Über den Tonle Sap und den Tonle Siem Reap nach Battambang
Diese Bootsfahrt werden wir nicht vergessen! Die Eindrücke lassen uns staunen, die Begegnungen mit den Menschen auf dem Fluss mindestens genauso. Die rund zwanzigköpfige Reisegruppe besteht zu gleichen Teilen aus Touristen und Einheimischen. Unsere Fahrt führt uns über den Tonle Sap, Kambodschas größten Süßwassersee. Seine Fläche ist mit 2700km2 fünfmal der Bodensee und damit schon normalerweise gigantisch. Durch die anhaltenden Regenfälle ist er momentan auf das Doppelte angewachsen. Wir fahren also erstmal durch einen überfluteten Wald, rechts und links des Bootes gleiten die Baumkronen vorbei. Später wird das Gebüsch so dicht, dass nur noch eine schmale Fahrrinne bleibt.
Unser Kapitän macht sich einen Spaß daraus, mit unverminderter Geschwindigkeit durch die Büsche zu knattern, die Äste peitschen durch die offenen Fenster herein. Wir sind aber schon gewarnt: Der Schiffsjunge kann sich mit seiner Gestik und Mimik sehr beredt ausdrücken. Später unterhält er das halbe Boot mit Fingerspielen. Besonderen Gefallen findet er an den Tricks, die Matthieu, Felix und ich mit ihm austauschen. Nach jedem Kunststück werden reihum die Hände geschüttelt, klassisch, im Gangsterstil, oben, unten, mit und ohne Abklatschen. Wir überlegen, wie alt der Junge sein mag? Er ist sehr schwer zu schätzen, zumal sein Gesicht durch das Downsyndrom gezeichnet ist. Wir haben jede Menge Spaß und es bleibt kaum Zeit, um die schwimmenden Dörfer zu bewundern, die wir immer wieder passieren. Eigentlich sind es schon eher Städte, die hier im Wasser treiben. Jedes Haus steht auf Pontons oder alten Fässern und überall sind die typischen Langboote unterwegs. Immer wieder legen wir an, damit jemand aussteigen kann oder es kommt eins der langgestreckten Motorboote zu uns herüber, damit wir Waren oder Menschen übernehmen können. Gerade halten wir an einem großen Hausboot neben einem schwimmenden Tempel. Neben unserem Kahn sind zwei kleine Mädchen beschäftigt, die Wassertanks in ihrem Motorboot mit Frischwasser zu füllen. So wie man bei uns Fahrrad fahren lernt, können die beiden mit ihren geschätzten acht oder zehn Jahren das Motorboot bedienen.
Mittags halten wir in einem schwimmenden Dorf an. Jeder ist froh, die Toilette des Floßrestaurants benutzen zu können, auch wenn diese nicht mehr Komfort bietet als der kleine Verschlag neben dem Motor. Eine Frau brät kleine Fische auf einem Gaskocher, dazu gibt’s Reis und Wasserspinat. Für ein Spiegelei verlangt sie einen Dollar, was mir angemessen erscheint. Schließlich gibt es hier jede Menge Wasser, aber keine Hühner! Ein paar Mutige aus der Reisegruppe bestellen das Menü. Bei der Weiterfahrt wird es richtig abenteuerlich. Nun ist die Fahrrinne nicht nur extrem eng, sondern auch gewunden und kurvig. Außerdem scheinen uns die entgegen kommenden Boote stets an den engsten Stellen zu begegnen. Mehrfach müssen wir halten, damit die Schraube von Treibgut befreit werden kann, oder weil wir uns in den herabhängenden Bäumen verfangen haben. Die Äste der Uferpflanzen peitschen so heftig durch die Fenster herein, dass wir in der Mitte Schutz suchen und überall die Regenschutzplanen herunterrollen. Der Boden des Bootes ist bedeckt mit abgerissenen Blättern und Ästchen. Ein paar achtbeinige Passagiere steigen auch für kurze Zeit mit ein. Einmal wischt ein Baum so heftig über das Dach und unser Gepäck, dass wir die darüber liegende Plane und einen Koffer beinahe verlieren.
Ich unterhalte mich mit einem Kambodschaner, der für die Gemeinde seines Wasserdorfes arbeitet, mit Franzosen, Schweizern und Briten. Die Nester von Webervögeln hängen an den Bäumen. Im Wasser überall der unvermeidliche Plastikmüll, durch die Überschwemmungen hängt der Mist sogar zwei Meter über dem Wasserspiegel. Unser Steuermann sitzt auf einem Plastiksessel hinter einem alten Autolenkrad. Wenn er das Steuerrad bewegt, wickelt sich unter seinen Füßen ein Strick auf ein Stück Holz, das mit der Lenksäule verbunden ist. Der Strick läuft zu beiden Seiten die fünfzehn Meter nach hinten und bewegt das Ruder. Einfach, aber funktional! Wozu die Handbremse bei diesem Kutter dient, habe ich allerdings nicht herausgefunden.
Natürlich gibt es bei der Ankunft in Battambang die übliche Überraschung: Wir sind gar nicht in Battambang, sondern zwölf Kilometer außerhalb. Ein halbes Dutzend TukTukfahrer redet auf die westlichen Passagiere ein, jeder möchte gerne eine Fahrt abgreifen. Sie haben da eine wirkungsvolle Masche: Total aufgeregt schreien sie durcheinander und verbreiten eine furchtbare Hektik, um die Neuankömmlinge zu verunsichern. Ich bleibe erstmal eisern sitzen, bis alle anderen raus sind, dann überzeuge ich mich bei den Locals, dass es stimmt, was die Taxler behaupten. Leider ist es so: Eine schlaue Verabredung der verschiedenen Interessengruppen (Bootsleute, Taxifahrer, TukTukfahrer) verbietet es, das Revier der Konkurrenz zu verletzen. Jeder soll seinen Teil verdienen. Unser Fahrer entpuppt sich als fairer Partner. Gern würde er uns auch morgen noch chauffieren. Mal sehen!
Mit ca. 200.000 Einwohnern ist Battambang die zweitgrößte Stadt des Landes. Sie wird auch als „Reiskorb“ von Kambodscha bezeichnet, da das Umland sehr fruchtbaren Boden für den Reisanbau aufweist. Damit lassen sich rund in der Region sogar zwei Ernten im Jahr realisieren. Ansonsten ist die Stadt noch relativ wenig vom Tourismus berührt.
Ein Mann läuft die Straße entlang, an einem Fuß trägt er eine Sandale, am anderen einen Gummistiefel, er geht an einer Krücke. Woanders würde man sich denken: Komisch. Hier ist es sofort klar, dass er eine wackelige Prothese trägt. Ein Kind winkt uns aus einem ärmlichen Verschlag heraus. „Hello! Hello!“ Es ist nackt. Wir radeln noch durch Battambang, auf der Suche nach etwas zu Essen, landen auf Empfehlung unseres Zimmerwirts in einem sehr guten vegetarischen Restaurant – eine andere Welt. Das Essen ist ausgezeichnet, außerdem kommt der Erlös hier dem Wohl notleidender Kinder zu. An Wohlfahrtsunternehmungen fehlt es in Kambodscha nicht, und das ist auch gut so.