteams unterwegs sind, die Personalien von Ausländern aufnehmen beziehungsweise Pässe sehen wollen. Praktisch befinden wir uns bereits seit drei Tagen in einer selbst auferlegten Quarantäne. Wir sitzen in unserem Zimmer und verbringen die Zeit mit Recherche zur Situation, Gymnastik, Spielen, Spanischlernen und kümmerlichen Kochversuchen.

Unsere Möglichkeit, frisches Essen zu lagern ist sehr beschränkt, immerhin haben wir einen Minikühlschrank. Der Strom läuft jetzt wieder seit gestern ohne Unterbrechung. Wir haben Wasser, einen Topf und eine Kochplatte. Mein Datenvolumen ist jetzt noch 3.25 GB.

Update 19.03.

Danke an alle, die sich um uns sorgen und bemühen. Auch wir denken an euch. Wie gesagt, hier geht nichts mehr. Wir kommen momentan nicht mehr aus Iguacu raus. Die Grenze nach Brasilien ist geschlossen und es gibt bis auf weiteres keine Busse oder Flugzeuge für uns. Wir haben gerade den ersten möglichen Flug nach der Quarantänefrist für nächsten Donnerstag nach Buenos Aires gebucht und hoffen, dass dieser auch stattfindet.

Der Vermieter hat uns zugesichert, dass wir das Apartment für eine Woche haben können. Die Menschen hamstern hier genauso wie in Europa. Die Polizei fährt mit Lautspecherwägen durch die Straßen und fordert die Leute auf, nach Hause zu gehen. Überall sieht man bewaffnete Patrouillen mit schusssicheren Westen. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, Lebensmittelläden haben stundenweise auf und dürfen nur von Einzelpersonen betreten werden. Vor den Läden stehen lange Schlangen.

Der gestrige stundenlange Wolkenbruch lässt mich befürchten, dass jetzt bald die Regenzeit beginnt. Solch einen extremen Starkregen habe ich noch nicht erlebt. Binnen Sekunden stand das Wasser auf der Straße hüfttief! Der Strom war stundenlang ausgefallen, zum Glück gibt es jetzt wieder Strom.

Wir können unter diesen Umständen selbstverständlich unsere Reise nicht fortsetzen, stecken andererseits hier fest. Die Nachrichtenlage ist unklar, aber sicher ist, dass in Argentinien eine landesweite Quarantäne ausgerufen wurde. Über eine Ausgangssperre wird schon gesprochen.

Da wir hier festsitzen, bleibt uns nichts als abzuwarten und zu hoffen, dass die Behörden uns nicht trennen. Bisher sind alle Menschen freundlich zu uns. Einige Freunde haben vorgeschlagen, sich für uns bei Abgeordneten zu verwenden. Danke für euere Idee und Bereitschaft. Ich habe das jedoch bisher abgelehnt. Ich schätze, die Krisenteams sind froh, wenn sie ihre Arbeit tun können und nicht von Politikern behelligt werden. Wir sind in der Krisenliste „Elefand“ und im „rueckholprogramm.de“ eingetragen. Soweit Strom, Akku und mobiles Datenvolumen reichen, verfolgen wir die Meldungen auf den Seiten des Auswärtigen Amtes und der deutschen Botschaft in Buenos Aires, mit der wir auch per Email in Kontakt stehen.