Was verbindet man mit Kambodscha? Schöne und schreckliche Superlative. Angkor Wat und die roten Khmer.
Die roten Khmer errichteten in den 1970er Jahren in Kambodscha eine unglaublich brutale Terrorherrschaft. Der Sicherheitsdienst von Pol Pot ließ unzählige Menschen foltern und rund zwei Millionen umbringen. Das Land wurde in ein riesiges Arbeitslager verwandelt, Menschen aus den Städten in Todesmärschen aufs Land gezwungen, wo sie bei Hungerrationen auf den Feldern arbeiten mussten. Intellektuelle wurden systematisch verfolgt, wobei das Tragen einer Brille als Indiz für den höheren Bildungsgrad genügte. Bis Ende der 1990er Jahre hielten sich noch Verbände der Roten Khmer im Norden. Weite Teile des Landes sind bis heute von Landminen übersät, die Menschen leiden bis heute unter den Hinterlassenschaften des Terrorregimes.
Das Land ist arm, die Lebenserwartung beträgt rund 64 Jahre, der Mindestlohn 125 Dollar monatlich. Die Natur ist (noch) weitgehend unberührt, Umweltprobleme entstehen insbesondere in den letzten Jahren, wo die wirtschaftliche Entwicklung langsam in Gang kommt.
Angkor Wat, die Hauptstadt des alten Khmerreiches ist das größte religiöse Gebäude weltweit, eines der wichtigsten Kulturerbe der Menschheit und wird auch als das achte Weltwunder bezeichnet. Errichtet wurde es unter Suryavarman II im 12. Jahrhundert. Zu seiner Glanzzeit hatte die über 15 Quadratkilometer große Stadt rund eine Million Einwohner – doppelt so viele wie London seinerzeit. Wir sparen uns die Besichtigung auf, denn bald treffen wir hier unsere Kinder, mit denen wir uns das ansehen wollen.
Wir reisen zu Fuß von Chom Chong (Thailand) nach O Smatch (Kambodscha) ein. Inzwischen sind wir es schon fast gewöhnt, die einzigen Westler weit und breit zu sein. Mit rund 150 Thais und Kambodschanern reihen wir uns in die Schlange für die Grenzformalitäten ein. Doch, halt, da sind noch zwei Amerikanerinnen mit thailändischer Abstammung, die hier Thailand für einen Tag verlassen, um morgen die Aufenthaltserlaubnis um weitere 30 Tage zu verlängern. Auf der anderen Seite wartet bereits ein Taxianweiser, der sich an unsere Fersen klebt. Wir werden ins Visabüro gewunken, wo eine Überraschung auf uns wartet: Der Beamte verlangt pro Visum 1300 Baht – wir hatten uns auf 30 Dollar eingestellt, aber die wollte er nicht. Wir kratzen unser letztes thailändisches Geld zusammen, es reicht gerade eben so. In Kambodscha werden nämlich alle größeren Geschäfte in Dollar oder eben in Baht getätigt. Die Landeswährung Riel dient eher als Wechselgeld für Kleinstbeträge und ist nicht besonders beliebt. Unsere Baht hatten wir eigentlich für die Taxifahrt nach Siem Reap vorgesehen, einen Bus gibt es hier nämlich nur zweimal täglich. Die Preisverhandlung mit dem Obertaxler ist kurz. Wie immer bin ich der böse Geizkragen, der die unverschämten Preisvorstellungen ein klein wenig zu drücken versucht. Ich finde jedenfalls 70 Dollar sind absolut ausreichend für eine dreistündige Taxifahrt über 170 Kilometer.
Die Gegend, die vor den Autofenstern vorbeizieht, ähnelt den thailändischen Provinzen, die wir zuletzt durchquert hatten: flach und weit. Überflutete Reisfelder, immer wieder Flüsse, die über die Ufer gegangen sind. Die Straße ist beinah so schlecht wie zuletzt in Laos. Zum Glück gibt es nicht besonders viel Verkehr. Die meisten anderen Fahrzeuge sind Roller, aber auch sehr viele der einäugigen, zweirädrigen Traktoren sind unterwegs. Diese Zugmaschinen haben nur eine Achse, meist mit zwei dicken Gummireifen, manchmal auch mit einer Art Gitterreifen aus Eisen. Ein überlanger Lenker mit zwei Handgriffen wird vom Fahrer gehalten, der entweder hinterläuft oder auf der ebenfalls überlangen Deichsel eines Anhängers sitzt. Ich entdecke auch einige spartanische Traktoren, die zwar vier Räder, aber dafür keinerlei Motorabdeckung, Sitze oder anderen Schnickschnack besitzen. So gut wie jedes Fahrzeug ist abenteuerlich schwer und hoch beladen mit Holz, Stroh, Früchten, Möbeln, Menschen.
Siem Reap empfängt uns mit Regen. Zu unserer Überraschung hält unser Fahrer etwa fünf Kilometer vor dem Ziel. Wir sollen in ein Tuktuk umsteigen, vermuten irgendeine Abzocke. Aber es läuft so, wie der TukTukmann in brüchigem Englisch erklärt hat. Scheinbar gibt es eine Art Gebietsschutz für die Innenstadt. Irgendeine Vereinbarung bindet die beiden Fahrer, wir müssen jedenfalls nicht nochmals zahlen, sondern nur noch den sehr anhänglichen TukTukfahrer loswerden. Durchgeschwitzt, dann fast tiefgefroren von der Klimaanlage, zuletzt im Regen abgeduscht torkeln wir in das anvisierte Guesthouse, welches sich als stinkige Bude erweist. Wir danken und ziehen weiter, zunächst noch den Fahrer im Schlepptau. Bald scheint die Sonne wieder. Das nächste Hotel ist das 7candles – hier sind die Zimmer schön und sauber, außerdem werden mit den Einnahmen Bildungsprojekte in den ländlichen Gebieten unterstützt, ähnlich wie bei BigBrotherMouse in Laos. Das gefällt uns!
19.09.2019 Kunst und Krieg
Was für ein Glück, unser Guesthouse hält für die Gäste Fahrräder bereit. Wir radeln zu Artisans Angkor – Les Chantiers Ecoles in der Nähe der Pub Street. Diese Schule und Werkstatt für Kunsthandwerk hat es sich zum Ziel gesetzt, vergessene handwerkliche und künstlerische Traditionen neu zu beleben, darüber hinaus bietet das Projekt Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen. Die roten Khmer hatten in ihrer wahnsinnigen Bemühung, alle Kultur auf Null zu reduzieren auch sämtliche Künstler mit Repression belegt oder getötet, folglich war es nicht einfach, die Jahrtausende alten Techniken wieder zu entwickeln. Für mich als Werklehrer ist es faszinierend zu erleben, wie die Künstler in ihren Werkstätten Holz, Sandstein, Kupfer, Speckstein, Lack und Seide bearbeiten. Lange schaue ich zu und probiere die Werkzeuge auch selbst aus. Zu schade, dass ich mich mit den Leuten nicht unterhalten kann, aber dann wäre Andreas Geduld sicher noch mehr überstrapaziert. Im Shop liebäugeln wir mit den qualitativ hervorragenden und sehr hochpreisigen Waren. Aber wie sollen wir denn einen Sandsteinbuddha mitnehmen? Im Übrigen haben wir uns vorgenommen, keine Staubfänger anzuschaffen – wir haben ja keine Wohnung mehr und wissen auch nicht, ob wir wieder einen Garten haben werden. Also bleibt uns die Erinnerung.
So schön dieses erste Erlebnis des Tages war, so furchtbar und verstörend ist das zweite, das War Museum. Dorthin gelangen wir auf unseren klapprigen Drahteseln über einen kleinen Umweg, zunächst durch den örtlichen Slum, dann durch den Schlamm. Die Straßen sind außerhalb nämlich nicht mehr asphaltiert, sondern vielmehr abenteuerliche Schlammpisten mit Schlaglöchern wie Badewannen.
Es ist sehr traurig, auf Bildern und Tafeln Einzelheiten über die Geschichte des kambodschanischen Bürgerkrieges zu erfahren. Um Munition zu sparen, töteten die Steinzeitkommunisten viele ihrer Opfer mit Hämmern, Spaten, Bambusspitzen. Zwischen 1975 und 1979 wurde ein Viertel der Bevölkerung Kambodschas umgebracht. Die Exponate sind Geschütze, Maschinengewehre und Granaten sowie Hunderte von Landminen. Was ist mit den Minenopfern? Es gibt heute noch neue Opfer, auch wenn der Krieg nun schon zwanzig Jahre beendet ist. Der Erlös dieses Museums, so heißt es, dient zu ihrer Unterstützung sowie zur Hilfe von traumatisierten ehemaligen Kämpfern.