Santiago de Chile

30.01.2020, über dem Pazifik südlich der Osterinsel

So einen Flug habe ich noch nicht erlebt. Abgeflogen sind wir um 6.00 Uhr morgens in Auckland, auf unserem Zwischenstopp in Sydney landeten wir etwa zwei Stunden später, aber in Sydney war es wiederum erst 6.00 Uhr und es wurde gerade Tag. Um 10.00 Sydneyzeit sind wir gestartet Richtung Osten, nach Santiago. Dabei sind wir quasi mit der Dämmerung mitgeflogen, draußen war stundenlang Zwielicht, dann Nacht. Jetzt ist es stockfinster, für mein Gefühl Abend, Ortszeit schätzungsweise Mitternacht. Aber jetzt kommts: Nachdem wir auf dem Flug einen Zeitunterschied von zehn Stunden und gleichzeitig die Datumsgrenze überschreiten, werden wir in Santiago etwa drei Stunden nach unserem Abflug in Auckland ankommen. Und das, obwohl wir den gesamten Pazifik überquert plus die Distanz Neuseeland – Australien überwunden haben. Der Service an Bord ist auch nachtschwarz. Nachdem es in den bisher neun Stunden Flug nur eine Semmel und ein Muffin gegeben hat, von Kaffee ganz zu schweigen, haben ein paar Passagiere die Küche gestürmt. Wir konnten uns eben noch die Reste einer Weinflasche sichern, bevor die Stewardessen den Raum wieder zurück erobert haben. Zu essen oder trinken gibt es nach wie vor nur im Selbstbedienungsmodus. Soll uns das auf Chile einstimmen?

Schließlich gab es doch noch etwas, kurz nach Sonnenaufgang erhielten wir wahlweise Schlabbergnocchi (die ich selbst beim Lieblingsitaliener hasse) oder Lamm mit Süßkartoffeln (mit allen verfügbaren Gewürzen bestreut durchaus essbar). Halb in Trance erleben wir die ruppige Landung und die lässigen Einreiseformalitäten. Natürlich nehmen wir trotz bleischwerer Müdigkeit kein Taxi, sondern den Klapperbus, wie die Einheimischen. Es stellt sich heraus, dass wir umsteigen müssen: Abenteuer Metro für zwei schlaflose Zombies! Aber alles halb so schlimm, es ist hier nicht viel anders als in allen anderen Städten, Weg checken, Chipkarte erwerben/aufladen, ab durchs Drehkreuz und rein ins Getümmel. Nette Leute weisen uns den Weg und manche sprechen derart langsam und deutlich, dass sogar ich es verstehen kann, obwohl meine Spanischkenntnisse extrem rudimentär sind. Genauer gesagt sind diese nicht vorhanden, nur habe ich damals im Urschleim noch zusammen mit den anderen Dinosauriern meiner Generation Latein gelernt. Es geht nichts über eine humanistische Grundbildung!

Über Chile: Wen es nicht interessiert, möge die die folgenden Absätze überspringen, ich habe sie nur für alle anderen aus Wikipedia und unserem Reiseführer zusammengeschnippelt.

Chile, „das langgestreckte Land“ hat eine Nord-Süd-Ausdehnung von rund 4275 Kilometern. In west-östlicher Richtung ist das Land nur durchschnittlich etwa 180 Kilometer breit. Die Längenausdehnung Chiles entspricht auf Europa und Afrika übertragen in etwa der Entfernung zwischen Dänemarks und der Sahara. Das Wort chilli bedeutet in der Sprache der Aymara „Land, wo die Welt zu Ende ist“.

Der moderne souveräne Staat Chile gehört zu den wirtschaftlich und sozial stabilsten und wohlhabendsten Ländern Südamerikas mit einer einkommensstarken Wirtschaft und einem hohen Lebensstandard. Es führt die lateinamerikanischen Nationen in Bezug auf menschliche Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit, Pro-Kopf-Einkommen, Globalisierung, Friedenszustand, wirtschaftliche Freiheit und geringes Korruptionsempfinden an. Nach Einschätzung der Weltbank ist Chile ein Schwellenland mit einem Nettonationaleinkommen im oberen Mittelfeld. Das Land ist relativ sicher, es weist nach Kanada die niedrigste Mordrate in Amerika auf.

Chile ist durch die globale Erwärmung ernsthaft gefährdet und hat seit Anfang der 90er Jahre mindestens 37 % seiner Wasserressourcen verloren. Chiles Geografie ist stark durch Gebirge und Vulkane geprägt: Im Osten die über 6000 Meter hohen Anden, im Westen die Küstenkordilliere, dazwischen das fruchtbare Valle Central. Der höchste Berg Chiles, der Ojos del Salado (6893 m), ist zugleich der höchste Vulkan der Welt. Im Norden des Landes („großer Norden“, Norte Grande) liegt die Atacamawüste, eine der trockensten Wüsten der Erde. Die Mitte des Landes um die Hauptstadt Santiago herum ist sehr fruchtbar und daher ein Zentrum der Landwirtschaft sowie auch der Industrie. Am dichtesten besiedelt ist der Großraum Región Metropolitana de Santiago, wo etwa die Hälfte der chilenischen Einwohner lebt. Die Stadt selbst hat etwa 5,5 Millionen Einwohner; sie beherbergt also in etwa ein Drittel aller Einwohner Chiles. Das sehr dünn besiedelte Südchile (genannt „großer Süden, Sur Grande“) ist eine äußerst niederschlagsreiche Region. Die Küste ist durch eine Vielzahl vorgelagerter Inseln stark zerklüftet. Südlich des Festlands befindet sich die Insel Feuerland, die sich Chile mit dem Nachbarland Argentinien teilt. Auf der Feuerland vorgelagerten Insel Isla Hornos befindet sich Kap Hoorn, der südlichste Punkt Chiles und Südamerikas.

Während der Kolonialzeit wurde Chile durch spanische Einwanderer besiedelt. Im 19. Jahrhundert wanderten besonders viele englische und irische sowie deutsche Siedler ein. Nennenswerte Zahlen von Einwanderern kamen außerdem aus Frankreich, Italien, Kroatien und in jüngerer Zeit aus Palästina bzw. dem Nahen Osten. Die ersten Deutschen trafen 1843 ein und siedelten sich später vor allem im Gebiet um den Llanquihue-See und in Valdivia, Osorno sowie Puerto Montt an. Noch heute wird die deutsche Sprache von bis zu 35.000 Einwohnern verwendet, deren Zahl allerdings stetig abnimmt. Menschenrechtsorganisationen bemängeln bis heute den schlechten Umgang mit den wenigen verbliebenen Ureinwohnern, vor allem den Mapuche, insbesondere in Bezug auf Landstreitigkeiten.

Allende und Pinochet

Im Jahre 1970 gewann Salvador Allende die Präsidentschaftswahlen für das linke Wahlbündnis Unidad Popular. Er verstaatlichte in der Folge die wichtigsten Wirtschaftszweige (Bankwesen, Landwirtschaft, Kupferminen, Industrie, Kommunikation) und geriet dadurch in wachsende Konflikte mit der Opposition – obwohl die Verstaatlichungen von der Verfassung gedeckt waren. Zudem stieß der Wahlsieg Allendes in den USA auf heftigen Widerstand. Obwohl Allende weder Marxist noch Anhänger eines Einparteienstaates war, verhängten die USA Sanktionen; der CIA unterstützte Attentate und Putschversuche. 1973 kam es schließlich zu einem erfolgreichen blutigen Militärputsch gegen die Regierung. Präsident Allende beging Selbstmord. Hunderte seiner Anhänger kamen in diesen Tagen ums Leben, Tausende wurden inhaftiert. Sämtliche staatlichen Institutionen in ganz Chile wurden binnen Stunden vom Militär besetzt. Die Macht übernahm als Präsident einer Junta General Augusto Pinochet. Überall im Lande errichtete das Militär in der Folgezeit Geheimgefängnisse, wo Oppositionelle und deren Sympathisanten nicht selten zu Tode gefoltert wurden. Tausende Chilenen gingen wegen der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen ins Exil.

Kurz nach der Machtübernahme Pinochets begannen die USA und die westeuropäischen Staaten, Chile wieder intensiv mit Wirtschaftshilfe zu unterstützen. Die Militärregierung machte die Verstaatlichungen Allendes mit Ausnahme der Kupferminen rückgängig, führte radikale Wirtschaftsreformen durch und schaffte die Gewerkschaftsrechte ab.

In Deutschland erhielt die Regierung Pinochets lange Zeit Unterstützung aus den Reihen der Union, vor allem der CSU. So lobte Franz Josef Strauß 1977 bei seinem Besuch den Umsturz als „gewaltigen Schlag gegen den internationalen Kommunismus“. Es sei „Unsinn, davon zu reden, daß in Chile gemordet und gefoltert würde“. Später änderte sich die Sichtweise, in den achtziger Jahren wurde auch in der CDU die Kritik an den Menschenrechtsverletzungen des Regimes deutlicher. In diese Zeit fällt auch der Chilebesuch von Norbert Blüm, bei dem dieser Pinochet im direkten Gespräch damit konfrontierte.

Insbesondere in der Colonia Dignidad, einer streng bewachten Siedlung von Auslandsdeutschen unter Führung von Paul Schäfer, wurde gefoltert. Die Sekte war etwa zehn Jahre vor der Machtübernahme Pinochets gegründet worden und diente während der Militärherrschaft als Folterzentrum für die chilenischen Geheimdienste. Darüber entwickelte sich die Colonia zu einem florierenden Konzern, der unter anderem Titan nach Deutschland exportierte. Trotz Hinweisen, gerichtlichen Anklagen und Fluchtversuchen deutscher Bürger übte die deutsche Botschaft in Chile „äußerste Zurückhaltung“ und blieb untätig, mehr noch, sie ließ Handwerker der Siedlung die Botschafterresidenz renovieren.

1988 wurde eine Volksabstimmung abgehalten, bei der sich eine Mehrheit (55 %) gegen eine weitere Amtszeit Pinochets aussprach. 1989 fanden die ersten freien Wahlen nach 15-jähriger Diktatur statt, seither hatten mehrere sozialistische, aber auch rechtskonservative Präsidenten die Macht inne. Die außenpolitischen Beziehungen zu den USA, der Europäischen Union und vor allem auch zu Deutschland sind nach wie vor traditionell gut. Komittees zur Wahrheitsfindung sind bis heute damit beschäftigt, die Verbrechen der Militärdiktatur aufzuklären, Pinochet selbst ist 2006 verstorben, ohne je verurteilt worden zu sein.

Vor wenigen Wochen erschütterten schwere landesweite Unruhen den scheinbar friedlichen Staat: Die Menschen protestierten gegen die ungerechte Verteilung des Reichtums, Anlass war eine Fahrpreiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr. Wegen der anhaltenden Proteste sagte die Regierung die UN-Klimakonferenz ab, die geplant im Dezember 2019 in Santiago de Chile abgehalten werden sollte.

Angekommen in Santiago

Unser Hostel erweist sich als Glücksgriff, ein schönes Haus von 1900 voller netter Leute. Und ein zurückgelassener Chile-Reiseführer in Buchform wartet auch schon im Tauschregal auf uns! Am liebsten würden wir unseren stattdessen reinstellen, geht aber nicht. Ist ja ein Download auf dem Ereader. Nie wieder würde ich einen Reiseführer fürs Ebook kaufen, völlig unbrauchbar. Wir duschen und schlafen ein paar Stunden unseres Jetlags weg. Danach fühlen wir uns fit genug für einen Spaziergang in die City und haben unsere erste Begegnung mit der chilenischen Küche. Die Stadt fühlt sich freundlich, lebhaft und recht schwungvoll an, wenn auch viele verlassene und verfallene Gebäude mitten in der Innenstadt derzeit nur den einen Daseinszweck als Streetart-Träger haben. Ein paar mit Brettern vernagelte Schaufenster und mehrere gepanzerte, vergitterte schwarze Polizeibusse, verbeult und von Farbbomben verkleckst sind am Straßenrand zu sehen. Ein Supermarkt im Zentrum ist mit Stahlplatten verbarrikadiert, es bleibt nur eine schwere Eisentür zu den Verlockungen des Konsums.

Offenbar sind dies Überbleibsel der Unruhen vor zwei Monaten. Jedenfalls scheint uns die Stadt lässig – liberal. Wir sehen in einer Stunde mindestens vier Paradiesvögel: Bunte Schwule und Diverse. Ein Transgender berät uns bezüglich unserer SIMkarten für die Handys.

01.02.2020 Santiago de Chile

Und die beschäftigen uns dann auch fast den ganzen Tag lang immer wieder. Gut, dass wir inzwischen einigermaßen relaxed sind und nichts auf Teufel-komm-raus erzwingen. So genießen wir die angenehme Atmosphäre der Stadt, schlendern über die geschäftigen Straßen voller Händler und Geschäfte, sitzen gemütlich in den einladenden Straßenlokalen, von wo man dem Trubel sehr gelassen zusehen kann. Es gibt hier übrigens hervorragenden Wein zu sehr verführerischen Preisen. Mit dem Problem „online-Status-herstellen“ beschäftigen wir uns zwischen unseren Besuchen im Stadtzentrum, beim Zentralmarkt und beim Museo de la Solidaridad Salvador Allende. Am Plaza de Armas schauen wir den alten Herren beim Schachspiel und den jungen Frauen beim Balzen zu. Letztere tragen ihre weiblichen Rundungen sehr freizügig zur Schau, überwiegend sehr gut bestückt, aber knapp bedeckt. Hautenge kurze Hosen oder Minis zu knappsten Oberteilen – und das obwohl die heiligste Kathedrale de la Serena in Steinwurfweite liegt. Doch damit nicht genug: Selbst im Inneren der Kathedrale sieht man die Entblößten, wie sie sich Weihwasser auf die Stirne tupfen! Hier hat der Katholizismus seine stärksten Bastionen und blüht gleichzeitig hoffnungserweckend. Santa virgen Maria, redimirnos!

Letzte Etappen in NZ

26.01.2020 Odyssee und miese Höhle

Ein langes Wochenende steht an! Montag ist Feiertag und jeder hat frei. Entsprechend geht es auf den Straßen, an den Stränden, eigentlich überall rund. Wir wollen die Waipu Höhle besichtigen und nehmen dafür sogar eine 19 Kilometer lange Schotterstraße durch die Berge auf uns. Der Parkplatz an der Höhle ist dann genauso enttäuschend wie die Toilette – alles voll. Die Höhle macht auch keinen Spaß, denn auch sie ist voll. Wir treten den Rückzug an und versuchen unser Glück an den verschiedenen Stränden in der Nähe. Aber es ist überall das gleiche: Menschen, Autos, Boote… kein Platz. Letztlich fliehen wir in die Berge und stellen uns auf einen kleinen Eco Retreat mitten im Nirgendwo. Hier weht wenigstens ein leichter Wind. Barry und seine Frau haben sich für den Ruhestand ein großes Stück Land nahe am Bald Rock gekauft uns verwandeln das ehemalige Farmgelände Stück für Stück in eine Mischung aus Farmstay und Campingplatz. Sie vermieten auch kleine Wohnwürfel und Bauwagen, Dusche und Strom sind solarbetrieben. Wir genießen noch einmal die Ruhe und campen weitab von allen anderen ganz allein im Wald auf einem Berg: Die Sonne geht hier nur für uns unter und die Sterne leuchten exklusiv!

Der Zufall schickt uns durch dichten Rückreiseverkehr zur Stillwater Reserve, einem in die Jahre gekommenen großen Campground neben einer kleinen Flussmündung an der Hibiscus Coast. Im Brackwasser des Flusses kann man baden, doch wir sind die einzigen, die es wirklich tun. Wir sollen aufpassen, dass wir auf keine Stachelrochen treten, rät uns ein älterer Herr. Überhaupt ist dieser Platz voller Kiwi-Dauerbewohner, außer uns gibt es keine ausländischen Tagesgäste. Der volltätowierte Nachbar grüßt nicht nur sehr freundlich, er bewohnt ein Mega-Wohnmobil. Der alte Linienbus ist sicher 15 Meter lang und verfügt über Holzofen, ein Riesenvorzelt und einen Werkzeugschuppen. Ich spreche ihn darauf an: Er sei ja scheinbar ziemlich gut ausgerüstet, ob er nicht vielleicht eine Ratsche mit 14er Nuss und Verlängerung für mich hätte? Ja klar, er ist gern behilflich. Eine halbe Stunde später habe ich den Beifahrersitz aus- und wieder eingebaut. Andreas verschwundener Ohrring ist wieder da!

Wie bringt man den Inhalt eines Wohnmobils in zwei Rucksäcke? Als die Sonne schwächer und es halbwegs erträglich wird, beginnen wir den Bus komplett auszuräumen. Sogar die verloren geglaubte Stirnlampe taucht wieder auf! Zwei Monate haben wir nun in unserem Toyota Hiace gewohnt, aber in jeder einzelnen Ritze und in jedem hinterletzten Winkel ist irgendein wichtiges Teil für eine Weile abgetaucht. Wir waschen ein letztes Mal in Neuseeland eine Maschine Wäsche und verabschieden uns von dem ein oder anderen Kleidungsstück, das allzu löchrig oder fleckig geworden ist.

Am nächsten Morgen treten wir die letzte Etappe nach Auckland an. Durch das vorangegangene lange Wochenende sind nach wie vor alle Straßen verstopft. Sobald wir den State Highway 1 erreichen, geht so gut wie gar nichts mehr. Für die gut 30 Kilometer brauchen wir fast zwei Stunden. Die Jucy-Zentrale Auckland liegt am internationalen Airport. Mit ein wenig Wehgefühl geben wir das Auto ab: 7148 Kilometer hat das treue Gefährt uns durch Neuseeland getragen. Unser indischer Transfer-Taxler bringt uns sofort wieder in eine andere Dimension des Reisens! Die letzten Monate hatten wir ja stets unser eigenes Schneckenhaus dabei, das ist jetzt vorbei. Der hyperaktive Inder versichert uns auf den zehn Minuten Fahrt bestimmt 20 Mal, dass wir bei ihm in den besten Händen seien und er uns direkt an der Haltestelle für den Citybus absetzen würde. Den Rest kann man nicht verstehen, denn sein Englisch ist ziemlich schlecht.

Wir entscheiden uns für ein Returnticket, denn übermorgen müssen wir ganz zeitig wieder am Flughafen sein. Günstiger als mit dem Skybus kommt man nicht zum Flughafen. S-Bahn oder sonstige öffentliche Verkehrsmittel außer ein paar Bussen gibt es nicht. Entsprechend chaotisch sind die Straßenverhältnisse. In Auckland wohnen etwa 1,5 Millionen Menschen, in ganz Neuseeland vier! Die Stadt wächst überproportional und die Infratruktur kommt nicht mit. 40% der Einwohner sind keine gebürtigen Kiwis, sondern Einwanderer, vor allem aus Asien. In der City angekommen stellen wir das Gepäck im Jucy-Hostel ab und machen uns zu Fuß auf eine kleine Erkundungstour durch den Hafen. Die Luxusyachten im Hafen sind teilweise drei- bis fünfmal so groß wie die Wohnmobile und Tinyhäuser, die wir so auf den Campgrounds hier gesehen haben. Meist wohnten da Rentner drin, die ihr festes Haus aus Kostengründen aufgegeben hatten und ganz ins Mobilheim gezogen sind. Was wohl so ein Liegeplatz in der ersten Reihe kostet?

Strandleben und Poor Knights

Die Strände hier sind gigantisch: Schön und riesenhaft. Locker 200 Meter zwischen Dünen und Brandungszone. Die Wellen sind so mächtig, wir trauen uns nur dort ins Wasser, wo ein Rettungsschwimmer Wache hält. Meist ist es ein kleiner Bereich, den die gelb-rot gekleideten Lebensretter mit Fahnen markiert haben. Sie haben einen kleinen Beachbuggy, ein Motorboot und ein paar Bojen und Leinen dabei.

Mit der Brandung und vor allem mit der Strömung ist nicht zu spaßen! Ein paar Mal reißt es mich derart gewaltig von den Füßen, dass ich momentan nicht mehr weiß, wo oben und wo unten ist. Zum Glück habe ich dabei keinen Schürfkontakt zum Sandboden – das kann blutig ausgehen. Heute verbringen wir die Nacht in Tutukaka, benahe so schön wie im Takatukaland. Morgen wollen wir auf den Poor Knights tauchen gehen!

Die zwei Tauchgänge sind kein billiger Spaß, 319NZ$ pro Nase. Dafür sehen wir einen der besten Tauchplätze weltweit! Schon auf der 45minütigen Überfahrt sehen wir eine Gruppe riesiger Tümmler: Ein Anblick, der verzaubert. James Cook kam hier 1769 vorbei und entdeckte die Poor Knight Inseln, kartografierte und benannte sie. Angeblich erinnerte ihn die Silhouette an einen gefallenen Krieger auf dem Schlachtfeld, bedeckt von seinem Schild – zu arm für ein Begräbnis.

Ursprünglich war hier ein riesiger Vulkan mit 24 Kilometer Durchmesser, doch das ist schon 150 Millionen Jahre her. Die Fauna ist fantastisch. Schon vom Boot aus sehen wir riesige Schwärme blauer Maomaos im glasklaren Wasser. Unter Wasser begegnen uns nicht nur nicht enden wollende Schwärme von Demoiselles, neugierige Zackenbarsche, gähnende Muränen, schlafende Papageifische, wunderhübsche Nacktschnecken und vieles mehr. Das Tauchen im Kelp ist eine ganz andere Sache als alles, was wir bisher erlebt haben. Die riesigen Wasserpflanzen sind mit stabilen tentakelartigen Greifwurzeln auf den Felsen verankert. Die Stängel sind derb und extrem stabil – das müssen sie auch sein, um Brandung und Stürmen zu trotzen. Wenn unter dir beim Tauchen ganze Felder von Blättern in der Dünung schwanken, kann es dir leicht übel werden. Trotzdem ist es ein wunderbarer Anblick. Unser Skipper erzählt uns in der Oberflächenpause zwischen den beiden Tauchgängen von dem Stamm, der einst hier lebte. Da einst Cook auf den Inseln Schweine aussetzte, gab es hier jagbares Wild, während auf dem Festland seit der Ausrottung der Moas die einzigen größeren Tiere Ratten und Fledermäuse waren. Der Stammeshäuptling der ansässigen Maori war recht geschäftstüchtig und verkaufte das Schweinefleisch gewinnbringend an die Stämme am Festland. Eines Tages beschloss einer der Häuptlinge an der Westküste, dass diese Schweine eine große Bereicherung für seine Speisekarte wäre und er gern selber welche haben wollte. Also durchwanderte er mit seinen Leuten das ganze Land, baute sich an der Küste ein Kanu, ruderte hinüber zu den Poor Knight Inseln und fragte nach lebendigen Schweinen. Der Inselhäuptling aber wollte keineswegs sein Monopol aufgeben und sagte nein. Unverrichteter Dinge zog der Mann heimwärts, übel grollend und tief in seinem Stolz verletzt. 14 Jahre später kam er zurück, um sich zu rächen. Nunmehr mit Feuerwaffen ausgerüstet, die er von den weißen Siedlern eingetauscht hatte, setzte er abermals über und richtete ein Massaker an unter den Inselbewohnern. Kaum jemand überlebte, seither sind die Felsen tabu, ein Ort, wo man nicht hingehen darf. Die Natur ist dankbar! Hier gibt es halbmeterlange Skolopender, 120 Jahre alte Flaxschnecken und über handtellergroße Riesen-Weta, eine Art Grille oder Schabe.

25.01.2020 Sandy Beach, Whangaumu Beach, Wellington Bay

Gestern noch haben wir neben der Maorifamilie am Sandy Beach gecampt und Seeigel (urchins) zu essen bekommen. Man bricht sie mit zwei Löffeln auf und isst sie lebendig. Uns genügt ein kleiner Probierhappen, die Dinger sind schlabbrig und schmecken extrem salzig. Mit unserer Parkplatznachbarin und ihrer kleinen Tochter frühstücken wir am anderen Morgen. Die beiden leben in diesem Auto, nur im Winter ziehen sie zu Verwandten in ein richtiges Haus. Aber ganz glücklich scheint uns die Frau nicht. Ihr Partner und Vater des Kindes stammt von einer Südseeinsel und ist viel unterwegs. Seine Leute wohnen in der Nähe, aber es ist nicht einfach mit ihnen zusammenzuleben. Immer, wenn sie sich durch ihren Jadeschmuck etwas erarbeitet oder gekauft hat, kommt jemand aus dem Clan, findet es schön oder praktisch und nimmt es sich. Das sei ganz normal, so leben die eben, meint sie. Aber sie hat sich noch nicht so ganz daran gewöhnt.

Wir genießen die letzten Tage unseres Vagabundenlebens, besuchen keinerlei Sehenswürdigkeiten, sondern suchen uns ein weiteres schönes Strandplätzchen. Länger als eine Nacht dürfen wir nicht auf einem Parkplatz bleiben, allabendlich kommen die Ranger zur Kontrolle. Wenigstens sind sie freundlich, solange alles passt: Self-contained muss das Auto sein und natürlich muss man seinen Müll wieder mitnehmen.

Blaue Quellen, Hobbingen und Glühwürmchen

Blue Springs, Hobbiton, McLaren Falls

Unser Maoriwirt in Putaruru hat noch einen Tipp für uns: Die Blue Springs des Waihou River sind die Quellen, wo ein Großteil des Mineralwassers in Neuseeland abgefüllt wird. Das Wasser braucht 50 bis 100 Jahre, um einen Gebirgsstock zu durchdringen. Wenn es dann wieder zu Tage tritt, ist es unglaublich klar. Mich erinnert es an den grünen See in der Steiermark, nur dass hier der Grund des Gewässers grün bewachsen ist und die langen Wasserpflanzen wunderbar in der Strömung hin und her treiben.

An der Little Waipo Reserve verbringen wir einen geruhsamen Nachmittag, bis wir uns zu unserem Termin in Hobbingen aufmachen. Wir haben eine Tour über den Movieset gebucht und sind gespannt auf das Auenland. Leider sind wir nicht die einzigen, die diese Idee hatten. Am „Shire“ angekommen, einem riesigen Parkplatz mit Touristenverteilerstation, Café und Andenkenladen werden wir unserer Gruppe zugeteilt und dürfen mit 40 anderen Besuchern einen Reisebus besteigen. Unsere Führerin ist sehr nett, aber die Taktung, mit der man hier durchgeschleust wird, ist extrem eng. Das Auenland ist schön, fast größer, als ich es mir vorgestellt hatte. So dauert die Tour inklusive Bierverkostung im Hobbitwirtshaus knapp zwei Stunden.

Am Campingplatz McLaren Falls schlägt dann wieder die Natur zurück: Extrem distanzlose Gänse, Enten und Schafe begutachten sehr interessiert unsere abendliche Nahrungszubereitung. Ständig zwicken mich die Tiere in die Wadeln. Trotzdem bekommen sie nichts ab. Spaghetti mit Thunfischsoße sind erstens nichts für sie, zweitens haben wir selbst so viel Hunger, dass wir nichts entbehren können. Der Wald mit den Glühwürmchen ist unbeschreiblich! Wir wandern in der späten Dämmerung ein kurzes Stück durch den nächtlichen Naturpark zu einer engen Schlucht. Seitlich des Baches, den wir kaum sehen, eher erahnen, blinken die ersten Lichter. Ein paar Meter weiter tasten wir uns in die Dunkelheit: Es werden immer mehr Lichtpunkte. Stellenweise sind die kleinen Glühwürmchen so zahlreich, dass sie den Pfad matt erleuchten. In großen Kolonien sitzen sie auf der Unterseite der Böschung, manchmal in Kniehöhe, manchmal auch hoch über unseren Köpfen. Die Stimmung ist wie in einem Zauberwald: Wir hören ein paar späte Vogelstimmen und das Gurgeln des Wassers, sind umgeben von der unwirklich blaugrünen Beleuchtung tausender glühender Lichtpünktchen und über uns sehen wir durch die Baumkronen einen kleinen Ausschnitt der Milchstraße. Wer würde da nicht ins Schwärmen kommen?

Rotorua und Rafting

Te Pua ist ein Erlebnispark der besonderen Art: Auf dem weitläufigen Gelände gibt es viele Fumarolen, also Löcher in der Erdkruste, aus denen Dampf aufsteigt. Darüber hinaus kocht in einigen Kuhlen blubbernder Schlamm. Es gibt ein Nachthaus mit Kiwis sowie einen riesigen Geysir, der beinahe pünktlich jede Stunde eine 30 Meter hohe Dampf- und Wasserfontäne ausspeit. Ausstellungen und Darbietungen zur Kultur der Maori komplettieren das Angebot.

Rotorua dagegen finde ich schrecklich, weil voller Touris. Es sind so viele Menschen hier, dass wir keinen Platz auf einem Camperer ergattern können. Dabei wollten wir unbedingt duschen! Also fahren wir zurück zum Okere Wasserfall und baden uns dort im Fluss – statt duschen, aber natürlich ohne Seife. Die Nacht bleiben wir auf dem freeCamping Parkplatz.  Mit Giada und Ettore, unseren italienischen Nachbarn unterhalten wir uns noch sehr gut und lange.

Der weltweit höchste Wasserfall, der von kommerziellen Raftingtouranbietern befahren wird, ist der sieben Meter hohe Okere Fall. Der glasklare Fluss Kaituna schlängelt sich hier durch schroffe Felsen. Gestern Abend hatten wir noch beobachtet, wie ein paar Rafts den Wasserfall herabgestürzt sind, heute sind wir mit dabei. Eine Riesengaudi! Sechs Leute, ein Guide und ein Gummiboot, das sind die Zutaten. Vierzehn Wasserfälle und zahllose Stromschnellen durchfahren wir in einer guten Stunde.

Schwefeldampf und Hippie-Moki

Lisa ist 58. Vor acht Jahren hat sie sich ihr Moki, das traditionelle Gesichtstattoo stechen lassen. Eigentlich, finden wir, sieht sie gar nicht so Maori-like aus, aber die Oma und die Uroma waren Maorifrauen. Ich frage sie, ob das nicht wahnsinnig weh getan hat: Ihr ganzes Kinn und die Unterlippe sind mit geschwungenen, schwarz ausgefüllten dicken Linien bedeckt. Die Oberlippe ist komplett gefärbt. Darüber hinaus trägt sie ein Emblem in der Mitte der Stirn und weitere Tattoos auf Hals, Händen und Oberarmen. Ja, sagt sie, der Schmerz sei fast unerträglich gewesen, besonders an den Lippen. Aber sie fand es einfach wichtig, zu den Traditionen und der Kultur ihrer Ahninnen zu stehen. Sie führt die Awhi Farm, ein Zentrum für nachhaltiges Leben. Wir haben die Gelegenheit, hier zu übernachten und genießen die positive Atmosphäre des Ortes. Nachhaltigkeit praktiziert Lisa hier schon seit rund zehn Jahren: Solarduschen, ökologischer Gemüseanbau, Komposttoiletten und Unabhängigkeit vom Stromnetz gehören dazu. Das Ganze wird durch junges WooF-Personal (Working on organic Farms) aus aller Herren Länder unterstützt. Eine wilde kleine Kommune, die versucht ein bisschen Etwas zur Rettung des Planeten beizutragen. Wir freunden uns mit Honey, der Farmhündin und Künney, der Haussau an. Beide wohnen ganz dicht neben der Küche, eigentlich schon fast in der Küche, denn da fallen wohl die besten Leckerbissen ab. Alle Facilities sind in kleinen offenen Hütten untergebracht, die sehr fantasievoll ausgebaut und angemalt sind. Ein wunderbarer Platz!

Taupo sticht dagegen total durchgestylt und tourimäßig ab. Alles ist voll mit Motorbooten, Campervans und Heerscharen von Menschen. Die Stadt ist voll auf Fremdenverkehr eingestellt. Überall geht es rund, die Straßen sind voller Autos, die Gehsteige voller Menschen. Mir wird schon ganz anders. Endlich finden wir das i-Site, eine Art Tourismusbüro. Ich bin enttäuscht, als die Dame am Empfang  es ablehnt, unser Tablet zu laden. Nach zwei Tagen im Outback sind die Akkus erschöpft – eigentlich hatte ich auf mehr Freundlichkeit gehofft. Aber der Tourismus ist inzwischen eine respektable Geldquelle für Neuseeland geworden, und so lässt man eben nichts aus. Ich könne das Gerät schon hier laden, aber dafür müsste ich dann soundsoviel bezahlen. Ich lehne dankend ab und verlasse den Ort des Grauens. So lange, wie das Laden dauert, kann ich es hier nicht aushalten.

Ein kurzer Abstecher zum Huka-Fall bestätigt mir dieses Gefühl: Auf der kleinen Brücke über den Wasserfällen drängeln sich etwa 30 Personen,  meine Laune rauscht schneller talwärts als das Wasser hier. Wir fliehen Richtung Nordost in die Nähe der Thermalquellen und der seismisch aktiven Zone von Rotorua. Ein kurzer Besuch bei den „Craters of the Moon“ stimmt uns ein: Hier gibt es Fumarolen und kleine kochende Schlammtümpel zu sehen. Über der gesamten Gegend liegt ein dezenter Duft von fauligen Eiern – Schwefeldampf.

Abgesehen davon nimmt die allgemeine Verlotterung nun wirklich drastische Formen an. Statt zu duschen, gehen wir kurz in einem eiskalten See schwimmen – das ist ja noch akzeptabel. Socken in Sandalen sind zugegebenermaßen stiltechnisch inakzeptabel, kältebedingt jedoch normal. Die Steigerung: lange Hosenbeine in den Socken (die in Sandalen stehen) – ein ModeGAU, aber: Wenn doch die Sandfliegen jeden unbedeckten Millimeter Haut gnadenlos attackieren! Der Superlativ: All die vorher genannten Verfehlungen, und dazu noch ein offener Hosenstall. Hier schaut keiner, niemand nimmt Anstoß, es ist schlichtweg egal. Hier laufen so viele Leute derart lässig-schlabbrig rum, es ist unglaublich. Sobald man eine der Schiebetüren öffnet, steigt sowieso irgendein Kleidungsstück aus. Bevorzugt die schwarzen langen Unterhosen, die wir beinahe jede Nacht anhaben, fliehen aus dem Auto und suhlen sich im Dreck… entsprechend hängen sie voller trockener Grashalme, das sieht sehr hübsch aus.

Tongariro Nationalpark, Mangahuia Camp

Wir nähern uns dem Schicksalsberg! Schon von weitem sind die Vulkane mit den unaussprechlichen Namen Tahurangi, Ngauruhoe und Ruapehu zu sehen. Wir stocken nochmal Vorräte auf und sichern uns diesmal schon am frühen Nachmittag einen Platz auf der billigen DOC-Campsite. In Whakapapa, so haben wir gehört, werden Phantasiepreise verlangt. Bei strahlender Sonne genießen wir den Tag mit Tagebuchschreiben, planen und lesen.

Doch so klar wie es ist, so kalt wird es dann in der Nacht. Vor Schlottern können wir gegen Morgen nicht mehr schlafen und stehen schon um 5 Uhr 30 auf. Am Armaturenbrett zeigt der Toyota 2 Grad Celsius an! Wir verzichten auf jegliche Morgentoilette, starten den Motor und fahren die paar Kilometer zum Nationalpark Tongariro. Bis da sind wir halbwegs aufgetaut und starten unsere Wanderung zu den Tama Seen bekleidet mit mehreren Lagen Funktionskleidung und Pullovern übereinander, denn es ist immer noch sehr frostig, ein eisiger Wind bläst uns ins Gesicht. Immerhin geht die Sonne gerade auf. Für den Weg zu den Kraterseen beim Sattel zwischen dem rauchenden Vulkan Tongariro,  dem schneebedeckten Ruapehu und dem Schicksalsberg aus dem Herrn der Ringe, Ngauruhoe braucht man so etwa drei Stunden. Wir haben wirklich Glück, alle Gipfel sind wolkenlos! Bald packen wir die Sonnencreme aus, trotz Eiseskälte brennt es schon im Gesicht.

Der Kiwi hat die Wanderwege hier wirklich perfekt gebaut. Beinahe barrierefrei wandern wir wie schon oft unserem Ziel entgegen. Wo immer Erosion droht, werden massive Bretter in den Boden gerammt, die Oberfläche der Wege ist oft mit einem wabenförmigen Kunststoffgeflecht belegt. So kann zwar der Regen die kleinen Kieselsteine nicht so leicht davonwaschen, dafür liegen aber viele hunderte Kilometer Plastikzeug auf den Wanderwegen dieses wunderschönen Landes herum. Ob sich die Leute auch Gedanken um den Abrieb und das Thema Mikroplastik gemacht haben, fragen wir uns? Was die Umwelt angeht, sind sie so streng hier – selbst auf den entlegensten Wanderungen fehlt nie ein Kompostklo. Wer außerhalb der erlaubten Flächen campt, wird frühmorgens oder spätnachts von Rangern verscheucht. Andererseits streut man weitflächig Giftköder vom Flugzeug aus, legt Plastikgeflecht in die Erde und Mülltrennung ist vielerorts ein Fremdwort. An jeder Bachfurt und jedem Bootsslip liegt Desinfektionsmittel bereit, damit kein Fischer oder Bootsfahrer an seiner Ausrüstung Algen oder Einzeller aus einem ins nächste Gewässer verträgt. Und hier haben sie sogar vor den Treppen kleine Plastikfußabstreifer hingelegt. Will man die Verbreitung der südlichen Steinlaus auf der Nordinsel unterbinden?

Am Rückweg machen wir noch einen Abstecher zum Taranaki Wasserfall. Der gleichnamige Berg liegt über 130 Kilometer entfernt an der Küste. Tatsächlich können wir ihn dank der klaren Luft tatsächlich am Horizont erkennen. Die Maorilegende erklärt, wie es dazu kam: Ursprünglich stand der Taranaki hier bei den anderen Vulkanen. Doch es kam zum Streit mit dem Tongariro, denn beide hatten sich in einen weiblichen Berg namens Pihanga verliebt. Letztlich zog der Taranki den Kürzeren und suchte das Weite – auf dem Weg zur Küste schliff er eine tiefe Schlucht in die Erde. Diese durchfließen heute der Taranaki- und der Wanganuifluss.

Taranaki und Forgotten World Highway

Der Taranaki oder Mount Egmont ist ein imposanter Vulkan. Rund 30 Kilometer von der Küste entfernt hebt er sich extrem prominent in die Höhe von 2510 Metern. Seine fast perfekte Kegelform erinnert an den Fujijama. Bloß hier gibt es Rosellapapageien und kaum Japaner! Auf dem Weg zum Parkplatz im Nationalpark sehen wir eine Gruppe der grellgrünen Vogel mit dem roten Kopf. Den Rest des Abends gehen wir noch eine kurze Runde zu den Dawson Wasserfällen und haben Gelegenheit mitzuerleben, wie hier das Wetter innerhalb von Minuten umschlägt: Eben noch haben wir den Schatten gesucht, weil die Sonne so stark herunterbrät, dann kommt ein eisiger Wind und treibt dichten Nebel heran, Sichtweite unter zehn Meter. Die Leute haben uns schon gewarnt vor diesem Berg, er soll extrem launisch sein. Tramper Vince aus Kanada verpflegen wir abends noch mit den restlichen Nudeln. Der arme Kerl kommt schon fast im Dämmerlicht mit kurzen Hosen und einem riesigen Rucksack daher, stellt sein Zelt neben uns am Parkplatz auf und sieht allzu hungrig aus. Der Bursche ist Anfang zwanzig und sommers Baumpfleger, winters Dachschneeschipper.

Nach einer eisigen Nacht am Visitor Center und einigem Hin und Her bezüglich Wetter und Wanderlust brechen wir doch noch auf. Anfangs bin ich noch traurig, weil wir den Gipfel natürlich nicht in Angriff nehmen. Rund 1600 Höhenmeter und die Aussicht auf -14°C am Gipfel, das trauen wir beide unseren morschen Knochen nicht zu. Immerhin haben bereits 86 Wanderer auf diesem Berg ihr Leben gelassen: Im Nebel verirrt und dann in der eisigen Nacht erfroren oder irgendwo abgestürzt. Wer den Gipfel  bezwingen möchte, sollte sich unbedingt bei den Rangern an der Parkstation anmelden und aktuelle Wetterinformationen einholen. Wir lassen es für diesmal und gehen stattdessen zum Stratford Plateau, machen dort ausführlich Pause, unterhalten uns mit den zwei Lufthansajungs, die wir gestern schon kennengelernt haben und genießen den Blick zum Gipfel: Tatsächlich lüftet der Taranaki für uns ein paar Minuten sein Wolkenkleid. Ob es Vince wohl geschafft hat? Morgens haben wir ihn noch losmarschieren gesehen, als wir den Kopf aus dem Dachzelt steckten. Unser Rückweg führt uns bei den Wilkie Pools vorbei, nette kleine Steinbecken, die der Fluss direkt in einen alten Lavastrom hineingespült hat. Der größte Teil des Weges führt durch einen urtümlichen Wald, wo jeder Baum von einem dicken Mantel aus Flechten und Moos umwoben ist. Tolkiens Fangorn stelle ich mir genauso vor.

Stratford ist eine komische Stadt: Hier heißen die meisten Straßen nach irgendwelchen Figuren in Shakespeares Werken, die größte Sehenswürdigkeit ist der moderne Uhrenturm mit einem Glockenspiel. Zur vollen Stunde erscheinen hier Romeo und Julie in Lebensgröße. Wir kaufen wieder mal ein, tanken und füllen den Wassertank, denn auf dem Highway 43 gibt es  für die nächsten 150 Kilometer gar nichts außer Landschaft. Er wird auch „Forgotten World Highway“ genannt, denn die Siedlungen, die es hier früher gab, sind allesamt aufgegeben worden, außer Whangamomona, das aussieht wie eine Siedlerstadt im wilden Westen. Die zehn Einwohner haben ihr Dorf 1989 zu einer unabhängigen Republik erklärt, was auf beträchtlichen Starrsinn und/oder Humor schließen lässt. Der Grund war, dass die Distriktgrenzen geändert worden sind, womit die Leute dort nicht einverstanden waren.

Unweit davon treffen wir auf dem Pass eine Gruppe Reiter. Einer davon stellt sich auf den Sattel seines Pferdes und fängt an, mit seiner Peitsche laut zu knallen. Ich frage natürlich nach, was das soll: So werden hier die Pferde schussfest gemacht, denn er gehe gern auf Jagd und schieße ab und zu auch auf Touristen. Kiwiwitz.

Ziemlich genau in der Mitte des Weges von Stratford nach Taumarunui liegt die Geisterstadt Tangarakau. Bis in die 1930er Jahre lebten hier über tausend Menschen, um die Eisenbahnstrecke zu bauen, Tunnel zu graben und eine Kohlemine zu betreiben. Jetzt gibt es noch drei oder vier bewohnte Häuser. Jimmy hat sein Auskommen als Bienen- und Campingplatzwirt. Viele Leute verirren sich hierhin jedoch nicht, denn die enge, gewundene Schotterstraße ins Raekohuatal ist nochmal sechs Kilometer lang und anstrengend zu fahren. Wir sind uns einig: Dieses Idyll ist einer der schönsten Plätze, wo wir in Neuseeland gecampt haben. Ein kleiner Fluss, ein Tal mit wilden Pferden, auf dem Platz laufen liebenswerte Schafe herum, alles ist urgemütlich und sehr sympathisch. Auf die Rosellapapageien angesprochen, reagiert Jimmy allerdings mit dem trockenen Kommentar, er würde die hübschen Vögel bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit einem Schuss aus seiner Schrotflinte erledigen. Die gehören hier nämlich nicht her, sind aus Australien zugewandert und müssen deshalb weg, genau wie die Possums, Igel, Hermeline und Ratten. Da ist er nicht pingelig, der Kiwi. Mit roher Gewalt versucht er, sein verkorkstes Ökosystem wieder in Gang zu bringen. Alles, was die einheimische überwiegend bodenbrütende Vogelwelt in Gefahr bringt, möchte man am liebsten ausrotten.

Südliche Nordinsel NZ

Die riesige Interislander Fähre schwankt leise, langsam aber doch sehr beträchtlich hin und her. Eigentlich sind wir beide seefest, aber jetzt wird es uns doch zu viel. Wir suchen uns ein bequemes Plätzchen und machen die Augen zu, bis die See wieder ruhiger wird. Nach etwa drei Stunden laufen wir in Wellington ein, mit dem Ende des Geschwankes ist die Übelkeit wie weggeblasen. Frisch wie die jungen Kiwis erkunden wir die Stadt in einem kurzen Spaziergang. Neuseelands Hauptstadt ist zwar mit 200.000 Einwohnern die zweitgrößte des Landes, dennoch aber recht übersichtlich. Die flippige Cuba Street, die viktorianischen Villen auf dem Hügel, die Hafenpromenade, ein Blick ins Te Papa Museum und ein Eis beim dienstältesten dampfbetriebenen Hafenkran der Welt runden unseren Besuch ab. Wie man hier erdbebensicher Hochhäuser baut, erfahre ich auch nebenbei. Dann fahren wir aber raus aus der Stadt und ins Grüne, das liegt uns einfach besser. Der Campground ist Skip Turley gewidmet, President of the Wellington Bataillion, the Boys‘ Brigade. Die Einrichtung stammt wohl auch aus den 1950er Jahren. Außer ein paar Dauerbewohnern ist der riesige Platz völlig menschenleer, es springen weder betende Boyscouts noch alte Veteranen herum. Uns ist es recht so. Wir kochen uns nochmal die leckeren Grünlippmuscheln. Bei Countdown haben die riesigen Dinger gerade mal 5 Dollar das Kilo gekostet!

9.1.2020 Lake Wairarapa

Die nächste Etappe ist kurz. Ich bin erlebnismüde. Zu meiner lieben Andrea sage ich: Heute will ich mal gar nichts erleben. Luxusproblem, denkt ihr vielleicht. Aber jeden Tag woanders, ständig neue Eindrücke und kaum Zeit, um diese zu verdauen – das ist auf Dauer ziemlich anstrengend! Jedenfalls fahren wir nur eben über die Remutaka Range und den gleichnamigen Pass. Ein Denkmal erinnert an die neuseeländischen Truppen, die hier im ersten Weltkrieg zunächst nach Upper Hutt und dann weiter nach Wellington marschierten, um sich nach Europa in den Tod einschiffen zu lassen. Am Lake Wairapapa sage ich zu meiner Liebsten: „Schau mal, wie schön. Hier passiert gar nichts!“ Die Landschaft wirkt leer und ein bisschen öde. Der Campingplatz ist riesig, es gibt kaum Besucher. Der See ist mit 78 Quadratkilometern fast so groß wie der Chiemsee, aber nur 2,5 Meter tief. Es gibt zwei Plumpsklos und drei Mülleimer. Was will man mehr? Wir beschließen, hier ein wenig zu rasten und alles setzen zu lassen. Jeden Tag ein anderer Spot, jeden Tag ein neues Abenteuer – das geht auf Dauer nicht. Irgendwann weiß man nämlich nicht mehr, was gestern war.

Am Abend versüßen uns noch ein paar Jugendliche die Ruhe mit Mopedfahren, Hupen und Geschrei. Wir beschließen, es ihnen am andern Morgen durch extra frühes Aufstehen, ausgiebiges Schiebetüren-Betätigen und ihnen deftigen Furz ins Zelt heimzuzahlen. Tun wir dann natürlich doch nicht, lieb wie wir sind. Tatsächlich sind die Burschen doch kurz nach uns auf und spielen ihre unschuldigen Spiele weiter: Jetzt werfen sie mit großen Steinen auf den blechernen Mülleimer neben dem Plumpsklo. Jeder Treffer wird im ganzen Camp gefeiert. Aber eigentlich sind die Buben ganz lieb und höflich, nur nicht ganz ausgebacken.

Die Landschaften, die wir heute besuchen sind mehr als ein Ausgleich: Entlang und durch die Putangirua Range kommen wir schon fast aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Schlucht mit den Pinnacles sind auch ein Drehort des Herrn der Ringe. Aragorn, Legolas und Gimli, der Zwerg waren durch die gespenstische Landschaft zu den Pfaden der Toten gewandert. Wir dagegen haben einen warmen, sonnigen Tag erwischt und schwitzen auf der knapp dreistündigen Wanderung. Die Ausblicke sind überwältigend.

Auch das nahe Cape Palliser und der dortige Leuchtturm beeindrucken uns sehr. Es ist der südlichste Punkt der Nordinsel, bei klarem Wetter soll es angeblich möglich sein, bis zur Südinsel hinüberzusehen. Heute ist allerdings die Luft getrübt durch den Rauch der australischen Buschfeuer, dennoch lässt uns die urtümliche Gewalt der Landschaft staunen. Wie stark der Wind hier mitunter bläst, kann man an dem festgezurrten Klohäuschen sehen. Die Stahlseile sind bestimmt nicht als Diebstahlssicherung gedacht! Auch hier besuchen wir eine Kolonie von Fellrobben und beobachten ganz aus der Nähe diese eleganten Tiere. Gleich neben der tosenden Brandung ruhen sie in der Sonne, beschnuppern sich gegenseitig, spielen mit den Kleinen im Wasser. Die Landschaft ist atemberaubend: Am liebsten würden wir das Auto stehen lassen, um die Küstenstraße zu Fuß abzulaufen – ein Fotomotiv folgt dem anderen. Die zahlreichen Landslips und Washouts tragen dazu bei, dass die Straße auch sehr interessant zu befahren ist. In Ngawi machen wir kurz Pause, hier gibt es wieder Netz für den Blog und Fish&Chips für den Blogger. „Ihr seid aus Deutschland, oder?“ werden wir von einem Maorimann mit beeindruckenden Tattoos gefragt. Wir unterhalten uns ausführlich über unsere Länder, wie schon bei manch anderer Begegnung mit anderen Kiwis zuvor. Die Leute sind wirklich sehr offen, sehr freundlich und begierig, Neues zu erfahren.

Nebenbei erfahren wir, dass Trump fast in einen neuen Krieg mit dem Iran hineinschlittert. Mit Entsetzen hören wir von dem abgeschossenen ukrainischen Flugzeug und dem ermordeten iranischen General.

11.1.2020 Von Lake Ferry über Greytown und Mt. Bruce nach Eketahuna, Kiwihauptstadt

Riesige bewaldete und von Gras bestandene Hügel säumen unseren Weg. Martinborough, Greytown, Carterton und Masterton reihen sich in einem weiten Tal hintereinander. Auf der Südinsel mussten wir öfter stundenlang fahren, um von einem Dorf ins nächste zu kommen. Die beiden ersten sind schmucke Städtchen in einer Weinbaugegend, die anderen eher hässliche Ansammlungen von Zweckbauten, wo Farmer sich mit Material versorgen können. Entlang der Straße stehen  Werbetafeln für Traktorreifen, Mietbulldozer und Rinderbesamung. Das aus Betonblöcken nachgebaute Stonehenge beeindruckt uns nicht so sehr, die Vogelaufzuchtstation am Mount Bruce schon eher. Hier werden Neuseelands seltene und bedrohte Vogelarten aufgezogen und in den umliegenden Bergen ausgewildert. Wir sehen sogar einen weißen Kiwi! Auf einem einfachen Camping in Eketahuna finden wir Platz für die Nacht. Hier in der Gegend gibt es die seltenen Vögel tatsächlich freilebend.

12.11.2020 Von Eketahuna über Whanganui nach Hawera – 225km

Der folgende Tag ist ein Fahrtag, wir basteln an unserem eigenen Roadmovie. Eben haben wir den 6000ten Kilometer in Neuseeland zurückgelegt. Der einzige Sender, den wir gelegentlich im Autoradio empfangen, spielt ununterbrochen Oldies aus den 50er und 60er Jahren. Wann habt ihr zum letzten Dean Martin im Radio gehört? Wir rätseln, ob die Radiostationen hier nicht bei der Gema mitmachen und deshalb nur Werke lang verstorbener Künstler bringen.
In dem Hochtal hinter Masterton weht der Wind so stark, dass alles schief zu sein scheint: Bäume, Zäune, Strommasten. Rechts ist ein Gebirge, links auch. Wir fahren einfach so lange, bis sich die Ausläufer der beiden in der Mitte treffen und folgen dann den Serpentinen in die Höhe rauf und auf der anderen Seite wieder herunter. Da liegt dann Palmerston North vor uns. John Cleese, bekannt von Monty Python’s sagte einmal über diese Stadt, sie sei so hässlich – wer sich das Leben nehmen will, sich aber nicht traut soll einfach hierher kommen. Die Stadtverwaltung von Palmerston revanchierte sich, indem sie die örtliche Müllkippe in Mount Cleese benannte.

Am Lake Wiritoa machen wir Pause und beobachten, was der Kiwi so am Sonntag gerne tut: Hier sind drei Viertel des Sees den Motorbooten vorbehalten, die unter höllischer Lärmentwicklung immer im Kreis herum fahren, wobei sie mehr oder weniger elegante Wasserskifahrer oder quietschbunte Gummiwürste und Plastikrafts hinter sich her ziehen, auf denen der kreischende Nachwuchs sich festzuhalten versucht. Und die Frau steht derweil am Grill und hat ihre Ruhe. Ein neuseeländischer Mann braucht also mindestens einen Allradpickup, ein Boot, ein Jetski, ein Quad, eine Enduro und… vielleicht noch ein Leichtflugzeug. Mindestens. An den Strand geht man nicht – nein, man fährt mit dem Geländewagen oder Quad, damit das Wasser möglichst hoch spritzt. Das ist nicht übertrieben, wir haben es jetzt schon ein paar mal sonntags an ländlichen Seen und Meeresufern beobachtet.

Das Highlight des Tages ist dann aber der Campground am Meer bei Ohawe. Direkt über den Klippen bietet er wunderbare Ausblicke, alles hat den Charme des Camping früher. Vor dem Office, einer etwas wackeligen Holzhütte liegt ein Wirbelknochen eines Wals. Nur den mächtigen Vulkan Taranaki können wir nicht sehen, der liegt nämlich hinter den Dünen. Leider ist der Strand so steinig und die Brandung derart wild, dass wir uns nicht weit hinein trauen. Aber der Sonnenuntergang ist dafür so romantisch wie wir es uns gewünscht haben.

Marlborough und Tasman

Hier der letzte Nachtrag von der wunderbaren Südinsel, dann geht es auf der Nordinsel weiter.

Nachdem die Herbergssuche in Kaikoura am Tag zuvor schon so ein Drama war, fahren wir gleich raus aus der Stadt zu dem idyllischen kleinen und sehr einfachen DOC-Campingplatz PuiPui (Wasser aus dem Fluss und Plumpsklo). Er liegt in einer Schlucht über einem Wildwasserfluss, der zum Glück gerade nur wenig Wasser führt. Doch die zerfressenen, fast überhängenden Felswände und die zerfetzten Bäume im Flussbett sprechen Bände über die Gewalt des Wassers.

Auf der A1 Richtung Norden, angeblich eine der spektakulärsten Küstenstraßen der Welt… wir sind nur mäßig beeindruckt, denn der Himmel ist stark bewölkt und der Wind bläst heftig. Die Strände sind zwar riesig, aber dunkelgrau; wie der Himmel und das Meer auch. Nichtsdestoweniger haben sich ein paar unerschrockene Surfer hinaus gewagt. Kurz vor Havelock finden wir Platz auf einem schönen, einfachen Campingplatz mit Naturbad im Fluss. Sheila hat eine gut ausgestattete Küche mit Töpfen, trinkbarem Wasser und einem Männerasyl: „Women, leave your men here and go shopping, don’t forget to pick them up afterwards“. Mit gefällt am besten der Bedford Bus ganz hinten am Campground. Ein Schornstein schaut aus dem Dach und jemand hat einige Ster Holz aufgeschichtet, offenbar dient der Bus aus den 60ern als Holzfällerhütte für den Winter.

Am andern Morgen fahren wir weiter zur Pelorus Bridge und gehen die vierstündige Wanderung zum Trig K mit zwei Wasserfällen. Wir hören unterwegs das Ticken der Holzwürmer und das Zirpen der Zikaden – weit über Zimmerlautstärke! – wir sehen einen urtümlichen Urwald, entdecken die Neuseelandtaube Kereru mir dem grün-weißen Gefieder, werden begleitet vom Fantail, einem winzigen, sehr neugierigen Vogel mit auffälligem schwarzweißem Schwanz und kosten den süßen Nektar des schwarzen Pilzes, der hier die Borke vieler Bäume überzieht. Zum Schluss baden wir im eiskalten Pelorusfluss zwischen Stromschnellen und Kiesbänken. Die heiße Sonne wärmt uns in Minutenschnelle wieder auf.

Die Straße über die Berge nach Nelson ist eine Schau. Gern wäre ich sie mit dem Motorrad abgefahren – hier reiht sich eine Kurve an die andere. Die Ausblicke sind schön, sie erinnern uns teilweise an den Bayrischen Wald: Sanfte Berghänge, allesamt von Nadelbäumen bestanden: Hier sind es kalifornische Kiefern, daheim wären es wohl Fichten. In Nelson gibt es nichts für uns, in Richmond finden wir auch keinen Platz, die Hauptsaison schlägt jetzt voll durch. Aber mein Schatz ist der beste Fremdenführer, sie findet uns einen schönen und günstigen Platz zwischen Richmond, Hope und Brightwater: Die Besitzerin Sue ist so angetan von unserer Ehrlichkeit (wir hatten schon bezahlt, als sie zur Kontrolle kam), dass sie uns anbietet, von ihren Orangen, Zitronen und Avocados zu ernten.

Der Abel Tasman Nationalpark ist der kleinste von Neuseeland. Dennoch groß! Wir haben natürlich wieder mal nichts vorgebucht –  jetzt in der Hauptsaison bekommt man nicht mal ein Kajak geliehen, ohne wochenlang vorzureservieren. Also lassen wir uns vom Wassertaxi nach Anchorage bringen, die Fahrt zum Slip ist schon allein eine Show: Der alte Ford Traktor zieht das Motorboot mitsamt seinem Dutzend Passagiere runter ins Watt, bis das Wasser so hoch steht, dass das Boot aufschwimmt. Wir bewundern unterwegs noch den Split Apple Rock und die Fellrobbenkolonie auf Adelaide Island und hüpfen dann ausgeruht aus dem Motorboot an den Strand in Anchorage mitten im Nationalpark. Für die Wanderung zurück brauchen wir dann vier Stunden, es sind knapp 14 Kilometer. Die Aussicht auf die Strände unter uns ist gigantisch, der Urwald, den wir durchqueren beinahe unberührt.

Erschüttert erfahren wir abends, dass John, unser erster Gastgeber verstorben ist. Er hatte uns vor sechs Wochen in Christchurch als Couchsurfer sehr herzlich aufgenommen und in vielen Dingen geholfen. Vor fünf Wochen hatten wir ihn wieder getroffen, Sylvester zuletzt Kontakt gehabt und jetzt, drei Tage später ist er nicht mehr.

Wenn man direkt am Strand sein Nachtlager aufschlägt, der Himmel sternenklar ist und am Morgen die Möwen und die Spatzen mit am Frühstückstisch sitzen, dann hat man nichts falsch gemacht. Wir hören, wie die Wellen sich am Strand brechen. Auf einem alten Baumstamm nehmen wir Platz und blicken über die Bucht nach Richmond – trotz der Nähe der großen Stadt können wir wieder mal im wahrsten Sinne des Wortes unbehelligt von Lichtverschmutzung die gesamte Milchstraße bewundern.

Rabbit Island und nochmals Pelorus River

Wir haben ja schon ein paar schöne Strände gesehen, aber auf Rabbit Island sind wir wieder mal fast sprachlos vor Begeisterung: Der Sand ist fein, er fällt ganz sanft ab zum Meer. Die Bäume und Sträucher sehen aus, als ob es die nur hier gäbe. Tatsächlich sind auch viele Pflanzen endemisch. Doch was so naturbelassen aussieht, ist in Wahrheit Resultat der Bemühungen der Naturschutzbehörden. Mit viel Mühe, Fallen und 1080 Gift versucht man, die ursprüngliche Flora und, soweit möglich, auch Fauna wieder herzustellen. Schon öfter sind wir an Kahlschlägen oder toten Wäldern vorbei gekommen. Diese sind, ebenso wie zahllose Possums, Hermeline, Ratten usw. Opfer der recht radikalen Methoden des Department of Conservation. Ob es wohl gelingen wird, die einzigartigen Lebensräume Neuseeland wieder herzustellen?

Wo sich schon die Zwerge über Stromschnellen herunter treiben ließen, gefällt uns die Landschaft fast noch besser. Dass der Pelorus River Drehort für den zweiten Teil des Filmes „Der Hobbit“ war, erfahren wir auf einer wunderschönen Kajakfahrt. Das glasklare Wasser, die Felsen und die vielen Kaskaden, die wir durchfahren, lassen keine Langeweile aufkommen. In Havelock essen wir außerdem die besten Grünlippmuscheln weltweit, schließlich rühmt sich das Dörflein, Welthauptstadt der leckeren Weichtiere zu sein.

Die Nacht verbringen wir wieder bei Sheila, wie vor ein paar Tagen. Immerhin ist wieder mal Waschtag und der Platz ist wirklich sehr bequem. Kein Wunder, dass der Rentner Adam schon vor zig Jahren beschlossen hat, hier ganz zu leben. Seinen alten Bedford Bus hat er zwar durch einen neueren ersetzt, dem Platz sind aber beide treu geblieben. Wieder gibt es heute trotz Halbmond einen unglaublichen Sternenhimmel, aber es ist gleichzeitig unsere kälteste Nacht in Neuseeland. Weil es so klar ist, verschwindet auch das letzte Bisschen Sonnenwärme rasch nach Sonnenuntergang. Übrigens: Der abnehmende Mond sieht hier genauso aus wie bei uns der zunehmende – und umgekehrt. Man kann sich also nicht die alte Kinderregel mit den Buchstaben reindenken. Genauso schwierig wie mit dem Schatten. Wenn du hier dein Auto parkst und dir überlegst, wo in ein paar Stunden der Schatten sein wird, musst du aufpassen. Es ist nämlich ganz anders als daheim in Deutschland. Die Sonne wandert nämlich nicht rechts rum. Selbstverständlich weiß ich auch, dass die Sonne sowieso nicht wandert, aber eben scheinbar. Und das eben anders herum. Mittags steht sie nämlich im Norden! Freilich geht sie auch hier in Osten auf und im Westen unter, der Rest unterscheidet sich aber massiv. Das kann jemanden wie mich schon ein wenig durcheinander bringen… natürliche Orientierung ist nicht mehr instinktiv, sondern erfordert plötzlich bewusstes Nachdenken.

Jedenfalls haben wir uns heute auf die Scenic Route durch den Kenepuru Sound und den Queen Charlotte Sound aufgemacht. Ich habe mir wieder mal ein Motorrad unterm Hintern gewünscht, denn hier reiht sich wirklich eine Kurve an die andere. Traumhafte Ausblicke und Kaiserwetter machen die Sache rund. Ein Glück, dass mein Schatz so hart im Nehmen ist. Ich könnte auf dieser Straße nicht Beifahrer sein, dafür hätte ich zu viel Angst. Rechts der Fels, links der Abgrund – jeweils fast senkrecht. Die Straße ist super eng und vielerorts abgerutscht, geflickt, beschädigt. Da rumpelt der Hiace schon, wenn die Fahrbahn mal eben um 20 oder 30 Zentimeter absinkt! Wir unternehmen noch eine kleine Wanderung in die Mistletoe Bay und fahren weiter zu einem der schönsten Plätze, die wir hier jemals bewohnt haben: Aussie’s Camp. Von dort wandern wir nochmal ein paar Kilometer bis zum Ende der Landzunge, wo man einen Blick auf den Fjord hat. Die Rechnung geht auf: Hier haben wir tatsächlich 3G Empfang und können die letzte Version der Bachelorarbeit unseres Sohnes herunterladen. Wir sind schon gespannt, wie sich das Ganze so liest. „What are you guys up to?“ fragt uns lässig unser Nachbar – mit guys (Burschen) sind selbstverständlich alle Anwesenden, gleich welchen Geschlechts gemeint. So wunderbar unverkrampft sind die Kiwis eben. Bei der Gelegenheit kommt mir das Gendern in Felix‘ Bachelorarbeit in den Sinn – so ein Blödsinn.