Die Reise nach Bangkok war anstrengend. Viel Schlaf gab es in dieser Nacht nicht für uns, doch endlich ist das Ziel erreicht: Nahe der Khao San Road steigen wir aus dem Transferbus vom Suvarnabhumi Airport und erreichen zu Fuß ein Guest House, das wir uns vorher im Lonely Planet ausgesucht hatten. Viele, besonders die jungen Reisenden schwören ja auf die elektronischen Helferlein wie booking.com und trip advisor. Wir halten es eher mit der klassischen Methode: Ankommen, schauen, vergleichen, einchecken. Nicht, dass wir unbedingt immer noch den letzten Cent heraus verhandeln wollen. Keineswegs. Aber die Fotos auf den Internetangeboten sind derart geschönt, dass man sich daraus eher kein Bild machen kann. Ob die Matratze durchgelegen oder das Moskitonetz löchrig ist, die Klospülung oder die Beleuchtung funktionieren, merkt man eigentlich nur vor Ort. Freilich sind die Ansprüche unterschiedlich. Wer möchte, kommt im Schlafsaal mit Gemeinschaftsklo sehr günstig unter. Das geht schon für 5€. Wir sind da doch ein wenig verwöhnt und nehmen gern ein klassisches Doppelzimmer mit Bad. In Bangkok ist das in guter Lage um die 600 Baht (~20€) zu haben, in Sri Lanka etwas günstiger. Beim ersten Spaziergang erwischt uns dann auch prompt wieder ein Monsunschauer, eine halbe Stunde harren wir unter der Markise eines Seidenladens aus. Eine Kneipe wäre uns lieber gewesen.
Im Vergleich zu Sri Lanka ist es hier schon viel weiter entwickelt. Deutlich bessere Infrastruktur, ein gut ausgebautes Straßensystem. Mehr Verkehr per Bus, Bahn, Taxi, Threewheeler, Moped und Roller, mehr unterschiedliche Geschäfte für Bedürfnisse jeder Art, mehr modischer Schnickschnack. Mehr Steckdosen im Hotelzimmer. Wir haben jetzt sieben Stück auf zwölf Quadratmeter! So viele Elektrogeräte haben wir gar nicht dabei. Obwohl auch hier recht sorglos mit Plastiktüten umgegangen wird, so ist doch das Umweltbewusstsein etwas besser. Zumindest gibt es eine Müllabfuhr und Ansätze zu Trennung und Recycling. Die Straßenränder sind zwar auch hier, wie in Deutschland oder anderswo gelegentlich von Plastiktüten und ähnlichem Unrat verunziert, aber es ist kein flächendeckender Teppich mehr.
Von unserer Unterkunft ist es nicht weit zur berühmt-berüchtigten Khao San Road. Doch der Glanz der früheren Zeiten hat nachgelassen, wie uns scheint. Zuletzt waren wir hier vor drei Jahren. Der heutige Touristenrummel schreckt uns eher ein wenig ab, wir brauchen weder einen Maßanzug (70€, bis morgen fertig) noch ein Tattoo (Preis verhandelbar, erhältlich sofort). Da sind die Verlockungen auf dem Weg entlang der Phra Sumen Road schon eher interessant. Jeder Meter Gehsteig ist vollgestellt mit kleinen Garküchen, wo es die leckersten Sachen zu essen gibt: Obst, süßer Klebereis, Spießchen mit Fisch, Huhn, Tintenfisch, Teigtaschen mit jeder erdenklichen Füllung, Pad Thai und alle möglichen anderen Nudelgerichte und Suppen, panierte Hühnerbeine und -brüste, ganze oder filetierte Fische, alle Sorten gegrilltes Fleisch inklusive Heuschrecken und Vogelspinnen. Man kann sich etwas aussuchen oder bestellen, die Dame vom Grill bereitet die Speise sofort frisch zu. Stilecht essen ist natürlich eine Frage des Standpunktes. Mit Glück bekommt man am Straßenstand einen Teller, manchmal auch nur eine kleine Plastiktüte. Zum Essen kann man sich dann auf ein kleines Schemelchen setzen, bis der nächste Kunde den Platz braucht. Die Alternative ist ein normales Lokal, was wir uns natürlich auch schon geleistet haben. Allerdings kostet dann die Speise ein Vielfaches und ist nicht unbedingt besser, eher schlechter, weil nie so frisch.
Eben beginnt wieder ein tropischer Regenschauer – es regnet nicht, es schüttet. Auf der Straße steht das Wasser teilweise so tief, dass die vorbei fahrenden Autos breite Fontänen hochspritzen. Manche Leute laufen mit Schirm, manche stellen sich unter, einige haben kapituliert und gehen einfach so weiter. Gerade hat eine Frau auf der Straßenseite gegenüber ihre Flipflops in einer wadentiefen Pfütze verloren. Zum Glück schwimmen die Dinger. Uns ist es zum ersten Mal gelungen, den Regen nicht voll von oben abzubekommen. Wir sitzen auf der überdachten Terrasse vor unserem Guest House und lassen den Tag Revue passieren.
Begeistert sind wir von den Baudenkmälern des Wat Phra Kaew und des Königspalastes. Die Giebel der hohen Hallen sind zwei, oder dreifach gestaffelt und erheben sich mit kühnem Schwung gegen den Himmel. Die Fassaden sind mit abertausenden winzigen Kacheln verziert, mit Gold und Glas belegt. Eine Wandmalerei aus der Zeit der Gründung bedeckt eine hunderte Meter lange Wand und lässt mich lange staunend entlang gehen. Der Tempel des Smaragdbuddhas wurde 1782 geweiht und ist heute die größte Touristenattraktion und Pilgerstätte der Stadt. Seit die alte Hauptstadt Ayutthaya aufgegeben wurde und die Regierung nach Bangkok verlegt wurde, haben hier alle folgenden Herrscher immer neue Pagoden, Tempel, Ratshallen, Bibliotheken und Stupas errichtet. Die Pracht der Anlage gereicht dem sprichwörtlichen Reichtum der Könige von Siam zu Ehren.
Und doch weckt der Besuch der altehrwürdigen Stätten bei uns Aggressionen. Der Mensch aus dem Land der aufgehenden Sonne hat uns heute das Kraut ausgeschüttet. Jeder, der uns kennt wird bestätigen, dass wir friedfertige und tolerante Leute sind, die keinerlei Vorbehalte gegenüber Menschen anderer Nationalität, Herkunft, Hautfarbe oder Orientierung haben. In ungeheuren Massen treten hier chinesische Touristen auf, sie machen bestimmt drei Viertel der Besucher aus. Jeder Reisegruppe läuft ein Fremdenführer vorneweg, einen Teleskopstab hochgereckt, an dem wahlweise ein Fähnchen, ein Plastiktier oder sonstwas hängt, damit auch keines der Schäfchen seine Herde verliert. Von diesem Vorbeter werden überlaut und verstärkt per Megaphon die Sehenswürdigkeiten in einer marktschreierischen Art erklärt, dass daneben alles andere im akustischen Abseits versinkt. Laut und besitzergreifend drängen die Leute sich überall nach vorn. Dabei verhalten sie sich rüpelhaft und ohne jede Rücksicht auf andere.
Mehrfach wurden wir heute von Regenschirmen (die tragen sie, um ja nicht zu viel Sonne abzubekommen) und Selfiesticks (wozu die gut sind, weiß ich nicht) aufs Übelste gerammt – auf eine Entschuldigung kann man da lange warten. Es fehlt ihnen offenbar völlig das Bewusstsein für die Bedürfnisse anderer. Stattdessen rotzen und spucken sie, wo es nur geht, dass es unsereinem übel wird. Pietätlos lassen sie sich in jedem erdenklichen Winkel, bevorzugt mit dem Rücken zu den allgegenwärtigen Buddhastatuen ablichten oder fotografieren sich permanent selbst. Freilich, ich nehme auch Fotos auf – aber zuvor schaue ich. Manche Leute dagegen, scheint mir, trampeln bloß unreflektiert durch die Welt und betrachten dieselbe nur als Hintergrund für ihre Selfies. So, genug abgelästert. Morgen fahren wir Richtung Westen nach Kanchanaburi. Die historischen Relikte um die Brücke am Kwai River und der Erawan Nationalpark locken.