Torres del Paine, Chile

Ein wenig ärgern wir uns, dass unsere Möglichkeiten in dieser grandiosen Landschaft doch recht eingeschränkt sind. Die Touren zu den schönsten Stellen im Park sind durchorganisiert von Anfang bis Ende. Ameisenstraßen von grellbunten Goretexträgern winden sich über den berühmten W-Trek und zum Basecamp der Torres. Ohne monatelange Vorbestellung bekommt man nicht mal einen Campingplatz. Einfache Hostels verlangen im Park Phantasiepreise ab 300€ pro Nacht. Den Nationalpark kann man zwar mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen, aber das wars dann auch. Weiter von den wenigen Haltestellen geht’s dann nur zu Fuß oder per Anhalter. Doch auch die Busse zurück in die Zivilisation fahren schon recht zeitig.  Individuelle, weniger begangene Wanderwege erreicht man nur mit dem eigenen Auto beziehungsweise mit dem Mietwagen. Wir müssen wohl auf eine organisierte Bustour ausweichen, wenn wir noch etwas vom berühmten Torres-de-Paine-Nationalpark sehen wollen.

Die Tour entpuppt sich als Glückstreffer. Der junge Matias, unser Guide und Don Miguel, der Fahrer zeigen uns die Highlights des 2420 Quadratkilometer großen Nationalparks. Die Zahl der fußlahmen Mitfahrer in unserem Mitsubishi-Bus ist überschaubar, etwa 20 Leute sind es, überwiegend Chilenen. Alle sind wir begeistert von den überwältigenden Ausblicken. Unsere Berge daheim kommen mir im Vergleich dazu vor wie eine Spielzeugeisenbahnlandschaft. Kein Wunder, dass die Gipfel hier viel kolossaler wirken: Wir stehen auf 120 bis 160 Meter über Meereshöhe, da wirkt ein zweieinhalbtausend Meter hoher Berg extrem gigantisch. Die Torres del Paine sind Teil eines einzigartigen Bergmassivs: Fast senkrechte Felsnadeln zwischen 2600 und 2850 Meter Höhe werden begleitet von zwei gigantischen gletscherbedeckten Bergstöcken, dem Paine Grande und dem Almirante Nieto. Die hellen Granitflanken tragen Spitzen aus dunklem Konglomeratgestein. Paine bedeutet in der Sprache der Ureinwohner Tehuelqe blau: An 30 Tagen des Monats ist nämlich der Himmel bedeckt und die Berge haben dann eine dunkelblaue Farbe. Wir haben einen Tag mit wechselnder Bewölkung und ziemlich viel Sonne erwischt – fast ein Wunder!

Kondore, Guanakos und Pumas bevölkern den Park in relativ großer Zahl: Die Guanakos und Kondore sehen wir heute auch aus der Nähe, die Pumas leider nicht. Begegnungen mit den Raubkatzen sind jedoch gar nicht so unüblich. Miguel zeigt uns einen Video auf seinem Handy: Eine Pumamutter und ihre zwei drolligen Babys überqueren eine Straße direkt zwischen wartenden Autos.

Der Wind bläst uns am Lago Grey fast von den Füßen. Vor uns liegt der Strand des Sees, dahinter der Gletscher Grey. Das Wasser ist so aufgepeitscht, dass wir noch hundert Meter vom Ufer entfernt Gischt abbekommen. In deutlicher Schräglage kämpfen wir uns gegen den Orkan, bis wir die knallblauen Eisberge aus der Nähe sehen. Unterhalten kann man sich hier nicht, die Worte werden vom Sturm weggerissen, bevor sie das Ohr des andern erreichen. Kleine Sandkörnchen brennen wie Nadeln im Gesicht. Windgeschwindigkeiten von 100 Stundenkilometern sind ganz normal, der bisher gemessene Rekord war 207 Stundenkilometer. Nicht umsonst wird davor gewarnt, an gewissen Stellen im Park das Auto abzustellen. Immer wieder werden leichtere Pkw vom Wind davongeblasen.

Puerto Natales, 24.02.2020

Perito Moreno in Argentinien

Die Busfahrt ins nahegelegene Argentinien ist wieder eine einzige Schau. Die tiefstehende Sonne beleuchtet die Berge spektakulär, wieder sehen wir mehrere Kondore über den Gipfeln kreisen. Das Land ist so unglaublich weit. Solche Weite habe ich bisher nur in der Wüste oder am Meer erlebt. Doch hier ist es wieder ganz anders. Die langgestreckten Wolken unterstreichen die Weite noch, auf der riesigen Ebene ist nichts außer Grasbüscheln, Zäunen, ein paar Felsen und Sand. Immer wieder sind kleine Herden Guanakos zu sehen, ab und zu auch ein Nandu. Ein oder zweimal pro Stunde taucht eine Estancia naben der Straße auf; stets mit einem Windrad für die Wasserpumpe und ein paar Bäumen als Windschutz. Als wir aus der Hochebene ins Tal des Rio Santa Cruz herunter fahren, ist die Fernsicht überwältigend. Bis weit hinein in die Anden sind die Berge sichtbar, das sind etwa 200 Kilometer.

Doch schon kurz drauf sind wir angekommen in El Calafate, einer Kleinstadt mit riesiger Ausdehnung. An der hoch über der Stadt gelegenen Busstation gibt es auch keinen Geldautomaten. Wacker treten wir den Fußweg zu unserem Hostal an. Etwas anderes bleibt uns auch nicht übrig, denn wir haben kein argentinisches Geld und kein Internet, um einen Uber zu bestellen. Der Wind fegt uns beinahe davon. In Puerto Natales wurden wir schon gewarnt, dass man an gewissen Stellen sein Auto nicht abstellen sollte, immer wieder werden Pkws vom Wind umgeworfen und davongefegt. Unser Weg endet in einer Sackgasse, wir laufen zurück.

Auf dem anderen Weg endet der Asphalt nach ein paar hundert Metern und wir bauen unsere Trolleys zum Rucksack um. Im Kies leiden die Rollen sehr durch den Staub, so leiden nur unsere Bandscheiben und unsere Bindehäute. Die vorbei brausenden Pickups und Geländewägen wirbeln davon ausreichend Material in die Luft. Die Adresse, zu der uns unsere Offline-Satelliten-Navigationsapp leitet, erweist sich als vollkommen falsch. Wir landen an einem Campingplatz. Wer will bei nächtlichen Temperaturen um den Gefrierpunkt schon zelten? Der freundliche Wirt weist uns den Weg, nur verstehen tun wir nicht viel davon. Wir irren weiter über Schotterpfade, wieder tragen wir unsere Packen auf dem Rücken, bei mir verkrampft sich alles. Da vorn, ein Taxistand! Trotz aller Vorbehalte bin ich jetzt soweit, ein Taxi zu nehmen. Da stellt sich heraus, dass der Taxistand genau gegenüber von unserem Hotel ist. Nach dem Einchecken läuft es wie von selbst: Geldautomat (sauteuer!), Einkaufen, lecker Essen… ein Traum.

Perito Moreno Gletscher und Lago Argentino

Der Ausflug zum Gletscher ist der Hammer. Wir haben das bestmögliche Wetter erwischt, die Fernsicht und der wolkenlose Himmel sind überwältigend. Der Gletscher gehört zum großen patagonischen Inlandeisfeld zwischen Chile und Argentinien, nach der Antarktis das größte zusammenhängende eisbedeckte Gebiet auf der Südhalbkugel. Eine riesige Wand aus Eis erstreckt sich etwa fünf Kilometer breit in die südwestliche Flanke des Lago Argentina. Obwohl der See hier rund 160 Meter tief ist, ragt der Eispanzer noch bis zu 70 Meter über die Wasseroberfläche hinauf. Winzig kommen wir uns angesichts dieses Naturwunders vor.

Wir nehmen das Gletscherboot, um über den eisigen See bis kurz vor die Eiswand zu fahren. Durch den immensen Druck, der auf dem Eis lastet, kracht und knallt es alle paar Minuten. Wie riesige Zähne ragen die Eissäulen dicht gepackt nebeneinander auf, immer wieder brechen große Eisblöcke vom Gletscher ab. Mit lautem Getöse donnern sie ins Wasser, das Echo hallt mehrfach nach. Ich stelle mir unsere Stadtpfarrkirche daneben vor. Die Kirchturmspitze würde nicht mal über den Rand emporragen. Nach der Schiffstour wandern wir noch über die sehr gut ausgebauten Wege des Nationalparks um die Gletscherzunge herum. Zurück in der Stadt lernen wir beim Abendessen in der Pizzeria nicht nur eine chilenische, sondern außerdem eine französische und eine argentinische Familie kennen. Sehr unterhaltsam!