Buenos Aires

„Va a Avenida Mexiko?“, frage ich den Busfahrer in meinem glockenklaren Spanisch. Seine Antwort ist ein langgezogener Krächzlaut, aber irgendwie scheint die Vokabel Mexiko auch darin vorzukommen. Hätte ich doch eins der Mädels fragen lassen! Meine Frau und meine Tochter haben diese Sprache schließlich gelernt. Wir steigen ein. Schließlich hat mir doch meine satellitengestützte Navigationsapp glaubhaft versichert, wir müssten in den 60er Bus einsteigen. Ferner, dass der fragliche Bus einmal pro Minute fahren würde. Ha! Dass ich nicht lache. Die ersten fünf Busse mit der entspechenden Nummer lassen sich erstmal gar nicht herab, für uns anzuhalten. Dann lange nichts, es fahren alle anderen, nur kein 60er. Und jetzt der arme Mann mit dem Halsproblem. Ob er wohl Corona hat? Der Virus , der halb Europa lahmlegt, ist längst auch hier angekommen. Nein, wir sind uns einig, er hat mich nur verbessert: „Calle Mexiko“, nur spricht man das halt nicht wie spanisch [ˈka.ʝe] aus, sondern eher wie ein gekrächztes, gleichzeitig weiches, verschwurbeltes [ˈkak.se]. Denn unsere Straße ist eine Calle, keine Avenida. Hätte ich ja wissen müssen. Der Gute ist definitiv nicht krank, sondern vielmehr sehr fit und freundlich. Knapp eine Stunde und rund 40 Haltestellen später im dichtesten Berufsverkehr und bei komplett vollem Bus dreht er sich um und macht uns darauf aufmerksam, dass wir jetzt aussteigen müssen.

Seit ein paar Tagen schon halten wir uns in Buenos Aires auf. Die Stadt hat einen wunderbaren Charme und ist voller Gegensätze: Jung, lebendig und leidenschaftlich wie der Tango, der hier geliebt und gelebt wird; alt-ehrwürdig getragen und voller Prunk sowie gleichzeitig arm, geflickschustert und improvisiert. Eine gewisse Melancholie ist zu spüren, denn die Reichtümer dieses schönen Landes werden so gar nicht gerecht verteilt und genutzt. Für uns ist Buenos Aires ganz etwas besonderes, denn unsere Tochter ist hierher gekommen, um uns zu besuchen. Gemeinsam wollen wir die nächsten Wochen Argentinien, Uruguay und vielleicht Brasilien bereisen.

Die japanischen Gärten im noblen Stadtteil Palermo haben uns sehr gefallen, aber der ehemalige Zoo fast noch besser. Dem privaten Betreiber wurde vor ein paar Jahren die Konzession entzogen, nun wird das Gelände in einen EcoParque umgewandelt. Ein paar Tiere gibt es noch, die überwiegend frei  zwischen und durch die Gehege herumstreifen. Besonders hat es uns der Reha angetan. Für uns sieht es aus wie eine Mischung aus Reh und Hase, deshalb Reha. Später stellt sich heraus, dass die Maras oder Großen Pampashasen in die Ordnung der Meerschweinchen gehören.

Auf einer Walking-Tour wandern wir durch das Hafenviertel La Boca. Einst war es eine Gegend, wo die Armen lebten; heute wandelt es sich langsam zum In-Viertel. Die Randgebiete des Barrios sollte man jedoch nur mit Vorsicht und keinesfalls alleine oder nachts betreten. Im touristischen Kerngebiet Caminito dagegen drängeln sich Touristen aus aller Welt. Auf der Straße stehen überall unübersehbar Figuren berühmter Personen herum: Vor allem x-fach der Fußballspieler Diego Maradona, der aus diesem Viertel stammte. Man glaubt es kaum, allein im fußballbegeisterten Buenos Aires gibt es sechs Maradona-Kirchen: Insbesondere zum Heiraten sind diese beliebt. Die Besonderheit dabei ist, dass Jesus dort die Züge des Fußballers trägt, die Madonna die seiner Mutter. Mehrfach begegnet uns Papst Franziskus, der Bischof der Stadt war und ein besonderes Herz für die Armen hat, ebenso wie Evita Peron, die früh verstorbene Gattin des Präsidenten. Noch heute ist sie bei vielen Leuten beliebt und wird verehrt. Überhaupt haben die Argentinier ein großes Herz und viel für Verehrung übrig, so gibt es mehrere inoffizielle wundertätige Heilige, Gauchito Gil etwa, eine Art Landarbeiter-Robin Hood, für den man überall im Land Schreine errichtet.

Abends bereiten wir im Hostel mit Luis und Sebastian aus Kolumbien, Nigel aus Schottland und Ben aus Straubing Arepas zu. Die Bewohner sowohl Kolumbiens als auch Venezuelas beanspruchen die Teigtaschen aus Maismehl als jeweiliges Nationalgericht. Angeblich ließen sich schon die kannibalischen Kariben Arepas mit Menschenhack schmecken. Wir können den Streit auch nicht klären, belassen es heute aber bei der rein vegetarischen Variante.

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