Von Jaffna nach Trincomalee (237km) fahren wir per Bus in sechs Stunden für 350 LKR (~1,75€). Der Bus ist billig, viel Komfort kann man auch nicht erwarten. Eigentlich gar keinen. Es gibt keine A/C, keinen Platz, keine Ruhe. Der Bus ist laut, die Gespräche der Mitreisenden sind lauter, aber die ohrenbetäubende Musik ist am lautesten. Es scheint, als habe sich der Fahrer fest vorgenommen, mit seiner Bollywoodmusik alle Fahrgäste ertauben zu lassen. Leider habe ich meine Ohrstöpsel irgendwo unerreichbar im Rucksack.
Die Lanka Ashok Busse sind alle gleich aufgebaut: Das Cockpit vorn rechts ist großzügig bemessen, hier thront der Chef. Mit den Fahrgästen hat er nichts zu tun, er fährt. Mittig neben ihm die Abdeckung des riesigen Dieselmotors. Dort werden bei Überlandfahrten die sperrigsten Gepäckstücke abgelegt, zum Beispiel unsere übergroßen Rucksäcke. Meiner ist stets der größte, folglich immer zuunterst. Über der zweigeteilten Frontscheibe ist ein Schrein befestigt, der fünf kleine mit Blumen geschmückte Nischen für alle notwendigen Gottheiten enthält. Links der elefantenköpfige Ganesh, daneben Krishna, ganz rechts Buddha, daneben die Jungfrau Maria mit dem Kinde, das mittlere Abteil enthält drei hinduistische Gottheiten, die ich nicht identifizieren kann. In einem anderen Bus habe ich zusätzlich noch ein Bild der Kaaba gesehen. So ist in jedem Fall für eine gute Fahrt gesorgt. Das ist auch gut so, die Fahrweise erinnert stark an den fahrenden Ritter in Harry Potter. Wenn der enge Mittelgang zwischen den winzigen Sitzreihen, rechts drei, links zwei Plätze, nicht von stehenden Fahrgästen überquillt, habe ich einen guten Blick nach vorn durch die Frontscheibe. Was ich sehe, ist überwiegend beängstigend. Busse sind nämlich generell die schnellsten Fahrzeuge überhaupt auf der Straße. Unter ständiger Zuhilfenahme der überlauten Hupe wird ununterbrochen überholt: Mopeds, TukTuks, Lastwagen, sogar Pkws – dabei ist es völlig unerheblich, ob Gegenverkehr kommt oder nicht. Zum Glück sind die Überlandstraßen fast überall so gut ausgebaut, dass auf jeder Seite ein knapp einen Meter schmaler Ausweichstreifen so manchen Zusammenstoß verhindern hilft. Nichtsdestoweniger verdient die umsichtige Fahrweise der meisten Fahrzeuglenker Anerkennung: Im allerletzten Moment öffnet sich für bedrängte Roller- oder TukTukfahrer stets eine Lücke zwischen den dahinrasenden Wänden aus Stahl und Blech. Radfahrer fliehen meist ohne viel Aufsehen ins Bankett.
Bewundernswert ist auch der Schaffner: Mit akrobatischer Leichtigkeit windet er sich auch bei den übelsten Kurvenkombinationen und Schlaglochstrecken ohne Schwanken zwischen den Fahrgästen hindurch, die sich an Stangen, Griffen und Nachbarn festklammern. Er berechnet jedem in Sekunden den richtigen Tarif, wechselt hingegebene Geldscheine, erinnert Ausländer, am rechten Platz auszusteigen und erscheint im nächsten Moment wie von Geisterhand wieder am anderen Ende des Busses.
Im Norden und Osten der Insel passieren wir immer wieder schwer bewaffnete Militärposten. Die aufmunternden Schilder „Future Needs Forgiveness“ lassen schon vermuten: Hier ist der Bürgerkrieg noch längst nicht vergessen. Zerschossene Ruinen sieht man inzwischen fast keine mehr, doch die Militärpräsenz lässt klar erkennen, dass wir uns hier im einstigen Rückzugsgebiet der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) befinden. Vor kurzem haben wir den Elephant Pass überfahren: die Engstelle zwischen den Lagunen, welche die Insel Jaffna vom Rest Sri Lankas trennen. Kurz danach kommt die Abzweigung nach Mullaitivu. Dort hatten sich bis vor etwa zehn Jahren noch die letzten Rebellen verschanzt, der Krieg endete, als der Terrorist, Befreiungskämpfer, Tamilenführer, Volksheld und vielfache Mörder Velupillai Prabhakaran hier am 19. Mai 2009 erschossen wurde.
Die Landschaft wird zunehmend grüner, jetzt sind auch frisch bewässerte Reisfelder und blühende Gemüsegärten zu sehen. Dann wieder zieht stundenlang undurchdringlicher Wald an den Fenstern vorbei. Gelegentlich erkenne ich in der Nähe von landwirtschaftlich genutzten Flächen hohe Plattformen, ähnlich konstruiert wie bei uns ein Jägerstand. Von unserer letzten Reise nach Sri Lanka wissen wir, dass diese errichtet wurden, damit die Feldarbeiter sich im Fall eines Angriffs wilder Elefanten hier hinauf flüchten können.
Der Bus hält auf der sechsstündigen Fahrt vielfach kurz, um Fahrgäste aufzunehmen oder rauszulassen. Nur einmal verlässt der Fahrer seinen Platz für zwei, drei Minuten. Ob das wohl die vorgeschriebene Lenkpause ist?
Wir wagen es jedenfalls nicht, auszusteigen. Wer will schon hier mitten im Nirgendwo vergessen werden und den Bus samt Gepäck davonbrausen sehen? Vorsorglich haben wir aufs Frühstück verzichtet und den ganzen Vormittag so gut wie nichts getrunken. Solange man sich so gut wie gar nicht bewegt, geht das schon mal. Apropos Bewegung: Ich fühle mich ohnehin wie Gulliver im Lande Lilliput. Als nicht ganz klein geratener Mensch habe ich meine Probleme, auf der engen Sitzbank Platz zu finden. Wenn ich meinen Rücken ganz gerade hinten an die Lehne drücke, pressen sich meine Kniescheiben mit gerade noch erträglichem Druck an die Lehne des Sitzes vor mir. Unmöglich, diese Stellung über Stunden aufrecht zu halten, an Dösen oder Schlafen ist schon gar nicht zu denken. Ich versuche mich in Meditation und stehe auf, wenn es gar nicht mehr geht, insofern es der Platz auf dem Gang erlaubt. Doch die Fahrt hat auch irgendwann ein Ende, mittags erreichen wir Trincomalee, Hauptstadt der Ostprovinz. Wunderschön auf drei Halbinseln gelegen verfügt die Stadt über einen der größten natürlichen Tiefseehäfen weltweit. Auf dem Felsen über der Stadt stehen die Reste eines Forts, das Zeuge der wechselvollen Kolonialgeschichte ist: Portugiesen, Dänen, Holländer und Briten haben sich hier abwechselnd zum Herrn gemacht. Der alte tamilische Tempel wurde dabei längst zerstört. Stattdessen wurden später ein hinduistisches und ein buddhistisches Heiligtum auf dem Felsen errichtet.
Wir aber haben ganz in der Nähe in Uppuveli und Nilaveli unsere Traumstrände gefunden. Hier ist es noch sehr ruhig und der Strand wird vor allem von Kühen, Hunden und Fischern bevölkert. Zu erreichen ist er über einen kleinen verfallenen Friedhof… irgendwie abgefahren.