Nach Neapel

Problemlos begeben wir uns auf die Weiterreise nach Süden. Der Zug verlässt Bologna Centrale pünktlich und rauscht zunächst durch eine bergige Landschaft. Viele Tunnels gilt es zu durchfahren; in der ersten Zeit sogar überwiegend Tunnels. Nur gelegentlich, in den offenen Passagen öffnet sich der Blick durch die schmutzigen Zugfenster. Obwohl das Tageslicht trüb und das Wetter regnerisch ist, beschließen wir: Die wilde, schöne Landschaften der Emilia Romagna und der Toskana verdienen es, bei einem späteren Besuch genauer in Augenschein genommen zu werden. Es regnet, ich freue mich. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch. Dieser Ausspruch wird Karl Valentin nachgesagt, der bestimmt weder von Klimawandel noch von Wasserknappheit etwas gewusst haben dürfte.

Nach einem Stopp in Florenz füllt sich der Zug bis fast zum letzten Platz. Ich kann meine langen Beine halbwegs ausstrecken, wenn ich meinen Hintern ganz tief in die harte Sitzschale hinein presse. Nur Fliegen ist schlimmer! So hat jede Art des Reisens etwas für sich. Der Blick aus dem Zugfenster ist vielleicht nicht so spektakulär wie der aus dem Bullauge eines Düsenjets. Was ist schöner: Eine wackelnde Tragfläche und gelegentlich ein paar Wolken oder Berge, Wälder, Felder, Höfe, Wein- und Olivengärten und immer wieder Tunnels? Dass der Streckenverlauf immer noch beträchtliche Steigungen und Gefälle aufweist, merkt man vor allem am Druck auf den Ohren.

Die Landschaft wird weiter, die Hügel strecken sich und zu den typischen Zypressen kommen immer mehr Pinien und Schirmkiefern. Wir streifen Umbrien und kommen nach Latium. Nächster Halt ist Rom. Zwischen den Gleisen blüht hier schon der Mohn!

Wenig später rollen wir ein in Napoli Centrale. Unser Quartier liegt mitten in der historischen Altstadt, der Weg dorthin führt an meterhohen Müllhaufen und Straßenverkäufern mit undefinierbarem Angebot vorbei. Neapel zeigt sich wie im altbekannten Klischee: Balkone voller Wäscheleinen über engen Gassen, verfallende Prachtbauten mit vernagelten Eingängen und enge, volle Straßen – die Gehsteige benutzt hier niemand, denn sie sind vollgestellt mit Gerüsten, Paketen und Mopeds. Rasch finden wir unsere Adresse. Bei Ansicht des leicht ramponierten Altbaus weht uns der marode Charme des Verfalls entgegen. Durch eine kleine Türluke gelangen wir in ein renovierungsbedürftiges Treppenhaus. Von oben blättert der Putz, unter unseren Sohlen knirschen die losen Fliesen. Mutig besteigen wir den beinahe frei an gusseisernen Konsolen pendelnden Aufzug und entschweben in den vierten Stock. Letzter TÜV war so ungefähr 1907.

Das Zimmer ist komplett modern renoviert und eingerichtet, leider funktionieren weder der Router noch der Kühlschrank. Wir beschließen, uns nicht die Laune verderben zu lassen und begeben uns nach kurzer Rast auf einen Streifzug durch die Rione Forcella. Etwas abseits des Touristenrummels wird es leiser und man kann sehr gut und für wenig Geld einkehren. Bis wir beim Espresso angekommen sind, hat sich das Lokal mit Einheimischen gefüllt, die aus der sonntäglichen Abendmesse kommen.

Auf dem Heimweg schwimmen wir durch die Menschenmenge im Kielwasser einer Gruppe junger Damen beim Junggesellinnenabschied, sie tragen rosa Herzchenbrillen und wirken bereits etwas erschöpft und desorientiert. Leider ist auf meinem Foto der meterlange aufblasbare Plastikpenis nicht zu sehen, den eine von ihnen vorne weg schwenkt.