Infrastruktur

Die nächste Etappe unserer Reise ist 213 Kilometer lang. Wir brauchen dafür viereinhalb Stunden. Daraus kann man ganz leicht auf den Zustand der Straßen schließen. Überhaupt lehrt uns Laos Geduld. Hier geht alles sehr langsam. Wenn wir uns etwas zum Essen bestellen, wählen wir meist beide das gleiche Gericht, um zusammen essen zu können. Gekocht wird nämlich immer frisch, und zwar eine Mahlzeit nach der anderen. Nie zwei gleichzeitig. Jeder scheint unendlich viel Zeit zu haben, keiner hat es eilig.

Die Landschaft ist atemberaubend: Wir fahren wieder sehr kurvige Passstraßen mit vielen Spitzkehren. An jeder Kurve gibt es einen Panoramablick auf bewaldete Berge, deren Gipfeln in den Wolken stecken. Gerade hat der Fahrer die Klimaanlage ausgeschaltet und die Fenster geöffnet. Die Straße ist so steil, dass der Motor die Steigung sonst nicht schaffen würde. Zum Glück hat er jetzt aufgehört, zu telefonieren. Die erste Stunde der Reise hatte er noch ununterbrochen das Handy am Ohr. Wahrscheinlich gibt es jetzt kein Netz mehr. Als wir auf der anderen Seite des Gebirges wieder herunter fahren, passieren wir mehrere Stellen, wo die Passtraße weggespült oder von einer Lawine weggerissen wurde. Gelegentlich fällt der Blick seitlich der Straße ins bodenlose Nichts. Abgestürzte Autowracks sehen wir erst weiter unten, hier ist schlicht kein Platz, wo sie liegen bleiben könnten.

Es ist in diesem Land nicht ganz einfach, den Blog zu pflegen, denn die Internetverbindung ist sehr langsam und wird regelmäßig unterbrochen. Im Gegensatz zum Internet ist die Stromversorgung in Laos sehr zuverlässig. Bisher haben wir noch keinen einzigen Stromausfall erlebt. Selbst in den entlegeneren Bergregionen Thailands gab es zwar Internet per Glasfaser, aber öfters Stromausfälle. Hier ist es genau anders herum. Übrigens: Ob der Strom öfter wegbleibt, erkennt man schon im Vorhinein an den Toiletten. Kritisch ist es immer da, wo im Klo ein großer Bottich mit einer Schöpfkelle bereit steht, das ist dann die Reservespülung. Ohne Strom gibt es über kurz oder lang auch keinen Wasserdruck mehr.

In ganz Luang Prabang, immerhin Provinzhautstadt, gibt es keine Ampel. Der Verkehr läuft überwiegend per Zweirad. Auf ein Auto kommen sicher zehn Mopeds und Roller. Auch kleinere Motorräder sieht man gelegentlich. Viele Mopeds sind mit abenteuerlich konstruierten Beiwägen versehen. Um größere Lasten oder komplette Großfamilien zu transportieren, schraubt oder schweißt man ein Gestell aus Baustahl, Flacheisen oder Schrotteilen, die gerade zur Hand sind am Rahmen fest, bastelt irgendein drittes Rad dazu und los geht’s. Der TÜV bei uns hätte seine helle Freude. Die meisten Autos sind schon älter und stark zerschlissen: Man sieht vor allem Toyotas, Hyundais, Kia und Isuzu, aber auch brandneue Pickups von Nissan sowie ältere Geländewagen von Ford. Die TukTuks hier sind ganz anders als die wir bisher sahen. Sie ähneln eher einem Trike: Vorn ist es ein hochgebocktes Motorrad, der Fahrer sitzt meist aber auf einer Art selbstgebasteltem Sessel. Hinten gibt es entweder eine abenteuerlich schiefe Ladefläche oder zwei bis drei Sitzbänke in variabler Anordnung.

Überhaupt ist Improvisationstalent gefragt. Gerüste auf Baustellen werden aus allerlei Holzteilen zusammengeknotet, vor allem Bambus ist das Universalmaterial. Elektrische Leitungen werden angestückelt, wie man es gerade braucht. An jedem Laternenpfahl hängt ein dichtes Gewirr von Leitungen. Wenn gerade nichts anderes zum Abdichten und Isolieren parat ist, tut es auch eine alte Plastikflasche. Über das lose Kabelende gesteckt, hält das mindestens bis zum nächsten stärkeren Wind.

11.09.2019, Vientiane, 15:15 Uhr

Laos und der Mekong

Wollt ihr ein wenig über Laos wissen?
Wenn nicht, überspringt einfach das nächste Kapitel. Ich war überrascht, was ich alles noch nicht über dieses Land gewusst hatte. Hier eine kleine Zusammenfassung aus dem Lonely Planet, unserem Reiseführer und aus Wikipedia.

Laos ist nicht nur zu 50% von Wald bedeckt und landschaftlich wunderschön, sondern auch sehr arm.
Ein großes Umweltproblem sind neben der Entwaldung und Vernichtung von Fauna und Flora zur Land- und Holzgewinnung die Unmengen an Blindgängern, die aus dem Vietnamkrieg stammen. Es handelt sich um einen der Staaten mit den größten Mengen an scharfem Kriegsmaterial im Boden. Von den mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben, die zwischen 1964 und 1973 von den amerikanischen Luftstreitkräften über Laos abgeworfen wurden, sind bis heute etwa 50 Prozent des Territoriums betroffen. Pro Einwohner waren das 2,5 Tonnen Bomben, damit ist Laos eines der am schwersten bombardierten Länder weltweit. Für einen landwirtschaftlich geprägten Staat stellt dies ein großes Problem dar, da regelmäßig Menschen durch Blindgänger verletzt oder getötet werden. Projekte, welche sich mit der Aufklärung der Bevölkerung und der Beseitigung von Blindgängern beschäftigen, sind mit die größten Arbeitgeber des Landes. Finanziert werden sie von der UNDP sowie einigen Industriestaaten und Hilfsorganisationen, jedoch nicht durch die USA, die bis heute keinerlei Reparationszahlungen leisten.

Das Land hat etwa zwei Drittel der Fläche Deutschlands, aber nur etwa 7 Millionen Einwohner, wobei rund 40% die großen Städte Vientiane, Pakse, Savannakhet und Luang Prabang bewohnen. Die Landwirtschaft produziert durchaus Überschüsse, allein können die Produkte aufgrund fehlender Infrastruktur nicht in Handel gebracht werden. Es fehlt der Zugang zu den Märkten. In den ländlichen Gebieten herrscht Subsistenzwirtschaft und Tauschhandel. Hauptexportgüter sind Holz, Kaffee und elektrische Energie aus Wasserkraft. Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegte das Land 2017 Platz 133 von 180 Ländern.

Malaria, Dengue-Fieber und Typhus sind neben anderen Tropenkrankheiten verbreitet, es gibt durchaus nicht überall Zugang zu sauberem Trinkwasser und die Lebenserwartung beträgt durchschnittlich 67 Jahre.
Noch in den 1990er Jahren war Laos neben Myanmar und Afghanistan der größte Opiumexporteur weltweit, bis heute hat das Land große Probleme mit den einheimischen Abhängigen. Drogenhändlern droht die Todesstrafe, den Opiumbauern jedoch fehlen alternative Cash Crops, also geldbringende Produkte. Nur zwei Drittel der Männer und ein Drittel der Frauen über 15 Jahren können lesen und schreiben, rund 40 % der Laoten haben noch nie eine Schule besucht. Laos ist ein kommunistischer Staat, einer von weltweit nur noch fünf. Auf dem Korruptionsindex liegt das Land weit vorne. Vertreter einflussreicher Familien streben gezielt politische Ämter an, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Seit den 1980er Jahren wurde eine Politik der Öffnung betrieben und mit dem Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft geht es langsam voran.
Die meisten Laoten sind Buddhisten, es gibt unter den Bergvölkern auch Animismus und Ahnenkult. Kleine Gruppen von Muslimen und insbesondere Christen sehen sich mit massiven Einschränkungen konfrontiert. Konflikte mit dem Hmong-Volk, welches in den 1970er Jahren von der CIA als Konterguerilla instrumentalisiert wurde, bestehen fort. Die letzten Widerstandsgruppen leben in bitterer Armut in Bergregionen, es kommt auch heute noch immer wieder zu Anschlägen in und um Vientane. Andererseits wird auch von Menschenrechtsverletzungen seitens des Militärs berichtet.

Heute befahren wir den Mekong von Houai Xai bis Pakbeng, wo wir übernachten. Morgen geht es dann weiter bis Luang Prabang. Die Bootsfahrt ist nach der vielen Busfahrerei in den letzten Tagen entschleunigend. Wir sitzen in einem langgestreckten hölzernen Kahn, der zum Glück ein festes Sonnendach hat. Vor dem Maschinenhaus am Heck gibt es sogar Toiletten und eine kleine Imbisstheke. Die Verkäuferin hat ihren Sohn dabei, ein etwa 12-jähriger pummeliger Junge mit Downsyndrom. Im Vorbeigehen tippt er ein bisschen auf meiner Tastatur herum und wir lachen. An uns zieht eine fantastische Landschaft vorbei: Undurchdringlicher Urwald, hohe Berge, sanfte grüne Hügel, ganze Wälder von Riesenbambus, gelegentlich auch landwirtschaftliche Flächen und ganz selten auch menschliche Ansiedlungen wechseln sich ab. Links ist zunächst Laos, rechts Thailand, bis sich der Fluss nordöstlich nach Laos hinein windet. Andere lange, oft offene Boote begegnen uns. Ein paarmal schießt ein Schnellboot mit ohrenbetäubendem Lärm vorbei. Die Piloten tragen meist einen Integralhelm, wie bei einem Rennboot. Immer wieder rücken steile Ufer ganz nahe und die Fahrrinne im Fluss führt dicht an schroffen Felsen vorbei. Hinter den hausgroßen Basaltbrocken und in den engen Flusskehren bilden sich riesige Strudel und Kehrwasser, teils Wildwasser. Das schlammig braune Wasser schäumt hier ziemlich ungemütlich. Wir hoffen sehr, dass der Kapitän sich gut konzentriert. Ab und zu halten wir an kleinen Anlegestellen an, jemand steigt ein oder aus, es werden Bündel und Paketen herüber gereicht. Eben ist der junge Mann neben mir über die Brüstung unseres Bootes geklettert. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ein kleines Ruderboot längsseits gekommen ist. Mit einem großen Schritt steigt er zu seinem Kumpel hinunter, der ihn hier abgeholt hat. Wie haben sich die beiden bloß verabredet? Wo wollen sie nur hin? Weit und breit ist nichts zu sehen.

Leider hat der paradiesische Panoramablick auch Schattenseiten. Immer wieder treiben Müllteppiche vorbei. Zweimal fällt mein Blick zufällig auf die aufgedunsenen Kadaver von Kühen. Kein schöner Anblick. Als wir am Tagesziel anlegen, beobachte ich, wie die Imbissverkäuferin sich mit aneinandergelegten Händen mehrfach zum Fluss hin verneigt. Sie spricht ein kurzes Dankgebet für die gute Ankunft. Dann greift sie ins Regal und wirft ohne Zögern eine Handvoll in Plastikfolie verschweißter Schokoriegel ins Wasser. Das war das Opfer.

Wir sind Millionäre!

Die Busfahrt von Chiang Rai zur Grenze nach Laos ist relativ kurz, der altersschwache Bus braucht für die gut 100 Kilometer etwa zweieinhalb Stunden. Die thailändische Grenzstadt heißt Chiang Kong, ihr gegenüber in Laos liegt Houai Xai.
Von der Schnellstraße ein paar Kilometer außerhalb Chiang Kong bis zur Grenze müssen wir zunächst in ein Tuktuk umsteigen, anschließend die thailändischen Grenzformalitäten über uns ergehen lassen (zeitraubend, aber problemlos), ein Ticket kaufen, Geld wechseln (für 4000 Baht gibt es 1.140.000 Kip!), dann in einen Reisebus steigen, der uns über die Mekongbrücke bringt, das Visum für Laos beantragen, wiederum die Passkontrolle passieren, dreißig Dollar Einreisegebühr bezahlen (nur neuwertige Scheine!), nochmal ein Ticket kaufen und schließlich per Taxi in die Stadt Houai Xai fahren.
Die Gebäude der Grenze sind auf beiden Seiten riesig und pompös, es fehlt eigentlich bloß noch der echte Marmorfußboden. Die Straßen sind besser ausgebaut als so manche deutsche Autobahnen, aber nur auf den ersten paar hundert Metern ins Landesinnere. Auf laotischer Seite verwandelt sich der Weg dann flugs in einen kariösen Feldweg, der uns über löchrige, einspurige Brücken in die Grenzstadt führt.

Große Überraschung: Auf einmal sind die Lenkräder wieder auf der richtigen Seite und alles fährt rechts! Für uns ist das eine echte Umstellung. Wir suchen uns eine Unterkunft, was dank Nebensaison überhaupt kein Problem ist, essen etwas verspätet zu Mittag und laufen dann ein wenig durch den verschlafenen Ort. Das Preisniveau ist deutlich niedriger als in Thailand, das noble Hotelzimmer kostet ~10€, zwei Espressi und ein Stück Kuchen ~2,50€, ein Bier ~1,00€. Um halb acht Uhr abends werden dann hier auch die Bordsteine hochgeklappt und es ist nichts mehr los.

Uns ist es recht, denn morgen früh geht’s per Slow Boat auf den Mekong. Wir werden das Goldene Dreieck hinter uns lassen und uns wieder Richtung Südosten bewegen. Mit etwa 20°N haben wir den nördlichsten Punkt unserer Reise erreicht, es wären jetzt noch 220 Kilometer Straße bis China, Luftlinie 130 Kilometer.