Dschungel, Wasser, Höhle
Das war einer der schönsten Tage unserer Reise bisher: Einen riesigen Wasserfall erklimmen und darin baden, einsam durch den Dschungel wandern, eine fast unbekannte, finstere Höhle erforschen, im klaren Wasser eines Baches baden, tausende Schmetterlinge und andere Insekten beobachten. Genau mein Ding!
Tat Kuang Si heißt der Wasserfall, den wir per Leihroller in einer knappen Stunde (30 Kilometer von Luang Prabang) über abenteuerliche Straßen mit kinderbadewannengroßen Schlaglöchern und über wackelige Holzbrücken erreichen. Der Wasserfall besteht aus vielen Stufen, dazwischen laden Dutzende Becken mit türkisblauem Wasser zum Abfrischen oder Schwimmen ein. Riesige, ineinander übergehende Sinterterassen haben sich über die Jahrtausende gebildet: Das Calziumcarbonat aus dem extrem mineralhaltigen Wasser kristallisiert überall: Auf Felsen, Wurzeln, Baumstämmen, aber auch auf der überspülten Holztreppe, die wir vorsichtig erklimmen. Im Halbdunkel des Dschungelpfades geht es stetig bergauf. Hier ist der Kreislauf des Lebens überdeutlich sichtbar: Blühendes Leben, gewaltige, kraftstrotzende Vegetation, undurchdringliches Dickicht zieht seine Kraft aus moderndem Zerfall und verwesendem Biomaterial. Tausende kleinste Insekten, Würmer und Pilze zersetzen sofort alles, was nicht mehr lebt.
Ich entdecke viele verschiedene Grashüpfer, Spinnen, Termiten. Ein faustgroßes Ameisennest hängt in Hüfthöhe neben dem Pfad: Ein Masse aus krabbelnden Leibern. Manche Ameisenarten schwärmen wie Honigbienen. Angeblich leben hier noch Tiger, Loris, Schwarzbären und Leoparden. Die unteren Bereiche des Parks sind noch recht leicht erreichbar. Ganz oben erfordert es schon ein wenig Ausdauer. Da wir mit die ersten Besucher sind, haben wir das Naturschauspiel bald für uns allein, je weiter oben, umso ruhiger wird es – vom Tosen der Fluten abgesehen. Der Blick von ganz oben ist überwältigend: Wir stehen in dem flachen Wasser, welches kühl und munter unsere Beine umspült und direkt unter uns etwa hundert Meter herabstürzt. Nur eine wackelige Holzkonstruktion trennt den mutigen Wanderer von der Kante.
Wir folgen einem Pfad, der uns etwa eine Stunde weit durch dichten Regenwald zu einer kleinen Höhle führen soll. Es ist unglaublich heiß und stickig. Sobald wir kurz stehenbleiben, überfallen uns Myriaden kleiner Fliegen und Moskitos. Trotzdem ist diese Wanderung ein wunderschönes Erlebnis, denn wir werden ständig von einer großen Zahl unterschiedlicher wunderschöner Schmetterlinge umflattert. An manchen Stellen ist der Lehm des Weges von einem kleinen Wasserlauf aufgeweicht. In den Pfützen trinken Hunderte der Schmetterlinge, vor allem die gelben und die schwarz-türkis gemusterten. Leider ist es sehr schwierig, sie zu fotografieren.
Der Pfad mündet in eine Lichtung, eine Frau verkauft Wasser. Wie kann sie es den ganzen Tag hier in der Hitze bei den Mücken aushalten? Für 1000 Kip (~1€) erhalten wir unsere Eintrittskarte – wir sind weit und breit die einzigen Menschen. Es ist ein wenig sonderbar, sie besteht darauf, dass wir sie nehmen. Dazu gibt es pro Nase zwei Bananen und eine schwache, funzelige Taschenlame. Wir erklimmen die Stufen in die Felswand, vor der kleinen Höhle stehen ein paar Buddhastatuen. Daneben ein tiefes, dunkles Loch. Wir kommen uns vor wie Abenteurer, als wir uns ins Dunkel vortasten. Irgend etwas streift den flauen Lichtkegel der Lampe: Eine Fledermaus. Mit jedem Meter wird es dunkler und kühler, der Boden ist uneben und ein wenig rutschig. Begeistert entdecke ich lange, klebrige Fäden, die in Gruppen von der Höhlendecke hängen. Davon habe ich bereits gelesen: Es handelt sich um Spinnfäden von einer Art Glühwürmchen, die mit Hilfe dieser Fäden vorbeifliegende kleinste Insekten fangen. Ganz weit hinten ist es stockdunkel, nicht der kleinste Schimmer Tageslicht dringt bis hier. Eine Nische mit mehreren sitzenden Buddhas ist schon seit Urzeiten ein Ort der Andacht und Verehrung für die Leute aus der Umgebung. An dieser Stelle drehen wir um und kehren ans Tageslicht zurück.
Auf dem Rückweg begleiten uns nicht nur die Schmetterlinge, sondern auch unglaublich laute Zikaden. Ein glasklarer Bach lädt zum Baden ein. Doch als wir den Wasserfall wieder erreichen, ist der Zauber der Einsamkeit vorbei. Mittlerweile picknicken, planschen und grölen hier Horden überwiegend koreanischer und chinesischer Touristen. Mit Kamera-, Handy- und Selfiestab bestückt, wie sie sind, ist kein Fleck sicher vor ihnen. Einer läuft an mir vorbei; in einer Hand die Actioncam am Handstativ vor sich her schwenkend, in der anderen das Smartphone, eine Atemmaske vor Mund und Nase, riesige Kopfhörer auf den Ohren. Der lebt scheinbar in seinem eigenen Kosmos. Warum ist der überhaupt hier? Und was die Chinesen wohl zu dem letzten Teil des Parks sagen mögen? Hier leben ein paar Schwarzbären in geräumigen Gehegen. Sie wurden aus einem grauenhaften Leben in Bärenfarmen befreit. Noch heute gibt es leider in der traditionellen fernöstlichen Medizin Bedarf an Bärengalle – um sie zu gewinnen, werden die armen Tiere in winzigen Käfigen gehalten.
09.09.2019 Luang Prabang 7 Uhr 17