Vang Vieng ist eine Art Abenteuerspielplatz für junge Leute. Überall werden Touren in die Berge und Höhlen angeboten. Man kann sich in großen Schwimmreifen die Flüsse herunter treiben lassen, Ziplines herunterrauschen oder in den sogenannten Lagunen schwimmen. Anscheinend hat der Spaßtourismus in den letzten Jahren üble Formen angenommen. Regelmäßig sind betrunkene oder von Drogen bedröhnte Personen ertrunken oder in den Höhlen umgekommen. Die laotische Regierung sah sich gezwungen, einzuschreiten und schloss ein paar Agenturen. Die Leute haben nun eine neue Attraktion entdeckt: Der letzte Auswuchs der Touristenbespaßung sind Beachbuggys, offene Geländewagen mit riesigen oversize Reifen und Überrollbügeln. Man hört sie schon von weitem dröhnen. Damit sind vor allem wieder die fernöstlichen Touris aus China und Korea unterwegs. Mit Schutzbrille, Tüchern vor dem Mund und verkehrt herum angezogenen Jacken befahren sie die – zugegeben ziemlich miesen – Schlammpisten. Straßen kann man diese kaum nennen.
Die Karstlandschaft ist sehr reizvoll, überall stehen riesige Felszacken herum, die mehrere hundert Meter hoch sind und wie grün bewaldete, meist spitz zulaufende Granatsplitter aus der flachen Ebene herausragen. Jeder Berg weist ein paar Höhlen auf. Diese sind ganz unterschiedlich touristisch erschlossen. Die beleuchteten mit den Betontreppen und Geländer gesicherten haben wir uns gespart, dafür haben wir uns heute eine unbekanntere herausgesucht: Die Khan Cave. Wir sind mit einem chinesischen Lipan Leihroller unterwegs, einer miesen Krücke mit unterirdischer Federung, an der so gut wie nichts funktioniert, vom Motor abgesehen: Keine Bremsen, kein Licht, kein Tacho, keine Tankanzeige. Wir fahren den Pfad, bis er in ein ausgetrocknetes Flussbett übergeht und der Untergrund zu schlammig zum Weiterfahren ist. Unser Ziel ist schlecht beschildert, zunächst laufen wir am richtigen Abzweig vorbei. Nachdem wir eine schweißtreibende Stunde über riesige Findlinge und rutschige Lehmwände dem steil ansteigenden Flussbett gefolgt sind haben wir die Idee, mal unseren Standort mit GPS zu lokalisieren… also drehen wir um, runter geht es etwas schneller.
Den Höhleneingang finden wir hinter einem Bambusdickicht und ein paar Felsen, die von Tradiskanthia und anderen Bodendeckern überwuchert sind. Bei uns findet man die als Zimmerpflanzen. Wir klettern über schlüpfrige Steinbrocken ins Halbdunkel, von oben hängen anfangs noch meterlange Baumwurzeln herab.
Hier ist nichts beleuchtet, es gibt auch keine Stufen. Zum Glück haben wir heute unsere Stirnlampen dabei. Wir tasten uns an riesigen Tropfsteinen vorbei. Nach ein paar Biegungen herrscht völlige Dunkelheit. Die Höhle öffnet sich zu einem größeren Raum. Ganz hinten erahnen wir einen lebensgroßen sitzenden Buddha, davor ein Tischchen mit Opfergaben: verwelkten Blumen, verschimmelten Speisen und längst verloschenen Räucherstäbchen. Der Ort ist irgendwie ungemütlich. Die Luft ist kühl, fast frisch. Wir folgen dem Gang, es gibt ein paar Abzweigungen. Wir überlegen, ob man von hier ohne Licht wieder herausfinden würde? Vom Licht aufgeschreckt, flattern uns ein paar Fledermäuse um die Köpfe. Beim Blick nach oben sehen wir sie in dichten Trauben an der Höhlendecke hängen. Wir vermeiden es, die Tiere direkt anzuleuchten. Kurz darauf führt ein wackeliges, morsches Brett über eine tiefe Felsspalte. Genug für unseren Entdeckerdrang für heute.
Wenig später zieht es uns nicht nach unten, sondern in die Höhe. Wir klettern auf einen der Karstberge zu einem Aussichtspunkt hinauf. Der listige Laot hat auf den ersten paar Hundert Metern Treppenstufen gelegt, danach wird der Steig immer unwegsamer und steiler. Gegen Ende geht es leicht 70° Steigung hinauf und wir hangeln uns an Felskanten und Wurzeln nach oben. Komplett durchgeschwitzt erreichen wir die Aussichtsplattform nach etwa 300 Höhenmetern Anstieg. Beim Abstieg komme ich ins Rutschen und schneide mir an einem scharfkantigen Felsen einen Finger auf. Aus schlechter Erfahrung weiß ich, dass ich die Wunde gleich im Hotel behandeln muss. Jodtinktur und antibiotische Salbe helfen, eine Infektion einzudämmen. In Anuradhapura hatte ich mir einen kleinen Ratzer am Fuß zugezogen, der dann vier Wochen brauchte, bis er endlich zugeheilt war. Unser Immunsystem ist auf die Keime hier nicht vorbereitet.
Abends unterhalten wir uns noch ausführlich mit unserem Wirt Joe. Der 73jährige Brite ist vor 19 Jahren hierher ausgewandert, hat eine laotische Frau und zwei Kinder. Seine Lodge Maylin hat er wohl nach seiner Frau benannt. Mindestens ein Dutzend kleiner Bungalows und Stelzenhäuser sind in einem riesigen, dicht zugewachsenen Garten verteilt, die Anlage gefällt uns sehr gut. Doch die besten Zeiten scheinen hier vorbei zu sein. Unser Wirt ist nicht glücklich mit seiner Lebenssituation: Die unzuverlässigen Einheimischen, sein Spagat zwischen den Kulturen, der Kampf gegen den unausweichlichen Verfall und die Auswüchse des neuen Tourismus machen ihm zu schaffen.
Am nächsten Tag reisen wir weiter nach Vientiane, die Hauptstadt Laos. Mit 620000 Einwohnern ist sie auch die größte des Landes. Ein Viertel der mittelständischen Unternehmen des Landes sind hier, die Industrie beschränkt sich auf die Brauerei Beerlao und eine Zigarettenfabrik. Eigentlich war die Reiseroute anders geplant. Rein zufällig haben wir jedoch erfahren, dass in einigen Provinzen im Süden des Landes der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Heftige tropische Unwetter sollen zu schweren Überschwemmungen geführt haben, auch von Dammbrüchen ist die Rede. Es ist schwierig, an Informationen zu kommen. Manche Berichte, die wir gestern im Internet gelesen haben, sind heute verschwunden. Tatsächlich sind wir froh, heute im Bus zu sitzen. Es regnet den ganzen Tag sehr stark. Erst in den Vorstädten von Vientiane hört es auf. Ewig fahren wir durch Industrie- und Gewerbegebiete, ein Baggerverleih reiht sich an den anderen Hof voller Baumaschinen. Angesichts all dieser Maschinen frage ich mich bloß, warum die Straßen derart schlecht sind.
Wir genießen den französischen Flair der Stadt. Es ist zwar lange her, seit die Franzosen hier das Sagen hatten, aber ein wenig savoir vivre hat sich hier noch erhalten. Es gibt Cafés, die sehr guten Kaffee anbieten und sogar kleine Weinlokale.
Vientiane 12.09.2019, 07.24 Uhr