Schlechte Nachrichten, gute Nachrichten 31.3.

Die Läden im Viertel heißen Supermercado, Minimarket, Maxikiosco oder Dispensa. Wer meint, aus diesen Bezeichnungen Rückschlüsse auf die Größe des Ladens ziehen zu können, irrt sich aber gewaltig. Die meisten sind winzig. Mit einigen Metern Abstand wartet man in der prallen Sonne auf der staubigen Straße, bis der Platz vor dem Türgitter frei wird. Dann gibt man seine Bestellung auf, der Verkäufer sucht alles zusammen, was er da hat. Man bezahlt und bekommt die Waren durchs Gitter oder über den Stacheldrahtzaun gereicht. Ich besuche die verschiedenen Geschäfte im Wechsel, um möglichst viele Leute kennenzulernen und an Informationen zur Lage hier zu kommen. Bisher sind fast alle freundlich zu mir, nur wenige wollen nicht mit uns reden. Heute geht Andrea zum ersten Mal zum Einkaufen.

Wir haben den Grund der Wasserknappheit erfahren: Brasilien hat seine Staudämme geschlossen, es kommt fast kein Wasser mehr in den Iguazufluss. Die Wasserfälle liegen praktisch trocken. Die Ansaugrohre des Wasserwerks ragen aus der Wasseroberfläche. Momentan speist ein kleiner Nebenfluss, der Mboca-i die Wasseraufbereitungsanlage, der liefert jedoch nur 300 Kubikmeter pro Stunde, das bedeutet eine Reduzierung um 75 Prozent. Dies führt nicht nur zu Wasserknappheit, sondern betrifft darüber hinaus die fünf Wasserkraftwerke der Region. So erklären sich auch die immer häufiger auftretenden Stromausfälle.

Wir verwenden Grauwasser für die Toilettenspülung und dies auch nur noch für große Geschäfte, verwenden Frischwasser nur abgekocht zum Trinken und waschen uns mit dem Waschlappen, statt zu duschen. Blöd, dass man sich ständig die Hände waschen soll… ohne Wasser wird das schwierig. Wir achten darauf, dass unsere Geräte stets vollgeladen sind, um den nächsten Stromausfall auf Akku zu überbrücken.

Heute tauen wir unseren Kühlschrank ab; im Eisfach liegt bereits ein kleiner Gletscher. Das Eis legen wir in unseren Kochtopf, um es zum Abspülen zu verwenden.

Die Stimmung ist schlecht. Wir haben eine Whatsappgruppe gegründet für Gestrandete in Iguazu, insgesamt sind wir sieben Schicksalsgefährten. So ist es leichter, an Informationen zu kommen und diese zu verteilen. Außerdem sind wir in mehreren Facebookgruppen. Es scheint, dass die Verteilung der Plätze im Rückholflieger völlig willkürlich erfolgt. Wir wissen von Leuten mit kleinen Kindern oder Babys, die nicht für den Flug am 1.4. benachrichtigt wurden. Andererseits wurden aber junge allein reisende gesunde Leute gefragt, ob sie den Flug wahrnehmen möchten. Offenbar gibt es Kompetenzgerangel zwischen Botschaft und Konsulat. Die Informationen, die wir erhalten, sind nicht konsistent. Außerdem sind die Aktionen der einzelnen europäischen Länder bei weitem nicht aufeinander abgestimmt: So haben wir erfahren, dass ein Bus kommen soll, um die Franzosen aus den nördlichen Provinzen abzuholen. Weder die französische noch unsere Honorarkonsulin wussten davon allerdings etwas! Von einer Weißrussin haben wir den Link zu einem Formular erhalten, wo man sich für diesen Bus eintragen kann. Jetzt muss unsere Konsulin noch einen förmlichen Antrag beim französischen Konsulat/Botschaft stellen, damit man uns auch mitnimmt. Der Konsul von Weißrussland hat das offenbar viel schneller hinbekommen als die deutsche Bürokratie.

Es gibt auch etwas Erfreuliches zu berichten: Eine nette Frau, die wir persönlich nicht kennen, hat uns ihre Wohnung in Buenos Aires zum Übernachten angeboten – falls wir es irgendwann dorthin schaffen sollten. Sie ist die Bekannte von Freunden.

Versorgungsprobleme 30.03.

Es ist so heiß, dass die Straßenhunde wie tot im Schatten liegen, selbst die lästigen Kläffer auf dem Nachbargrundstück verbellen mich nur kraftlos. Der Collie-Schäfermischling bleibt im Schatten und springt nur zweimal gegen den Gitterzaun, der Rottweiler daneben belässt es bei einem bösen Knurren. Auf meinen täglichen Besorgungswegen durchs Viertel habe ich zwei Avokado- und einen Orangenbaum entdeckt. Wo diese stehen, habe ich mir gut gemerkt, fast jeden Tag lege ich meine Wege so, dass ich daran vorbeikomme. Wenn ich Glück habe, liegt da manchmal frisches Fallobst. Letztens konnte ich zwei Avokados und zwei Orangen erbeuten.

Fede, unser Vermieter hat uns informiert, dass die Wasserversorgung der Stadt momentan nicht gewährleistet ist. Wir sollen sparsam mit dem Vorrat umgehen, der noch da ist. Hintergrund: Da hier öfter mal die Wasserversorgung ausfällt, hat so gut wie jedes Haus einen Hochtank auf dem Dach. Sobald wieder Wasser kommt, füllt sich dieser Behälter auf, was bis auf weiteres nicht möglich ist. Leider ist der Tank für mich unzugänglich, ich traue mich nicht da hochzuklettern. Deshalb weiß ich auch nicht, wie viel Wasser da noch drin ist. Bei der Toilettenspülung kam heute eine braune Brühe.

Die weltberühmten Wasserfälle von Iguazu, deretwegen wir hierher gereist sind, liegen beinahe trocken. Unser Vermieter hat uns ein aktuelles Foto geschickt.

Am 14. März war der letzte glückliche Tag unserer Reise. Da sahen wir die Fälle noch anders.

Der Strom ist gestern und heute wieder ausgefallen. Zwar nur für Minuten, aber es ist jedesmal ein Schock. Welche Hiobsbotschaft kommt als nächstes?

Soweit möglich, verfolgen wir lokale Onlinenachrichten. Es scheint tatsächlich bis vor ein paar Tagen noch Inlandsflüge gegeben zu haben, diese wurden aber nur an Argentinier vergeben. Gemeinden entlang der Hauptstraße errichten Straßensperren aus Erdwällen, um sich vor infizierten Reisenden zu schützen. Die Quarantäne und Ausgangssperre wurde bis 12. April verlängert. Viele Verstöße gegen die Ausgangssperre werden gemeldet, die Polizei greift hart durch. Es wird über Fälle von Viehdiebstahl berichtet. Die Zahlen der Infektionen steigen steil an. Ein Team von hundert Ärzten soll aus Kuba kommen, um hier zu helfen.

Update 29.03.

Unser Flug nach BA für 31. März ist gestern spätabends gecancelt worden, wie alle anderen Flüge vorher auch. Aerolineas Argentinas hat landesweit alle Flüge bis 13. April abgesagt.

Heute Vormittag hat die Honorarkonsulin von El Dorado angerufen. Sie sagt, der Rückholflug am 1.4. ist bereits voll besetzt mit Menschen höherer Priorität. Ein weiterer sei für den 4.4. geplant. Mal sehen, ob wir da hin kommen.

Den ganzen Tag über haben sich die Wolken aufgetürmt, die Luft draußen ist zum Schneiden dick. Die drückende Schwüle ergibt eine ungute Kombination mit dem seit Tagen schwelenden Müllfeuer ein paar Straßen weiter. Winzige Regentropfen fallen auf die heißen Steine, wo sie sofort verdunsten, dazwischen schweben Ascheflocken. Der Supermarkt, wo ich mit der Kreditkarte zahlen kann ist heute geschlossen, also laufe ich zu einem der anderen kleinen Läden in der Nähe. Ob er Käse hat, frage ich den Mann. Ja, freilich. Auch alles andere was wir für die Pizza brauchen, die wir uns heute backen wollen, ist in dem Geschäft vorhanden: Paprika, Tomaten, Knoblauch. Mehl, Öl und Hefe haben wir noch vom letzten Mal. Während er mir den Käse mit seiner museumsreifen rostigen Schneidemaschine aufschneidet, habe ich Gelegenheit, mich im Halbdunkel des Geschäfts umzusehen. Unser Gesundheitsamt hätte hier seine helle Freude. Um die Theke herum liegen kleine Abfallhäufchen der zuvor geschnittenen Waren. Weiter hinten sitzt ein Kollege bei seiner Brotzeit an derselben Theke, im Mundwinkel eine Zigarette. Es kommt sogar zu einem kleinen Gespräch: Wo ich her sei und wie lang schon hier, ob ich schon die Wasserfälle gesehen hätte und dass Bayern München super sei. Zum Abschied wünscht er Glück und nennt mich amigo. Das Desinfektionsspray reicht er mir auch gleich noch.

Unser Vermieter hat uns eben informiert, dass die Wasserversorgung der Stadt momentan nicht gewährleistet ist. Irgendetwas ist gebrochen und muss repariert werden, solange sollen wir Wasser sparen.

Update 28.03.

Wir sitzen nach wie vor fest in Iguazu. Wegen der Ausgangssperre dürfen wir das Haus nicht verlassen, außer zum Einkaufen. Andrea und Pia sind seit zehn Tagen nicht mehr draußen gewesen. In der Stadt geht das Denguefieber um. Unser Inlandsflug am 30. März nach Buenos Aires ist auf einen Tag später verschoben. Wir wissen nicht, ob dieser Flug überhaupt stattfindet und ob dann der Flughafen noch offen ist. Mit der Fluggesellschaft können wir keinen Kontakt herstellen. Für all die Flüge hat man uns mittlerweile fast 1400 € abgebucht, egal ob storniert oder umgebucht. Das ist offenbar das einzige, das noch klappt: Geld einziehen. Laut Lufthansaseite soll der nächste Rückholflug nun bereits am 31. März stattfinden: LH 349. Falls es uns gelingt, nach BA zu kommen, haben wir immerhin schon eine Bleibe gefunden, die auch noch Ausländer reinlässt. Die Lage in Argentinien spitzt sich immer weiter zu. Link Weltspiegel

Viele Jahre haben wir auf unseren Lebenstraum dieser Weltreise hingearbeitet, gespart, geplant und uns darauf gefreut. Nun ist der Traum zum Albtraum geworden. Am schlimmsten daran ist, dass wir auch noch unsere Tochter auf die Idee gebracht haben, uns hier zu besuchen. Das ständige Hin und Her stresst mich. Täglich kommt irgendein Tipp, eine Info, ein Hinweis der ein bisschen Hoffnung macht, sofort brechen wir alle in hektische Betriebsamkeit aus und versuchen den Strohhalm zu ergreifen, dann wieder stundenlanges Warten ohne sinnvolle Beschäftigung und schließlich jedes mal eine Enttäuschung, ein Negativbescheid, eine Absage.

Update 27.03.

Hier fahren ständig Busse mit verhängten Fenstern vorbei, obwohl doch eigentlich keine Busse mehr fahren dürfen. Ich vermute folgenden Hintergrund: An der brasilianisch-argentinischen Grenze warten Hunderte Menschen, großen Teils argentinische Touristen, die aus Brasilien oder Europa kommen und in ihre Heimat zurück wollen. Um die 9000 sind angeblich bereits aus Foz de Iguazu auf der brasilianischen Seite nach Puerto Iguazu auf der argentinischen Seite gekommen, allesamt aus Risikogebieten. Der Bürgermeister hatte wegen des davon ausgehenden Gesundheitsrisikos zeitweise die Grenze mit Gemeindefahrzeugen sperren lassen. Nun bemühen sich die völlig überforderten Behörden, die Menschen in Bussen und Flugzeugen weiter im Land zu verteilen, damit sie zuhause ihre Quarantäne absitzen können. Wahrscheinlich werden auch deshalb laufend die nationalen Flüge gecancelt, weil man andere Menschen in die Flugzeuge lässt. So jedenfalls verstehe ich die Presseberichte, die ich heute gelesen habe. Google Übersetzer treibt wundersame Blüten, unser Spanisch reicht nicht für die Artikel.

Gelegentlich fahren Pickups mit großen Tanks durch unsere Straße. Sie sprühen einen stinkenden Nebel auf die Grundstücke. Beim Einkaufen gebe ich mir Mühe, möglichst flach zu atmen, wenn ich in diesen gerate. Ich gehe davon aus, dass man versucht, die Mücken einzudämmen, die hier das Denguefieber übertragen.

Wie ist der Stand der Rückholung? Alle registrierten Personen im Land wurden aufgefordert, sich zu rückzumelden, wenn sie am nächsten Rückholfug teilnehmen wollen und es voraussichtlich schaffen, rechtzeitig die Hauptstadt zu erreichen. Wir haben uns gemeldet, da wir ja den fragwürdigen Inlandsflug gebucht haben. Außer unserer gab es über 700 weitere Rückmeldungen. Wie viele Personen sich hinter dieser Zahl verbergen, ist mir unbekannt. Sicher weit über tausend. Berechtigten Vorrang haben Familien mit Kindern, ältere Personen, unbegleitete Minderjährige und Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen.

Update 26.03.

Das Gute vorweg: Wir haben gestern ein Mail von der Botschaft bekommen. Scheinbar ist der nächste Flug für den 1.4. geplant. Wir wissen zwar nicht, ob wir da mit dürfen, haben aber vorsorglich noch einen Flug von Iguazu nach BA für den 30.3. gebucht. Das Brechen der Ausgangssperre zur Anreise zum Flughafen soll nun erlaubt sein. Es ist halt Glückssache, von wem man kontrolliert wird. Manche Polizisten beziehungsweise Soldaten sind besser informiert, andere weniger gut.

Mal sehen, ob dieser Flug stattfindet und falls wir mitkommen, wo wir dort unterkommen können. Hotels und Herbergen sind zum großen Teil für Ausländer geschlossen, am Flughafen campieren bereits einige Gestrandete ohne jegliche Versorgung. Leute dort und in anderen Regionen sind Ignoranz, Beschuldigungen und Anfeindungen ausgesetzt. Uns geht es im Vergleich dazu gut. Mehrere Menschen bemühen sich, eine Privatunterkunft oder ein Hotel für uns in Buenos Aires zu finden. Es wird seitens der Botschaft dringend davon abgeraten, in die Hauptstadt zu kommen, wenn man keine Bleibe hat. Die Polizeikontrollen greifen hart durch, wenn man auf der Straße gesehen wird.

Ob wir den anderen Flug stornieren können oder dafür etwas zurück bekommen, wissen wir nicht. Umbuchen war nicht möglich, da sind wir an der Webseite der Aerolineas Argentinas gescheitert, auch das Callcenter ist nicht erreichbar. Von Andreas Kreditkarte hat die Airline statt 330€ den vierfachen Betrag abgebucht beziehungsweise zur Abbuchung vorgemerkt. Die ganze Situation stresst uns zunehmend, insbesondere der abrupte Wechsel zwischen Nichts-tun-können und extremer Anspannung.

Gestern habe ich beim Einkaufen ein kurzes Gespräch mit dem Mann im Tante-Emma-Laden geführt. Bisher war es eher ein schweigendes, misstrauisches Abgefertigt-Werden, doch gestern fragte man mich, wo ich her sei. Aus Deutschland, aber schon seit acht Monaten unterwegs. Ob wir gesund seien? Freilich, außer dass wir langsam loco, verrückt werden vom eingesperrt sein. Da hat er gelacht und den Opa dazu geholt, Nachkomme deutscher Einwanderer. Ein paar Worte Deutsch konnte dieser auch noch. Wie mich dieses kurze Gespräch für ein paar Minuten gelöst und auf andere Gedanken gebracht hat! Andrea und Pia dagegen haben seit acht Tagen nicht mehr das Haus verlassen, die Armen. Wie gut, dass wir zusammen sind. Wie schlimm muss es für jemanden sein, der allein eine solche Situation überstehen muss.

Update 25.03.

Freunde haben sich für uns verwendet und alle möglichen Stellen angeschrieben. Ich war von dieser Idee zunächst nicht begeistert, weil ich befürchtete, dass dies die ohnehin knappen Kapazitäten der Behörden zusätzlich belastet. Außerdem wollen wir keine Bevorzugung gegenüber anderen Gestrandeten. Auf die Mailaktion hin hat sich bei mir die Honorarkonsulin in Eldorado, etwa 100 Kilometer südlich von hier gemeldet. Das war ein großer Lichtblick und ein Hoffnungsschimmer. Die Konsulin klang sehr engagiert. Danke, das habt ihr geschafft! Nach unseren schlechten Erfahrungen mit dem Konsulat in Posadas hatten wir es nicht in Betracht gezogen, uns an sie zu wenden, zumal laut Botschaft alle Konsulate geschlossen sind. Ich habe ihr geschrieben, wo wir genau sind und alle Kontaktmöglichkeiten.

Nun möchte ich euch alle bitten, von weiteren Interventionen abzusehen und die zuständigen Stellen ihre Arbeit tun zu lassen, insbesondere die deutsche Botschaft in Buenos Aires.

Was tun wir? Die elektronische Kommunikation und das Durchecken der verschiedenen Internetseiten braucht eine Menge Zeit, macht uns aber gleichzeitig nervös. Lieber beschäftige ich mich damit, verschiedene Dinge in unserem Apartment zu reparieren. Der Anschluss der Gasflasche und der Abfluss vom Waschbecken sind mit kleinen Streifen Klarsichtolie abgedichtet, das abgerissene Sat-Kabel neu verdrahtet, die Klimaanlage im Schlafzimmer und die Zündung vom Gasherd repariert. Zum Glück ist das Haus ein rechte Bruchbude und die Handwerker hier echte Pfuscher, so geht ständig etwas anderes kaputt und ich habe bis jetzt immer etwas zu tun. Ansonsten spielen wir Stadt-Land-Fluss beziehungsweise Krankheit-historische Person-alkoholisches Getränk auf Kassenzetteln vom Supermarkt. Auch Teekesselchen und heiteres Beruferaten sind sehr beliebt, alles was das Hirn flott hält und ein wenig ablenkt. Außerdem haben wir jetzt drei Avokadokerne, mit denen wir jonglieren üben.

Wie geht es uns? Jeden Morgen wache ich auf und zögere zunächst, den Tag zu begrüßen, aufzustehen und ans Handy zu gehen. In den paar Stunden Schlaf können wir wenigstens die Situation vergessen, wenngleich der Schlaf lückenhaft und zerrissen ist. Irgendwo in der Nachbarschaft ist praktisch durchgehend zwischen einem und ein paar Dutzend der unzähligen Straßen- und Wachhunde am Bellen. Zudem liegen wir oft wach und grübeln. Ist es die richtige Entscheidung, nach Buenos Aires zu fliegen? Für Mittwoch, den 1. April haben wir einen Inlandsflug gebucht. Onlinebuchen ist jetzt wieder möglich. Ob der auch wieder gecancelt wird wie der letzte, stellt sich bald heraus. Andererseits soll die Situation am Flughafen mies sein: Am Montag ist der erste Rückholflug aus Buenos Aires nach Deutschland abgeflogen. Rund 100 Deutsche haben ihn nicht erreicht, die Plätze wurden an andere Europäer vergeben. Nun campieren Gestrandete dort ohne Versorgung auf den Gängen. Wer es wagt, in die Stadt zu fahren, wird von bewachten Bussen in eins der wenigen Hotels gebracht, die noch für Ausländer geöffnet sind. Link zum Weltspiegel Podcast: „So schnell wie möglich nach Hause“. So betrachtet, haben wir echt Glück mit unserem Vermieter und diesem Apartment. Im Übrigen spricht man davon, dass der Flughafen BA bald geschlossen werden soll und außerdem die Ausgangssperre bis Ostern verlängert wird.


Pfannkuchen 24.03.

Aufgrund meines gestrigen Beitrages haben sich einige Freunde gemeldet, die uns finanziell helfen wollten. Danke, das ist nicht nötig. Wir haben selbst noch genug. Der Vermieter ist bezahlt, in bar. Es tut gut, zu hören, dass daheim Menschen Anteil nehmen, obwohl es euch doch selbst nicht gut geht.

Unser Problem ist die extrem rigide Ausgangssperre. Wer diese bricht, dem drohen lange Haftstrafen, man spricht von bis zu 15 Jahren. Gestern war unser Vermieter da, um sein Geld zu holen. Er meinte, mit dem Auto kommen wir nicht so schnell nach Buenos Aires. Er sagte uns, jede Provinz ist mit Polizeisperren abgeriegelt. Beim Übertreten der Provinzgrenzen ist mindestens ein Coronatest fällig, das heißt dann folglich auch Warten auf das Ergebnis. In Deutschland rechnet man mit rund 48 Stunden pro Test, optimistisch geschätzt und falls ein Labor in der Nähe ist. Das dürfte auf die hiesigen Verhältnisse kaum übertragbar sein. Auf dem Weg wären folgende Provinzen zu durchqueren: Misiones, Corriente, Entre Rios, Buenos Aires und die autonome Stadt Buenos Aires. Also mindestens viermal. Derweil ist der Flieger sicher weg. Unsere einzige Chance ist ein Flug in die Hauptstadt. Dort stapeln sich bereits obdachlose Gestrandete, die keine Bleibe finden. Auf der Facebook-Seite „Deutsche in Argentinien“ stehen einige Beiträge zum Thema.

Gestern kamen zwei weitere Tiefschläge: Die Stadtverwaltung hat die Ladenöffnungszeiten in Iguazu für die nächsten 120 Tage noch weiter eingeschränkt. Grund: Corona und Dengue. Offenbar gibt es tatsächlich ein größeres Problem mit Dengue. Coronafälle sind in der gesamten Provinz Misiones bisher nicht aufgetreten. Aber Dengue ist auch kein Spaß, eher schlimmer als Covid-19.
Außerdem haben wir erfahren, dass Daniel, ein Mitbewohner aus dem Hostel mit dem letzten Flugzeug über Brasilien rausgekommen und daheim in Amsterdam ist. Er hat uns erst Bescheid gesagt, nachdem wir ihn in Sorge angeschrieben haben. Andrea hatte einen Zusammenbruch. Scheinbar sind wir die letzten, die es nicht mehr raus geschafft haben.

Im Internet haben wir die Tagesthemen angesehen. Die Politik stellt viel Geld bereit, um die Wirtschaft zu unterstützen. Selbstverständlich gönne ich das jedem betroffenen Unternehmer, besonders den kleinen. Von uns Gestrandeten aber ist nicht die Rede. Sind wir selbstsüchtig? Wir fühlen uns vergessen und verlassen.

Wer hat schon mal Pfannkuchenteig mit einer Gabel angerührt? Ich rate euch ab. Mindestens ein Schneebesen ist zu empfehlen. Ich habe gestern mit der Gabel fast eine Stunde gebraucht. Da wir auch keine Schüssel haben, musste der verbeulte Aluminiumtopf herhalten. Leider schmeckte der Teig dann auch nach Alu, denn ich habe wahrscheinlich erhebliche Mengen des giftigen Metalls beim Rühren vom Boden weggekratzt. Aber was hilfts, wenn die Tochter sich doch Pfannkuchen wünscht? Beim Braten ist dann auch noch das Gas ausgegangen. Heute muss ich sehen, wo ich eine neue Gasflasche bekomme.

Zahlungsproblem 23.03.

Nachdem wir aus Iguazu nicht so bald wegkommen, müssen wir unseren Aufenthalt im Apartment verlängern. Fede, dem Vermieter ist es recht, wahrscheinlich ist er froh über ein paar Einnahmen in diesen düsteren Zeiten. Aber wie sollen wir ihn bezahlen? Über die Webseite AirBnB ist es nicht möglich! Es ist unglaublich, die Seite sperrt einfach den ganzen Kalender bis zum derzeit geplanten Ende der Quarantäne und Ausgangssperre am 31. März! Denkt denn von diesen hirnverbrannten Idioten überhaupt irgendjemand daran, dass hier vielleicht noch Leute festsitzen? Den ganzen Nachmittag verbringe ich mit vielen vergeblichen Versuchen, unsere Wochenmiete an Fede zu schicken oder zu überweisen. Paypal funktioniert nicht. Xoom ebenso. Eine Auslandsüberweisung schlägt fehl. Unglaublich, was man hier alles dafür braucht: Den Geburtsnamen der Mutter, alle möglichen Steuernummern, vollständige Adresse und Telefonnummer. Es hilft nichts. Ich versuche, mich bei payoneer anzumelden, einer anderen Geldtransferagentur. Auch das gelingt nicht. Schließlich mache ich mich völlig entnervt auf den Weg zum nächsten Geldautomaten. Der Maximalbetrag, den ich abheben kann, ist diesmal zum Glück 5000 Pesos, rund 73 Euro. Manchmal bekommt man auch nur weniger als die Hälfte. Dafür ist eine Gebühr von 9,40 Euro fällig. Mit diesen lächerlichen 12,5% habe ich bestimmt irgendeinen fetten Bankier unterstützt.

Mein Weg durchs Viertel zum Einkaufen, eigentlich eine willkommene Abwechslung und die einzige Möglichkeit, sich die Beine zu vertreten, gerät zur Zitterpartie. Unser Viertel liegt offenbar direkt neben einer sehr ärmlichen Nachbarschaft, die ich auf dem Weg zum Geldautomaten durchquere. Google Maps hat mich hier lang geschickt. Den Rückweg will ich anders gehen, nehme ich mir vor. Ein paar Straßen weiter schwelt seit gestern ein Feuer, Brandgeruch liegt in der Luft. Die Rauchfahne kann ich von einem Hügel aus gut sehen. Viele verlassene Häuser und aufgegebene Baustellen, ärmliche Häuser und brachliegende Grundstücke gibt es hier, vergessene Schrottautos stehen rostend auf der Straße. Leute sitzen auf der Straße oder vor ihren Hütten und beäugen mich argwöhnisch, wie mir scheint. Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, meine Nerven sind derzeit nicht die besten. Auf dem Weg komme ich in unmittelbarer Nähe auch an ganz normalen Häusern vorbei, deren Bewohner sich durch hohe Zäune, Mauern und Gitter schützen. Wer hier etwas besitzt, muss es offenbar gut bewachen. Stacheldraht liegt in dicken Rollen auf Mauerkronen, manche Zäune tragen eine Bewehrung aus elektrisch geladenem Draht. Der einzige Geldautomat der Gegend steht direkt gegenüber der örtlichen Polizeistation – warum wohl? Rasch bediene ich das Gerät und sehe zu, dass ich wieder verschwinde. Der Supermarkt liegt nahe, ein Lichtblick: Es scheint hier noch fast alle Waren zu geben, wenn auch das Gemüse schon sehr schrumpelig wirkt. Eier werden einzeln ohne Verpackung verkauft. Ich nehme mir vor, morgen mit unserer leeren Eierschachtel wiederzukommen.

Ich bin froh, dass ich mit dem Blog eine Beschäftigung habe. 3498 Seitenaufrufe hatte meine Seite in den letzten sieben Tagen. Offenbar ist es vielen Leuten langweilig. Im Moment, am frühen Morgen läuft das Internet hier wieder flüssig, gestern hat es ziemlich gestockt. Zum Glück haben wir jetzt wieder WLAN und können unser Datenvolumen sparen.

Neben dem üblichen Tagesprogramm (Gymnastik, Informationen suchen, Trinkwasser abkochen, Spanisch lernen, Stadt-Land-Fluss, Kochen) habe ich mir für heute vorgenommen, das Leck an unserer Gasflasche beziehungsweise dem Gasschlauch zu suchen und wenn möglich abzudichten. Immer, wenn wir kochen, riecht es nach Gas… das ist nicht gut. Andrea liest viel und lernt am meisten von uns Spanisch, Pia hört Musik und lernt Gedichte auswendig. Gestern erfreute sie uns durch einen perfekten Vortrag der Bürgschaft, als nächstes hat sie sich den Zauberlehrling vorgenommen. Wir erzählen uns gegenseitig Geschichten und Märchen.  So vermeiden wir, ständig nach Neuigkeiten zu Corona oder unserer Situation zu forschen, um uns nicht komplett verrückt zu machen. Uns geht es hier den Umständen entsprechend gut. Gestern haben wir die Tagesschau angesehen. Angesichts der Berichte über Italien oder auch Venezuela haben wir hier nichts zu jammern.

Isoliert 22.03.

Danke liebe Freunde, für eure Ideen und Vorschläge. Ja, wir sind bei Elefand registriert und stehen in Kontakt mit der Botschaft in Buenos Aires. Andrea hat uns auch bei rueckholprogramm.de eingetragen, aber wir können dort unsere Daten nicht einsehen oder ändern. Wenn wir uns einloggen, landen wir mal auf einer, mal auf einer anderen Seite. Möglichkeit 1: Gelber Hintergrund, groß stehen in der Mitte die Worte „Where to?“ sowie ganz klein oben rechts der Loginname und die Möglichkeit sich abzumelden und irgendwas von Third Party Access, das nicht funktioniert. Für mich schaut das aus wie ein hängender Programmcode von SAP.
Manchmal landen wir aber auch bei Möglichkeit 2: Leere Eingabefelder, so als ob wir unsere Angaben noch nicht in der Datenbank hinterlegt hätten.
Wenn das hier jemand liest, der davon Ahnung hat, bitte schick mir einen Kommentar.
Wir zögern noch, unsere Daten nochmals einzupflegen, weil wir natürlich Doppelungen vermeiden wollen.

Ihr könnt uns keine Pakete schicken. Die Idee ist lieb gemeint, hat aber leider einen Haken: Momentan fliegt so gut wie nichts. Abgesehen davon sind wir (noch) mit allem Nötigen versorgt.
Manche fragen mich, ob wir nicht langsam heimkommen wollen. Natürlich! An eine Fortführung unserer Weltreise ist nicht zu denken. Ganz Südamerika ist zu, es gibt keine Transportmöglichkeiten, Busse, Flüge… alle Grenzen sind dicht. Wir wollen nur noch raus hier und möglichst nach Hause, bevor hier das komplette Chaos ausbricht. Das argentinische Gesundheitssystem ist definitiv nicht vergleichbar mit dem deutschen oder italienischen. Nicht auszudenken, was hier passiert, wenn die Infektionen derart hochschnellen. Was wir uns wünschen, ist ein Auto oder ein Bus oder am besten ein Inlandsflug, mit dem wir nach Buenos Aires kommen. Von dort starten die Rückholflüge, nicht von hier in Iguazu. Bis in die Hauptstadt sind es gut 1300 km, bei optimistischer Schätzung braucht man für die Strecke mit dem Auto rund 15 bis 20 Stunden. Da hier aber eine strenge Ausgangssperre verhängt wurde, dürfen wir uns erst auf den Weg machen, wenn wir ein gültiges, bestätigtes Rückflugticket vorweisen können und symptomfrei sind. Für den Weg brauchen wir dann einen Passierschein (haben wir bereits) und ein Transportmittel, das uns fehlt. Der erste Rückholflug geht angeblich morgen und ist schon voll mit Familien mit Kindern und älteren Leuten, vor allem Menschen, die bereits in Buenos Aires sitzen. Auf der Internetseite der Botschaft steht, dass mindestens noch ein weiterer Flug geplant ist. Irgendwie müssen wir es bis dahin schaffen. Die deutsche Botschaft warnt ausdrücklich davor, die Ausgangssperre voreilig zu brechen, da harte Sanktionen drohen.

Die Lage ist angespannt, in der Stadt sind immer weniger Leute unterwegs. Unsere Unterkunft liegt an einer Kreuzung. Jedes mal wenn ein Auto stehen bleibt, denken wir: Jetzt holt uns die Polizei. Sicher, das ist paranoid, aber nach dem Vorfall letzte Nacht verständlich. Ich war gestern hier im Viertel einkaufen: Die Läden sind überwiegend geschlossen, bei manchen wird durch ein Türgitter verkauft. Das geht so: Im dunklen Laden sitzt irgend wo ein Mensch, ich kann ihn kaum sehen. Freundlich grüße ich und frage, ob er die Dinge hat, die auf unserer Wunschliste stehen. Die spanischen Wörter für die wichtigsten Nahrungsmittel kenne ich schon. Der Mann sucht die Sachen zusammen, die er da hat und packt alles in ein paar Tüten. Auf Abstand bedacht erfolgt der Austausch von Geldscheinen und Wechselgeld, natürlich kann ich nicht mit der Kreditkarte bezahlen sondern nur bar. Schließlich reicht er mir die Waren durchs Gitter. Gestern habe ich in drei verschiedenen Tante-Emma-Läden das Allernötigste bekommen. Der eine hatte Brot, der andere Äpfel, der dritte Kartoffeln. Heute will ich versuchen, mich bis zum nächsten Supermarkt vorzuwagen. Pia hustet noch immer und geht deshalb nicht raus. Andrea bleibt bei ihr. Auf keinen Fall wollen wir hier auffallen, zu tief sitzt noch der Schrecken.

Nein, wir hamstern nicht. Überhaupt scheinen die Argentinier zwar auch Vorräte anzulegen, aber breit gestreut. Ich frage mich, warum die Deutschen so versessen auf Klopapier sind? Ist das ihre Lieblingsbeschäftigung in der Isolation, aufs Häusl gehen?